Kinder und Behinderung Transkript

Lesezeit ca. 15 Minuten

Wie reagieren Kinder auf Menschen mit Behinderung? – „Die Neue Norm“: Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raul Krauthausen sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.

Raul:
Kinder sind ja immer wieder super, wenn man auf sie trifft. Im Bus sitzt man im Rollstuhl ja neben dem Kinderwagen – und da hat mir neulich ein Kind im Kinderwagen seinen Schnuller angeboten. Das fand ich nett.

Judyta: – lacht –
Begegnungen auf Augenhöhe

Jonas:
Herzlich Willkommen zu Die Neue Norm – dem Podcast. Heute geht es etwas kindisch zu bei uns – vielleicht auch etwas albern. Denn wir haben das Thema, wie Kinder auf Behinderung reagieren, bzw., wie man seine Kinder so erziehen kann, dass sie vernünftig und nett auf Menschen mit Behinderung reagieren. Und Judyta Smykowski und Raul Krauthausen sind hier.
Judyta/Raul: Guten Tag /Hallo.
Jonas:
Mein Name ist Jonas Karpa. Wie reagieren Kinder auf Menschen mit Behinderung?

Judyta:
Ich hatte da mal echt ein süßes Erlebnis. Kam mit meinem Rollstuhl in das ICE-Abteil. Und da war er schon eine Mutter mit Kinderwagen und einem Kleinkind. Das Kleinkind guckt mich natürlich an. Kinder gucken sehr viel und sehr lange. Aber es ist auch okay für mich. Und dann sagt das Kind zu seiner Mama: „Mama, gibt es auch Prinzessinnen im Rollstuhl?“

Jonas:
Oh, zuckersüß.

Judyta:
Dahabe ich mich schon sehr besonders gefühlt. – lacht –

Raul:
Und was hat die Mutter geantwortet?

Judyta:
„Ja, natürlich!“ hat sie gesagt, und da habe ich die Mutter auch sehr gefeiert dafür, dass sie so cool reagiert hat.

Jonas:
Hat die Mutter wenigstens noch quasi so mit Blicken oder mit Gesten gezeigt: „Ja, natürlich gibt es Prinzessin im Rollstuhl. Guck mal da… hier!“

Judyta:
Nein, Das hat sich dann in meinem Kopf abgespielt.

Raul:
Du hast das gleich auf dich bezogen?

Judyta:
Ja, natürlich! – lacht –

Jonas:
Ja, sei dir aber auch gegönnt. Gibt es noch andere Erlebnisse? Raul hast du auch etwas erlebt? Wie reagieren Kinder auf dich?

Raul:
Ich finde es manchmal ganz amüsant,, wenn ich so durch die Stadt fahre und dann im Hintergrund, so hinter deinem Rücken dann Kinder Beobachtungen sagen hört, so etwas wie „Guck mal, Mama, ein BabyMann!“
Alle lachen –

Raul:
Die Beschreibung finde ich, ehrlich gesagt, aus so einer Kinderperspektive ziemlich zutreffend, weil ich bin klein wie ein Baby. Aber ich habe einen Bart und eine Mütze wie ein Mann. Und irgendwie ist es dann so die Kombination aus beidem, der BabyMann. Deswegen kann man das Kindern finde ich nur bedingt vorwerfen, wenn sie das, was sie sehen, beschreiben,

Judyta:
Also vorwerfen würde ich’s denen nicht. Bei mir war das auch mal so – immer halt, die Krücken auszuprobieren oder den Rollstuhl ausprobieren, ist ja voll im Kurs bei Kindern. Also „Darf ich auch mal kurz fahren?“ oder „Darf ich dich schieben?“

Raul:
Aber erst, wenn man die Kinder länger kennt oder?

Judyta:
Hmm, ja, in dem Fall war dasdie Nichte von meinem Freund.

