Die Storymacherin

Gruppenfoto von zwei Frauen und einem Mann. Der Mann steht in der Mitte und streckt seine Handfläche der Kamera entgegen und berührt mit der anderen Hand diese. Es ist das Logo der Sendung Hand Drauf.
Von Tag 1 der zweiten Staffel an dabei: Die gehörlosen Hosts von "Hand drauf" Toma Kubiliute, Björn Pfeiffer und Iris Meinhardt (v. l. n. r. ), Foto: Philipp Pongratz, WDR
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Iris Meinhardt ist die erste Gehörlose in Deutschland, die ein journalistisches Volontariat abschloss. Der Erfolg des jugendlichen Instagram-Kanals Hand drauf geht maßgeblich auf sie zurück. Ein Porträt von Thomas Mitterhuber von der Deutschen Gehörlosenzeitung.

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Iris Meinhardt ist eine gehörlose Frau. Sie hört nichts. Sie hat ein “Volontariat” abgeschlossen. Das heißt: Sie hat gelernt im Fernsehen, im Radio und online zu berichten. Sie ist die erste Gehörlose, die das geschafft hat. Das macht sie sehr stolz. Es war sehr anstrengend. Man muss dabei sehr viel arbeiten. Aber es hat sich gelohnt.

Jetzt arbeitet sie beim Bayrischen Rundfunk. Der macht Fernsehen und Radio in Bayern. Sie macht mit bei einer Sendung für Gehörlose. Sie findet dafür immer interessante Themen. Und sie macht auch bei einem Instagram Kanal mit. Da macht sie kurze Videos. In den Videos benutzt sie die Gebärdensprache. Bei dieser Sprache spricht man mit den Händen. Das gibt es noch nicht so oft auf Instagram. Gehörlose freuen sich darüber: Endlich gibt es einen Kanal auch für sie.

Zwei Sekunden zu viel… noch einmal! In fünfzehn Sekunden muss der Satz sitzen. So viel Zeit hat Iris Meinhardt nämlich für ein Story-Schnipsel auf Instagram. Gefilmt wird bei ihr zu Hause, Corona zwingt zum Homeoffice. Vorhin brauchte sie für ihren Satz 17 Sekunden – sie muss also entweder schneller gebärden oder etwas auslassen. Mehrere solcher Schnipsel werden später mit Texten und Emoticons garniert, zu einer Story zusammengebastelt und dann veröffentlicht.

Instagram ist ein schnelllebiges Medium, viele Nutzer greifen gern unterwegs oder nebenbei auf die App zu. Die Macher von Hand drauf wissen: Die ersten Sekunden sind entscheidend. Dauert ein Beitrag zu lange oder erscheint er uninteressant, wischen die Nutzer schnell weg. Und der Erfolg gibt ihnen recht. Der Kanal für die Gehörlosengemeinschaft startete am 2. November 2020, seitdem folgen ihnen bereits mehr als 6.000 Abonnenten. „Ich bin nicht zufrieden, ich bin überwältigt!“, schreibt Maike Elger, eine der hörenden Hand drauf-Redakteurinnen, über die bisherige Entwicklung.

Dass die Erwartungen des Hand drauf-Teams weit übertroffen wurden, hängt auch mit dem Scheitern der ersten Staffel zusammen. Im Herbst 2019 ging diese Version online, aber mit anderen Schwerpunkten und auf Facebook und YouTube. „Die erste Staffel war gut gemeint, aber zu wenig auf die Bedürfnisse der Community ausgerichtet und auf der falschen Plattform“, berichtet Elger, die seit den Anfängen dabei ist. Der Fokus lag damals auf der Verdolmetschung von verschiedenen Online-Filmbeiträgen in die DGS. Weil meist der Bezug zu Gehörlosen fehlte, wurden die Videos kaum angesehen.

„Wir haben am Anfang unterschätzt, wie wichtig es ist, spezielle Themensetzungen für die Community herauszufiltern“, sagt Elger. Nach nur zwei Monaten stellten sie das Projekt ein und legten eine kreative Pause ein. Diese wurde genutzt, um die Fehler zu analysieren und eine Zielgruppenbefragung durchzuführen. Der Redaktion sei dabei klar geworden, „dass wir nicht für, sondern mit der Community ein Format machen sollten“. In einem Workshop im Sommer 2020 wurde das Format überarbeitet, zusammen mit mehreren gehörlosen Mitarbeitern. „Dieses Mal war der gehörlose Teil des Teams von Tag 1 an dabei“, schreibt Elger.

Während Iris Meinhardt 2019 die einzige Moderatorin war, hat sie inzwischen mehr Verantwortung übertragen bekommen. In der zweiten Staffel schlagen sie und ihre gehörlosen Host-Kollegen Themen vor und recherchieren selbstständig. Neben Meinhardt sind bei Hand drauf drei weitere Gehörlose tätig: Toma Kubiliute und Björn Pfeiffer (beide als Hosts = Moderatoren) und Melissa Wessel (Redakteurin).

