Willkommen auf dem Abstellgleis

Eine Collage von mehreren Personen, die auf ihren Social Media Kanälen ein Schild mit der Aufschrift "Taube barrierefrei für NRW und DGS" hochhalten.
Taube Menschen setzen sich für barrierefreie Beratungsstellen ein. Foto: Walls
Lesezeit ca. 11 Minuten

Mit einem Schlag fielen deutschlandweit gut 50 Prozent der Teilhabeberatungsstellen für Taube und Taubblinde weg. Melissa Wessel von der Deutschen Gehörlosenzeitung berichtet, wie es dazu kam und welche Zukunftsaussichten betroffene Ratsuchende jetzt haben.

Am 21. September 2022 ging ein Beben durch die deutsche Gebärdensprachgemeinschaft: DeafGuideDeaf (DGD), die Kölner Stelle der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) für Taube und Taubblinde, teilte in einem Facebook-Video mit, dass sie zum Jahresende schließen muss. Sie hat für die nächste Projektphase ab 2023 keine Weiterbewilligung erhalten. Aber dabei blieb es nicht: Ungefähr 50 Prozent der EUTB-Stellen für Taube und Taubblinde haben für die nächsten sieben Jahre ebenfalls keine Weiterbewilligung erhalten. Dies war auch bei der Taubblinden-Beratungsstelle der Deutschen Gesellschaft für Taubblindheit in Essen der Fall. Für viele Beratungsstellen und Ratsuchende war dies ein großer Schock. Auch Sehen statt Hören vom Bayerischen Rundfunk berichtete am 19. November darüber. 

Anfang März 2021 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Entwurf für die Verordnung zur Weiterführung der EUTB. Verschiedene Organisationen wie Selbsthilfegruppenvereine, Verbände oder Träger konnten Stellungnahmen zum Entwurf einreichen. Stellungnahmen seitens des Deutschen Gehörlosen-Bundes, der Landesverbände oder anderen gebärdensprachlichen Organisationen sucht man vergebens. Einzig der Deutsche Schwerhörigenbund verfasste eine Stellungnahme. Rund drei Monate später, im Juni, trat die EUTB-Verordnung in Kraft. DeafGuideDeaf erfuhr erst im November 2021 davon. „Im März, als der Entwurf vorgestellt wurde, gab es intern schon sehr viele Absprachen mit beispielsweise Politikern und großen Trägern bezüglich der Verteilung der Stellen“, erzählt das Team von DeafGuideDeaf im Videogespräch mit der DGZ. Anwesend waren alle drei Beratende: Christine und Gabriel Linnartz sowie Kirsten Zäh.

Für DeafGuideDeaf (DGD) sei die Ablehnung auch unverständlich: „Im Antrag für die Weiterführung steht ganz klar: Nach Möglichkeit sollen Selbsthilfevereine gefördert werden. Bestehende Beratungsstellen sollen möglichst gefördert und weitergeführt werden. Beratungsstellen mit Peer-to-Peer-Beratung sollen gefördert werden.“ In Wirklichkeit sei jedoch genau das Gegenteil eingetreten. Es gäbe nun mehr Stellen bei Leistungserbringern als Träger. Leistungserbringer sind z. B. die Caritas, Diakonie oder die Paritätische. 

Auch dem DGD sei dies aufgefallen: „Wo sind die Selbsthilfevereine? Unser Träger (Mental Health & Deafness (mhDeaf), d. Red.) ist ein solcher. Sollte das nicht gefördert werden?“, fragen die drei sich im Videogespräch. Durch die neue EUTB-Verordnung und den „Kuhhandel“ untereinander würden die Leistungsanbieter als Sieger hervorgehen. „In deren Vorständen sitzen keine Selbstbetroffenen. In den Beratungsstellen dieser Leistungsanbieter sitzen auch meistens keine Selbstbetroffene“, zeigt sich Zäh sichtlich wütend. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG SELBSTHILFE) betrachtet Beratungsangebote, die von Leistungserbringern als Träger organisiert werden, kritisch. „Die EUTB müssen, wo immer es geht, in Trägerschaft der Selbsthilfe umgesetzt werden.“, schreibt die BAG SELBSTHILFE in der Stellungnahme zum Verordnungsentwurf. 

