Es war ein Spaziergang, liebes Jobcenter, liebe Agentur für Arbeit

Das Logo von die neue Norm auf hellgrünem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Sophie Kappmeyer.
Lesezeit ca. 4 Minuten

Auch wenn ich (vorerst) am Ziel angekommen bin, möchte ich euch von meiner langen Reise erzählen. Ich möchte erzählen, wie frustrierend der Weg war, wie oft ich vor unüberbrückbaren Hindernissen stand und warum ich trotzdem nicht zu 100% zufrieden bin.

Ich werde es so schlicht wie möglich halten. Ich habe zwei Jahre lang versucht, eine berufliche Reha-Maßnahme anzufangen. Im Winter 2018 hatte ich meine damalige Umschulung abgebrochen, weil ich aufgrund meiner Körperbehinderung 40 Stunden Arbeitszeit und langem Fahrtweg quer durch Hamburg in eine sehr schwere Depression gerutscht war.

Im Winter 2019 wandte ich mich wieder an die Agentur für Arbeit, um mit meiner Reha-Beraterin meinen beruflichen Wiedereinstieg zu besprechen. Dies entwickelte sich schnell zu einem nicht enden wollenden Kampf, da ich eine Maßnahme für 40 Stunden pro Woche ablehnte. Mir wurde Arbeitsverweigerung vorgeworfen und gesagt, man könne mir keine andere i30-stündige Maßnahme anbieten, da in meinem Gutachten stand, ich könnte in Vollzeit, aber nur auf dem 2. Arbeitsmarkt arbeiten. Dass es gar keine 30-stündigen Maßnahmen gibt, wurde mir zu der Zeit verschwiegen.

Das Verhältnis zu meiner Reha-Beraterin wurde mit der Zeit immer angespannter und ich wartete manchmal wochenlang auf eine Antwort von ihr. Auch die Option, in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu arbeiten, wurde immer wieder zum Thema gemacht, was mich sehr verletzt hat und was ich als zutiefst diskriminierend erlebt habe. 

Ich rannte zu meinem Orthopäden, meiner Psychiaterin, meiner Psychologin, meinem Hausarzt und sprach mit mehreren unabhängigen Teilhabestellen, um das Gutachten zu ändern, das während der Corona-Pandemie von fremden Ärzt:innen der Agentur erstellt wurde, ohne dass diese mich jemals gesehen hätten und das mir erst nach mehrmaliger Nachfrage vorgelegt wurde. 

Schließlich wurde das Gutachten tatsächlich geändert und bescheinigt mir nun, dass ich aus medizinischen Gründen nur 30 Stunden pro Woche arbeiten kann. Daraufhin wurde ich von der Agentur für Arbeit aufgefordert, mich bei verschiedenen Trägern vorzustellen. Mein Favorit war einverstanden, die Maßnahme auf 30 Stunden pro Woche zu reduzieren und wir vereinbarten einen Start-Termin. 

Doch dann schaltete sich, nach fast zweijährigem Kampf mit der Agentur für Arbeit, eine zweite Stelle ein – das Jobcenter. Nichtsahnend wurde ich zu einem Termin eingeladen, bei dem mir erklärt wurde, dass das ja alles nicht so gehe. Maßnahmen könnten schließlich nur in 40 Stunden absolviert werden, denn das Ziel einer solchen Maßnahme sei es, zurück in Arbeit zu finden und das in 40 Stunden. Was? Wie? Das hatte ich doch schon mit der Agentur für Arbeit geklärt! Als Kostenträger müsste das Jobcenter den Fall erst mal bei einer übergeordnete Stelle in Kiel prüfen lassen. Zudem solle ich jetzt Erwerbsminderungsrente beantragen, damit festgestellt werden kann – um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr, was festgestellt werden sollte.

In diesen 2 Jahren beschwerte ich mich des Öfteren bei der Agentur für Arbeit und beim Jobcenter über die Diskriminierungen und die schlechte Beratung. Die Äußerungen wurden nur müde belächelt. Meine Erfahrungen mit Diskriminierung wurden mir aberkannt. Anstatt mir zuzustimmen und darüber nachzudenken, ob das System für verschiedene marginalisierte Gruppen wirklich so passend ist, wurde mir gesagt, dass das System nicht für einzelne Personen geändert werden könne. Ich sei eben ein komplizierter Fall. Sie würden mich nicht diskriminieren, so seien die Regeln nun mal. Sobald ich das Wort Diskriminierung in den Mund nahm, wurde die Stimmung oft eine andere. So wie in einem Horrorfilm, wenn die Musik geändert wird, damit man weiß, jetzt passiert etwas Schlimmes. So habe ich mich oft gefühlt, wenn ich mich zu dem diskriminierenden Verhalten der Mitarbeiter*innen äußerte.

Nach dem ganzen Hin und Her hatte ich langsam die Hoffnung auf Unterstützung von der Agentur für Arbeit und vom Jobcenter verloren und habe mich selbstständig auf die Suche nach einer anderen Lösung gemacht. Unter anderem habe ich angefangen, mich auf offene Stellen zu bewerben und mich nach Praktikumsplätzen umgeschaut.

