Preise können wichtig sein für die Aufmerksamkeit von Projekten, als Aufwandsentschädigung für jahrelanges Engagement und als Würdigung herausragender Leistungen. Sie können aber auch als Aushängeschild missbraucht werden, hinter dem sich Unternehmen oder Initiativen verstecken, anstatt sich um strukturelle Veränderungen zu kümmern. Unsere Autorin Lela Finkbeiner stellt Inklusionspreise auf den Prüfstand und gibt Tipps, wie die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Inklusionspreisen verbessert werden kann.
Was bei Inklusionspreisen schief gehen kann
Als Kind fand ich Preisverleihungen unglaublich spannend. Als hörendes Kind der 70er Jahre durfte ich etwa lange aufbleiben, um den Eurovision Song Contest zu sehen. Für mich war das wie Weihnachten und Geburtstag zusammen! Die Welt würdigte damit die außergewöhnlichen Leistungen der Musiker*innen. Die Preisträger*innen wurden sicherlich motiviert, weiterhin musikalisch tätig zu sein.
Bei Inklusionspreisen geht es jedoch nicht nur um Anerkennung und Motivation. Durch die Verleihung dieser Preise wird Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen, Barrieren oder Errungenschaften in Bezug auf Inklusion gelenkt. Ein Ziel ist auch, das Bewusstsein für diese Themen in der Öffentlichkeit zu schärfen. Arbeiten oder Preisträger*innen können als Vorbilder dienen und Inspiration bieten, was jedoch auch zum Phänomen des „Inspiration Porn“ führen kann. „Inspiration Porn“ beschreibt die Praxis, Menschen mit Behinderungen in medialen oder sozialen Kontexten ausschließlich dazu darzustellen, um Nicht-Behinderte zu inspirieren oder zu motivieren. Das ist eine Gefahr bei sogenannten Inklusionspreisen. Es setzt den Fokus einzig auf einen Aspekt dieser Personen, nämlich auf ihre Behinderung. So kann sie als Objekte erscheinen, die anderen ein gutes Gefühl geben sollen, anstatt ihre Lebensrealitäten authentisch zu zeigen.
Dies wertet Menschen mit Behinderungen ab, anstatt grundlegende strukturelle Veränderungen anzustoßen.
Häufig dienen Inklusionspreise als „Alibi-Maßnahme“, die das eigentliche Problem der Inklusion und die mangelnde Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) nicht angehen. Unternehmen, Stiftungen oder Institutionen nutzen Inklusionspreise nicht selten, um sich in ein positives Licht zu rücken, ohne tiefgreifende Veränderungen im Bereich Inklusion vorzunehmen. Das erinnert ein wenig an den Pride Month, in dem überall bunte Flaggen zu finden sind, aber wirkliche, tiefgreifende Akzeptanz und Allyship fehlen. Dies ist besonders vorteilhaft bei Förder- oder Neuanträgen, wenn man eine Auszeichnung mit einem „Inklusionspreis“ vorweisen kann – wie ein goldener Sticker im Grundschulzeugnis.
Preise gehen oft an große Wohlfahrtsverbände, deren Ressourcen ganz anders aufgestellt sind als die von kleinen Vereinen, geleitet von Menschen mit Behinderung.
Abled-Washing
Schon mal was von „Abled Washing“ gehört? Der Versuch, sich als besonders behindertenfreundlich darzustellen, ohne es tatsächlich zu sein, ähnlich dem bekannten „Greenwashing“, wie Kolumnistin Marlies Hübner das auf Rollingplanet beschreibt.
Ein einmaliger Preis kann kurzfristige Anerkennung für herausragende Arbeiten bieten, aber ergibt dieser Preis einen Sinn, wenn die Nachhaltigkeit fehlt?
Auch bei unabhängigen, besonders wissenschaftlichen Forschungsarbeiten an Universitäten und Hochschulen, die sich mit dem Thema Inklusion und Barrierefreiheit beschäftigen, fehlen langfristig gesicherte Maßnahmen, die von Menschen mit Behinderung geleitet werden. Wer hat die Deutungshoheit und wer genau profitiert, wenn Preise für wissenschaftliche Arbeiten ausgehändigt werden? Arbeiten Rund um Barrierefreiheit, Teilhabe und Inklusion benötigen kontinuierliche finanzielle und strukturelle Absicherung. Durch die Vergabe solcher Preise können Hierarchien und Abhängigkeiten verstärkt werden, bei denen einige wenige als „Vorzeigemodelle“ präsentiert werden, während die breite Masse der Communities mit Behinderungen weiterhin mit bestehenden Barrieren kämpft und hauptsächlich ehrenamtlich Lücken zu schließen versucht, bei gleichzeitig minimalen Ressourcen.
Ein weiterer Kritikpunkt an Inklusionspreisen: Preise gehen oft an große Wohlfahrtsverbände, deren Ressourcen ganz anders aufgestellt sind als die von kleinen Vereinen, geleitet von Menschen mit Behinderung. Fair? Wohl kaum. Es ist, als ob David immer wieder gegen Goliath antreten muss – ohne Steinschleuder.
Schöne Fassade?