In der Verordnung steht unter anderem, dass der Antragsteller ein niedrigschwelliges Beratungsangebot sowie den Einsatz von Menschen mit Behinderungen als hauptamtliche Beratende vorzuweisen hat. Zudem soll das „Einer für alle“-Prinzip umgesetzt werden. Diese und andere Anforderungen erfüllt die Kölner EUTB-Stelle: „Für uns ist das ‚Einer für alle‘-Prinzip problemlos möglich. Wir haben dafür eine Arbeitsassistenz vor Ort, die unsere Anrufe usw. dolmetscht.“ Termine können somit von allen ohne Wartezeit in Anspruch genommen werden. „Aber ist dieses Prinzip auch für Taube und Taubblinde bei anderen EUTB möglich?“, fragt Linnartz.

Am 21. September 2022 ging ein Beben durch die deutsche Gebärdensprachgemeinschaft: DeafGuideDeaf (DGD), die Kölner Stelle der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) für Taube und Taubblinde, teilte in einem Facebook-Video mit, dass sie zum Jahresende schließen muss. Sie hat für die nächste Projektphase ab 2023 keine Weiterbewilligung erhalten. Aber dabei blieb es nicht: Ungefähr 50 Prozent der EUTB-Stellen für Taube und Taubblinde haben für die nächsten sieben Jahre ebenfalls keine Weiterbewilligung erhalten. Dies war auch bei der Taubblinden-Beratungsstelle der Deutschen Gesellschaft für Taubblindheit in Essen der Fall. Für viele Beratungsstellen und Ratsuchende war dies ein großer Schock. Auch Sehen statt Hören vom Bayerischen Rundfunk berichtete am 19. November darüber. 

Anfang März 2021 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Entwurf für die Verordnung zur Weiterführung der EUTB. Verschiedene Organisationen wie Selbsthilfegruppenvereine, Verbände oder Träger konnten Stellungnahmen zum Entwurf einreichen. Stellungnahmen seitens des Deutschen Gehörlosen-Bundes, der Landesverbände oder anderen gebärdensprachlichen Organisationen sucht man vergebens. Einzig der Deutsche Schwerhörigenbund verfasste eine Stellungnahme. Rund drei Monate später, im Juni, trat die EUTB-Verordnung in Kraft. DeafGuideDeaf erfuhr erst im November 2021 davon. „Im März, als der Entwurf vorgestellt wurde, gab es intern schon sehr viele Absprachen mit beispielsweise Politikern und großen Trägern bezüglich der Verteilung der Stellen“, erzählt das Team von DeafGuideDeaf im Videogespräch mit der DGZ. Anwesend waren alle drei Beratende: Christine und Gabriel Linnartz sowie Kirsten Zäh.

Für DeafGuideDeaf (DGD) sei die Ablehnung auch unverständlich: „Im Antrag für die Weiterführung steht ganz klar: Nach Möglichkeit sollen Selbsthilfevereine gefördert werden. Bestehende Beratungsstellen sollen möglichst gefördert und weitergeführt werden. Beratungsstellen mit Peer-to-Peer-Beratung sollen gefördert werden.“ In Wirklichkeit sei jedoch genau das Gegenteil eingetreten. Es gäbe nun mehr Stellen bei Leistungserbringern als Träger. Leistungserbringer sind z. B. die Caritas, Diakonie oder die Paritätische. 

