In „Männerwelten“ gibt es keinen Regenbogen

Eine Kleiderpuppe in der Dunkelheit. Sie trägt ein Top und Hosen
Foto: Screenshot aus dem Pro7-Beitrag "Männerwelten" von Joko und Klaas.
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Es ist noch nicht lange her, dass die ProSieben-Entertainer Joko und Klaas ihr Publikum mit der unangenehmen Wahrheit über sexualisierte Gewalt an Frauen wach rüttelten. Aber wie viel ist dieses Statement wert, wenn zum Beispiel Frauen mit Behinderung mal wieder vergessen werden? Es kommentiert eine Autorin, die anonym bleiben möchte.

In Zeiten, in denen sich Männer nach der #MeToo-Debatte nicht mehr trauen zu „flirten“ und gleichberechtigtes Gendern zu aufwendig erscheint, bekamen die Zuschauer*innen zur Primetime auf ProSieben einen Eindruck davon, welches Frauenbild einige Männer immer noch haben. In der viralen Minireportage „Männerwelten“ der Entertainer Joko und Klaas, führte Sophie Passmann, eine feministische Buchautorin, durch eine Ausstellung des männlichen Übels an Frauen. Zunächst wurde eine Galerie von Penisfotos, sogenannten Dickpicks, die Frauen unverlangt geschickt bekommen, präsentiert. Als Nächstes wurden Chats und Kommentare vorgelesen. Von Beleidigungen über Sexismus zu Gewaltandrohungen war alles dabei. Raum für Raum wurden die unangenehmen Situationen aus dem Alltag einer Frau offenbart. Es folgten Schilderungen von nicht prominenten Frauen, die von ihren übergriffigen Erlebnissen erzählten. Die Show endete mit Outfits, die Frauen trugen, als sie vergewaltigt wurden.

Der Beitrag begeisterte viele Zuschauer*innen – zurecht. Solche schwere Kost in der Hauptsendezeit eines großen privaten Fernsehsenders auszustrahlen, gab ein Statement ab, das es in dieser Form noch nicht gab. Jedoch war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 

Der Sender, bekannt für Shows wie „Topmodel“, enttäuschte daher mit „Männerwelten“ nicht

Trotz großer Wertschätzung für die Aktion, darf man Denkanstöße geben und einige Punkte bemängeln. Zum Beispiel, dass die Personen im Beitrag nicht sehr vielfältig waren und die Mehrheitsgesellschaft nicht  widerspiegelten. Eine behinderte Frau, eine Rollstuhlfahrerin – Fehlanzeige. Doch selbst das Hinterfragen und Kritik, wurde in Diskussionen von Mann zu Frau, von Feminist zu Feministin im Netz bemängelt. 

Das kenne ich als ein persönliches Erlebnis. Als ein lokaler Sender über mein Leben mit einer Behinderung berichtete und sich an Formulierungen wie „Kämpferin“ bediente, habe ich auch unzufrieden geguckt. Doch schnell wurde mir klar gemacht: „Sei froh, jemand zeigt dich.“ Während ich, eine Rollstuhlfahrerin, hauptsächlich als leidende Kämpferin auf dem Bildschirm existieren darf, wundert es mich doch sehr, dass gerade da, wo Frauen von sexuellem Missbrauch und Leid berichten, keine davon offen mit einer Behinderung gezeigt wird.

Das ist ein schmerzhaftes Paradox, denn gerade beeinträchtigte Frauen werden häufig Missbrauchsopfer. Die von 2009 bis 2011 durchgeführte Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liefert repräsentative Daten über Diskriminierungen und Gewalterfahrungen von Frauen mit Behinderungen. Das Ergebnis: Frauen mit Behinderungen berichteten zwei- bis dreimal häufiger von sexueller Gewalt in Kindheit oder Jugend sowie im Erwachsenenalter, als Frauen ohne Behinderungen – ganz gleich, ob sie in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder zu Hause leben. Befragt wurden dabei Frauen zwischen 16 und 65 Jahren mit unterschiedlichen Behinderungen (zum Beispiel Frauen mit Lernschwierigkeiten).

