Über Umwege nach ganz oben

Federico trainiert einen Torwart, indem er Bälle auf ein Tor schießt.
Trainiert die deutsche Nummer 1 der Futsal-Nationalmannschaft: Stefano Federico. Foto: Melissa Gracic
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Als er als Kind auf den Rastatter Bolzplätzen mit seinen Freunden kickte, hatte er den Traum, irgendwann vom Fußball leben zu können. Heute ist Stefano Federico Torwarttrainer beim TSV Weilimdorf 1948, eines der besten Teams in der neu gegründeten Deutschen Futsal-Bundesliga. Trainieren tut er sogar die amtierende Nummer 1 der deutschen Futsal-Nationalmannschaft. Ein Portrait von Joshua Füner von der Deutschen Gehörlosenzeitung.

Beim FC Rastatt 04 startete Stefano Federico seine fußballerische Laufbahn mit 13 Jahren. Um auch mit seinen gehörlosen Freunden spielen zu können, trat er bald dem GSV Karlsruhe bei. Mit der Jugendmannschaft des GSV Karlsruhe nahm der gelernte Mechatroniker an bundesweiten Turnieren teil. Durch seine Präsenz, seine Ausstrahlung sowie sein modernes Torwartspiel fiel er dem Nationaltrainer der Deutschen Gehörlosen Nationalmannschaft, Frank Zürn, auf. 

„Er hatte schon in jungen Jahren eine offene Art und war gleich im Team integriert“, erinnert sich Zürn. „Außerdem konnte er zeigen, dass er ein hoffnungsvolles Talent ist, aber im direkten Vergleich noch etwas Erfahrung sammeln musste.“ Federico wurde für die Nationalmannschaft berufen und nahm mit seinen 17 Jahren an Trainingslagern und Qualifikationsspielen teil. Für Nominierungen an Turnieren reichte es nicht. „Die Konkurrenz war mit Konrad, Zimmermann und dem jungen Hafner sehr groß. Ich kam da schwer rein“, so Federico heute. Gleichzeitig hütete er das Tor beim Rastatter SC in der Bezirksliga. Der ohnehin technisch versierte Torhüter verspürte damals den Drang, als Feldspieler das Spiel der Mannschaft mitzugestalten. Und dazu kam es: „Der GSV Karlsruhe hatte einen guten Torwart, aber die Mannschaft war überaltert und über dem Zenit ihrer Topleistung hinaus. So spielte ich im Mittelfeld und verspürte später auch die Lust, bei einem hörenden Verein als Feldspieler zu spielen“, sagt Federico. 

Ehemalige Spieler und Kenner beschreiben Stefano Federico als einen laufstarken Spieler, der mit seiner aggressiven Spielweise eine Mannschaft mitreißen könne. Als Feldspieler brachte er es sogar zu Einsätzen in der Landesliga, für den SV Germania Bietigheim. Zu dieser Zeit fing er an, mit dem damals in Deutschland noch unbekannten Futsal in Berührung zu treten. Mit dem GSV Karlsruhe trat er 2006 als Kapitän in der neuen badischen Futsalliga an und war sofort fasziniert von der technisch anspruchsvollen Hallenfußballvariante. „Wir waren eine Mannschaft aus zwei gehörlosen Nationalspielern und älteren Spielern“, erzählt Federico von seinen Futsal-Anfängen. „Wir waren alle Neulinge und mussten Lehrgeld zahlen. Aber ich war sofort begeistert von Futsal.“ 

Mit seinem Netzwerk, seiner empathischen Art und der Strahlkraft aus ehemaligen wie aktuellen Nationalspielern gelang es Federico, den GSV Karlsruhe wieder zur Top-Adresse im deutschen Gehörlosenfußball zu machen. Viele namhafte Gehörlosenfußballer aus Süddeutschland folgten seinen Lockrufen. Die Karlsruher kamen wieder unter die Top 4. Mit weiteren Verstärkungen aus dem Nachwuchsbereich konnte man nach langer Zeit im Jahr 2010 gegen den Erzrivalen aus Stuttgart die Deutsche Gehörlosen Meisterschaft nach mehr als zehn Jahren gewinnen. 

