Vielfalt im Journalismus – Transkript

Lesezeit ca. 39 Minuten

Die Neue Norm: „Drei Journalist*innen, zwei Rollstühle und eine Sehbehinderung: Die Journalist*innen Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raul Krauthausen sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.

Folge 35: „Vielfalt im Journalismus“

Jonas:
Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast.
Eine Sehbehinderung, zwei Rollstühle, drei Journalist*nnen, so heißt es normalerweise in unserem Claim, in unserem Jingle, der vor jedem Podcast läuft. Eine Sehbehinderung und drei Journalist*nnen, das ist das, was zumindest heute zutrifft. Denn wir sind heute in einer etwas anderen Konstellation. In dieser Episode geht es um Vielfalt im Journalismus. Und da wir nicht nur über Journalist*nnen mit Behinderung sprechen wollen, sondern mehrere Punkte abdecken möchten, sind heute zwei andere Personen bei uns in dem Podcast. Und zum einen ist das Georgine Kellermann. Sie ist Journalistin und hat für das ARD-Morgenmagazin gearbeitet, war Korrespondentin in Washington und in Paris und ist aktuell Studioleiterin beim WDR in Essen, in meiner Heimatstadt, was mich sehr freut, beziehungsweise eine Verbindung herstellt. Und sie selbst hat, wie sie sagt, vor drei Jahren ihre Offenbarung gehabt zur Frau, beziehungsweise das wird nicht direkt am Anfang interessieren, wie ist deine Selbstbezeichnung, weil man immer häufig liest, dass du eine trans Frau bist. Herzlich willkommen erstmal.

Georgine:
Danke, dass ich kommen durfte. Ich freue mich auch sehr, dass du aus Essen kommst, wusste ich noch nicht. Aber das verbindet uns dann noch einmal mehr. Und ich bin eine Frau, Punkt, das Adjektiv trans – und es ist ein Adjektiv -, so wie es eine blonde Frau, eine dicke Frau, eine dünne Frau, eine dumme Frau und auch eine kluge Frau gibt, ist trans ein Adjektiv, und das muss ich ab und zu denen, die Schwierigkeiten haben, das zu begreifen, mit an die Hand geben, damit sie klarer sehen.

Jonas:
Und zum anderen haben wir Boussa Thiam heute bei uns, beziehungsweise hier im Podcast Die Neue Norm. Sie ist Journalistin, Moderatorin und Entertainerin unter anderem für den Deutschlandfunk aktiv und für WDR Cosmo und auch für den RBB. Schön, dass du da bist.

Boussa:
Hallo. Ja, es ist der Deutschlandfunk Kultur. Also der Deutschlandfunk ist sozusagen die Obermarke. Aber ich arbeite hier in Berlin im Deutschlandfunk Kultur, aber das passt trotzdem.

Jonas:
Genau. Und wir duzen uns, weil wir uns alle drei vor einem Jahr begegnet sind bei den Münchner Medientagen, wo wir auch über Diversität in den Medien schon mal gesprochen haben. Und mich würde mal, gerade wenn es um Vielfalt im Journalismus geht, mal interessieren, wann war das letzte Mal, wo ihr etwas in den Medien gelesen oder gesehen habt, wo ihr euch selbst als Personen mit – man sagt ja immer – mit sogenannten Vielfaltsmerkmalen gut repräsentiert gefühlt habt?

Boussa:
Immer wenn ich zu Cosmo gehe, das ist ja sozusagen ein interkultureller Radiosender. Und der versteht sich jetzt als das junge europäische Radio. Dann habe ich sofort den Eindruck oder beziehungsweise wird mir gespiegelt allein durch die Redaktion, durch die Menschen, die dort jetzt nicht unbedingt Anke und Susanne heißen, sondern vielleicht auch mal Necla und Tarik, dass ich da in einem sehr diversen Kontext arbeite. Aber danach hört es auch schon schnell auf.

Georgine:
Ich bin jetzt froh, dass Boussa zuerst geantwortet hat, weil ich mir dann ein bisschen mehr Zeit nehmen konnte zu überlegen. Und ja, es wird immer schöner. Also ich weiß nicht, ob ihr Palais F*luxx kennt? Silke Burmester und einige andere – ist eine Gruppe von Frauen über 47, die sehr oft auch in den Medien arbeiten, bei denen ich auch untergekommen bin und auch mich akzeptiert fühle. ProQuoteMedien – eine wunderbare Vereinigung – sie haben gerade ihr Zehnjähriges gefeiert – seit zehn Jahren sich dafür einsetzt, dass in den Hierarchien der Printmedien, aber auch der digitalen wie auch der elektronischen Medien mehr Frauen unterkommen, weil das immer noch ein großes, großes Manko ist. Die haben mich eingeladen zum Zehnjährigen. Und auch da habe ich mich sehr, sehr, sehr wohlgefühlt, respektiert, angenommen. Und insofern, ja, man muss immer wieder fragen: Kennt ihr den Begriff trans Menschen eigentlich? Und es gibt ja nicht nur trans Frauen, es gibt ja auch ganz viele trans Männer. Kennt ihr das eigentlich, wisst ihr was da dahintersteckt? Aber es wird immer öffentlicher. Und ich glaube, da kann ich auch einen Teil dazu beitragen. Und dass ich heute hier sitze, hat natürlich auch mit dem Respekt zu tun und auch mit der Sichtbarkeit, die inzwischen viel größer geworden ist.

Boussa:
Wenn ich natürlich den Blick oder die Perspektive einnehme, von außen draufzuschauen, dann würde ich auch sagen, zum Beispiel gibt es die Neuen Deutschen Medienmacher*innen – fantastische Arbeit, die die da leisten. Also da geht es wirklich um Inklusion. Da geht es um Diversität, und die legen den Finger sozusagen auch in die Wunde. Das aktuelle Thema war ja, Öffentlich-Rechtliche stehen ja oftmals in der Kritik, und da gab es ja jetzt auch einmal den Faktencheck mit Sicht auf die Rundfunkräte, wer da eigentlich vertreten ist in den Gremien – können wir auch noch einmal später drüber sprechen – also die leisten wahnsinnig gute Arbeit und wollen auch viele neue Journalist*nnen, die, ja, einen anderen ethnischen Hintergrund haben oder andere marginalisierte Formen kennen, in ihrem Leben, fördern. Aber ich bin trotzdem natürlich immer wieder auch kritisch. Es liegt vielleicht auch an unserem Beruf. Als Journalist/Journalistin ist man ja per se irgendwie kritisch, und ich finde zum Beispiel, dass ich auch oft – ich moderiere ja auch sehr viele Veranstaltungen – da auch in einem Kontext eingeladen werde. Nicht nur, aber wir haben uns ja auch getroffen unter der Prämisse, wie vielfältig wird eigentlich die Medienlandschaft repräsentiert, damals in München. Und es ist natürlich gut, dass man Leute einlädt, die betroffen sind, aber eigentlich finde ich, sollte es auch Menschen geben, die sozusagen Allys sind oder andere, die halt auch was dazu sagen können. Und aus einem vielleicht privilegierteren Kontext kommen.

Georgine:
Also ich würde mich ja als privilegierten weißen Menschen bezeichnen. Und was ich bei mir selber spüre, ist der Wunsch, der dringende Wunsch – du hast die Neuen Deutschen Medienmacher*innen genannt – eine von ihnen war vor zwei Jahren mein Mentee, und wir haben uns ein Jahr lang, hab ich sie begleitet, ganz großartiger Mensch, und das hat einen Heidenspaß gemacht. Und wenn ich zu den Treffen der Neuen Deutschen Medienmacher*innen gegangen bin, dann habe ich da eine Kreativität erlebt, die selbst für mich überraschend war und ich die total gerne gesehen habe. Und ich bin mir absolut sicher, dass wir in zehn Jahren über die Debatte, die wir heute führen, sagen werden, gut, dass wir sie geführt haben, aber noch besser, dass wir sie nicht mehr zu führen brauchen. Weil ich glaube, Menschen mit Wurzeln in anderen Kulturen drängen immer mehr in die Medien. Und die waren früher nicht vertreten, weil man ihnen, glaube ich, nicht die Tür geöffnet hat, weil man ihnen keinen Teppich ausgerollt hat, sondern weil sie mehr, viel viel mehr leisten mussten als solche, die ihre Wurzeln in der deutschen – ich sage das in Anführungszeichen – Kultur hatten und die es da viel einfacher hatten. Und das wird jetzt für diverse Gruppen einfacher. Und ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass diejenigen, die Arbeit zu verteilen haben, merken, die kann nicht mehr nur von denen gemacht werden, die wir früher genommen haben, sondern wenn wir diverser werden, haben wir erstens mehr Auswahl und zweitens viel mehr Kreativität.

