Was will denn die Blinde bei Instagram?

Das Logo von die neue Norm auf blaugrünem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Jennifer Sonntag.
Lesezeit ca. 5 Minuten

Diese Frage würde mich ziemlich erzürnen, hätte ich sie nicht selber gestellt, denn ich bin die Blinde. Instagram, so könnte man vermuten, konfrontiert einen blinden Menschen mit etwas, zu dem ihm der Zugang fehlt: mit Bilderwelten, mit fotodokumentiertem Leben, mit Sichtbarkeit, auch der eigenen. Ja, und da ist ein großes Stück Wahrheit an der einleitenden Frage, eine Kontroverse, auch für mich, denn nicht immer stehe ich darüber, so viele Bilder zu verlieren.

Meine Fotoalben habe ich kurz nach meiner Erblindung erst in den Keller, dann aus meinem Leben verbannt. Bei Geburtstagsfeiern ertrug ich es anfangs nur mit unterdrückten Tränen, wenn lachend bei Sektlaune Fotos herumgereicht wurden, an denen ich nicht mehr teilhaben konnte. Später gab es Phasen, in denen ich bewusst Kontakt zu Fotograf*innen mit ganz unterschiedlichem künstlerischen Herangehen zuließ, auch um einen damals sehr wunden Punkt, meine für mich unsichtbar gewordene Identität als Frau, einzufangen. Insbesondere für meine Buchillustrationen, Hörbuchcover und Ausstellungen entstand hier ein sehr enger Dialog. Zwangsläufig ergab sich dann mein Engagement für Bildbeschreibungen, die ich auch bei meinen eigenen kreativen Projekten mitdachte, um blinden Menschen einen Zugang zu bildhafter Kunst und Kultur zu ermöglichen. 

Wer nicht sehen kann, wird schnell übersehen. Brisante Themen brauchen starke Bilder. Dieser Anspruch fordert mich als vollblinde Journalistin in meiner Arbeit inzwischen immens. Bei mir ist die Auseinandersetzung mit Fotografien oft von großer Faszination, aber auch von tiefem Schmerz geprägt. Immer wieder versuche ich, darüber mein inneres Kopfkino zu beleben, den Kontakt zu optischen Denkmustern nicht zu verlieren, so auch bei meiner Medienarbeit. Auch wir Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Sichtbarkeit und wir müssen unsere Belange bebildern. Seit ich für visuelle Medien arbeite, schätze ich den Austausch mit Menschen, die wie ich, blind vor der Kamera agieren oder Informationen optisch umsetzen, obwohl sie das Ergebnis selbst nicht sehen können. Unser Herangehen ist ein vollkommen anderes, als das sehender Medienmacher*innen. In journalistischen Ausbildungsmaterialien kommen wir aber allenfalls als Protagonist*innen, nicht aber als Journalist*innen vor. 

Als blinde TV-Frau verkörpere ich selbstbestimmt das Credo: Fernsehen und Nichtsehen widersprechen sich nicht! Aber auch mir fehlten die Vorbilder. Es gab damals keine andere blinde Fernsehfrau, von der ich mir etwas hätte „abschauen“ können und leider ist es in den letzten 14 Jahren so geblieben. Auch wenn wir in den sozialen Medien besonders durch die junge Generation blinder YouTuber*innen mehr werden, im Deutschen Fernsehen wünsche ich mir endlich eine blinde Kollegin. Natürlich macht es auch etwas mit mir, die visuelle Kontrolle vollkommen abgeben zu müssen, vertrauen zu lernen, mich nicht mit anderen vergleichen und oft einfach auch nicht wissen zu können, wie ich in meinen visuellen Formaten aussehe, auch jetzt mit Anfang 40. Und es macht mich in schwächeren Momenten auch schon mal wund, akzeptieren zu müssen, dass es so viele Clips und Fotos von meinen Aktivitäten und Projekten gibt, die andere sehen, ich selbst aber nie betrachten kann. Manchmal stehe ich drüber, dann macht es mir Spaß, im Kopf meine Videokolumne visuell durchzuspielen und Fotoideen zu ersinnen. Dann ist es mir fast ein bisschen egal, ob mein inneres Bild mit dem äußeren übereinstimmt, weil die Storys und Motive in mir lebendig sind.