Raul:
Genau. Aber jetzt nicht irgendwelche strangen (fremden) Kinder auf der Straße…

Judyta:
Ja, ja, genau! Und die hat dann meine Krücken mal genommen. Also, ich bin so groß wie sie, sie ist jetzt neun, und irgendwann wird sie dann auch größer als ich sein. Das ist so ein Battle bei uns. Und dann hat sie meine Krücken genommen und meint das „Voll cool eigentlich, damit zu laufen“ und hat das natürlich so springend gemacht, als hätte man ein Bein gebrochen. Dieses typische, auf einem Bein so springen. Dann meinte sie „Ja, ich will auch mal Krücken haben. Aber nein, das wäre ja eigentlich doof…“ hat sie dann gesagt „…weil dann hätte ich ja die ganze Zeit die Beine gebrochen!“ Und das war so nur auf dieses Beinbrechen bezogen, nicht auf das Dauerhafte.

Raul:
Ja, die Frage ist, wenn Kinder den Wunsch äußern, ein Hilfsmittel besitzen zu wollen, weil es irgendwie cool ist, oder Spaß macht, damit herumzufahren, schenkt man dann dem Kind einen Rollstuhl, auch wenn es keinen braucht?

Jonas:
Oh…

Judyta:
Nee… Ich würde immer sagen, du darfst gerne dich kurz reinsetzen, kurz fahren damit. Also, ich stell das wirklich sehr gerne zur Verfügung. Alles gut! Und dass da der Spaß dranbleibt und dass man nicht gleich diese Schwere reinbringt mit „Oh andere müssen es aber ihr ganzes Leben lang benutzen!“

Jonas:
Da hätten wir wieder den Bezug zu unserer letzten Podcast-Folge, wo es um Rollstuhl Experimente geht, dass man halt vielleicht einfach mal Kinder ausprobieren lässt, aber gleichzeitig die Geschichte eben auch erzählt, was es eben mit sich bringt. Dass es nicht darum geht, sich das Bein oder Beine gebrochen zu haben und das eben kurz ausprobiert, eine Stunde und dann ist wieder alles cool. Sondern dass das für Menschen mit Behinderung eben der Alltag ist. Und wenn man an einen Kantstein kommt, dann nicht aufstehen kann und sagen kann „Dann lauft er eben kurz.“ sondern…

Judyta:
Ja, aber da kommen wir halt wieder in dieses Belehren, an die Hand nehmen… sagen: „So ist es.“ Aber dieses kurzweilige „Ich will einfach mal kurz ausprobieren und es macht Spaß.“ … finde ich dann viel besser.

Raul:
Du hast gerade gesagt, „wenn Kinder starren…“ Hast du da so eine Zeit-Mengenangabe, wo du sagst … soundsoviele Sekunden gucken ist okay, und irgendwann wird es awkward?

Judyta:
Ja, auf jeden Fall, und ich starre dann manchmal zurück, da mache ich mir so ein bisschen Spaß. Mein Freund kann es halt auch überhaupt nicht ab, beziehungsweise er ist dann nicht böse. Aber er muss dann irgendeine Grimasse ziehen, weil er das dann auch sieht. Das ist immer ganz witzig. Und dann machen wir uns so ein bisschen einen Spaß draus. Und dann sind die Kinder noch verwirrter als vorher.

Raul:
Aber Kinder dürfen grundsätzlich länger gucken?

Judyta:
Ja! Bei dir auch?

Raul:
Ja, ich würde sagen würde zwischen 20 und 60 Sekunden ist okay.

Judyta:
Hast du mal mitgezählt?

Raul:
Ja, aber dann tut es wirklich weh, auch bei Kindern.

Judyta:
Aber 60 Sekunden!

Jonas:
Ja, das ist ganz schön lang. Habt ihr denn mal auch die Erfahrung gemacht, dass ihr dann gemerkt habt: Okay, die Kinder gucken jetzt relativ lang, und die Eltern sind dabei. Und die Eltern merken, dass ihre Kinder gucken und schämen sich dann für ihre Kinder, dass die Kinder dann so lange starren. Und sagen dann sowas wie „Jetzt guck da nicht hin! Nein!“ Und so ein bisschen wegziehen.