„Ein Traum ging in Erfüllung! Mit Freunden so einen Titel zu gewinnen, ist besonders“, erinnert sich Federico. 2013 schafften sie sogar das legendäre „Triple“ (Gewinn der drei Titel in einer Saison, d. Red.). „Wir hatten eine sehr junge talentierte Mannschaft und gewannen alles auf dem Großfeld: die baden-württembergische Liga, den Verbandspokal Baden-Württembergs und die Deutsche Gehörlosen Meisterschaft. Wir trafen in allen entscheidenden Spielen in diesen Wettbewerben auf unseren Rivalen GSG Stuttgart und schlugen sie jedes Mal“, wird Federico sentimental. „Jedes Mal waren die Spiele eng, umkämpft und emotional. Eine kräftezehrende, aber dennoch eine sehr erfolgreiche Saison für den Verein und für mich.“ 

Bereits da hatte er seine eigene Familie und zwei Koda-Kinder. Für ihn sei es an der Zeit gewesen, sich der Familie zu widmen und eine Pause einzulegen. „Ich war schließlich mehr als zehn Jahre nur im Gehörlosenfußball unterwegs“, so Federico. In der Zeit probierte er Extremsportarten aus, stattete regelmäßig Besuche im Fitnessstudio ab. Vor allem stand die Zeit mit der Familie im Vordergrund. Der Sohn entdeckte die Liebe zum Fußball und der Vater begleitete ihn regelmäßig zum Training sowie zu Spielen. 

"Die Zusammenarbeit mit Stefano ist sehr professionel, sehr menschlich"

Doch die Verbundenheit zum GSV Karlsruhe ließ ihn nie los: Als der Erzrivale GSG Stuttgart einige Karlsruher verpflichtete und die Mannschaft keinen Trainer mehr hatte, sah sich Federico in der Pflicht. „Ich kam wieder zurück, baute ein Team mit meinen Freunden auf und wir gingen gemeinsam durch Höhen und Tiefen, denn es war keine leichte Saison“, erzählt er von seinem Comeback als Trainer. In der zweiten Trainer-Ära Federicos erreichten die Karlsruher 2018 einen starken dritten Platz bei der Deutschen Meisterschaft. Doch er wollte mehr und holte seinen Freund und ehemaligen Nationalspieler Edris Saighani als Trainer, um ihn beratend und als Torwart zur Seite zu stehen. 

Zu dieser Zeit kehrte Federico zurück in den hörenden Vereinsfußball und stand in der Landesliga für den Rastatter SC zwischen den Pfosten. Aufgrund dessen berief Zürn ihn in die Gehörlosen-Fußballnationalmannschaft zurück, nach 19 Jahren Abstinenz. Dort traf er auf seinen damaligen Konkurrenten und heutigen Torwarttrainer Dirk Zimmermann. „Er lud mich sogar zum Torwarttraining der U23 des Fortuna Düsseldorfs ein. Ich durfte mit Profis trainieren, was für mich ein riesiges Erlebnis war.“

Gleichzeitig entschied sich der GSV Karlsruhe, wieder in der badischen Futsalliga anzutreten – mit Stefano Federico im Tor, zur Vorbereitung auf die Deutsche Gehörlosen Futsalmeisterschaft und auf die Deaf Champions League Futsal. Die Sensation: Der GSV gewann die badische Futsalliga und stieg in die Regionalliga Süd auf, damals die höchste Spielklasse im Futsal. „Wir bekamen viel Aufmerksamkeit und waren in Sportzeitschriften“, denkt Federico zurück. Durch die gewonnene Spielpraxis, gepaart mit großem Selbstvertrauen gewann der GSV die Deutsche Futsalmeisterschaft der Gehörlosen, wieder gegen Stuttgart. Darüber hinaus schaffte man einen guten fünften Platz bei der Deaf Champions League Futsal. Federico wurde zu den drei besten Torhütern des Turniers gewählt. 

„Für uns war es ein riesiger Erfolg, auch wenn mehr drin war. Futsal ist in Deutschland nicht nur im Gehörlosenbereich ein Entwicklungsland, sondern auch bei den Hörenden. Da sind Länder wie Spanien oder Italien viel weiter. Insofern konnten wir große Werbung für Deutschland betreiben“, bilanziert Federico. Bereits in dieser Zeit erhielt er Anfragen von verschiedenen gehörlosen Futsalvereinen Europas. Dennoch blieb er dem GSV Karlsruhe treu.

Foto von Stefano im roten Torwarttrikot. Er hat kurze Haare, einen Vollbart und hält einen Fußball in den Händen
Mit dem GSV Karlsruhe gewann Federico mehrere Titel. Foto: DGSV
Stefano und Philipp sitzen Arm in Arm vor einem Poster des DFB und schauen in die Kamera.
Federico mit Philipp Pless, der Nummer 1 im Tor der deutschen Futsal-Nationalmannschaft. Foto: privat

Durch den überraschenden Aufstieg trat der GSV Karlsruhe nun in der höchsten Spielklasse im Deutschen Futsal an. Dort spielte Federico mit einem Gehörlosen-Team gegen professionelle Teams an und somit gegen Spieler, die von Futsal leben. Wie etwa der damals amtierende Deutsche Meister TSV Weilimdorf, dessen Spiele er bereits zuvor verfolgt hatte. In Federico wuchs der „Ehrgeiz, einmal ein Teil von diesem Ganzen zu sein“. In der höchsten Liga musste der GSV Karlsruhe viel Lehrgeld zahlen. Die Gegner waren taktisch und vom Tempo her überlegen. Sie seien auch bei den „Trainingsbedingungen viel weiter“ und trainieren pro Woche „fünfmal“ und „wir einmal“. Trotz dieser markanten Unterschiede konnte man Punktgewinne und Siege einfahren. Gegen den TSV Weilimdorf war man chancenlos.  