Manchmal frage ich aber schon nach und besonders in Momenten, wenn niemand Zeit oder Geduld hat, mir etwas zu beschreiben, fühle ich mich unsicher, kann nicht teilhaben an dem, was doch so offensichtlich ist. Oft erfahre ich auch erst Jahre später durch einen Alternativtext, der zu einem Foto von mir angelegt wurde, wie ich auf einem Bild rüberkomme.

Warum tue ich es mir dennoch an, lasse mich stattfinden im optischen Kosmos? Ich war einmal Sehende und das etwa genauso lange, wie ich jetzt blind bin. Die Sehende in mir ist nicht gestorben, im Gegenteil, ich möchte sie mitnehmen, sie am Leben lassen, sie ist ein wichtiger Teil von mir, an der ich eben auch sehr oft, sehr viel Freude habe und für deren Existenz ich unbeschreiblich dankbar bin. Ich kenne die optischen Gesetze, weiß um deren Wirkung, deren Kraft. Viele Jahre habe ich mich als Zwischenweltlerin gefühlt, als Mittlerin und Brückenbauerin zwischen der Welt der Blinden und der Welt der Sehenden, da ich beide Seiten der Medaille kannte.

Bilder sagen mehr als tausend Worte. Das wurde mir bewusst, als ich Teil einer Fotoausstellung im Halleschen Hauptbahnhof war. Ich „hing“ schon bei verschiedenen Ausstellungen in verschiedenen Rahmen und vergesse dabei immer so ein bisschen, welche Bedeutung Bilder für sehende Menschen haben können. „Ein Kuss für Halle“ lautete der Titel und der Fotograf Peru John schenkte mir, neben den Fotos und Statements bekannter Hallenser*innen, einen eigenen Platz. Erst die unglaublich bewegenden Rückmeldungen von Besucher*innen machten mir bewusst, wie wichtig es sein kann, Gesicht zu zeigen und wie sehr ein Foto, ergänzt um wirkungsvolle Worte, Menschen stärken oder mobilisieren kann. Das klingt jetzt pathetisch, aber mir hat es die Augen geöffnet und Mut gemacht, auch als blinde Frau mit offenem Blick für meine Themen zu stehen. Wenn dieser Blick auch manchmal haarscharf an der Kamera vorbei geht. Und genau deshalb ist die Blinde auch bei Instagram.

Insta ist für blinde Menschen alles andere als barrierefrei. Dennoch wollen viele von uns mitmachen. Ich muss, um dabei sein zu können, eine Menge für meine Teilhabe tun, viel mehr rundherum investieren, organisieren und besprechen, um Bilderwelten wahrnehmen und mitgestalten zu können. Dabei kann ich nicht so selbstbestimmt und spontan agieren, wie es sehende Nutzer*innen können, da viele Optionen nur mit sehender Assistenz möglich sind. Ich entwickle alle Foto- und Videoideen selbst und bereite vor dem inneren Auge alles präzise vor. Auch wenn ich ausgeklügelte Tricks und Kniffe habe, z.B. mir feste Stative, Magneten und Klebepunkte anbringen ließ, um Kameraperspektiven einschätzen zu können, brauche ich als vollblinde Person ohne Sehrest beim Filmen und Fotografieren Unterstützung, da muss ich realistisch sein. Für blinde Menschen ist es hürdenreich, sich auf einem bildintensiven und nicht barrierefreien Medium wie Instagram zu zeigen und zu vernetzen. Deshalb helft ihr auch mir, wenn ihr meine Seite besucht, meine Beiträge teilt und mit mir zusammen unsichtbare Themen sichtbar macht. Damit blinde Menschen den Inhalt auf Fotos nachvollziehen können, gibt es bei Facebook und Instagram die Möglichkeit, einen Alternativtext anzulegen. Fotos ohne Alternativtext bleiben für die blinde Community tote Information, so als seien für sehende Menschen an Stelle der Bilder nur leere Kacheln zu erkennen. Wenn ihr mithelfen wollt, die sozialen Medien bunter und barrierefreier zu gestalten, denkt bitte auch immer an den Alternativtext. Ich freue mich schon riesig darauf, all eure Fotos und Videos „anschauen“ zu können. Wir „sehen“ uns auf Instagram!

Zu meinem aktuellen Kanal: https://www.instagram.com/blind.feminista/

Zum Weiterlesen:

Interview – kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit der Inklusionsbotschafterin Jennifer Sonntag über ihre Erfahrungen mit der barrierefreien Nutzung von Angeboten in den Medien

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