Psychisch behinderte Schriftsteller*innen im Literaturbetrieb

Ein langes Bücherregal an einer Wand die leicht nach links abbiegt
Auch psychisch beeinträchtigte Schriftsteller*innen müssen sich ihren Platz im Bücherregal erkämpfen. Foto: Susan Yin | Unsplash
Lesezeit ca. 4 Minuten

Viele kreative Menschen möchten aus dem Schatten ans Licht gelangen, vor ein Publikum treten und Beachtung finden. So ist es auch im Bereich der Literatur, doch der Literaturbetrieb zeigt sich als recht undurchlässig. Für Menschen mit psychischen Behinderungen sind die Barrieren oftmals besonders hoch, meint unsere Autorin Susanne Konrad. 

Informationen in Einfacher Sprache

  • Unsere Autorin meint: Für Autorinnen und Autoren mit psychischer Behinderung ist es schwer, ein Buch zu veröffentlichen.
  • Durch die Erkrankung sind sie vielleicht nicht so selbstbewusst.
  • Ihnen wird vorgeworfen, dass sie nur über das schreiben, was sie durch die Erkrankung erleben. 
  • Aber: Sie wollen ihre Geschichte erzählen und sie soll auch gehört werden.

Die schwierigen Spielregeln

Im Literaturbetrieb muss man sich immer als Erfolgsmensch präsentieren und Höchstleistungen erbringen, wie regelmäßige Lesungen oder verkäufliche Veröffentlichungen, aber das ist für Menschen mit psychischen Einschränkungen nur schwer zu schaffen.

Allein die marktüblichen Kommunikationsformen sind für psychisch Beeinträchtigte nicht leicht einzuhalten: Man muss Geduld haben, auch wenn man nicht sofort eine Antwort bekommt. Wenn man gefordert ist, muss man aber unverzüglich reagieren und sein Manuskript nach Vorgabe ändern können. Kommunizieren sollte man sachlich und nicht Ich-bezogen. Bekenntnisse wie „Bitte akzeptiert mich so, wie ich bin“ sind verpönt. Dann heißt es gleich: „Betroffenheit = Betroffenheitsliteratur“.

Gar nicht gern gesehen im Literaturbetrieb ist Kontrollverlust: seine Verleger*innen oder potentielle Verleger*innen bedrängen, oder unbedacht und impulsiv auf etwas reagieren. Dann kann es sehr schnell vorbei sein, auch wenn das Manuskript zunächst in Betracht kam.

Nicht zuletzt sollte man es schaffen, sich selbst aufzuwerten und dem anderen gegenüber stark aufzutreten. Nicht zu viel akquirieren, sondern warten, dass man angefragt wird. Wer angefragt wird, genießt den höheren Status als der, der sich bewerben muss.

Diese Spielregeln einzuhalten, kann für Menschen mit schweren Depressionen oder mit psychotischen Phasen sehr schwierig sein. Zu vielen psychischen Krankheiten gehört auch Sozialphobie. Man tut sich schwer, unter Menschen zu gehen. An Messeständen oder auf Empfängen zu brillieren, gelingt dann nur selten.

Minderheitenbewusstsein – Minderheitenstolz?

Psychiatrieerfahrenen Autor*innen wird oft unterstellt, sie schrieben nur Betroffenheitsliteratur, um ihre persönlichen Probleme aufzuarbeiten. Tatsächlich schreiben Autor*innen mit traumatischen Erfahrungen (und Psychiatriekarrieren gehören dazu) meistens eher Ich-bezogen und ringen mit unverarbeiteten Stoffen. Das gilt zum Beispiel für Flüchtlinge, denen es aber eher zugestanden wird, autobiografisch zu schreiben, um das Erlebte zu bewältigen.

Allein aus ihrer Situation heraus agieren psychisch behinderte Menschen oftmals in einer kulturellen Nische. Als „Betroffene“ entwickeln sie ein Minderheitenbewusstsein, welches die Teilnahme am Mehrheitenmarkt zusätzlich erschwert. Einige lehnen den Mainstream aus politischer Überzeugung bewusst ab und trotzen dem „kalten“ Geschäftsbetrieb.

