#NotAWitch – Menschen mit Handfehlbildung protestieren gegen Kinofilm

eine weiße frau trägt ein ballkleid und lange handschuhe, sie breitet ihre arme aus.
Mittlerweile entschuldigte sich Hauptdarstellerin Anne Hathaway für die Darstellung im Film "Hexen hexen." Bild: Warner Bros.
Lesezeit ca. 4 Minuten

Fehlbildungen der Gliedmaßen als Gruselfaktor? Im Film „Hexen hexen“ bedient Hollywood genau dieses Klischee. René Schaar ordnet die Geschehnisse ein.

Informationen in Einfacher Sprache

  • Im neuen Kinofilm “Hexen hexen” geht es um Hexen, die drei Finger an der Hand haben und jeweils einen Zeh am Fuß. 
  • Betroffene Menschen sind schockiert, dass ihre Behinderung dafür benutzt wird, Kindern in einem Film Angst zu machen.
  • Die Hauptdarstellerin und die Macher des Films haben sich mittlerweile für die Darstellung entschuldigt. 

Einige Tausend Instagram-Beiträge in zwei Tagen und eine Petition später, sah sich das Filmstudio Warner Bros. genötigt, ein Statement zu veröffentlichen. In diesem zeigten sich die Filmemacher*innen bestürzt darüber, dass ihre „Darstellung von fiktiven Charakteren in ‚The Witches‘ Menschen mit Behinderungen verärgert haben könnte.“ Was war passiert?

Pünktlich zu Halloween kam die Neuverfilmung des Fantasyromans „Hexen hexen“ (Originaltitel: The Witches) in die deutschen Kinos und wurde zeitgleich in Amerika bei einem Streaming-Anbieter veröffentlicht. In dem starbesetzten Kinderfilm geht es um böse Hexen, die nur ein Ziel verfolgen: Die Eliminierung aller Kinder, indem sie diese in Mäuse verwandeln. Die Großmeisterhexe, gespielt von Anne Hathaway, und andere haben je Hand nur drei Finger und einen Zeh pro Fuß. Offenbar wollten die Produzent*innen des Remakes die Hexen auf diese Weise grotesker, gruseliger und angsteinflößender wirken lassen.

Kurz nach Veröffentlichung formte sich unter dem Hashtag #NotAWitch (deutsch: keine Hexe) Widerstand in einer beachtlichen Schlagzahl. Noch nie zuvor waren sich die Menschen mit Arm- und Handfehlbildung über Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg so einig wie in den vergangenen Tagen.

Warum die Menschen wütend sind

Die sogenannte „limb difference“-Community zeigte sich in den sozialen Medien verletzt und fürchtete die unbewusste, toxische Botschaft des Films: Dieser würde ihre Behinderung mit monströsen, bösen Hexen in Verbindung bringen, obwohl sich die betroffenen Menschen selbst als ein wertvoller, liebenswürdiger und selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sehen. Sie kritisierten, dass in dem Film Menschen mit Handfehlbildung als Kreaturen voller Übel, Terror, Angst und Abnormalität dargestellt und so herabgewürdigt würden.

Eine bewusste Entscheidung Hollywoods

Dabei kann sich das Filmstudio Warner Bros. bei der Entscheidung für Handfehlbildungen als identifizierendes Merkmal der Hexen nicht auf die originale Buchvorlage von Roald Dahl aus dem Jahr 1983 berufen, denn in der damaligen Illustration unter der Überschrift „Wie man eine Hexe erkennt“ hatten die Antagonistinnen gar keine fehlgebildeten Hände. Dies lässt nur einen Schluss zu: Die Ergänzung um eine Handfehlbildung war eine bewusste Entscheidung der Drehbuchautoren um Robert Zemeckis, Guillermo del Toro und Kenya Barris und zeigt, dass das Bewusstsein um die Lebensrealitäten behinderter Menschen in Hollywood nicht sehr ausgeprägt sein kann.

Judyta Smykowski sitzt im Rollstohl an einem kleinen Tisch. Ihr gegenüber sitzen die beiden Schauspieler*innen Tom Schilling und Luisa Wöllisch. Hinter ihnen sind Plakate des Kinofilms "Die Goldfische" aufgehangen. Vor ihnen steht eine Kamera, die das Gespräch filmt.