Boussa:
Ja, also, ich denke auch, das Bewusstsein ist da. Aber es gibt ja so viele Faktoren, die da auch reinspielen. Wen besetzt man in einer Redaktion? Und welche Motive verfolgt man? Es gibt ja auch so Begriffe, wie zum Beispiel Tokenism oder Othering, also, dass man einfach sagt, man nimmt jetzt einen Menschen mit Behinderung, man nimmt jetzt eine Schwarze Frau – ich werde ja Schwarz gelesen – und die sozusagen repräsentiert dann diese Gruppe, und das ist natürlich auch zu kurz gedacht, weil dadurch wird man ja auch wieder homogenisiert in seiner eigenen Gruppe. Und man hat ja trotzdem vielleicht auch eine andere Haltung, oder man hat andere Schwerpunkte, die man setzt. Ich versuche zum Beispiel, in meiner Arbeit nicht aktivistisch aufzutreten. Ich setze mich natürlich auch für Themen ein, wenn wir Redaktionskonferenzen haben, die mich tangieren. Da bin ich dann auch offen und ehrlich und sage: Ich finde auch, wir sollten über den Jemen sprechen. Oder wir sollten irgendwie jetzt, wenn es um Polizeigewalt geht, da auch noch einmal nachschauen. Aber es kann genauso einfach ein Thema sein wie Feminismus oder Nachhaltigkeit, was ich wichtig finde. Und ich weiß nicht, ob wir das jetzt hier so offen sagen dürfen? Aber als wir ein Vorgespräch geführt haben, Jonas, ich weiß nicht, ob du dich noch erinnerst, da hast du auch diesen Spruch gebracht, den werde ich nie vergessen, und der hieß: Kennst du einen Behinderten, kennst du einen Behinderten. Und so ist es mit allem: Kennst du eine Schwarze, kennst du eine Schwarze. Also: wir sind auch divers und unterschiedlich. Und ja, da muss man aufpassen in der Redaktion oder in Redaktionen allgemein, dass man nicht denkt, man hat jetzt eine Person besetzt, und die spricht jetzt für alle.

Jonas:
Wir haben damals mit unserem Projekt Leidmedien.de eine Broschüre herausgebracht, wo wir Journalist*innen mit Behinderungen porträtiert haben, beziehungsweise die zu Wort gekommen sind und über ihren Werdegang, über ihren Einstieg in den Journalismus berichtet haben. Und sehr, sehr häufig war quasi Thema, dass sie gesagt haben, wir waren die erste Person mit Behinderung in der Redaktion. Was bedeutet im Sinne von, okay, wie nicht vielfältig sind die Redaktionen, aber auch einen immensen Druck ausgeübt hat, es richtig und gut zu machen, weil man es vielleicht auch anderen Leuten verbauen könnte, wenn man die erste Person mit Behinderung in der Redaktion ist und schlechte Arbeit abliefert. Und dann die Redaktion denkt, okay, sorry, das hat nicht funktioniert. Und dann hat man es quasi verbaut. Wie war das bei euch? Hatte dir auch so ein Gefühl gehabt, okay, ihr müsst es nochmal besonders gut und besonders richtig machen?

Georgine:
Das ist ja mein Vorteil, dass ich quasi am Ende meines Berufslebens mich offenbart habe. Die geworden bin, die ich immer war. Ich hatte nicht den Eindruck: Nein, nein… Was ich getan habe ist – und das meine ich nicht im negativen Sinne – ich habe den Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, und ich war ja vorher ihr Vorgesetzter, so wurde ich gelesen und später ihre Vorgesetzte. Ich habe diesen Menschen natürlich etwas zugemutet. Und ich habe sie nicht gefragt: Darf ich das? Sondern ich habe das einfach gemacht. Und ich hatte nicht den Eindruck, überhaupt nicht, dass da in irgendeiner Form die Frage gestellt wurde: Wie soll das denn gehen? Sondern im Gegenteil – ich habe mich da getragen gefühlt, und das macht mich eben auch… manchmal glaube ich, die Leute empfinden mich als zu optimistisch. Aber aus meiner eigenen Erfahrung heraus sage ich, ich glaube, dass unsere Gesellschaft viel weiter ist, als sich die Ewiggestrigen das wünschen. Und das beziehe ich natürlich jetzt erst einmal auf das Regenbogen-Thema. Aber ich glaube, jeder Mensch mit Behinderung, der in einer Redaktion arbeitet, der nimmt nicht nur etwas, sondern der gibt auch etwas. Und ich habe das jedes Mal erlebt, ob das in Essen, Duisburg oder Bonn war. Immer wieder kamen Hospitant*innen, die für ein Jahr bei uns waren, zum Beispiel jemand, die sehr schlecht sehen konnte. Die bekam dann alle möglichen Hilfsmittel. Da hat auch der Landschaftsverband dann geholfen, um die Buchstaben größer zu machen und so weiter. Man hat am Ende nicht mehr gemerkt, „dass jemand mit Behinderung da saß“. Die hatte einen genauso tollen Job gemacht wie alle anderen auch. Und wenn Menschen das lernen, dann ist ja schon, ich glaube die größte Hürde überwunden. Denn warum werden Menschen mit Behinderung zum Beispiel nicht genommen? Weil der Personaler das Vorurteil hat, die können weniger als diejenigen, die keine Behinderung haben. Und das stimmt einfach nicht. Die haben Skills zum Beispiel, die andere überhaupt nicht mitbringen. Und in einem Unternehmen zählt ja nicht nur, ob einer studiert hat, sondern da zählen auch soziale Skills, da zählt Empathie und so weiter. Und ich glaube, dass das immer offensichtlicher wird, dass eine Gesellschaft, die alle mitnimmt, die einwandfrei bessere Gesellschaft ist.

Jonas:
Was würdest du sagen zu Personen, die in deiner Geschichte dann sagen: Ja, die Frau Kellermann, die hat es sich aber quasi auch wirklich leicht gemacht. Schön Karriere als Mann und dann, wie du gerade gesagt hast, am Ende deiner Karriere dann zu sagen: Ich bin eine Frau und war schon immer eine Frau. Also quasi von außen gesehen, diesen Outing Prozess durchlebt mit dieser Kritik, die da drinsteckt, nach dem Motto: diesen Prozess des Outings am Anfang der Karriere wäre Harakiri gewesen.

Georgine:
Ja, natürlich, das wäre Harakiri gewesen. Ich habe das auch damals schon mit Vorgesetzten besprochen in den 80er-Jahren, als das Transsexuellen-Gesetz, das erste kam, was es Menschen wie mir schon viel leichter gemacht hat, den Personenstand zu ändern, das Geschlecht anzugleichen und so weiter. Da bin ich beim Vorgesetzten gewesen und habe mit ihm darüber gesprochen. Wir haben ein langes Mittagessen gehabt, und er war sehr empathisch. Und wir haben die Für und Wider abgewogen. Wobei die Für und Wider, die kannte er viel besser als ich, weil er natürlich schon lange im Job war und weil er auch das Unternehmen kannte. Und wir waren uns am Ende einig, dass macht für einen Journalisten, der gerade anfängt, vor der Kamera zu stehen, als Freier macht es keinen Sinn, einen solchen Schritt zu tun, weil das dann möglicherweise, nein, sicher nicht zum Erfolg geführt hätte, was das Berufliche angeht. Und ich bin ihm erstens dafür dankbar, zweitens glaube ich, dass er völlig Recht hatte. Und das hatte nichts mit dem WDR zu tun, für den ich gearbeitet hatte, sondern der WDR, eine öffentlich-rechtliche Anstalt, ist immer eingebettet in die Gesellschaft, in der der Sender arbeitet. Und in den 80er-Jahren war unsere Gesellschaft noch lange nicht so weit. Man muss sich mal überlegen, damals war es ja noch schlimm, homosexuell zu sein. Den Begriff Trans gab es gar nicht. Das kam dann noch viel, viel schlechter an. Und wir haben es bei der Homosexualität geschafft, sie einigermaßen zu integrieren. Auch da sind immer noch Hürden zu überwinden. Und jetzt sind wir dabei, trans und andere Dinge zu integrieren.