Auch dem DGD sei dies aufgefallen: „Wo sind die Selbsthilfevereine? Unser Träger (Mental Health & Deafness (mhDeaf), d. Red.) ist ein solcher. Sollte das nicht gefördert werden?“, fragen die drei sich im Videogespräch. Durch die neue EUTB-Verordnung und den „Kuhhandel“ untereinander würden die Leistungsanbieter als Sieger hervorgehen. „In deren Vorständen sitzen keine Selbstbetroffenen. In den Beratungsstellen dieser Leistungsanbieter sitzen auch meistens keine Selbstbetroffene“, zeigt sich Zäh sichtlich wütend. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG SELBSTHILFE) betrachtet Beratungsangebote, die von Leistungserbringern als Träger organisiert werden, kritisch. „Die EUTB müssen, wo immer es geht, in Trägerschaft der Selbsthilfe umgesetzt werden.“, schreibt die BAG SELBSTHILFE in der Stellungnahme zum Verordnungsentwurf. 

In der Verordnung steht unter anderem, dass der Antragsteller ein niedrigschwelliges Beratungsangebot sowie den Einsatz von Menschen mit Behinderungen als hauptamtliche Beratende vorzuweisen hat. Zudem soll das „Einer für alle“-Prinzip umgesetzt werden. Diese und andere Anforderungen erfüllt die Kölner EUTB-Stelle: „Für uns ist das ‚Einer für alle‘-Prinzip problemlos möglich. Wir haben dafür eine Arbeitsassistenz vor Ort, die unsere Anrufe usw. dolmetscht.“ Termine können somit von allen ohne Wartezeit in Anspruch genommen werden. „Aber ist dieses Prinzip auch für Taube und Taubblinde bei anderen EUTB möglich?“, fragt Linnartz.

Ergebnis der SignGes-Recherche: Ab 2023 fallen rund 50 Prozent der Stellen weg, drei Bundesländer verlieren ihre sogar komplett. Einzig Bayern erhielt eine Aufstockung. 

Deutschlandkarte mit eingetragenen Orten für Beratungsstellen 2022.
Deutschlandkarte mit eingetragenen Orten für Beratungsstellen 2023. Es sind deutlich weniger.

Die DGZ stellte diese Frage auch dem BMAS. Wie solle aufgrund der neuen Verordnung sowie dem Wegfall von vielen Stellen ein gleichberechtigter und niedrigschwelliger Zugang von tauben und taubblinden Menschen zu EUTB-Beratungsstellen gewährleistet werden? Ein Sprecher antwortete, dass „erforderliche Ausgaben für besondere Bedarfslagen der Ratsuchenden, um das Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen“, erstattet werden. Dazu gehören auch Ausgaben für Gebärdensprachdolmetschende. Dies würde taube Menschen „in Settings mit hörenden Peers bei fehlender Gebärdensprachkompetenz“ unterstützen. Auf den Hinweis der DGZ zum akuten Mangel an Dolmetschenden wurde bei der Beantwortung des Fragenkatalogs nicht eingegangen. 

Zudem sei die Zuschusshöhe für „erforderliche Personal- und Sachausgaben“ auf jährlich 95.000 Euro begrenzt. Dieses Budget wird in der Verordnung ebenfalls aufgeführt. Christine Linnartz lacht im Interview ungläubig. „Wie realistisch ist das denn?“, schütteln die drei ihre Köpfe. „Bei den Kosten für die Einsätze ist das schnell aufgebraucht. Wenn wir jetzt z. B. aus dem Budget von 95.000 Euro 1.500 Euro für Dolmetscherkosten anrechnen und ein Dolmetscher ca. 90 Euro kostet, ist das nach ungefähr 16 Stunden bereits aufgebraucht. Das funktioniert NICHT.“ Das fehlende unbegrenzte Budget für Dolmetscherkosten würde die Situation für taube und taubblinde Ratsuchende erschweren – neben dem Mangel an Dolmetschenden.

