#1 Rollstuhl-Experimente

Eine Gruppe von Menschen sitz im Rollstuhl und andere stehen daneben. Sie tragen sommerliche Klamotten und reden miteinander.
Bild: Andi Weiland
Lesezeit ca. 3 Minuten

Behinderung erfahrbar machen. Egal ob einen Tag im Rollstuhl, mit einer Sehbehinderungs-Brille oder ein familiärer Besuch in einem “Dunkelrestaurant”: In der neuen Folge unseres Podcasts „Die Neue Norm”  blicken wir auf Experimente, die Behinderungen simulieren.

Wie kann ich Behinderung erfahrbar machen?

In Verbindung mit der Aus- und Weiterbildung in Pflege- und Sozialberufen, aber auch in Schulen sind sie häufig zu sehen: Rollstuhlexperimente. Dabei sollen sich die Teilnehmer*innen in möglichst kurzer Zeit in das Leben, oder vielmehr die Behinderung, von Rollstuhlfahrer*innen hineinversetzten können. Bordsteine, Treppen, aber auch nicht funktionierende Aufzüge sollen als Barrieren des Alltags erfahrbar gemacht werden. Kinder bekommen durch das Fahren durch Parcours spielerisch ein Gefühl dafür, wie sich die Beweglichkeit im Rollstuhl anfühlt.

Ein Mann mit dunkelbraunen kurzen lockigen Haaren trägt einerote Schlafbrille. Im Hintergrund steht ein Mann der schwarze große Kopfhörer trägt.
Bild: Andi Weiland

Ähnlich verhält es sich mit Brillen, die eine Sehbehinderung simulieren oder “Dunkelrestaurants”, bei denen der “Eventcharakter” des Erlebnis mit Freunden im Vordergrund steht. Bei diesen “Dinner in the dark”-Veranstaltungen wird, neben der eigenen Erfahrung häufig auch die Geschichte miterzählt, dass die Kellner*innen blind sind. Hier wird “Inspiration Porn” bedient, denn blinden Kellner*innen ist es doch egal, ob ein Restaurant dunkel ist oder nicht. Und Inklusion wäre es, wenn blinde Kellner*innen auch außerhalb von solchen Event-Restaurants arbeiten würden, oder?

Durch technische Fortschritte eröffnet sich auch ein ganz neues Feld – Behinderung simulieren am Simulator:

Warum Betroffenen nicht einfach glauben?

Wir haben vor der Aufzeichnung unseres Podcasts auf unseren Social Media Kanälen Facebook, Twitter und Instagram nachgefragt, was ihr von solchen Experimenten haltet. Die Meinungen gingen hier weit auseinander: 

Ich bilde Heilpädagogen aus und halte sehr viel davon, Behinderungen erlebbar zu machen. Sie gehen dann vollkommen anders an alles heran.

Ich halte nichts davon, denn man muss nicht alles ausprobieren um mitreden zu können. Wat bringt es ne Stunde im Rolli zu sitzen, (wenn man eh weiß ich stehe gleich wieder auf und laufe.) Solange die Politik nicht mitzieht, Empathie ist das Zauberwort

Rollstuhlexperimente in den Medien

Auf der einen Seite scheinen diese Experimente für Menschen ohne Behinderung sehr prägend zu sein und ihre Wahrnehmung in Bezug auf Barrieren zu verändern. 

Menschen mit Behinderung stellen sich im Gegenzug oft die Frage, warum man eine Behinderung, die Barrieren aufzeigt, ausprobieren muss und ob es nicht ausreichend ist, wenn Betroffene darauf aufmerksam machen. Gleichzeitig wünschen sie sich, dass diese Selbsterfahrungen von Betroffenen angeleitet werden und auch mehr auf die sozialen Barrieren (z.B. durch Diskriminierung) aufmerksam gemacht wird.

In den Medien sind Rollstuhlexperimente ein gern genommenes Thema für eine längere Reportage. Am bekanntesten ist dort das “Jenke Experiment” von Jenke von Wilmsdorff, der eine Woche lang im Rollstuhl unterwegs war. Inzwischen hat aber fast jeder deutsche Fernsehsender einen Beitrag zu diesem Thema im Programm gehabt:

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4 Antworten

  1. Ich finde solche Experimente sehr wichtig: jemand der nicht auf einen Rollstuhl angewiesen ist, bemerkt Hindernisse oft gar nicht. Ich bin jetzt seit zehn Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen und am Anfang ist mir erst mal aufgefallen, wo überall Stufen sind, die ich früher zu Fuß gar nicht wahrgenommen habe. Meiner Meinung nach muss z.b. jeder Architekt, der barrierefreie Gebäude entwerfen soll, selbst einmal ein solches Experiment durchlaufen. Ohne diese Erfahrung kann das sonst nichts werden!

  2. Ich bin taub. In Medien kursieren einige “Selbstexperimente” mit Taubheit. Verschiedene Methode, Rollstuhl, Augenbinde, etc können bei einem Perspektivwechsel helfen. Mir stellt sich dabei die Frage: warum müssen die experimentierfreudigen Menschen dabei gefilmt werden? Warum wird nicht die Zeit und der Raum gegeben den Menschen, die tatsächlich Experten in eigener Sache sind, um zu erfahren, wie diese Leben? Des weiteren wird durch diese Art der Selbstexperimente nicht deutlich, dass Taube eine eigene Identität haben, mit eigener Geschichte und Kultur, die so gar nichts mit dem medizinischen defekt zu tun hat. Diese Kultur lässt sich nicht durch Ohrenstöpsel erfahrbar machen. Ohrstöpsel-Experimente sind sogar audistisch (richtig hinschauen bitte, mit D geschrieben, nicht verwechseln mit Autismus). Audismus ist eine Diskriminierungsform und tritt auf, wenn Hören und Sprechen übermäßig fokussiert wird.

  3. Ich finde es gut, diese Erfahrungen selber zu machen. Empathie ist eine Sache, es selber zu fühlen eine andere. Allerdings im Fernsehen Leute zu sehen, die diese “Selbstexperimente” stellvertretend machen ist völlig sinnlos. Da kann man besser jemanden fragen, der die wirkliche Erfahrung gemacht hat.

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