Raul:
Nein, ich glaube, das ist genau diese Ambivalenz, in der sich dann eben viele Eltern befinden. Auf der einen Seite Neugier nicht bestrafen, aber auf der anderen Seite jetzt auch nicht die Person, die angeguckt wird in eine unangenehme Situation zu bringen.

Judyta:
Na, die sind ja in der unangenehmen Situation, die wissen ja nicht, wie sie darauf reagieren sollen.

Raul:
Das auch, weil, das Kind wird früher oder später eine Frage haben und dann…

Judyta:
Der Countdown läuft…

Raul:
… der Countdown läuft auch für die Eltern.

Judyta:
Genau! – lacht –

Raul:
Und was wäre das denn so für Tipps, die du dann den Eltern geben würdest, Judyta?

Judyta:
Gemeinsam hinzugehen und zu sagen „Wir können jetzt mal zu der Person hingehen und die Fragen fragen, die du hast.“ Genau, und ein bisschen auch selber diese Unsicherheit zugeben in dem Moment. Ich kann mir vorstellen, dass viele Eltern einfach heimlich was googlen, um dann die Antwort zu haben. Oder aber auch einfach mal zu sagen „Nee, ich hab die Antwort nicht, lass gerne mal hingehen“ Oder: „Wir können auch später darüber reden.“

Jonas:
Wobei da ja auch die Frage ist: Muss man unbedingt den Grund wissen, warum die Person jetzt im Rollstuhl sitzt? Weil Kinder fragen ja „Warum sitzt die Person im Rollstuhl?“ Und würde da nicht die Antwort reichen…

Judyta:
…weil die Person im Rollstuhl sitzt…

Jonas:
„Weil die Personen nicht laufen kann.“ Da braucht man ja quasi nicht googlen und irgendeine medizinische Diagnose herausholen, oder?

Judyta:
Ja, es gibt einfach verschiedene Gründe, und da könnte man dann im Vorhinein so ein bisschen oder wenn diese Situation dann passiert ist, einfach recherchieren als Elternteil oder zusammen mit dem Kind recherchieren. Welche Gründe gibt es? Sich sozusagen damit zu beschäftigen, wenn man nicht direkt fragt. Aber halt wirklich zu sagen „Ich habe auch keine Ahnung. Und deswegen lass es uns zusammen herausfinden.“

Jonas:
Ich habe da einen Artikel dazu gelesen, wo eine Mutter, die selber Kinder hat mit Behinderungen, Eltern Tipps gibt, wie Eltern am besten reagieren, um diese awkward-Momente zu vermeiden. Beziehungsweise zu vermeiden, dass ihre Kinder – Ich will jetzt nicht sagen – blöde Fragen stellen. Aber so in diese Starrmomente kommen und dann auch die Eltern Probleme haben. Und sie hat das zusammengefasst in einem Art Merksatz, nämlich AEIOU. Also quasi unsere Vokale.

Judyta
…und der Mund bleibt immer zu… oder?

Jonas:
Nee, so nicht. Aber es ist natürlich ein englischer Text. Deshalb stehen diese Buchstaben AEIOU für Abkürzungen. A steht für accept, also Akzeptieren. Dass quasi die Eltern vorleben sollen, dass es okay ist, Menschen mit Behinderung – Dass es die halt gibt und auch quasi, ja, antidiskriminierend vorleben. Also, jetzt nicht über die Behinderten sprechen, sondern über Menschen mit Behinderung. Dem Kind wirklich Toleranz und Vielfalt vorzuleben. Das E steht für examples, also Beispiele. Also, dass man den mit den Kindern darüber spricht, dass es Menschen mit Behinderungen gibt, vielleicht auch anhand von berühmten Menschen mit Behinderungen. Dass sie in der Gesellschaft stattfinden. Das I ist für include, also, dass man den Kindern die Möglichkeit gibt, auf inklusive Schulen zu gehen, dass man sich für Inklusion einsetzt. Das O ist für opportunities, dass man schaut, welche Chancen es gibt, dass es in Sportvereine, dass man gemeinsam Sport machen kann, die Paralympischen Spiele. Dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, halt zusammen das Leben von Menschen mit und ohne Behinderung zu erleben und…

Judyta:
Aber, bei den Paralympics ist es ja nicht zusammen.