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, kurz EUTB®, berät seit 2018 kostenlos Menschen mit und ohne Behinderungen, die Unterstützung für ihre volle Teilhabe im Leben benötigen. Die EUTB® soll als niedrigschwelliges Angebot zur Stärkung der Selbstbestimmung dienen. Die Beratenden sind ausgebildet. Die EUTB® wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert.
www.teilhabeberatung.de

In mehreren Antworten des BMAS, darunter auch in der an die DGZ, findet sich folgender Satz wieder: „Ein Bestandsschutz für bereits geförderte Beratungsangebote wird nicht gewährt, da er zu einer Privilegierung bestehender Angebote führt.“ Deshalb schließe die EUTB-Verordnung auch eine Schwerpunktberatung aus. Für Dr. Klaudia Grote, wissenschaftliche Geschäftsführerin vom Kompetenzzentrum für Gebärdensprache und Gestik (SignGes) an der RWTH Aachen und 2. Vorsitzende bei mhDeaf, sei das eine „mittelbare Diskriminierung“. Das wurde ihr auch von Frau Professor Theresia Degener, die an der Ausarbeitung der UN-Behindertenrechtskonvention beteiligt war, bestätigt. Laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes erfolgt eine mittelbare Diskriminierung aus scheinbar neutralen Kriterien. Diese gelten zunächst für alle gleichermaßen, in ihrem Effekt aber wirken sie sich auf bestimmte Gruppen stärker benachteiligend aus. „Diese scheinbar neutrale Verordnung diskriminiert allerdings taube und taubblinde Menschen“, schreibt Grote der DGZ

Grote und die drei DGD-Mitarbeitenden führten nach den Ablehnungsbescheiden eine Recherche zum „Status quo der DGS-EUTB-Beratungsangebote bundesweit“ durch. Darin wurde die Anzahl der Beratenden in Deutschland, die in der Lage sind, „Taube und Taubblinde niedrigschwellig und unabhängig zu beraten“, bis 2022 und ab 2023 verglichen. Die Recherche kam zum Ergebnis, dass jeweils gut 50 Prozent der Beratenden, die taube und taubblinde Menschen in der von ihnen bevorzugten Kommunikationsform beraten können, wegfallen (siehe auch Grafik). 

Hubert Hüppe, ehemaliger Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, zeigte sich in einer Pressemitteilung vom 12. Oktober erbost über die Ablehnung der Weiterfinanzierungen: Die Bundesregierung hat bei der Neuvergabe der EUTB-Mittel „die besonderen Bedürfnisse von Gehörlosen und Taubblinden ignoriert und damit notwendige bewährte Beratungsstrukturen zerstört“, kritisiert das Bundestagsmitglied. Dies stünde im Widerspruch zur Aussage der Bundesregierung, sich ausdrücklich für die Wertschätzung und Anerkennung der Gebärdensprache einzusetzen. Damit würde die Bundesregierung Ratsuchende „im Stich lassen“ und eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unmöglich machen. 

Unterstützung für die gebärdensprachlichen EUTB-Beratungsstellen

Walls:
Walls.io beinhaltet eine Suchmaschine, die Beiträge aus verschiedenen Social Media-Plattformen absucht und zu einer einzigen Seite zusammenstellt. Wichtig ist hierfür, dass der Hashtag #EUTBmitDGS im Beitrag verwendet wird. 

Facebook:
Gruppe DeafMob – #EUTBmitDGS:

Hashtags:

#EUTBmitDGS
#DeafMob

Drei Personen stehen nebeneinander und machen die Gebärde D, G und D.
Das DeafGuideDeaf-Team: Kirsten Zäh, Christine Linnartz und Gabriel Linnartz. (v. l. n. r.) Foto: DeafGuideDeaf

Doch inmitten all der Ablehnungen gibt es auch Licht im Dunkeln: Der Landesverband Bayern der Gehörlosen hat es nicht nur geschafft, seine drei Stellen zu erhalten, sondern sogar noch mehr Stellen für die Beratung erhalten. DeafGuideDeaf lobt dessen Vorgehensweise. „Sie haben die Beratungsstellen auf mehrere Orte in ganz Bayern aufgeteilt.“