Eine zu starke Fokussierung auf positive Narrative von Projekten, die eine Auszeichnung verdienen, kann dazu führen, dass ernsthafte Probleme, Ungleichheiten und strukturell bedingte Diskriminierungen überspielt werden. Dies kann zu einer „toxischen Positivität“ führen, die die realen Kämpfe der Communitys mit Behinderung nicht ausreichend angeht. An einem Tag wird schön Konfetti geworfen, am nächsten Tag geht es weiter wie gehabt.
Inklusionspreise müssen kritisch hinterfragt werden. Wo bleibt die von der UN-BRK geforderte Sicherung, dass Bestrebungen zu echten, nachhaltigen Verbesserungen führen? Wo bleibt das energische Fokussieren, strukturelle und individuelle Diskriminierungen an ihren Wurzeln anzupacken? Wo bleiben community-basierte und geführte Arbeiten von Menschen mit Behinderung? Inklusionspreise laufen Gefahr, zu symbolischen Gesten zu verkümmern. Und jetzt? Nur meckern? Wir alle brauchen im Leben ab und an Anerkennung.
Hier sind einige Ideen, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Inklusionspreisen zu verbessern:
- Langfristige Preise: Preise sollten nicht nur eine einmalige Anerkennung sein, sondern auch langfristige finanzielle und strukturelle Unterstützung für ihre Arbeiten beinhalten. Dafür braucht es von allen Beteiligten unter Führung von Menschen mit Behinderung Mechanismen, die sicherstellen, dass die Preisträger*innen ihre Arbeiten nachhaltig weiterführen können. Fehlen diese Mechanismen? Dann müssen sie entwickelt werden. Sonst ist es wie ein Blumenstrauß ohne Wasser – sieht hübsch aus, verwelkt aber schnell.
- Transparenz und Rechenschaftspflicht: Selbstverständlich sollten Organisationen, die mit großzügigen Inklusionspreisen um sich werfen, völlig transparent sein – was immer das auch heißt. Warum sollten die Details darüber, wer diese glanzvollen Preise erhält, im Dunkeln bleiben? Oder etwa, wer entscheidet, dass ausgerechnet diese Organisation das Maß aller Inklusion sein soll? Und wofür die Preisgelder tatsächlich verwendet werden? Das interessiert die breite Öffentlichkeit natürlich brennend – oder etwa nicht?
- Communities an die Macht: Man könnte fast meinen, dass Menschen mit Behinderungen die besten Expert*innen für ihre eigene Lebensrealität sind. Welch überraschender Gedanke! Es wäre geradezu revolutionär, wenn sie nicht nur Alibi-Rollen (Token) spielen, sondern tatsächlich eine führende Rolle bei Inklusionsarbeiten übernehmen dürften. Denn wer könnte besser wissen, was wirklich gebraucht wird, als jene, die täglich mit Barrieren konfrontiert sind?
- Echte Veränderungen statt Imagepflege: Politik (z.B. der Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen), Stiftungen, Unternehmen und Institutionen sollten sicherstellen, dass ihre Inklusionspreise nicht nur dazu dienen, ein positives Image zu pflegen, sondern dass sie tatsächlich tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen bewirken. Ein hübsches Bild in der Presse ist nett, echte Veränderungen sind besser.
- Anerkennung auch für kleine Vereine: Die Auswahl der Preisträger*innen sollte sicherstellen, dass auch kleine Vereine und besonders intersektional betroffene Gruppen, ich denke da besonders an BIPoC, Anerkennung finden. David darf und muss auch gegen Goliath gewinnen können.
- Strukturelle Veränderungen fördern: Preise sollten nicht nur individuelle Leistungen würdigen, sondern auch Arbeiten unterstützen, die strukturelle und systemische Barrieren abbauen.
- Regelmäßige Überprüfung: Die Wirksamkeit der Prämierten sollte regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie langfristig positive Veränderungen bewirken. Jetzt kommt die Frage: Wie soll die Wirksamkeit überprüft werden? Auch dem muss sich gestellt werden.
- Realität und Herausforderungen thematisieren: Es sollte darauf geachtet werden, dass die Preise nicht nur positive Narrative pushen, sondern auch die realen Herausforderungen und politischen und gesellschaftlichen Kämpfe der Communitys thematisieren. Ein Beispiel: Ein Preis für Kindergebärden wird ausgehändigt, gleichzeitig sollte betont werden, dass durch die fehlende Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache als Minderheitensprache eine Vielzahl an gravierenden Problemen entstehen, z. B. die sprachliche Deprivation Tauber Kinder. Diese Erläuterungen müssen von Tauben Communitys kommen und dafür muss ihnen die Bühne geboten werden.
- Netzwerke stärken: Preise sollten auch dazu dienen, Netzwerke zwischen Preisträger*innen und anderen Akteure*innen zu stärken, um den Austausch von Wissen und Ressourcen zu fördern, inklusive kleiner Vereine. Denn wer hat gesagt, dass man das Rad immer wieder neu erfinden muss?
Und nun?
Die oben genannten Punkte sind Ideen. Wie könnte Anerkennung und Unterstützung für Inklusionsprojekte anders gestaltet werden? Welche Möglichkeiten gibt es, um die Selbstermächtigung und Selbstbestimmung behinderter Menschen zu fördern? Habt ihr Ideen? Dann los, schreib es uns in die Kommentare. Lasst uns den Konfettiregen sinnvoll nutzen!