„Iris’ Anteil ist enorm“, sagt Redakteurin Elger. „In der ersten Staffel haben wir sehr viel von ihr gelernt. Und auch jetzt ist sie unfassbar wichtig für das Format. Sie ist Journalistin und bringt ein großes Medienverständnis mit. Gleichzeitig ist sie Teil der Community und weiß genau, welche Themen von Relevanz sind.“

Im vergangenen Oktober hatte Iris Meinhardt ihr zweijähriges Volontariat beim Bayerischen Rundfunk (BR) abgeschlossen. In einem Volontariat werden angehende Journalisten etwa in einer Zeitungsredaktion oder einer Medienanstalt ausgebildet. Das Volontariat beim BR ist trimedial aufgebaut (tri = griechisch für drei), die Auszubildenden lernen die Bereiche Fernsehen, Radio und Online-Journalismus kennen. Meinhardt ist deutschlandweit die erste gehörlose Person, die ein journalistisches Volontariat erfolgreich durchlief.

Eine Frau mit schwarzen Klamotten und braunen lockigen Haaren steht in einem Raum vor einer weißen Wand und filmt sich mit dem Smartphone selbst.
Iris Meinhardt bei der Arbeit: Hier entstehen Videos für den Instagram-Kanal "Hand drauf". Foto: Thomas Mitterhuber / DGZ

„Es war kein Zuckerschlecken“, sagt die Münchnerin im Rückblick. 60 oder mehr Wochenstunden seien die Regel gewesen, man habe manchmal bis elf, zwölf Uhr nachts an einem Projekt gearbeitet. Überstunden sind in der Medienbranche keine Seltenheit. Die Krönung sei das Abschlussprojekt gewesen, in den letzten zwei Monaten hätten sie und ihre Volo-Kollegen keinen einzigen freien Tag gehabt. Am Ende wurde daraus ein Filmbeitrag über die Ausbeutung von rumänischen Erntehelfern. Der Kontakt zu den Rumänen ging auf Meinhardts Freundschaften, die sie auf einem Jugendcamp für taube Europäer geknüpft hatte, zurück. Im Beitrag kam auch eine gehörlose Erntehelferin zu Wort.

"Iris ist Wertvoll für die Community, ein Vorbild."

Das anstrengende Volontariat ist einer der Gründe, warum Meinhardt es nun ruhiger angehen will und erst mal nur in Teilzeit arbeitet. Zunächst sah es nicht nach einer Karriere in der Medienbranche aus, geschweige denn in der Gehörlosenszene. Obwohl sie gehörlose Eltern hat, fing sie erst mit Anfang Zwanzig an, richtig in die Szene einzutauchen. „Das begann so ab den Deaflympics 2013 in Sofia“, erinnert sich die heute Dreißigjährige. Seitdem habe sie immer mehr mit Gehörlosen zu tun gehabt.

An ihre erste Begegnung im Jahre 2020 kann sich Björn Pfeiffer noch gut erinnern. „Auf mich wirkte sie wie typisch hörend“, sagt ihr gehörloser Host-Kollege bei Hand drauf. Iris Meinhardt kennt diese Sichtweise, sie weiß von Rückmeldungen, dass ihre DGS noch nicht ganz ausgereift ist. Sie führt das auf ihre „schwerhörige“ Sozialisation zurück und will jedenfalls daran arbeiten: Vor kurzem hat sie einen Ausbildungslehrgang zur tauben Gebärdensprachdolmetscherin begonnen. „Doch sie ist sehr offen und hat eine beachtliche Entwicklung durchgemacht“, sagt Pfeiffer. „Iris ist wertvoll für die Community, sie ist ein Vorbild. Toll, dass sie nicht in der hörenden Welt arbeitet, sondern für Gehörlose. Wir sollten solche Personen stärker willkommen heißen“, so der Moderator und Gebärdensprachdozent.

Nach Stationen an Schwerhörigenschulen fing Meinhardt nach dem Abitur ein Politikstudium an. Dabei tauchte ihr Gesicht erstmals bei Sehen statt Hören auf: Die Sendung berichtete über den juristischen Kampf der gehörlosen Studentin mit dem Kostenträger, da dieser die Kostenübernahme von Dolmetschereinsätzen bei notwendigen Tutorien ablehnte. Am Ende konnte Meinhardt sich durchsetzen und ihr Studium abschließen.

Eine Instagram-Story von Hand Drauf mit Iris Meinhardt. Sie gebärdet. Unten werden Untertitel Angezeigt.
Bei "Hand drauf" gibt es Themenwochen: hier wird über Netzwerkmarketing aufgeklärt. Foto: Hand drauf / WDR

Dabei blieb es nicht: Im Herbst 2016 absolvierte Meinhardt ein mehrwöchiges Praktikum bei Sehen statt Hören. Als Co-Autorin war sie an der Sendung zum 3. Jugendfestival in Stuttgart beteiligt. Zeitgleich war sie Teil dieser Sendung: Iris Meinhardt hielt dort gemeinsam mit ihrer schwerhörigen Schwester einen kritischen Vortrag über die damals noch junge AfD. Sehen statt Hören begleitete sie dabei.