#9 Behinderung im Film

Wie oft tauchen eigentlich Menschen mit Behinderungen im Film auf? Im Schnitt nicht allzu häufig und wenn, dann in sehr klischeehaften Rollen. In dieser Folge unseres Bayern2-Podcasts zeigen wir, welche positiven Beispiele es gibt und wie man selbst überprüfen kann, ob die Rollen in einem Film vielfältig sind.

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Der Weg zu mehr Selbstbewusstsein ist Repräsentation

Unter dem Hashtag #NotAWitch berichteten zahlreiche Menschen in Beiträgen und Kommentaren von ihrer Kindheit, der Herausforderung eigene Unsicherheiten zu überwinden, sich selbst lieben zu lernen und dem Einfluss der Medien.

Weltweit sind große Publikationen wie die BBCNew York Post oder The Sun auf den Protest aufmerksam geworden und berichteten. Aufgrund der Reaktionen der Öffentlichkeit ziehen viele betroffene Menschen in den sozialen Netzwerken eine positive Bilanz. Der Tenor: So rücksichtslos und unsensibel die Darstellung im Film „Hexen hexen“ gegenüber Menschen mit Behinderung ist, so wichtig ist eine Diskussion in der Mitte der Gesellschaft über Repräsentation marginalisierter Gruppen. Es braucht ein Bewusstsein für die Wichtigkeit von Vielfalt in den Medien und den Willen in der Bevölkerung diese zu leben.

Eine Entschuldigung mit Signalwirkung

Drei Tage nach Aufflammen der Proteste entschuldigte sich dann auch die Hauptdarstellerin des Films, Anne Hathaway (37), vor allem bei den Kindern mit Handfehlbildung und ihren Familien. Bei Instagram schrieb sie ihren fast 19 Millionen Followern: „Als jemand, der wirklich an Inklusion glaubt und Grausamkeit verabscheut, schulde ich Euch allen eine Entschuldigung für die verursachten Schmerzen. Es tut mir leid. Ich habe Handfehlbildungen nicht mit der Hoch- und Großmeisterhexe in Verbindung gebracht, als mir das Aussehen meines Charakters vorgestellt wurde. Wenn ich es getan hätte, versichere ich Euch, wäre dies niemals passiert. […] Jetzt, wo ich es besser weiß, verspreche ich, dass ich es besser machen werde.“

Eine Mehrheit behinderter Menschen scheint ihr zu glauben. Unter ihrem Post haben sich mittlerweile überwiegend positive Kommentare gesammelt, die ihr nicht zuletzt für die reichweitenstarke Unterstützung dankten. Ein Schritt mehr in Richtung Disability Mainstreaming.

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2 Antworten

  1. Wenn wir einen Schritt weitergehen wollen, müssten wir auch unsere Märchen neu schreiben… Das Böse/Hässliche hat sehr häufig eine Behindrung (Buckel, geistige Erkrankung, usw.), nicht gerade sehr inklusiv…

  2. hm. “Natürlich” sind körperliche Fehlbildungen immer erstmal erschreckend. Insofern filmisch oft genug und “zurecht” als Gruselfaktor eingesetzt. Allerdings ist es ein Markenzeichen von schlechten banalen filmen stories wenn dann dabei stehen geblieben wird – und missgebildet / hässlich gleich böse ist. So wie im frühen oder eben schlechten Western der Böse einen schwarzen Hut trägt…
    unterscheiden muss man ob und wieweit real existierende Fehlbildungen genutzt abgebildet werden (und nicht etwa “nur” groteske irreale Monsterbilder).
    In ersterem Fall tut Sensibilität not. Ich muss allerdings zu meiner Schande gestehen, dass mir nicht klar war, dass es eine explizite Krankheit/Behinderung ist, weniger bzw. fehlgebildete Finger zu haben. (Ich dachte wenn überhaupt gäbe es das als Symptom einer ‘Gesamt”Krankheit). Verzeihung.
    spielt es vielleicht auch eine Rolle, ob/dass die hexen hier ja stark und mächtig sind? Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn thematisiert worden wäre, dass sie ‘böse’ wurden weil als behinderte Personen diskriminiert?
    hm.
    Selbst wenn man es … besser gemacht hätte – z.B. mit Hässlichen die die guten sind und Herrlich-Gutaussehende Gesunde als OberBösewicht – funktioniert das ja auch nur, weil es mit dem Klischee spielt, es bricht. Aber doch eben voraussetzt… hm.

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