Aufgrund seiner starken Leistungen wurde der Torhüter 2019 zum Bundesländervergleich in die hörende badische Futsalauswahl eingeladen. „Da war ich im Futsal auf dem absoluten Zenit“, so Federico. Ab da nahm seine Karriere eine Wendung: Er kam ins Gespräch mit Philipp Pless, damals bereits Torwart der Futsal Nationalmannschaft und die beiden tauschten sich über Trainingsinhalte aus. Schon da fiel Pless auf, dass Federico eine große fachliche Kompetenz besitzt. Beide blieben in Kontakt und er lud ihn zum Probetraining als Torwarttrainer beim TSV Weilimdorf ein – für Federico damals „ein großer Moment“. 

Allerdings herrschte in der Chefetage des TSV Weilimdorf Skepsis zwecks der Kommunikation. Doch der Gehörlose überzeugte alle mit seiner offenen, empathischen und fachlichen Art. 2021 reiste er als Torwarttrainer in „Probezeit“ mit zum Finalturnier um die Deutsche Futsalmeisterschaft. Schon da verfolgten viele aus der Gehörlosenszene die live ins Internet übertragenen Spiele. Der TSV Weilimdorf wurde nach dem Finalsieg gegen die HSV-Panthers wiederholt Deutscher Meister. Für einen großen Moment sorgte die Mannschaft: Bei der Siegerehrung übergab sie den Pokal Federico, der ihn in die Höhe hielt. 

Federico mit zwi Mitspielern. Sie halten jubelnd die Meisterschale in ihren Händen, tragen rote T-Shirts mit der Aufschrift "Deutscher Futsal Meister 2021 und haben eine Medallie um den Hals hängen.
Als Torwarttrainer wurde Federico (Mitte) 2021 mit seiner Futsal-Mannschaft TSV Weilimdorf Deutscher Meister. Foto: TSV Weilimdorf

Daraufhin resultierte Federicos Festanstellung bis 2023 als Torwarttrainer beim TSV Weilimdorf. 2021 wurde offiziell die DFB Futsal-Bundesliga gestartet, in der sich die besten Teams Deutschlands messen. Es kommen immer mehr professionelle Teams hinzu wie der Stuttgarter Futsal Club 2020 oder der VfL 05 Hohenstein-Ernstthal mit Spielern aus verschiedenen Ländern. Für Federico ist das „der richtige Weg, um den Futsal in Deutschland voranzubringen, da das Niveau immer steigt“. Auch der TSV Weilimdorf verfügt über Nationalspieler aus Deutschland und aus den Balkanländern. Dadurch wuchs auch Federicos Netzwerk: So lernte er unter anderem Miodrag Aksentijević kennen, der in der Futsalszene als einer der besten Torhüter weltweit gilt.

Seinen neuen Schützling Philipp Pless will der taube Torwarttrainer voranbringen: „Philipp ist jetzt die unangefochtene Nummer 1 in der Nationalmannschaft. Seine Präsenz im Spiel gegen den Ball ist enorm. Aber es gibt immer noch Potenzial für mehr. Daran arbeiten wir zusammen“, so Federico. „Die Zusammenarbeit mit Stefano ist sehr professionell, sehr menschlich. Er findet die perfekte Mischung“, sagt Pless. „Ich bin sehr stolz, so einen Trainer an meiner Seite zu haben, der mir in allen Bereichen den Support bringt. Durch Stefano konnte ich mich jetzt schon weiter entwickeln.“ Wer die beiden bei Aufwärmübungen beobachtet, sieht zwischen den beiden eine besondere Chemie. Es herrsche eine „tolle Freundschaft“, wie Federico betont. Für Pless sei es ein „Mehrwert, auf eine andere Art zu kommunizieren“. Mert Sipahi, Futsalnationalspieler beim TSV Weilimdorf, bestätigt: „Es ist sehr schön, ihn im Trainerteam zu haben. Er ist mittlerweile nicht nur ein Trainer, sondern auch ein Freund geworden. Stefano ist ein toller Mensch.“

Seit 2017 ist Federico auch im Trainerteam der deutschen Gehörlosen Damen-Nationalmannschaft in Futsal. Als sein Freund und ehemaliger Fußballnationalspieler Fillip Kieffer die Damen Futsalnationalmannschaft übernehmen sollte, war Federico seine erste Wahl. „Ihn wollte ich unbedingt im Team, da er sich im Torwartbereich auskennt. Darüber hinaus ist er Trainer beim Bundesligaverein TSV Weilimdorf. Einfach ein großer Gewinn für uns alle.“ Der Torwarttrainer sei „sehr akribisch in seiner Arbeit“ und die beiden „tauschen sich sehr oft über Futsal aus“, so Kieffer. 