Jonas:
Nein, ist es nicht zusammen. Aber ich meine, dass es generell Möglichkeiten gibt, dass man auch zusammen Aktivitäten auslebt.

Judyta:
Im Breitensport, da ist das, glaube ich, mehr verbreitet, dass es gemeinsam stattfindet.

Jonas:
Ja. Und zu guter Letzt ist es das U für Universal Design, was ja auch ein großes Thema ist. Spielplätze werden dort genannt, die Rampen haben, die gewisse Schaukeln haben, wo Fußgänger und RollstuhlfahrerInnen gemeinsam schaukeln können. Und dass esum das Design geht, was für Menschen mit Behinderungen gedacht ist oder sie auch nutzen können, aber im Endeffekt jeder benutzen kann. Und wenn man sich quasi diese Reihenfolge nimmt A E I O U und das befolgt, dass es dann eher dazu führt, dass man ein – wie wurde das genannt – ein inklusiv denkendes Kind hat.

Judyta.
Ich finde, man sollte das gar nicht so benennen, als inklusives Denken, sondern einfach – Iich würde mir wünschen, dass es einfach ein Denken ist, das normal ist. Also, Inklusion ist auch etwas immer, was man so benennt und was so ein verbrauchtes Wort ist. Aber dass es einfach mal Normalität ist – normal ist auch so ein verbrauchtes Wort. Aber ihr wisst vielleicht, was ich in meine.

Jonas:
Aber wir wollen ja quasi die Normen aufbrechen. Deswegen sind wir auch hier bei Der Neuen Norm. Was ich mich aber auch gefragt habe: Was geht verloren zwischen dem kindlichen Interesse und dem Nachfragen, hin zu dem, ja, Berührungsängste haben als Erwachsener. Ich habe eher die Erfahrung auf Grund meinernicht sichtbaren Behinderung, dass ich selten von Kindern – eigentlich so gut wie nie – irgendwie angesprochen werde und dann eher Erwachsene sehr erschrocken oder erstaunt reagieren, wenn sie dann merken, dass ich vielleicht mein Handy sehr nah halte, um etwas zu erkennen. Und dann die Erwachsenen eher in diesen Starrmodus kommen. Was passiert da?

Raul:
Ja, ich glaube gar nicht so sehr, dass es was mit dem Alter zu tun hat, sondern mit der gesammelten Erfahrung oder eben gesammelten Nichterfahrung. Und wenn Kinder von klein auf lernen, dass es Menschen gibt, die ihr Telefon ganz nah ans Gesicht halten, um es benutzen zu können, dann haben sie später als erwachsene Menschen auch nicht mehr die Frage. Wenn sie aber diese Erfahrungen nie machen und dann älter werden, dann ist schon die Tatsache, dass ein Rollstuhlfahrer im Bus mitfährt für sie so überwältigend, dass sie das als völlig, ja, wie soll ich mal sagen, neu und befremdlich empfinden und dann erst mal länger gucken und noch krassere merkwürdigere Fragen manchmal stellen, als Kinder überhaupt fragen würden.. Was ich interessant finde, noch mal so als Tipps für die Eltern: Es gibt ja da auch geteilte Meinungen, also „Wenn du willst, können wir fragen“, ist zwar auf der einen Seite eine Einladung an das Kind, dass irgendwie Neugier okay ist und Eltern auch nicht alles wissen, auch nicht alles wissen müssen, auch nicht alles wissen sollten, sondern dass man gemeinsam etwas auf der Spur gehen kann. Aber das führt dann eben dazu, dass es mich als Menschen mit Behinderung, wie auch Rebecca Maskos in ihrem Edition F Artikel sagt, in die Verantwortung bringt, ungefragt – also, man hat mich ja nicht vorher gefragt, ob ich bereit bin, darüber Auskunft zu geben – in die Situation geworfen werde, auf die ich vielleicht gerade gar keinen Bock habe. Ja, also immer diesen Erklärbär zu machen. Ist nachvollziehbar auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Ich finde es einen ganz guten Weg allerdings, dem Kind das Angebot zu machen „Wenn du möchtest, können wir nachher zu Hause uns nochmal auf die Suche begeben.“ Und weiterhin nicht behaupten, man wüsste alles, sondern sagen „Es kann sein, dass sie eine Behinderung hat.“