Boussa:
Mich würde daran interessieren: Klar, man könnte jetzt sagen, da hast du einfach strategisch gedacht oder dir die Gesellschaft angeschaut. Aber was hat das mit dir als Mensch gemacht? Also hast du dich eigentlich auch ein Stück weit unwohl vor der Kamera gefühlt, weil das warst du ja nicht innerlich und auch – ohne jetzt zu privat zu werden – aber du hast ja doch die ganze Zeit für dich falsch gelebt und musstest nach außen hin eine Person darstellen, die du nicht warst. Also war das nicht auch eher eine Qual, als dass es vielleicht finanziell zumindest sich ausgezahlt hat?

Georgine:
Ich habe mich auch engagiert. Also ich habe ja eben schon mal gesagt, ich bin eitel, sonst wäre ich nicht zum Fernsehen gegangen…Aber mir hat das auch einen Höllenspaß gemacht. Also ich habe die Welt, die halbe Welt gesehen. Ich habe Geschichten erzählen können. Ich habe Menschen getroffen, die ich sonst nie hätte treffen können. Das heißt, ich habe mich mit der Situation arrangiert. Ich habe eine Rolle gelebt, das heißt zwei Rollen eigentlich. Eine Rolle habe ich gelebt, nämlich die des Georg. Authentisch war die Georgine – das war sie, sobald es nichts mehr zu tun gab im Job, war ich Georgine und ja, das war eine Qual. Das war auch eine Qual für die Menschen, die mit mir zusammengelebt haben. Weil das wie ein Wasserkessel war. Der Druck wurde immer größer, und der Georg ist mir in der Rückbetrachtung nicht immer sympathisch. Ich will das jetzt nicht damit entschuldigen. Aber ich glaube, dass dieses Rollenspiel natürlich auch eine ungeheure Anstrengung gekostet hat und dass ich am Ende gesagt habe: Es reicht! So urplötzlich, als wenn ein Küken so die Eierschalen auseinanderbricht und endlich frei ist. Das hatte auch damit zu tun, dass der Druck im Wasserkessel so groß geworden ist, dass der Deckel weggeflogen ist.

Boussa:
Genau, dieses Rollenspiel, das kann ich natürlich nicht machen. Ich werde immer Schwarz gelesen. Aber um sozusagen noch mal deine Frage aufzugreifen, wie das so ist, wenn man so als einzige schwarze Frau dann in eine Redaktion kommt und, ja, vielleicht doch die wenigsten eine Art von Vielfalt repräsentieren. Da habe ich zum Beispiel dieses coatswitching, dass ich dann dazu neige, je nachdem, ob ich mich jetzt so in akademischen Kreisen bewege oder in – weiß ich nicht – Arbeiterkreisen, ganz diversen auch, dass sich dann anfange, meinen Sprachstil anzupassen. Oder dass ich dann denke, bevor ich jetzt wieder Stereotype bediene oder Klischees, versuche ich doch noch mal schnell, hier ein Fremdwort zu droppen, damit die Leute irgendwie anerkennen, dass ich auch eine Art von Bildung habe oder spiele dann mit so Begriffen oder beziehungsweise versuche, meine Biografie ein bisschen einzuordnen und sage: Ja, meine Mutter ist Weiß, sie hat Architektur studiert. Mein Vater kam aus dem Senegal nach Paris, hat dann Geschichte studiert, ging dann nach Berlin und so … und versuche dadurch, so ein bisschen so einen Kontext zu liefern, damit diese ganzen, ja, ich denke schon, nach wie vor auch rassistischen Bilder, die es teilweise gibt, abgebaut werden. Und ich kann dieses Gefühl, dass, wenn man der einzige oder die einzige in einem Raum ist, total nachvollziehen, dass man sich auch sehr stark unter Druck setzt. Ich würde nicht die ganze Zeit deshalb jetzt sagen, da findet eine Art von Schuldzuweisungen statt. Ich bin auch einfach eine sehr selbstkritische Person und leide massiv unter einem Imposter-Syndrom, glaube ich. Da hilft dann nur Disziplin und die Arbeit und das einfach auch mal Scheitern oder Fehler machen. Aber ich glaube schon, dass es natürlich was ganz anderes ist. Also hier zum Beispiel fühle ich mich natürlich auch sofort wohl, weil wir alle ein Verständnis haben davon, was es heißt, diskriminiert zu werden oder zu sein.

Jonas:
Wir haben eben über Allyship gesprochen, also Verbündete zu haben. Hatte ihr im Laufe eurer Karriere Punkte, wo ihr gesagt habt, okay, das waren Personen, die euch vielleicht sprichwörtlich irgendwie an die Hand genommen haben? Oder, Georgine, du hast ja eben auch gesagt, dass du auch viele Vorgespräche geführt hast, auch irgendwie mit Kolleg*innen, wie man diese Offenbarung irgendwie gut machen kann.

Georgine:
Natürlich habe ich im Laufe der Zeit viele Kolleginnen und Kollegen gehabt, die Freundinnen und Freunde geworden sind. Und alle meine Freundinnen und Freunde wussten immer, wer ich wirklich war, und die haben mich auch unterstützt. Und die haben mir auch begonnen, Ängste zu nehmen. Ich sage jetzt mal, vielleicht es war zwei Jahre bevor diese Offenbarung passiert ist, da habe ich dann auch noch mal Allys bekommen, die mich ganz konkret unterstützt haben, aber auch eine Therapeutin gefunden, und die war selber überrascht, dass dann, die wusste, es würde eines Tages passieren, dass es so passieren würde und mit dem Zeitpunkt hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Aber sie hat mir geholfen, die Ängste abzubauen, und ich habe im Laufe dieser Therapie, die heute auch noch andauert, weil es natürlich immer noch mal Themen gibt, über die man sprechen muss, die aber gar nicht mehr so intensiv ist, wie sie das vorher war und die Fragen gestellt hat, die auch andere Menschen schon gestellt hatten. Aber weil sie so den Draußen-Blick hatte, weil sie nicht meine Freundin war, sondern quasi ganz – ich sage jetzt mal – wertneutral an die Geschichte ranging und gefragt hat: Wovor hast du denn eigentlich Angst? Was soll denn eigentlich passieren? Und so weiter und sofort… hat sich und ich merke das so in der Rückschau, wie so immer kleine, so kleine Brocken aus dieser Mauer herausgebrochen sind und die Mauer immer spröder geworden ist und dann im September 2019, einfach in sich zusammengefallen ist. Und auch das ist ein Ally. Und wenn ich… als ich zum Beispiel unserem Personalchef im WDR geschrieben habe, was ist und um ein Gespräch gebeten habe, da hat er sehr zunächst mal sachlich gesagt, ja den Termin machen wir und dann gab es einen Absatz, und dann hat er mir persönlich gratuliert. Und wenn ich das erzähle, dann kriege ich immer noch Tränen, weil das war eine Unterstützung, eine empathische Unterstützung, wie ich wusste, dass es sie gibt, aber wie ich sie nicht erwarten konnte und alles, was dann danach kam, diese Anerkennung im Unternehmen, die Wertschätzung. Das sind Dinge, die ich als ein ganz großes Glück in meinem Leben empfinde und eigentlich sind nicht nur die Mitarbeiter*innen im WDR meine Allys geworden, sondern der ganze WDR ist mein Ally. Und das ist etwas, was ich so eigentlich in den Jahren vorher immer als eine Angst hatte. Passiert das? Lacht man über dich, wenn du wirst, wer du bist oder, nein, wenn du, wenn du sagst, wer du eigentlich bist, lacht man über dich, spricht man dir deine Kompetenz ab, kannst du überhaupt noch journalistisch arbeiten? Und all das ist nicht eingetreten. Und das, wie gesagt, das ist das große Glück in meinem Leben.

Boussa:
Ich überlege gerade, vielleicht habe ich das unbewusst auch gemacht. Ich habe ja nach dem Abi angefangen, erst mal bei einem Jugendradiosender zu arbeiten, der ja so in Richtung R&B-Pop ging, würde ich sagen und habe da mein Volontariat gemacht. Und dadurch habe ich wahrscheinlich unbewusst auch mir einen Radiosender gesucht, mit dem man mich sowieso assoziieren würde. Also sprich, ich habe mit vielen Menschen zusammengearbeitet, die vielleicht auch schwarz waren oder einen anderen ethnischen Hintergrund hatten. Und das ist vielleicht so ein kleiner roter Faden, der mich immer durch meine Karriere getragen hat. Auch als ich dann irgendwann zum Hessischen Rundfunk ging und da halt auch festgestellt habe in Frankfurt, das ist es ja auch so ein Teil, würde ich sagen, in Deutschland, wo es sehr viele multikulturelle Personen gibt, die aufeinandertreffen. Und da habe ich auch sofort das Gefühl gehabt, so, was die Redaktion anbelangt, dass die sehr divers ist. Und das hat mir vielleicht auch in meiner Arbeit geholfen.