Federico beschreibt die Zusammenarbeit mit Kieffer „absolut auf Augenhöhe“. Die Arbeit mit den Spielerinnen sei „anfangs eine neue Erfahrung“ gewesen. Die beiden leiteten einen – damals teils kritisch beäugten – Umbruch ein. „Wir luden viele neue Spielerinnen ein und verjüngten den Kader“, so Federico. Der moderne Futsal sei „läuferisch, taktisch und technisch viel anspruchsvoller als früher. Um mit anderen Ländern gleichzuziehen, war dies notwendig“, rechtfertigt er sich. Mit einer jungen Nationalmannschaft reiste man zur EM 2018 in Finnland. Die deutschen Frauen zogen ins Finale ein und verloren gegen die erfahrenen Polinnen mit 5:6 nach Verlängerung. 

Gruppenfoto der gehörlosen Damen-Nationalmannschaft. Sie haben alle Medallien um den Hals.
Seit 2017 ist der Torwarttrainer im Team der deutschen Gehörlosen Damen-Nationalmannschaft. Bei seinem ersten großen Turnier wurden sie Vize-Europameisterinnen. Foto: DGSV

Der Gewinn der Vizeeuropameisterschaft weckte bei Federico „die Lust nach mehr“. Mit zahlreichen Lehrgängen bereitete man sich auf die WM 2019 in der Schweiz vor. Die Erwartungen an das Team stiegen, obwohl andere starke Länder wie Brasilien dazukamen. Am Ende wurde Deutschland Dritter. Laut Federico „wurden die Erwartungen nicht zu 100 Prozent erfüllt“, da man keinen großen Fortschritt im spielerischen Bereich gegenüber der EM 2018 erreichen konnte. Die Corona-Pandemie kam zum ungünstigsten Zeitpunkt, denn die Mannschaft ist jung, und da seien die Spielpraxis und das Einspielen „sehr wichtig“. Es fanden keine Spiele, keine Lehrgänge und keine Sichtungen statt „Wir wissen, woran wir arbeiten müssen, damit wir für die Zukunft weiter konkurrenzfähig sind“, so Federico. Man plane weitere Lehrgänge bis zur Futsal EM, welches im kommenden Oktober in Italien stattfindet. „Wir wollen Gold, keine Frage“, stellt Federico die Messlatte klar. 

Neben Futsal sind Federico „seine eigenen Freiräume“ wichtig. Er nutzt die Freizeit für Extremsportarten oder um mit dem Mountainbike Bergstrecken hinunterzubrettern. Doch das Glück seiner beiden Kinder steht für ihn an erster Stelle. Außerdem genießt er die Zeit gerne mit seiner neuen Lebensgefährtin: „Wir teilen viele gemeinsamen Interessen und Hobbys wie das Reisen und diverse Sportarten.“ 

Gemeinsam mit Nationaltrainer Fillip Kieffer kümmert sich Federico um die gehörlosen Futsal-Spielerinnen. Foto: Melissa Gracic

Die Frage nach der weiteren Zukunft stellt sich bei Federico noch nicht in den Vordergrund. Seinen Weg beim TSV Weilimdorf will er fortsetzen. Sein hörender Schützling Philipp Pless soll weiter die Nummer 1 der Nationalmannschaft bleiben und auf Weltniveau gebracht werden. Gerne würde er außerdem im Nachwuchsbereich in einem Stützpunkt arbeiten, um den Kindern Futsal nahezubringen. 

Der große Traum des kleinen Stefano ging längst in Erfüllung. Sein nächstes Ziel ist, Teil vom Torwarttrainerteam der DFB-Futsalnationalmannschaft zu werden. „Der Traum wurde größer, als ich beim Torwarttrainer-Lehrgang unter der Leitung von Miguel Moreno dabei war“, so Federico. Als Torwarttrainer gewann Moreno mehrmals die UEFA-Futsal Champions League mit dem FC Barcelona – und ist seit 2021 Torwarttrainer der deutschen Futsal-Nationalmannschaft. 

Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 08/2022) erschienen.

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