Judyta:
Ja, ich denke mir dann in dem Moment manchmal, ich beantworte lieber paar Fragen mehr und lege irgendwie so den Grundstein für dieses eine inklusive Zusammenkommen, was halt auch krass ist. Also, ich gehöre einer Minderheit an als behinderter Mensch und habe gleich so im Kopf – also ich persönlich, ist jetzt nicht auf irgendjemand an anderen bezogen – Ich persönlich habe dann gleich das Gefühl…

Raul:
So einen Lehrauftrag.

Judyta:
Ich muss gerade jetzt diese Begegnung nicht versauen, weil sonst habe ich es versaut für alle anderen Menschen. Und das ist ein krasser Druck, den ich mir selber mache, aber der auch irgendwie irre Rückschlüsse zulässt. Also, wenn ich dann irgendwie das Kind anblöke und sage „Starr mich nicht so an. Lass mich in Ruhe.“ Dann wird es vielleicht nie wieder eine andere Rollstuhlfahrerin fragen und diese Bürde zwänge ich mir irgendwie auf. Und das ist halt vielleicht auch nicht gut. Aber es ist irgendwie so meine Sicht.

Raul:
Aber auf der anderen Seite, Kinder brauchen auch nicht viele Informationen. Also, ich mache die Beobachtung, wenn Kinder fragen: „Warum ist der Mann so klein?“ reicht oft die Antwort: Es gibt große Menschen, es gibt kleine Menschen. Und dann ist es erstmal eingeordnet.

Jonas:
Oder, wie wir es ganz am Anfang hatten. Quasi: Warum sitzt die Frau im Rollstuhl? Weil sie nicht laufen kann!

Raul:
Bei den Recherchen bin ich auf weitere Tipps gestoßen: Dass Eltern ihren Kindern beibringen könnten, immer die Möglichkeiten zu sehen, die man mit Behinderung hat. Und zwar nicht trotz Behinderung, sondern wegen der Behinderung oder eben mit der Behinderung. Also, sogenannte Can-Statements: Diese Person kann mit dem Taststock sich fortbewegen. Oder diese Person kann im Rollstuhl ihr Ziel erreichen und eben nicht zu sagen, die Person kann nicht laufen. Dann eben zu sagen, diese Person bewegt sich im Rollstuhl zum Ziel. Und das finde ich eine ganz schöne empowernde Perspektive, weil – und das hatten wir auch vorhin schon kurz – dass Kinder viel schneller Anderssein oder Andersartigkeit akzeptieren, als Erwachsene. Also, wenn sie es einmal sehen, speichern sie es ab unter dem neuen Normal, unter Der Neuen Norm und können beim nächsten Mal diese Erfahrung abfrufen und sagen „Ach, das habe ich schon mal gesehen, wie bei meiner Oma.“ oder so. Und dann ist es für die aber nicht mehr so ein riesiges Gedanken-Monster, sondern es irgendwie eingeordnet.