Es ist auch nach wie vor so, dass ich immer sozusagen die Fühler danach ausstrecke: Wer kann das nachempfinden? Aber ich glaube, dass ist immer so auf einer unbewussten empathischen Ebene, wo man sich dann mal zusammensetzt und im Garten nach Feierabend oder auf der Dachterrasse mit anderen Menschen spricht und dann so ein bisschen locker lässt und auch so ein bisschen seine Rüstung, die man so im alltäglichen Leben hat, ablegt. Aber es ist schon immer noch, finde ich, auch ein Kampf. Ich weiß gar nicht genau, ob ich sozusagen die Person bin, die von sich selbst da noch mal zu selbstkritisch ist oder die Brille aufsetzt und dann versucht, mit der weißen Perspektive… meine Mutter, wie gesagt, ist ja weiß, die ist sozusagen immer vor uns gegangen mit meiner Schwester und mir. Wir konnten sozusagen immer die Räume betreten und haben dadurch, und ich muss auch sagen, das Glück gehabt, in Berlin aufgewachsen zu sein. Also das ist, glaube ich, auch nochmal ein großes Privileg für mich gewesen. Aber ich konnte mich deshalb auch immer wahnsinnig gut, sozusagen assimilieren und anpassen. Und ich weiß manchmal nicht genau, ob ich sozusagen das erfülle, was andere von mir erwarten oder ob ich wirklich authentisch bin in meiner Arbeit.

Jonas:
Jetzt sind wir natürlich, sage ich mal, allein durch die Tatsache, dass wir hier zu dritt sitzen und diesen Podcast aufnehmen und die Möglichkeit haben zu sprechen und gehört werden, ja in einer sehr privilegierten Situation. Diese Unterstützung, dieses Allyship, ist es auch etwas, was ihr versucht trotz alledem irgendwie auch weiterzugeben aus dieser Funktion? Ich meine, Georgine, du bist Studioleitung, du bist Chefin. Du hast die Möglichkeit, ja auch noch mal auf, auf dieser Ebene Sachen zu verändern. Also habt ihr das Gefühl, dieses Privileg, was ihr erfahren habt, einfach weiterzugeben?

Georgine:
Also Boussa hat eben mal gesagt, dass sie als Journalistin keine Aktivistin für ihr eigenes Thema ist. Und da habe ich sofort für mich gesagt: ich auch nicht. Weil das geht nicht, weil ich fühle mich dann….ich fühle mich befangen. Manchmal sind bei uns im Programm Beiträge über queere Themen. Von denen wusste ich gar nicht, dass Kolleginnen und Kollegen daran arbeiten. Manchmal fragen sie mich um Rat. Dann sage ich: wen könntet ihr anrufen, an wen könnt ihr euch wenden? Aber ich würde, wenn ich selber tätig würde, das immer deklarieren und sagen, hier ist jemand, der jetzt aus eigener Perspektive erzählt, wie es ist.
Aber… ganz tolle Geschichte… wir hatten die Anfrage einer jungen Frau, die gerade Abitur gemacht hatte und die für das Journalismus-Studium in Dortmund ein Praktikum brauchte. Und sie hat eine sehr schwere Behinderung, sitzt in einem riesigen Rollstuhl. Wir sind nicht überall barrierefrei, es war ein Akt, und sie braucht quasi eine Betreuung. Und all das haben wir gemeinsam mit den zuständigen Stellen im WDR möglich gemacht, und sie hat dann bei uns dieses sechswöchige Praktikum gemacht, und sie hat ein ganz tolles Praktikum abgeliefert. Und sie kam dann und war in der ersten Woche bei den Onlinereporter*innen, und da ist dann jeden Tag der Dienst besetzt, und sie ist dann immer mitgegangen und hat da auch viel auf sich genommen, um überhaupt die Orte zu erreichen. Das war aber auch immer eine Gemeinsamkeit. Und am Freitag der Woche hatten wir dann keinen Onlinereporter. Und dann haben wir gesagt: Möchtest du? Und dann hat sie das gemacht. Und sie ist dann mit ihrem Assistenten nach Schalke gefahren. Da war ein großes Fußballspiel bei Schalke 04. Und dann hat sie da eine Online-Reportage gemacht, die so großartig war. Und am Ende hat sie in ihrem Rollstuhl mit Fans vor dem Stadion getanzt. Und das ist dann auf Facebook gelaufen und das war eben auch etwas, dass das Team gesagt hat: Nicht nur wir haben ihr die Möglichkeit gegeben, sondern sie hat uns auch etwas gegeben. Und das würde ich jederzeit wieder machen.

Boussa
Ich überlege gerade – auch da bin ich schon wieder sehr selbstkritisch. Und ich würde behaupten, aktuell so wie ich arbeite und wie mein Privatleben sich auch gestaltet, unterstütze ich tatsächlich wenig Menschen, das muss ich sagen. Das ist etwas, was ich mir vielleicht auch auf die Agenda setzen sollte, weil das total wichtig ist, die Räume zu öffnen. Also ich habe immer sozusagen ein Gefühl für Diskriminierung. Und ich unterstütze sozusagen immer in dem Moment, wenn ein Praktikant in unsere Redaktion kommt und der einen anderen kulturellen Hintergrund hat, dass ich dann auch sofort zu ihm sage: Wollen wir zusammen Mittagessen? Oder wir sitzen dann mal zusammen auf der Terrasse und ich versuche, ihm immer sofort Hilfestellungen zu geben. Weil es gibt nun mal einfach einen Unterschied zwischen – egal, welche Kompetenzen man hat – wie fühlt man sich in einer Redaktion? Und dann nehme ich dann diejenigen sofort mit und sage so: Und jetzt lassen wir mal ganz entspannt los – wie geht’s dir hier? Dann merkt man, dass diese Menschen zum Beispiel auch sagen, dass sie sich in ihrer Art, wie sie sich ausdrücken, beobachten, auch egal, was sie gemacht haben, Bachelor, egal, sie fühlen sich immer sozusagen in einer Situation, wo sie beobachtet werden und sich selbst dabei dann auch beobachten. Und diese Ängste versuche ich dann zu nehmen. Oder ich habe jetzt vor kurzem einen Demokratietag moderiert. Und da gab es ein Einstiegs-Video, wo man versuchen wollte, auf eine sehr nette Art zu beschreiben, wie Schwarze Menschen dann von anderen gesehen werden, die vielleicht etwas älter sind, die wählen dürfen, also mündig sind, aber da die falschen Begriffe verwenden und „dunkelhäutig“ war da so noch das entspannteste Wort. Und dann ging es aber weiter mit dem N-Wort und das wurde dann auch ausgesprochen. Ich habe verstanden, was sie damit machen wollten in dem Video, aber ich fand, das war einfach überhaupt nicht mehr zeitgemäß, nicht angemessen. Und deshalb habe ich das natürlich dann auch gespiegelt und an diejenigen weitergegeben und gesagt, bevor wir in diesen Demokratietag gehen, könnt ihr das bitte piepsen, weil ich möchte nicht da auf einer Podiumsdiskussion sitzen und vorher das N-Wort ausgesprochen gehört haben. Also das sind immer so kleine Momente, wo ich versuche, dann Dinge vielleicht zu verändern oder halt Menschen zu empowern. 

Georgine:
Haben sie das verstanden? 

Boussa:
Ja, sofort, sofort!  Also die meisten sind dann auch einfach sehr offen und dankbar. Oder genau das ist ja auch wieder das Positive. Wir befinden uns in so einer Art Transformation, in einem Umbruch. Es wird wahrgenommen, aber es ist natürlich für manche immer noch zu langsam, zu wenig.

Georgine:

Also, das finde ich auch das Tolle. Es gibt häufig Menschen, die ärgern sich darüber, wenn sie falsch gegendert werden oder so. Viele Menschen misgendern, weil sie es nicht anders kennen. Und wenn man sie dann darauf aufmerksam macht, dann machen sie das auch nicht mehr. Und ich finde, jeder hat das Recht, Fehler zu machen. Ein, zwei Mal und dann auch zu lernen, so wie ich auch Fehler mache.