„Ich habe sehr schnell erkannt, dass sie Potenzial für eine journalistische Ausbildung hat“, erinnert sich Isabel Wiemer, Redakteurin von Sehen statt Hören. Sie schlug ihr vor, sich für ein Volontariat beim BR zu bewerben und vermittelte Kontakte. Nach einem harten, mehrstufigen Auswahlverfahren konnte sich Meinhardt zu den zwölf ausgewählten Volontären ihres Jahrgangs zählen. „Sie hat sich durch eigene Leistung und Kompetenz durchgesetzt!“, betont Wiemer. 2020, gegen Ende des Volontariats, kürte die Journalistenzeitschrift medium Meinhardt zu den besten 30 Nachwuchsjournalisten.

Eine Frau mit kurzen dunkelblonden Haaren sitzt an einem Schreibtisch und arbeitet am Computer.
Erkannte Meinhardts Potential: Isabel Wiemer, Redakteurin von "Sehen statt Hören". Foto: DGZ Archiv

Im Volontariat standen Meinhardt in den Seminaren und bei Teambesprechungen stets Gebärdensprachdolmetscher zur Seite. Unterstützt wurde sie von ihrem Ausbildungsleiter Clemens Finzer. Dieser hatte die Übernahme der Dolmetscherfinanzierung durch das Inklusionsamt eingefädelt, die Gehörlose musste die Dolmetscher nur noch organisieren.

Doch nicht nur das: Der BR finanzierte einen DGS-Kurs für Meinhardts Mit-Volontäre, die rund 20 Kurseinheiten wurden während der Arbeitszeit durchgeführt. „Sie haben bei mir nach einem Kurs gefragt, weil sie mit Iris so kommunizieren wollten, wie sie es gewohnt ist“, berichtet Finzer.

Dass Iris Meinhardt ihr Volontariat mit Erfolg abschließen konnte, hat Finzer nachhaltig beeindruckt: „Wir im BR müssten noch viel mehr tun, um Menschen mit besonderen Herausforderungen ein Angebot zu machen – einerseits mit unseren Programmen, anderseits auch als Arbeitgeber.“

Dem BR wird die gehörlose Journalistin länger erhalten bleiben. Sie ist bei Sehen statt Hören als „Stammredaktion“ angesiedelt, so Wiemer. Für dieses und nächstes Jahr seien bereits erste Drehprojekte von ihr geplant. Wiemer wünscht sich, dass Meinhardt sich möglichst vielfältig aufstellen, breite Erfahrungen sammeln, ganz unterschiedliche Formate und Genres bearbeiten und mit verschiedenen Menschen und Redaktionen arbeiten soll. „All das wird sicher auch die Zusammenarbeit mit Sehen statt Hören bereichern.“ Die freiberufliche Journalistin ist neben ihrem Hand drauf-Job auch für COSMO tätig – beides Angebote des WDR.

Eine Frau mit schulterlangen blonden, lockigen Haaren schaut lächelnd in die Kamera.
Das zweijährige Volontariat beim Bayerischen Rundfunk sei "kein Zuckerschlecken" gewesen, erinnert sich die Journalistin zurück. Foto: Lisa Hinder / BR

„Bei Hand drauf habe ich viel Spaß, darin liegt mein Herzblut“, sagt Meinhardt, nachdem sie die 15 Sekunden für den Story-Schnipsel geschafft hat. Das erfolgreiche Instagram-Projekt wurde inzwischen um weitere sechs Monate bis Juli 2021 verlängert. Die Moderatorin will versuchen, die Bezüge zwischen mehrheitsgesellschaftlichen Themen und der Gehörlosen-Community künftig stärker herauszuarbeiten. Hand drauf richtet sich eigentlich an eine jugendliche Zielgruppe, es gibt Themenwochen wie etwa zu Sex oder zum Berufseinstieg. Doch Meinhardt weiß: „Weil es an gebärdensprachlichen Angeboten mangelt, haben wir auch viele ältere Follower.“

Trotz der Herausforderungen in der Medienbranche bleibt die Münchnerin optimistisch. Denn sie hat eine größere Mission. Der BR soll „in den Medien ein Vorreiter für Barrierefreiheit“ werden, wird sie in einem medium-Interview zitiert. Ideen hat sie bereits, aber noch will sie nichts verraten. Ihre Wegbegleiter trauen es der Journalistin jedenfalls zu: Sie bescheinigen ihr Selbstbewusstsein, Lernwilligkeit – und hohes Durchsetzungsvermögen.

Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 01/2021) erschienen.

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