Inklusion? Gerne, aber nicht bei uns!

Das Logo von Die Neue Norm auf gelbem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Anna.
Lesezeit ca. 3 Minuten

Ich möchte eine Geschichte erzählen. Eine junge Frau, nennen wir sie Anna H., studierte Medizin. Hier und da ein kleines Zipperlein, aber ansonsten gesund. Bei einem Sanitätsdienst 2008 stieß sie sich im Einsatz den Kopf an, taumelte etwas, sah Sterne, arbeitete aber voller Pflichtbewusstsein weiter. Abends bekam sie böse Kopfschmerzen, was sie auf das warme Wetter und den langen, anstrengenden, heißen Tag zurück führt. Da sie mit den Kollegen noch auf einen Empfang wollte, duschte sie, legte sich kurz hin und bat ihre Kollegin, ihr Kopfschmerztabletten mitzubringen, weil sie ihre nicht fand. Gesagt, getan. Die Freundin brachte die Tabletten mit und Anna nahm sie wie gewohnt. Nur halfen sie nicht.

Der kassenärztliche Notdienst wurde gerufen, doch als dieser eintraf, übergab sich Anna so heftig, dass keine richtige Anamnese möglich war. Die Untersuchung beschränkte sich auf das Messen des Blutdruckes, welcher eher hochnormal war. Diagnose: Migräne. Es war das Naheliegendste bei einer jungen Frau mit starken Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit und starkem Erbrechen. Also spritzte der Arzt Aspirin und verschwand dann wieder.

Lange Rede, kurzer Sinn – es war eine Hirnblutung. Nach kurzer Zeit ging es Anna wieder schlechter und ihre Freundin rief den „echten“ Notarzt.
Eine lange, anstrengende Zeit folgte, aber mit viel Kraft, Geduld und unbändigem Willen schaffte es Anna, aus dem Pflegeheim, in das sie verfrachtet wurde, auszuziehen und in die eigenen vier Wände zurückzukehren. 2014 war sie so weit, ihr Medizinstudium an der Uni Göttingen wieder aufzunehmen. Doch davon war man dort alles andere als begeistert.

Zunächst wurde Anna zu einem Gespräch im Studiendekanat geladen. Ihr wurde gesagt, man wolle ein Gutachten zu ihrer Studierfähigkeit. Niemand sonst musste so ein Gutachten vorweisen. Man riet ihr, sie solle sich am besten gleich einen verwandten Studiengang suchen, sie könne „eh nie als Ärztin arbeiten“. Der damalige Studiendekan sicherte ihr seine Unterstützung zu. Doch er ging wenig später in den Ruhestand.

Eine Rampe zu bauen, damit Anna in das periphere Institut zum Praktikum konnte, war noch möglich, aber einen einfachen Haltegriff in der Damentoilette anzubringen, damit sie es ohne Hilfe hätte nutzen können, nicht. Um Letzteres hatte Anna acht Wochen im Voraus gebeten.
Da so keine nutzbare Toilette vorhanden war, konnte Anna während des ca. fünfstündigen Praktikums nichts trinken und musste nach Ende des Praktikums ins 10 Minuten entfernte Hauptgebäude eilen, um das dortige, nicht immer so saubere Rollstuhl-WC zu nutzen.

Der Nachfolger des Studiendekans war nicht mehr so liberal ihr gegenüber eingestellt und so verschlimmerte sich die Diskriminierung. Es wurden Regeln auf Anna angewandt, die auf sie als anerkannt schwerbehinderte Person nicht hätten angewendet werden dürfen, was zu ihrer Exmatrikulation führte. Sie wehrte sich zwar, scheiterte aber vor Gericht, da hier die UN-BRK vergessen und Reha als Urlaub betitelt wurde. Urlaub ist eine Neuro-Reha sicherlich nicht. Aber auch dagegen wehrte Anna sich. Mittlerweile wurde ihr aufgrund ihrer Beharrlichkeit sogar schon ein geistige Behinderung unterstellt – von der Rechtsabteilung einer medizinischen Universität(!), die sich nur allzu gern als Elite-Uni bezeichnet.

Da passt wohl eine Studierende mit Handicap einfach nicht hinein, vollkommen unabhängig von den Leistungen. Ein 12 Stunden-Tag mit Uni und Physiotherapie waren für Anna mehr Regel als Ausnahme. Das Lernen ist da noch nicht mit eingerechnet.

Anna wird weiterkämpfen, auch wenn es kräftezehrend ist, sonst wäre es nicht Anna! Aber eigentlich ist es nicht Annas Aufgabe, zu kämpfen. Sie möchte einfach nur studieren. Wenn alle Anstrengungen, sie davon abzuhalten, stattdessen genutzt worden wären, um es ihr zu ermöglichen, wäre sie schon längst fertig.

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