Boussa:

Natürlich. Aber das ist zum Beispiel auch ein vielleicht interessantes Beispiel, was man jetzt hier veranschaulichen kann: Wir haben ja, bevor der Podcast los ging, noch einmal die Position geklärt. Also, du hast, Jonas, uns gefragt: wie soll ich euch anmoderieren? Muss ich irgendwie sagen, weil es ein Podcast ist, dass du eine Schwarze Journalistin bist? Und dann habe ich gesagt „nö“, reicht auch, wenn man das einfach sagt und dann kann man im Laufe des Gesprächs, also dann kristallisiert sich schon heraus, dass man vielleicht auch einen anderen Kontext hat. Bei dir genauso Georgine. Was ich damit sagen will: auch wir sind ja immer Lernende und immer Menschen, die offen auf andere zugehen. Und das ist, glaube ich, aber auch die Sensibilität, die wir haben. Also es gibt ja nichts Schlimmeres, als zu meinen, man wüsste wie es geht oder wie man jemanden bezeichnet und es dann einfach macht. Und ich glaube, dass diese Sensibilität, die haben wir alle, dass wir immer vorher fragen: wie darf ich deinen Namen aussprechen? Zum Beispiel, dass es bei mir auch immer ganz oft, weil Namen sind Nachrichten und ich höre ganz oft natürlich Buh-sa Thie-am oder weiß ich nicht. Deshalb bin ich da auch sehr sensibel. Wie spricht man Namen aus? Und schäme mich natürlich unendlich, wenn ich den Namen dann doch wieder falsch ausspreche. (lacht)

Georgine:

Bei wem ich zum Beispiel sehr viel über Menschen mit Behinderungen, Probleme für Menschen mit Behinderungen etc. lerne, ist Raul Krauthausen. Der hat auf Twitter ja quasi immer wieder mal Dinge, die er veröffentlicht. Da geht es dann manchmal um soziale Probleme, um finanzielle Probleme, Anerkennungsprobleme. Und dann sitze ich davor, lese das und denke: verflucht noch mal, das ist dir gar nicht bewusst gewesen. Auch da muss ich noch eine Menge lernen.

Boussa:

Absolut. 

Jonas:

Um jetzt nochmal auf den Journalismus und die Vielfalt zurückzukommen. Also wenn man auf die Berichterstattung guckt, habe ich häufig das Gefühl, das aber auch Journalist*innen, die Schwarz sind, die eine Behinderung haben, deren Wurzeln woanders liegen, die Migrationserfahrungen haben, dass die eingesetzt werden, dass ihre Identität genommen wird und instrumentalisiert wird. Also, wenn man sich anguckt: Das Satiremagazin „extra3“, Olivia Jones war zum Beispiel beim Parteitag der NPD oder das generell Reporter*innen, die eben vielleicht einen ausländischen Namen haben, allein das reicht schon. Die werden dann irgendwie zum AfD- Parteitag geschickt oder Reporter*innen, die ein Kopftuch tragen, auch die dann immer in diese Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Geschichten, ja reingenommen werden, wo ich das Gefühl habe, okay, ist das teilweise nötig? Was bringt das, diese Konfrontation? Es ist anscheinend dann eben nicht egal, welche Person da die Reportage macht, sondern es wird wirklich bewusst diese Identität herausgepickt.

Boussa:

Also da finde ich zwei Sachen dran problematisch. Zum einen, man ist ja mündig. Gut, man muss natürlich auch immer ein bisschen schauen, dass man auch da monitär bleibt. Aber man kann ja trotzdem Grenzen definieren. Und ich habe zum Beispiel ganz klare Grenzen. Und eine davon ist, dass ich mich einfach nicht mit rechten Menschen oder Faschisten auf ein Panel setzen werde. Und ich werde auch nicht zu einem Parteitag gehen, weil das ist einfach für mich dann auch emotional zu stark. Das kann ich gar nicht als sachlich gut informierte, dann Journalistin, aushalten. Da bin ich, glaube ich, zu schwach für. Und das andere ist, aber auch das habe ich ja zu Beginn schon einmal gesagt, das ist natürlich der Begriff „Tokenism“. Habe ich mal nachgeschaut, der basiert ja auf einem Begriff der US Soziologin Rosabeth Moss Kanter. Der wurde Ende der 1970er entwickelt und der bezeichnet das ungewollte Einnehmen einer Alibifunktion von einer marginalisierten Person innerhalb von einer Gruppe. Und das ist natürlich das, was auch niemals stattfinden sollte, was aber natürlich oftmals stattfindet.

Georgine:

Ich gebe dir völlig recht, dass man als Journalist*in natürlich Grenzen setzen kann. Ich stelle mir nur gerade einen jungen Menschen vor, aus einer marginalisierten Gruppe. Der sitzt in der Redaktion und plötzlich kommt in der Redaktion jemand auf die Idee und sagt: Du trägst doch Kopftuch, geh doch mal da und dahin mit der Kamera. Und ich habe auch Journalist*innen erlebt, die gesagt haben: als jemand mit türkischen Wurzeln, ich bin nicht eure Alibi-Türkin. Wir haben sie trotzdem nicht als Autorin hingeschickt, aber weil sie die Sprache sprach und das wusste sie ganz genau, das haben wir auch vorher thematisiert. Ich habe das total begriffen, dass sie sagt, ich bin nicht eure Alibi-Türkin. Das ist eben im Ruhrgebiet oder in Berlin sicherlich auch nochmal ein ganz wichtiger Punkt. Nichtsdestotrotz finde ich, müssen auch Redaktionen sensibel dafür sein. Also ich kann mir nicht vorstellen, jetzt als trans Frau, weil ich trans Frau bin, zur AfD zu gehen oder so. Ich gehe da als Journalistin hin, sofort, aber nicht, dass jemand auf die Idee kommt und sagt „du gehst da als trans Frau hin“, um mit denen über das Transsexuellengesetz zu reden, weil du dann deine eigenen Interessen vertrittst. Da hätte ich dann ein Problem mit. Aber ich kann junge Menschen verstehen, die dann in so einer Zwangslage sind. Auf der einen Seite wollen sie nicht Token werden. Auf der anderen Seite wollen sie natürlich den Job machen. Und ich glaube, da müssen wir und du bist ja auch schon quasi…

Boussa:

…ein alter Hase. (lacht)

Georgine:

Du hast auf jeden Fall eine gewisse berufliche Autorität. Da müssen wir sensibel sein.

Boussa:

Absolut. Da spielt ja auch wieder Allyship rein, dass man sich dann verbündet mit denjenigen und sagt: Nein, das geht so nicht, das können wir nicht machen. Oder das übersteigt vielleicht dann auch die Kompetenz der Person, weil sie gar nicht weiß, was da alles für Eventualitäten auf sie zu kommen.

Jonas:

Aber geht es auch ein bisschen darum: Wer darf über was berichten? Oder wer darf über welche Themen sprechen? Also das? Es spielt ja auch so ein bisschen mit rein. Also, dass wir auf der einen Seite sagen: Wir wollen die Selbstvertretung haben. Wir wollen Expert*innen in eigener Sache haben. Demgegenüber steht natürlich der Journalismus. Als Journalist liest man sich in Themen rein und beschäftigt sich mit Dingen, die eben nicht der eigene Alltag sind. Ich bin ja kein Richter, nur weil ich irgendwie Gerichtsreporter bin oder so, sondern ich habe mich in diese Themen eingelesen und reingefuchst im wahrsten Sinne des Wortes. Also dieses auf der einen Seite Expert*in sein in eigener Sache und dafür auch eben sprechen können, diese Expertise reinbringen, auf der anderen Seite eben sich mit komplett anderen Themen auseinandersetzen.