Auf Anfrage der DGZ schreiben Landesvorsitzender Bernd Schneider sowie Projektleiterin Jasmin Katzberg, dass ihnen nicht die genauen Gründe für die Aufstockung vorliegen. „Die Entscheidungsgrundlage ist die neue Rechtsverordnung der EUTB.“ Jedoch haben sie ihre Vermutungen: Da das „Einer für Alle“-Prinzip in der neuen Rechtsverordnung konkret verankert ist, würde dies bei der Antragsstellung nun „genauestens geprüft“ werden. Die Schwerpunktberatung würde also explizit wegfallen. Die Beratungsstellen des Landesverbandes seien hierfür „kommunikativ für alle Fälle aufgestellt“. Spontane Gespräche mit hörenden Ratsuchenden sei über Videodolmetschung mit Telesign möglich. Sollte dies einer der Faktoren für die Weiterbewilligung bzw. Aufstockung gewesen sein, würde dies in Köln einen faden Beigeschmack hinterlassen, da auch DeafGuideDeaf dafür ausgestattet ist. 

Die Kölner EUTB-Stelle will „die Situation jedenfalls nicht so stehen lassen“. Derzeit überlege man sich, einen rechtlichen Weg zu beschreiten. „Das muss aber erst im Vorfeld mit den Experten akribisch abgewogen werden“, so Linnartz, die Projektleiterin von DeafGuideDeaf. „Aber die derzeitige Situation ist einfach sehr diskriminierend gegenüber Tauben und Taubblinden.“

In Bayern freut man sich jedenfalls, dass seine drei bisherigen EUTB-Beratenden ab 2023 weiterhin und mit längeren Arbeitszeiten für ihre Beratungsstellen tätig sein werden. Durch die Stellenausschreibung von Mitte September konnten sie drei weitere Mitarbeitende „für die Standorte in München, Nürnberg und Ingolstadt/Eichstätt“ gewinnen. Dennoch bewertet der Landesverband die bundesweite Streichung von tauben bzw. gebärdensprachkompetenten EUTB-Beratungsstellen sehr kritisch: Neben dem Wegfall des deutschlandweiten Netzwerks sei es auch ein „immenser Rückschritt, dass taube und besonders taubblinde Ratsuchende in Zukunft ‚hörende‘ EUTB-Stellen aufsuchen müssen“. In diesem Fall müssen sie dann aufgrund der Dolmetscherbestellung mehrere Wochen auf einen Termin warten, „um dann einen Beratenden vorzufinden, dem womöglich das Hintergrundwissen über die Gehörlosenkultur fehlt“. Auch das fehlende unbegrenzte Dolmetscherbudget wurde in der Antwort an die DGZ bemängelt. „Wir hoffen sehr, dass der Deutsche Gehörlosen-Bund mit dem BMAS eine Lösung findet, in der alle Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden“, schließen Schneider und Katzberg die Antworten ab.

Thomas Worseck, Schatzmeister und EUTB-Ansprechpartner beim Deutschen Gehörlosen-Bund (DGB), schreibt der DGZ: „Der DGB steht mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Kontakt. Wir werden die Situation erstmal kritisch begleiten.“ Der DGB hofft, dass das BMAS für taube und taubblinde Menschen eine Lösung anbieten wird, aber verweist für die Sicherstellung einer guten Beratung für taube und taubblinde Menschen an die Bundesländer: „Die EUTB sind nur als ‚Notlösung‘ gedacht, weil es in den Bundesländern mit der Beratung für Menschen mit Behinderung nicht überall gut funktioniert.“ Für Worseck könne man den Wegfall vieler EUTB-Beratungsstellen für taube und taubblinde Ratsuchende nicht pauschal bewerten: In Hamburg zum Beispiel sei die Versorgung mit Beratungsstellen für taube Menschen auch vor der Einführung der EUTB „sehr gut“ gewesen. Daher mache er sich keine Sorgen um die dortige Beratungssituation, auch wenn die dortige Stelle keine Weiterbewilligung bekommen hat. Aber es „gibt Regionen in Deutschland, in denen dadurch für taube Menschen Beratungsmöglichkeiten schlicht und einfach wegfallen. Das ist eine schwierige Situation für diese“, schreibt der Schatzmeister. 