Es gibt Tendenzen, die Literaturen von marginalisierten Gruppen stärker in die Mitte zu holen und ihnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Aber gilt das auch für die Literatur von Psychiatrieerfahrenen?

Die Literatur von Autor*innen mit Psychiatrieerfahrung ist strukturell mit der Migrant*innenliteratur vergleichbar. Diese entstand ebenfalls in einer literarischen Nische und basierte darauf, dass sie von Zuwander*innen über Migrationserfahrung und Zweisprachigkeit geschrieben wurde. Über die aktuellen Diskussionen um Integration und Antirassismus sind diese Themen mehrheitsfähig geworden. Die Literaturen von Menschen mit psychischer Behinderung sind es aber noch nicht.

Wege aus der Nische

Was können psychiatrieerfahrene Autor*innen tun, um ihre Situation auf dem Buchmarkt zu verbessern? Zunächst einmal: Selbstbewusstsein zeigen und authentisch bleiben. Das Bewusstsein haben: „Das, was wir zu sagen haben, ist wichtig.“ Und dabei gleichzeitig ästhetischen und künstlerischen Kriterien entsprechen. Ein Weg dahin, mit seinen Texten mehr Beachtung zu finden, ist, zu üben, mehr literarische Distanz zu seinen Themen und Stoffen zu erlangen. Diese ist wichtig, um die Kontrolle über das entstehende Werk und über die eigenen Gefühle zu behalten. Nur mit literarischer Distanz kann man ästhetisch gestalten. Und nur mit ihr gewinnt man ein schöpferisches Verhältnis zu seinem Werk und fällt nicht in Eins mit ihm zusammen, was dann auch die Leser*innen bemerken und zuvor die Entscheider*innen im Literaturbetrieb. Ein Lösungsansatz dafür kann sein, autobiografische Stoffe literarisch wirksam zu verfremden, so zum Beispiel nicht über die eigene Erkrankung, sondern über ein fremdes Schicksal zu schreiben. All dies wirkt professionell. Professionalität wird psychisch Kranken gern abgesprochen. Hier gilt es, sie zu beweisen.

Wichtig ist es ferner, geschickt zu netzwerken, sich auch außerhalb psychiatrischer Szenen zu bewegen und dabei in der Lage zu sein, die Kommunikationsregeln einzuhalten. Es ist klar, dass das nicht geht, wenn man sich in einer psychotischen oder depressiven Phase befindet. Dann sollte man aber Geduld mit sich selbst haben und aussetzen, bis es einem wieder besser geht. So schnell manchmal Reaktionen erforderlich sind, so langsam laufen im Literaturbetrieb auch viele Entscheidungsprozesse ab. In Krisenzeiten ist es besser, nur für den privaten Gebrauch zu schreiben, weil die Texte zu düster oder emotional verzerrt geraten können. In solchen Phasen sollte man auch keine Verlage anschreiben. Es kommen immer wieder bessere Zeiten, in denen man umso intensiver und effizienter arbeiten kann.

Wie ist es damit, um Verständnis zu bitten und seine Erkrankung offen zu legen? Eher nein, denn das widerspricht dem Professionalitätsgebot. Das Outen hängt aber von den Umständen ab. Man sollte sich niemals zu früh outen, sprich wenn einen keine*r kennt. Diagnosen gehören nie in die Vita oder auf die Homepage. Auch der Einsatz eines Pseudonyms ist immer eine Option. Sollte man sich aber bewusst dafür entscheiden, sich für sein Minderheitenthema stark zu machen, dann ist ein Outen nur fair, denn sonst spräche man nur für Betroffene und nicht als Betroffene. 