Georgine:

Das kommt immer darauf an, wie man das journalistisch einordnet. Ich sage noch mal, dass das Beispiel von der Kollegin, die im Rollstuhl saß, die das Praktikum bei uns gemacht hat. Die hatte uns irgendwann morgens mal erzählt, wie schwierig es für sie ist, zur Arbeit zu kommen. Weil am S-Bahnhof der eine Aufzug kaputt ist, muss sie erst in die Gegenrichtung fahren, bis zu einem Bahnhof, wo der Aufzug funktioniert. Runterfahren, auf der anderen Seite wieder hoch, um dann in den Zug zu steigen, das hat sie uns erzählt. Und dann haben wir gesagt: das ist ein Thema, das kannten wir ja nicht. Wir können doch die Treppe gehen. Das ist ein Thema, und das hat sie dann auch realisiert. Und da war dann auch noch eine Kollegin dabei. Da stand natürlich auf dem Bürgersteig ein Auto geparkt, an dem sie nicht vorbeikam. Dann musste sie mit ihrem Rollstuhl über die Straße fahren, was auch gefährlich ist und so weiter. Das war der Bericht aus der Eigenperspektive. Das war ein journalistischer Ansatz zu sagen, du schilderst uns einfach mal diese Malaise im Straßenverkehr und dem öffentlichen Personennahverkehr, mit dem sie sich jeden Tag rumschlagen muss. Man kann auch die Georgine fragen: Georgine, du bist doch, du hast dich offenbart. Das Thema Hass im Netz ist ein Thema, erzählt uns mal aus deiner Perspektive, wie du den Hass im Netz erlebst. Würde ich sofort mitmachen. Das hat ja nichts mit Alibifunktion zu tun, sondern das ist ja quasi ein Erlebnisbericht. Und bei dir Boussa kann ich mir super vorstellen, dass man sagt: du lebst jetzt seit 40 Jahren in Deutschland also, du bist in Deutschland geboren, du bist 40 Jahre alt, hier geboren. Wie war das eigentlich vor 30 Jahren, als du als Schwarz gelesen wurdest und wie ist das heute? Finde ich eine total spannende Frage,

Boussa:

Die du jetzt direkt an mich gibst? (lacht) Ja, aber dann hat es ja immer so eine persönliche Ebene auch, die man immer wieder in einen politischen Kontext packen kann. Oder so etwas. Aber wenn wir jetzt noch einmal darüber nachdenken, wer sollte mit auf einer Podiumsdiskussion sitzen? Zum Beispiel, demnächst moderiere ich ein Panel da geht es um feministische Familienpolitik. Wenn da jetzt drei Männer säßen, wäre ich bei dem Thema überfordert. Also ich könnte natürlich trotzdem sorgfältig alles recherchieren. Ich könnte sie konfrontieren mit Zahlen und hätte sozusagen meine feministische Perspektive. Aber ich finde es trotzdem schwierig, weil ich auch in dem Moment natürlich Sichtbarkeit wichtig finde, dass es auch eine Person gibt, die ja vielleicht auch schon ein Buch publiziertert hat, in dem sie sich mit Familienpolitik auseinandergesetzt hat. Also deshalb finde ich, so ist es gut, wenn es einfach da auch so eine Art von Balance gibt. Es müssen jetzt nicht, wenn es um Rassismus geht, da vier Schwarze sitzen. Das finde ich auch Quatsch. Vor allem welche Position nehmen die ein? Aber es ist natürlich auch immer wichtig, dass man vielleicht jemand hat, der – ich mag dieses Wort mittlerweile fast auch schon nicht mehr – „betroffen“ ist. Wie siehst du das Jonas?

Jonas:

Ja, also ich finde auf der einen Seite, und das ist ja beim Thema Allyship auch so ein bisschen mit drin, wir brauchen Fürsprecher. Ich glaube, alleine in unserer eigenen Community kommen wir nicht weit, wenn wir uns nur auf uns selbst verlassen. Und das bedeutet eben, dass wir quasi gerade, wenn wir zum Beispiel über den Bereich Journalismus sprechen: Wir brauchen in den Führungsetagen Leute, die keine Behinderung haben. Wir brauchen die als Fürsprecher, um überhaupt einen Fuß in die Tür zu kriegen. Wir brauchen Leute, die eben nicht betroffen sind, die uns mit reinholen. Und deshalb brauchen wir auch diese Vielfalt. Wir brauchen eben auch Leute, die nicht betroffen sind und eben auch genauso die gleichen Ansichten haben wie wir

Georgine:

Das schöne oder ich erlebe, dass das schön ist. Im Moment ist es ja so, dass marginalisierte Gruppen sich gegenseitig Allyship geben und das erlebe ich viel intensiver als noch, ich sag mal vor zehn Jahren, das ist ja schon mal ein super Schritt. Und ich erlebe aber auch das, was du gerade gesagt hast, dass Menschen, die mit Marginalisierung nichts zu tun haben, sich mit der Thematik beschäftigen und dann auch wirklich unterstützend tätig werden, sei es in den Personalmanagements oder aber auch in den Führungsetagen, sei es in den Vorständen. Es gibt zunehmend Menschen, die sagen, wir müssen die marginalisierten Gruppen auf dem Schirm haben. Ich unterstelle dem einen oder anderen, dass er durchaus weiß, dass natürlich seine Auswahlmöglichkeiten größer werden, wenn er mehr Menschen zulässt. Aber das ist ja dann wie ein positiver Kollateralschaden. 

Jonas:

Ich habe ja auch so ein bisschen das Gefühl, dass eigentlich, wie du gesagt hast, dass die marginalisierten Gruppen unter sich sich eigentlich sehr unterstützen, aber dann manchmal versucht wird, von der Mehrheitsgesellschaft dazwischen so einen Keil zu treiben. Also, ich fand immer die Diskussion – du hast eben übers Gendern gesprochen, das von außen gesagt wird: ja, da sind sich ja quasi die queere Community und die Community der Menschen mit Behinderungen, insbesondere der der blinden und sehbehinderten Menschen, die ein Screenreader benutzen, die sind sich ja gar nicht einig. Weil gesagt wird, okay, die queere Community möchte das Sternchen. Aber die blinden Menschen sagen ja, mein Screenreader liest immer das Sternchen aus. Also dann sind es quasi Journalist-Sternchen-innen und solange das überhaupt nicht funktioniert, dann lassen wir es ganz. Und inzwischen ist es aber auch so, dass der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband eindeutig sagt, es geht hier um Repräsentanz. Und die queere Community sagt eindeutig, das Sternchen ist unser gewähltes Symbol. Und die Community der Blinden und Sehbehinderten sagt: Okay, wir können technisch unsere Screenreader anpassen. Das ist kein Problem. Deshalb einigen wir uns gern. So gehen wir einen Schritt auf euch zu und sagen, eigentlich technisch war bislang der Doppelpunkt angenehmer. Aber wir versuchen, die Technik so zu beeinflussen, dass wir das Sternchen nehmen.

Georgine:

Danke, dass du mir das erklärt hast. Das ist ja super. 

Jonas:

Und das ist quasi so etwas, wo ich sage: okay, es funktioniert doch. Und gleichzeitig aber, wie wir eben gesagt haben, eigentlich ist dieses Spannungsfeld auf der einen Seite zu sagen: wie aktivistisch und Selbstvertreter*in darf man im Journalismus sein. Also wie viel Aktivismus verträgt das auch? Und wie klar muss man das wirklich trennen und sagen: Okay, hier bin ich jetzt als journalistische Personen unterwegs, hier bin ich als Aktivist*in unterwegs, und ich finde das ist nicht leicht.

Boussa:

Nee, das ist auf gar keinen Fall leicht. Aber ich, also für mich ist es am sinnvollsten, sozusagen einen vielleicht umgedrehten oder einen auf einer Metaebene sozusagen den Aktivismus zu begehen, weil ich möchte ja als schwarze Journalistin und Moderatorin nicht verstanden werden als eine, die sich nur auf Grund ihrer Diskriminierung mit diesem einen Thema auskennt, sondern ich möchte auch beweisen, das sich durchaus auch fähig bin, über andere politische Diskurse zu sprechen und die sorgfältig zu recherchieren. Ich bin immer froh über natürlich Redigieren der Texte und alles, was dazugehört. Aber damit repräsentiere ich ja auch dann eine Form des Journalismus, der vielleicht inspirierend dann irgendwie ist für andere, die auch sagen, ja, man kann auch in den Journalismus gehen, ohne zu sagen ja, ich bin Boussa und natürlich kenne ich mich nur mit dem Thema Rassismus aus.