Worseck bittet aus diesen Gründen taube und taubblinde Ratsuchende darum, andere Beratungsangebote zu nutzen. „Sollten sie feststellen, dass die aufgesuchte Beratungsstelle überfordert damit ist“, soll eine Meldung an die jeweiligen Landesverbände oder auch an den DGB übermittelt werden: „Je mehr Fälle wir dokumentieren können, in denen eine Beratung für taube oder taubblinde Menschen nicht erfolgen kann, umso besser kann der DGB beim BMAS Alternativlösungen fordern.“

Eine ähnliche Idee hatte auch Dr. Klaudia Grote. Dem BMAS müsste deutlich gemacht werden, dass der Wegfall vieler EUTB-Stellen für Taube und Taubblinde ein großes Problem darstellt. „Ursprünglich wollten wir einfach viele E-Mails an das BMAS schicken, aber wegen deren Firewall hätte es nicht funktioniert“, so DeafGuideDeaf. Deshalb hätten sie einfach eine „Wall“, eine Art Whiteboard, mit vielen Aussagen und Videos erstellt, das fortwährend ergänzt wird (siehe auch Infokasten). „Der Gedanke hinter diesem digitalen Projekt ist, dass wir den Link dann gemeinsam mit einer Stellungnahme an das BMAS schicken. Dazu ist es wichtig, dass VIELE Leute mitmachen“, schließt Christine Linnarzt das Interview ab. In einem Facebook-Video zeigte sich eine Ratsuchende bestürzt: „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“ Die EUTB-Beratung in Gebärdensprache hätte ihr sehr geholfen. Wo sollen sie und andere Ratsuchende nun hin, wenn ab 2023 gut die Hälfte der DGS-Angebote nicht mehr vorhanden sind?

"Gehen wir die Dinge positiver an."

DeafGuideDeaf ist nicht die einzige Beratungsstelle, die nicht kampflos aufgibt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Taubblindheit (DGFT) setzt sich dafür ein, taubblinden Ratsuchenden auch ab 2023 beratend zur Seite stehen zu können. Am 4. Dezember verkündete sie die freudige Mitteilung, dass sie trotz der fehlenden Weiterbewilligung als EUTB-Stelle weiterhin Ansprechpartnerin „für alle taubblinden und hörsehbehinderten Menschen und ihre Angehörigen in ganz NRW“ bestehen bleibt. Dafür arbeite die DGFT derzeit an alternativen Lösungen und befindet sich im Gespräch mit potenziellen Trägern. „Wir arbeiten parallel auch an einer möglichen Fortsetzung der EUTB unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen. Wir hoffen, dass es uns gelingt, auch ab 2023 eine Form der Teilhabeberatung anzubieten“, heißt es auf deren Webseite. 

Wie es für DeafGuideDeaf und für viele andere Beratungsstellen ab 2023 weitergehen wird, bleibt zunächst offen. Die Kölner EUTB-Beratungsstelle wartet noch auf eine offizielle Antwort zu ihrem Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid. „Die Zukunft für unsere EUTB ist also völlig unklar“, so DGD. Sie wissen jedoch, dass einige der bereits verschickten Bewilligungen noch unter Vorbehalt sind. Denn es müsse erst mal abgewartet werden, ob z. B. bei einer Aufstockung von Stellen auch alle Stellen besetzt werden können, ob das Personal divers genug ist und ob Büroräume vorhanden sind. Die abschließende Entscheidung soll erst im kommenden März gefällt werden. Bis dahin bleibt noch ein kleiner Funken Hoffnung bestehen. 

Hinweis der Redaktion: Die korrekte Schreibweise für die Abkürzung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung ist EUTB®. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Artikel die Abkürzung EUTB benutzt. 

Ich bin ein Infokasten zu irgendeinem Thema

Wir haben vor der Aufzeichnung unseres Podcasts auf unseren Social Media Kanälen Facebook, Twitter und Instagram nachgefragt, was ihr von solchen Experimenten haltet. Die Meinungen gingen hier weit auseinander: 

Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 12/2022) erschienen.

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