Jonas:
Und es ist ja quasi auch irgendwie unabhängig davon, ob es Behinderung ist oder nicht. Also wir haben jetzt zurzeit ein aktuelles Thema: Es gibt in der Fußballbundesliga ja wieder die Rassismusdebatte, nachdem ein Spieler mit Affenlauten beleidigt wurde. Und dort hört man immer wieder die Geschichte, dass dieser Rassismus, die Diskriminierung in den Jugendabteilungen nicht stattfindet und es für die Kinder egal ist, sie wollen einfach Fußball spielen und da ist die Hautfarbe egal. Nur dann, ab einem gewissen Alter, ist es dann auf einmal Thema. Diese Diskriminierung oder Rassismus kann man als Blaupause auf viele verschiedene Attribute legen, egal, ob es jetzt Behinderung ist oder nicht.

Judyta:
Das es eben als Kind eher kein Thema ist.

Jonas:
Macht man sich auch vielleicht zu viele Gedanken? Also, ich habe mich nochmal zurückerinnert, dass ich früher als Kind in der Musikschule war. Damals hatte ich noch keine Behinderung, aber in der Musikschule war ein Junge, der im Rollstuhl saß. Und ich habe versucht, mich zurückzuerinnern, ob ich mir damals darüber Gedanken gemacht habe. Und ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich mir Fragen gestellt habe: „Warum ist er jetzt überhaupt hier?“ oder „Wie ist der in die Musikschule reingekommen?“ Oder „Kann der überhaupt die ganzen Sachen mitmachen?“ Weil wir uns da auch irgendwie im Raum bewegt haben, sondern er war einfach da. Und ich glaube, dass man sich vielleicht auch jetzt mit der Erfahrung dann eher die Gedanken machen würde, wie kann ein Mensch in so einer Situation teilhaben? Und diese Gedanken macht man sich vielleicht als Kind gar nicht, sondern es ist überhaupt kein Thema gewesen. Also zumindest bei mir war das so.

Judyta:
Sie sind einfach Teil der Sache. Genau, aber da sind wir vielleicht auch wieder bei Lehrkräften, dass sie auch so eine gewisse Verantwortung haben immer die behinderte Person, das Kind mit einzubeziehen. Ich habe das als Schülerin eher so erlebt, dass es auch ein bisschen problematisiert wurde von den LehrerInnen sozusagen. „Ja, was machen wir denn jetzt mit dir? Wir haben ja diesen Ausflug vor. Und was machen wir dann mit dir?“ Dahabe ich als Kind halt gedacht: „Ja, ich komme mit – wie wäre es damit?? – lacht –

Raul:
Ja, krass, dass du dann letztendlich dafür verantwortlich gemacht wirst, dafür eine Lösung für die Lehrkraft zu finden. Dabei kriegt sie das Geld und nicht du.

Judyta:
Das war auch so cool bei einer Klassenreise. Und dann wurde ich gefragt „Wir fahren da und da hin, Judyta, schaffst du das?“ Ich so: „Ja, ich war noch nie da, aber ich werde sehen, wie weit ich komme.“ – lacht –

Jonas:
Woher sollte man das wissen?

Judyta:
Genau, wenn man noch nie an diesem Ort war.

Raul:
Aber du hast da grade Lehrer angesprochen. Was könnte denn Kindern und Eltern dabei helfen, im Alltag mit dem Thema Behinderung, Vielfalt, Inklusion besser umzugehen?

Judyta:
Bücher, Filme, Comics… all diese Sachen, die es langsam gibt, aber noch viel zu wenig.

Raul:
Und es sollten Bücher sein, die nicht Menschen mit Behinderung verniedlichen, nicht…

Judyta:
Pädagogisch irgendwie… „Wir erzählen jetzt eine Geschichte über Menschen mit Behinderung.“ Sondern, wo sie in einer Vielfalt stattfinden einfach. Ein konkreter Tipp ist die „Good Night Stories for Rebel Girls“, also die Gute Nacht Geschichten für rebellische Mädchen, so frei übersetzt. Da werden ganz viele Frauen dargestellt, die Erfinderinnen sind oder Ärztinnen oder Wissenschaftlerinnen. Und da gibt es auch Menschen mit Behinderung dabei. Einfach so, ohne dass es groß thematisiert wird.