Georgine:

Ich weiß nicht, ob ihr sie kennt, aber auf Twitter gibt es eine Rollstuhlfahrerin, Jule Stinkesocke, sie hat einen sehr großen Account und mit der habe ich mich mal ausgetauscht und gefragt. Sie lebt in Hamburg und ist eine wirklich Kluge auch und kann sich nicht nur zu Themen äußern, die zum Beispiel die Absenkung vom Bürgersteig für Rollstuhlfahrer betrifft. Und dann habe ich gefragt, sag mal, wie oft bist du eigentlich mal zu allgemeinen politischen Themen gefragt worden? Sie: nie. Es geht immer nur darum, wo sind Hürden für Rollstuhlfahrer? Und da müssen wir uns und das sage ich jetzt quasi auch in die Redaktion, mal an die eigene Nase packen und sagen, wir haben natürlich immer dieselben Menschen auf der Liste stehen, wenn es um bestimmte Themen geht, warum denken wir nicht mal einen Schritt weiter und laden auch solche Menschen mal ein? Weil mit jedem Interview das wir machen, werden sie sichtbarer. Und ich erinnere mich an eine Szene bei der BBC. Da hat ein Reporter einen Beitrag gemacht über Kirkenes, über den Eisenerzabbau in Kirkenes, und das ist ja da oben. Das ist eine wilde Gegend und so weiter. Und als der Reporter dann im Bild war, saß er im Rollstuhl. Und dann habe ich gedacht, mein Gott, wo hab ich das in Deutschland schon mal gesehen? Nicht mal in der Fußgängerzone, wo sie zugänglich wäre, sehe ich das. Und da ist der unterwegs in Kirkenes und macht eine Reportage für die BBC. Und ich habe den Eindruck, die sind dann noch mal einen Tacken weiter, als wir das sind.

Boussa:

Ja.

Jonas:

Müsste man das eigentlich auch, sage ich mal, aus der eigenen Perspektive, dann auch vielleicht manchmal ablehnen, nur über die Sachen zu sprechen, über die man quasi selber die ganze Zeit nachdenkt…

Boussa:

oder betroffen ist? Ja absolut, mach ich. Also versuche ich zumindest schon. Oder ich kritisiere es dann zumindest auch öffentlich, dass ich sage ‘Ach, Mensch, wieder ein Panel, wo es um Diversität geht.’

Jonas:

Wie genervt seid ihr heute, dass ihr heute hier seid und auch wieder darüber redet?

Georgine:

(lacht) Nein, das war ja eine schöne Verabredung letztes Jahr, und ich finde das auch eine schöne Runde. Also Nein, Nein, überhaupt nicht genervt. Aber ich sage jetzt mal ein Beispiel: die Kollegen in Duisburg von der Lokalzeit haben vor, ich glaube vor zwei Jahren, haben die einen Beitrag gemacht zur Universiade. Da habe ich viel berichtet, als Georg damals noch. Ja und dann haben die mich angefragt, ob ich als Gesprächspartnerin ins Studio kam. Und und da war mein Thema überhaupt kein Thema, sondern es war die Universiade. Und das hab ich noch mal lieber gemacht als zu meinem Thema in die Öffentlichkeit zu gehen, weil es offensichtlich ist. Und wenn sie mich als Reporterin rausschicken, dann gehe ich zu Hochwasseropfern, oder ich gehe in einen Kleingartenverein und berichte darüber, wie macht man den Garten für den Herbst fertig und so weiter. Und da ist nicht das trans-Thema das Thema, sondern da ist eine Journalistin, die früher mal als Journalist gelesen wurde und die heute als Reporterin unterwegs ist. Und die Leute, das ist das Allerschönste, es gibt fast ausschließlich positive Rückmeldungen.

Boussa:

Ja, also, ich kann auch nur noch ergänzen, dass ich euch beide ja auch kenne und mag. Und dann ist sozusagen für mich da auch die Hemmschwelle kürzer. Wir haben ja auch so eine Art Herzensbildung alle. Da ist der Weg dann manchmal intuitiv, und da schaue ich dann nicht wie viele Panels, Interviews habe ich dieses Jahr zu dem Thema gemacht, ne, da muss ich jetzt ablehnen, sondern da ist es dann einfach auch impulsiv, dass ich denke, ja, das ist mein Impuls. Das ist wichtig. Wir reden über Journalismus und haben unsere verschiedenen Perspektiven. Und je mehr das Menschen inspiriert oder hören, umso besser.

Jonas:

Also quasi eigentlich die Vielfalt in den Mainstream zu packen ist eigentlich das erklärte Ziel. Also in unserer Community, der Menschen mit Behinderungen, heißt es dann Disability Mainstream, also das Behinderung immer und überall mitgedacht wird. Also wir machen ja auch mit unserem Projekt Leidmedien ein paar Workshops, wir gehen ja auch in Redaktionen rein und zeigen Positiv- und Negativbeispiele und haben halt irgendwie Medienbeispiele, wo es, glaube ich, um Werbung für eine Eiscreme Firma geht. Und dort ist eine Gruppe von Menschen zu sehen, und eine Person sitzt im Rollstuhl ganz selbstverständlich. Und es geht weder um Barrierefreiheit oder Inklusion. Es geht um Eiscreme. Was sind für euch so Punkte oder auch so Herzensthemen, wo ihr sagen würdet, das wäre eigentlich das, wo ihr aus der Vielfalt-Perspektive eigentlich vor die Kamera, vors Mikrofon treten würdet und Mal intensiv darüber sprechen wollt, weil das ein Thema ist, was euch interessiert, was jetzt eben nicht mit Rassismus, Queerfeindlichkeit oder Ableismus zu tun hat.

Boussa:

(seufzt) Ja, super. Jetzt sind wir sozusagen in der Situation des Wünschens. Also ARTE, liebe Grüße, (lacht) hiermit bewerbe ich mich für folgendes Format… Nein, also ich mag tatsächlich eigentlich auch die Bereiche, in denen ich mich bewege. Das sind ja alles so gesellschaftspolitische, kulturelle Bereiche und die decke ich, glaube ich, ganz gut ab. Und da fühle ich mich tatsächlich auch schon sehr wohl mit. Und alles andere, da müsste ich jetzt darüber nachdenken. Ich glaube, mich interessieren, dann natürlich so die fundamentalen Themen.

Georgine:

Mein Ziel ist, dass irgendwann, nicht irgendwann, in naher Zukunft, ein Mensch, der so ist wie ich, einen Kommentar in den Tagesthemen spricht zum Waldsterben, zum Klimawandel, zum Haushalt der Bundesregierung, aber nicht zum Thema trans. Und ich wünsche mir, dass irgendwann jemand die Tagesthemen moderiert, der oder die im Rollstuhl sitzt, aber nicht, weil sie im Rollstuhl sitzt, sondern weil sie eine superkluge Journalistin ist. Und wenn sie irgendwo auf die Idee kommen, mich einzuladen, weil sie sagen, kannst du uns ein bisschen mal was erzählen, über was das Tolle am Journalismus oder so ist, dann komme ich gerne, aber ich möchte nicht eingeladen werden… Doch natürlich würde ich auch eingeladen werden wollen wegen meines Themas, weil diese Sichtbarkeit extrem wichtig ist. Aber ich sage dem Zustand der Normalität, kommen wir näher, wenn die ersten Dinge erfüllt sind.

Jonas:

Also ich merke manchmal, dass gerade auch in der Diskussion, wenn es um Vielfalt geht, von außen gesagt wird: ja, das ist doch eigentlich egal. Ich stelle Leute ein. Es ist egal, ob sie ein Mann oder eine Frau sind…

Boussa:

Ja ja, ich sehe keine Farben… 

Jonas:

Genau so! Und wo ich immer häufig sage: Okay, das ist vielleicht die Utopie. Das ist vielleicht das, wo wir irgendwann in Jahren hinkommen können, wenn wir wirklich eine Gleichberechtigung haben. Aber zum Stand jetzt gerade ist es so, müssen wir eben auf unsere Themen, auf die nicht vorhandene Diversität oder in vielen Bereichen nicht vorhandene Diversität aufmerksam machen und müssen eben uns trotzdem immer noch mit unserer Identität ins Schaufenster stellen. Es reicht nicht, nur im Mainstream unterwegs zu sein, weil wir es aktuell nicht sind, sondern wir müssen eben immer noch teilweise eben aktivistisch unterwegs sein und eben auf ableistische Themen, rassistische Themen, queerfeindliche Themen aufmerksam machen.