Nun also, warum repräsentierte niemand in „Männerwelten“ diese Gewaltopfer? 

Dass Joko und Klaas keine Berührungspunkte mit behinderten Menschen haben, ist keine Erklärung. Wäre das Interesse, behinderte Frauen zu casten, da gewesen, wäre euch die Entscheidung schwer gefallen – denn es gibt zu viele von uns. Wer sind wir nun? Wir lehnen aufdringliche Männer ab und hören als Antwort: „Dich will doch keiner haben, also sei doch ein bisschen dankbarer zu mir“. Wir haben Angst, ein Mann macht sich unsere oft eingeschränkte Kraft und Körperkontrolle zunutze – oft verkündet er schamlos: „Wegrennen kannst du eh nicht!“

Diese Männer haben etwas mit euch, Joko und Klaas, gemeinsam: Sie nehmen uns nicht als Frauen mit einer Sexualität wahr. Wir werden öffentlich paternalisiert und als asexuell wahrgenommen, bis ein Mann entschiedet, wir sind fuckable. Dann ist es oft bereits zu spät.

Aber es ist nie zu spät, die Perspektiven zu erweitern und zu lernen. Würden die Entertainer ihre Fehler und Unzugänglichkeiten zugeben, sowie sich bereit erklären zuzuhören, so wären die Wut und Enttäuschung der Menschen aus dem LGBTIQ-Spektrum, Women of Color und Frauen mit Behinderungen immer noch angemessen groß. Auch wenn einzelne Menschen die Kraft finden würden zu verzeihen – das wäre bereits zu viel verlangt.

Auch das Bekenntnis zur sexuellen Belästigung einer Hostess auf der Messe IFA vor einigen Jahren wäre eine großartige Möglichkeit gewesen, sich als Mann verletzlich zu zeigen und doch männlich zu sagen: „Ich war ein Arsch damals. Sei besser als ich!“. Immerhin äußerte sich nun Klaas Heufer-Umlauf in seinem Podcast zu dem Fehltritt.

Wir warten auf eure intersektionale Einladung

PS: Als Inspiration für die nächste Primetime hinterlasse ich euch dieses Fragment einer anregenden Rede der Seelsorgerin Paula Stone:

„Ein gut ausgebildeter weißer Mann kann auf keinen Fall verstehen, wie sehr die Kultur zu seinen Gunsten geneigt ist. Er kann es auf keinen Fall verstehen, weil es alles ist, was er jemals gekannt hat und alles, was er jemals wissen wird. Und umgekehrt gibt es keine Möglichkeit, dass eine Frau die volle Bedeutung davon verstehen kann, denn eine Frau zu sein ist alles, was sie jemals gekannt hat.
Mein Vater war 45 Jahre lang ein fundamentalistischer Pastor. Meine Mutter ist noch konservativer. Als ich als Transgender herauskam, lehnten sie mich ab. Ich dachte, ich würde nie wieder mit ihnen sprechen. Letzten Januar habe ich eine Chance genutzt und meinen Vater an seinem Geburtstag angerufen, und er hat meinen Anruf angenommen. Wir unterhielten uns ungefähr eine halbe Stunde und ungefähr einen Monat später fragte ich, ob ich zu Besuch kommen könnte, und sie sagten ja. Und im letzten Frühjahr hatte ich einen herrlich erlösenden dreistündigen Besuch bei ihnen. Ich habe sie seitdem zweimal getroffen. Aber an diesem Tag, gegen Ende des Gesprächs, an diesem ersten Tag, sagte mein Vater eine Reihe wertvoller Dinge. Als ich aufstand, um zu gehen - sagte er: "Paula" - er nannte mich Paula! Er sagte: "Paula, ich verstehe das nicht, aber ich bin bereit versuchen." Mein Vater ist 93 Jahre alt und bereit, es zu versuchen. Was könnte ich mehr verlangen? Ich umarmte ihn so fest. Ein Mann, der bereit war, seine Macht aufzugeben.“

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