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7 Antworten

  1. Bei derartigen Maßstäben wird die Stigmatisierung einfach weitergehen. Ich denke, auf einer solchen Plattform wie dieser sollte man zumindest versuchen, die “Professionalitätsgebote” in Frage zu stellen und zu konfrontieren. Und ich glaube, im Gegensatz dazu, schreiben Sie mit Widersprüchen. Man sollte sich ‘outen’, aber erst nur, wenn man sich etabliert hat? Authentisch bleiben, aber auch nur wenn man distanziert sein kann? Können wir nach all den Jahren der Diskriminierung und mangelnden Chancengleichheit nicht emotional werden? Finden Sie nicht, dass Sie in anderen Worten schreiben, dass man zuerst die Behinderung beseitigen soll, damit man darüber schreiben kann ??? Das klingt wie der lange ersehnte Moment der Heilung, der immer um die Ecke kommt, aber nie greifbar wird.

    Aber die Verantwortung liegt nicht nur immer an den Betroffenen. Es ist eigentlich gar nicht so schwer, denn psychische Beeinträchtigungen in künstlerischen Bereichen können in vielen Fällen durch mehr soziale Akzeptanz und Mitgefühl im Arbeitsbereich überwunden werden. Für mich, geht um eine Wertschätzung der mitfühlenden Kompetenzen ALLER Mitmenschen. Und ich finde, Professionalität sollte nur durch die Verbindung definiert werden, die man zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter findet, mehr nicht.

    Ich finde dass wenn man künstlerisch immer nach diesen so genannten ‘Gebote’ arbeitet, wird man dann nur Werke fördern, die den Ableismus aufrechterhalten. Und ich finde wir werden sonst nie weiterkommen, und der psychisch beeinträchtigte Mensch wird nie in der Lage sein, mit seinen wertvollen sozialen und künstlerischen Talenten und Begabungen einen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können.

    1. Sie haben recht, dass manches, was ich in meinem Artikel geschrieben habe, zu harsch, vielleicht apodiktisch klingt. Aber ich habe selber als psychisch behinderte Autorin mit dem Literaturbetrieb schlechte Erfahrungen gemacht. Ich wurde gar nicht mal explizit diskriminiert, sondern bin implizit durch die Maschen gefallen, weil ich mich dank meiner Behinderung nicht gegen die herrschenden Strukturen zu wehren vermochte. Daher empfehle ich anderen, die Machtstrukturen des Marktes für sich konstruktiver zu verwerten, auf sie einzugehen und am Genick zu packen. Ja, und ich habe in der Tat die Erfahrung gemacht, dass im Betrieb um die Literaturförderung Systeme unterstützt werden, die strukturelle Diskriminierung aufrechterhalten, indem stets der Stärkere gefördert wird. Ich danke Ihnen in jedem Fall für Ihre nachdenklichen Worte, die auch die Schwächen meiner Ausführungen durchschauen.

  2. Liebe Susannne
    ich schreibe seit 30 Jahren Tagebuch und male seit 1988 sehr viel.
    Neben dem künstlerischen Erfolg habe ich auch sehr schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen, aber ich bin ein fröhlicher Mensch und lache gerne und viel. Was soll noch kommen, habe ich 3x Mal Krebs überlebt und 5x die Psychiatrie von innen gesehen.
    * Seit zwei Jahren publiziere ich meine Bücher und Bilder, inzwischen sind es 25 Veröffentlichungen, nur verkauft es sich nicht so sehr. Vielleicht weil es Autobiografien sind?? Oder weil es sehr echt geschrieben ist und direkt. All das wird mich nicht hindern weiter zu werkeln an dem Projekt.
    Armin Andreas Pangerl

    PS: Was zum Gucken gibt es auf meiner Homepage, gerne dürft ihr mir auch schreiben, ich schreibe bestimmt zurück.

    1. Danke, dass du so frei über deine künstlerischen Aktivitäten schreibst. Auch ich habe schon schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen und dabei die Erfahrung gemacht, dass die Bewältigung von Traumata das eigene Schreiben nicht nur zum Fließen bringt, sondern es auch erschweren kann, denn Verletzungen können die Texte steinig und holprig machen. Ich weiß aber inzwischen auch, dass man die eignen Projekte weiter verfolgen sollte, auch wenn man dafür von Verlagen und Agenten abgewatscht wurde. Es werden sich immer wieder Menschen finden, die genau das brauchen, was ich schreibe bzw. was du schreibst. Also weiter.

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