Georgine:

Ja, das wird auch so bleiben. Also ich sage immer, ich hoffe, dass wir in 20 Jahren, was queere Menschen angeht, so weit sind, wie wir vor zehn Jahren beim Thema Homosexualität waren, so, das ist gut möglich, dass wir das schaffen, habe ich eigentlich auch keinen Zweifel, dass wir es schaffen. Aber bis dahin ist noch viel Überzeugungsarbeit notwendig. Und Überzeugungsarbeit heißt eben auch Sichtbarkeit. Zu zeigen: Hey Leute, es ist überhaupt nichts Schlimmes. Wir beißen nicht. Ich habe am Sonntag gesagt, ich bin hier, und ich gehe nicht mehr weg.

Jonas:

Boussa für dich, eine Person of Color, die die Tagesthemen moderiert, wäre das der nächste nötige Schritt? Weil ich finde, dieses für Diversität sich einsetzen, das ist ja genauso wie für Inklusion sich ansetzen, das ist ja keine Sache, wo man sagt, dass es irgendwann erreicht und dann sind wir fertig, machen einen Haken hinter und gut ist, sondern es ist ja quasi immer weiter laufender Prozess. Aber was wäre so ein mediales Ereignis, wo du sagen würdest: Wir sind auf dem richtigen Weg, sind fast am Ziel. Wenn man es Ziel nennen kann.

Boussa:

Eine schwarze, behinderte, trans Bundeskanzlerin. (lacht) Ich glaube, dann haben wir es geschafft. Ja, es ist ein Prozess, in dem wir uns befinden. Mir ist gerade noch Jana Pareigis eingefallen. Das ist auch eine super Journalistin. Die arbeitet beim ZDF, und sie bedient ja auch nicht die Themen, von denen man meint, dass sie zu ihr passen, weil sie Schwarz gelesen ist. Ich glaube, es ist tatsächlich vielleicht – jetzt hast du mich so ein bisschen zum Nachdenken gebracht – doch immer wieder wichtig, auch so eine kleine, aktivistische Position einzunehmen. Aber vielleicht tue ich mich deshalb auch noch so schwer damit, weil ich halt da auch für mich so ein bisschen radikal bin und erwarte, dass man das von außen hin halt nicht mit mir assoziiert. Also ich persönlich versuche so kleine Impulse immer wieder zu setzen. Aber ja, also mein Wunsch ist es eigentlich, wie Georgine schon gesagt hat, dass es am Ende gar keine Rolle mehr spielt, sondern es nur noch um die Inhalte und die Kompetenzen geht.

Georgine:

Darf ich noch ein Beispiel nennen aus den USA, weil die USA in dieser Beziehung auch viel weiter sind als wir. Da gibt es National Public Radio, das ist der öffentlich-rechtliche Sender, der bei weitem nicht so weit verbreitet ist, wie das mit öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland ist. Da gibt es eine Show, die heißt The Diane Rehm Show. Diane Rehm ist eine alte, sehr alte Journalistin. Sie ist 1936 geboren, aber sie hat eine Krankheit. Ich weiß es gar nicht, eine spastische Stimmlähmung. Sie spricht also sehr schwer, und trotzdem moderiert sie jede Woche seit vielen, vielen Jahren die Diane Rehm Show, und die Leute schalten sie ein. Die hören sie, und die merken auch, dass da, also es ist hörbar, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Und trotzdem das wird gar nicht thematisiert. Ich musste das gerade extra googeln, weil ich hatte die Problematik noch nie gegoogelt, und das ist normal. In einem deutschen Sender hätte man wahrscheinlich gesagt, wir wissen nicht, ob wir das den Zuhörern noch zumuten können. Und da finde ich es einfach so großartig, dass es überhaupt keine Frage ist.

Jonas: 

Dass die Vielfalt dann eben auch irgendwann die neue Norm wird, weil ich finde, es ist ja nicht das Ziel, dass wir alle gleich sind, sondern es geht einfach darum, dass wir alle die gleichen Rechte haben. Dass wir eben trotz alledem mit unserer Unterschiedlichkeit eben auch sichtbar sind. Weil wir ganz am Anfang ein bisschen über Allyship gesprochen haben, um zum Abschluss diesen Bogen zu spannen. Was würdet ihr denn jungen Menschen raten, die Interesse haben am Beruf des Journalisten, der Journalistin und eben versuchen, einen Fuß in die Tür zu kriegen?

Georgine:

Also inzwischen werden selbst die Ausschreibungen für Volontariate und so auf zum Beispiel queere Menschen zugeschrieben, aber auch auf Menschen mit Behinderungen. Und ich erlebe das so, dass das auch ernst gemeint ist. Ich habe es jetzt erlebt, das zum ersten Mal wieder eine Volontärin bei uns angefangen hat, die kein abgeschlossenes Studium hat, sondern zwei abgeschlossene Berufsausbildungen und da tut sich was, es wird, glaube ich, offener. Und ich kann nur jedem und jeder, die Journalistin werden will, sagen: bewirb dich! Wenn du es nicht schaffst, weil die Möglichkeiten sind ja nun nicht in den Hunderten oder Tausenden, dann versuche es woanders. Macht das, was Boussa gemacht hat, fange mit dem Hochschulradio an oder mit einem Stadtteilradio. Fang schon an, während der Schulzeit möglicherweise als Journalistin unterwegs zu sein. Und das sind dann die üblichen Werdegänge. Also so anti-divers wie das in den 80er-Jahren, wie ich das in den 80er Jahren erlebt habe, ohne dass ich damals selber gesagt hätte, dass ich divers bin, sind wir heute nicht mehr. Und meine Hoffnung ist, dass sich das auch noch weiter entwickelt. Viele haben gemerkt, dass sie diverse Menschen brauchen.

Boussa:

Also ich glaube auch, da würde ich mich anschließen. Es gibt zum einen das Bewusstsein, definitiv, in den Redaktionen. Somit sind auch die Stellenausschreibungen so konzipiert, dass es auch einen Fokus gibt oder er auch gewünscht wird. Und das andere ist auch das, was ich immer versucht habe, proaktiv zu arbeiten. Also ich habe mich auch bei Radiosendern beworben, und ich hab mir versucht, Agenturen zu suchen. Und ich wurde ganz oft abgelehnt, und dann habe ich es halt noch mal gemacht. Und also ich finde es immer ein bisschen schwierig zu sagen, studiere einfach. Dann kommt der richtige Radiosender, bewirbt dich beim Fernsehen und glaub an dich, das sind so komische Aphorismen, die sind doch Quatsch.

Georgine:

Bis auf das „glaub an dich“. Das glaub an dich ist total wichtig!

Boussa:

Ja ja natürlich, aber man scheitert nun mal auch oft. Und es gibt Brüche in der Biografie und Manche kämpfen mit mentaler Gesundheit. Es gibt viele Sachen, die sozusagen Stolpersteine bilden, weshalb man vielleicht nicht das bekommt, was man sich gewünscht hat. Ich komme mir jetzt irgendwie auch blöd vor, aber manchmal lohnt es sich dann vielleicht auch, einen anderen Weg erst mal zu gehen und da nicht verkrampft daran festzuhalten. Also ich glaube, das Leben bietet immer mehrere Möglichkeiten. Und vielleicht findet man über einen Umweg dann den Weg dahin.

Jonas:

Man muss einfach auch einen langen Atem haben.

Boussa:

Es ist ein Marathon und ich bin noch lange nicht am Ziel.

Georgine:

Ich auch nicht! (lacht) 

Jonas:

Und vor allem, weil wir gemerkt haben, es ändert sich etwas, zwar langsam, aber es ändert sich was. 

Boussa:

Es lohnt sich, glaube ich immer, sich breit aufzustellen. Und Ehrgeiz ist vielleicht auch ein Faktor der da so reinspielt.

Georgine:

…und wenn man zum Fernsehen will, Eitelkeit. (lacht)

Boussa:

Deshalb bin ich ein Radiogesicht. (lacht)

Jonas:

Vielen Dank, dass wir uns heute hier getroffen haben und ein bisschen über Vielfalt im Journalismus sprechen konnten. Wenn ihr Interesse habt an vielfältigen Journalismus schaut gerne mal auf www.dieneuenorm.de vorbei. Und Informationen zu dieser Episode haben wir euch natürlich auch in unserem Shownotes von diesem Podcast verlinkt auch das alles auf www.dieneuenorm.de. Vielen Dank, dass ihr da wart. 

Boussa:

Ich danke für die Einladung. 

Georgine:

Freue mich auch, dass ich dabei sein durfte. 

Jonas:

Und wir freuen uns, wenn ihr dann auch wieder beim nächsten Mal mit dabei seit. Tschüß!

Das waren starke Zeilen? Dann gerne teilen!

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