Jonas:
Es bringt also quasi nichts, ein Kinderbuch zu haben, wo es explizit nur quasi um das Thema Behinderungen geht. Oder wenn man jetzt sagt, man möchte seinem Kind in einem schön illustrierten, für Kinder gerechten Kinderlexikon, ja, unter dem Buchstaben B Behinderung und dann guckt man sich mal an, was es alles gibt.

Judyta:
Genau, wie in so einem Biobuch: Hier sehen Sie die und die Kleinwuchsart.

Jonas:
Aber es ist halt natürlich dann schon wieder dieser Disability-Mainstreaming-Effekt, wenn Kinder frühzeitig, das heißt ja auch durch das Spielzeug zum Beispiel damit in Berührung kommen, das ist sowas gibt. Ich habe irgendwie neulich – ich glaube sogar, Raul, du hast das sogar neulich auch rumgeschickt, – dass es von Lego, ich glaub, eine Bushaltestelle gibt, wo man eine Bushaltestelle bauen kann mit Bus und den ganzen Figürchen herum. Und da ist einfach ein Lego-Männchen, das im Rollstuhl sitzt mit dabei und die Rampe, die in den Bus führt. Und das ist jetzt nicht irgendwie das Inklusions-Spielzeug, unter dem Motto, sondern es ist einfach normales, stinknormales Lego.

Raul:
Ich glaube, dass ich versuche den Eltern immer auch so mitzugeben, dem Kind beizubringen, dass Behinderung nicht automatisch Schmerzen oder Leid bedeuten, sondern dass es eben mich nicht permanent beschäftigt, eine Behinderung zu haben. Und was wichtig ist, dass Kinder auch mal erleben und sehen, dass jemand mit Behinderung auch zum Beispiel außerhalb seines Rollstuhls oder ohne Blindenstock oder auch ein Mensch ist. Also, dass ich genauso auch auf dem Sofa mal sitzen kann. Oder noch cooler wäre es, irgendwie auf dem Motorrad ja, um auch zu zeigen, man ist nicht verheiratet mit dem Hilfsmittel. Und man ist auch nicht das Hilfsmittel…

Judyta:
…der Rollstuhl…

Raul:
Ja, genau und dadurch dann auch einzuladen, das mal auszuprobieren, mal sich irgendwie auch in einen Rollstuhl zu setzen. Natürlich nur, wenn man die Kinder länger kennt und dann auch diese Angst oder diese Neugier zu befriedigen, die Angst zu nehmen. Und das sind, glaube ich, auch so ganz einfache Tipps und Tricks, die man auf jeden Fall anwenden kann.

Judyta:
Ja, weitere Tipps für Kinderbücher gibt es auf DieNeueNorm.de.

Jonas:
Genau, und ihr könnt auch gerne diesen Podcast abonnieren, wenn ihr noch weitere schöne Folgen hören möchtet.
Wir können also festhalten, das Menschen-mit-Behinderung-Fragen ist in Ordnung. Gleichzeitig sind aber Menschen mit Behinderungen jetzt nicht die Sparringspartner im Bezug von Erziehung, um den Kindern Inklusion beizubringen. Da wäre es Aufgabe der Eltern, über Behinderung aufzuklären, beziehungsweise zu erklären, dass es Menschen mit Behinderungen gibt. Vielleicht in Kontakt kommen in inklusiven Schulen, in inklusiven Kindergärten. Also schon früh das zu erklären, dass Behinderung auch normal ist. Und dabei sind wir auch. Wir versuchen eben, eine neue Norm zu schaffen von einer vielfältigen Gesellschaft.
Wir freuen uns, wenn ihr beim nächsten Mal auch wieder mit dabei seid – beim Podcast von Die neue Norm.

Raul / Judyta:
Tschau, Tschüss

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