Gleichzeitig hat mich der respektlose Umgang vom Jobcenter und der Agentur für Arbeit nicht in Ruhe gelassen. Also recherchierte ich die zuständige Stelle in Kiel und versuchte dort, meinen Fall vorzustellen. Ich telefonierte mich durch verschiedene Abteilungen. Ich bestand immer wieder auf mein Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben. Viel zu oft wurde ich vertröstet und an eine andere Stelle oder eine andere Person verwiesen, die mir auch nicht wirklich helfen konnte, oder was ich vermute, auch nicht helfen wollte.

Und dann wurde ich plötzlich vom Jobcenter angerufen und mir wurde mitgeteilt, dass meine Maßnahme nun doch finanziert würde. Sie hätten beschlossen, mir einfach eine Maßnahme für 40 Stunden zu bezahlen, obwohl ich nur 30 Stunden daran teilnehme. Stolz erzählten sie mir, dass ich eine absolute Ausnahme sei.

Bei all meiner Freude bleibt dennoch die Frage, warum mein Kampf 2 Jahre dauern musste, warum eine Maßnahme generell nur in 40 Stunden möglich ist und warum ich als Mensch mit Behinderung schon wieder durch eine Bürokratie-Hölle spazieren muss, damit es einen passenden Platz für mich gibt. Was bleibt, ist auch ein übler Nachgeschmack, ein Gefühl nicht gesehen zu werden und das Problem, dass weder das Jobcenter, noch die Agentur für Arbeit sich an den Bedarfen der Menschen orientieren, die sie auf dem Weg in Arbeit unterstützen sollten und die im Reha-Bereich natürlich auch mal vom 40 Stunden-Standardprogramm abweichen.

Ich werde die Chance nutzen und wenn ich durch diese Maßnahme einen Job finde, dann habe ich das ganz alleine geschafft. Das Jobcenter und die Agentur für Arbeit haben alles getan, um mir diese Chance zu verwehren.

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9 Antworten

  1. Die Kolumne lässt mich nachdenklich zurück. Ich selbst mache immer wieder solche Erfahrungen und mein Ergebnis ist, dass ich irgendwo in dem bürokratischen Wahnsinn eine Person auf der anderen Seite finden muss, die die Angelegenheit zu IHRER SACHE macht. Dann gibts eine Chance.

    Und nicht jeder ist in der Lage, diese Person zu finden oder das Gegenüber dazu zu veranlassen, diese Person zu werden.

    Die Agentur für Arbeit und einmal mehr das Jobcenter sind jedenfalls überhaupt nicht darauf eingestellt, passgenau für die Menschen eine Lösung zu finden. Das wäre aber ihre Aufgabe.

  2. Liebe Sophie
    Ich bewundere deinen Mut und deine Durchhaltekraft auf dem steinigen Weg den du gegangen bist! Grossartig, bewahre dir das!
    Es gibt leider so viele Situationen in denen das gebraucht wird und wir schauen müssen, dass wir eine solidarischere Gesellschaft werden. Gerade staatlichen Institutionen und den dort Angestellten stehen wir häufig auf verschiedenen Ebenen ratlos gegenüber – menschlich und systemisch.

  3. Hallo Sophie,

    ich muss ehrlich gestehen – ich kann dich so gut verstehen. Auch in lebe mit einer Behinderung und einem GdB 100.
    Mit vielen mutigen Unterstützern in meinem Leben und jeder Menge Zuversicht habe ich seinerzeit die Schule mit dem Abitur verlassen. Für mich war klar, dass ich nicht studieren möchte, sondern eine Ausbildung machen möchte. Schon beim ersten Termin bei der Bundesagentur für Arbeit und vielen erfolglosen Bewerbungen zuvor, wurde mir gesagt, dass ich ja von Natur aus schwer vermittelbar sei und nur eine Ausbildung in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte möglich wäre. Es fühlte sich irgendiwe nicht gut an. Ich hatte mich doch nicht zum Spaß durchs Abitur gekämpft, nur um jetzt wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Leider blieb mir nichts anderes.
    Ich wurde Kauffrau im Gesundheitswesen, darauf bin ich nach wie vor sehr stolz. Leider habe ich in diesem Beruf keine Arbeitsstelle bekommen. Bei der Größe des Gesundheitssektors ist das eigentlich kaum vorstellbar. Leider war auch hier meine Behinderung immer wieder der ausschlaggebende Grund.
    Meine heuteige Arbeitsstelle habe ich selbst gefunden und verdanke sie nicht zuletzt auch einer sehr hartnäckigen Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftgten meines Arbeitsgebers.
    Leider ist da noch nicht Schluss.
    Aufgrund meiner Einschränkung kann ich leider nicht mit dem ÖPNV fahren und habe keine Begleitperson. Das bedeutete einen Fahrdienst für den Arbeitsweg. Trotz unbefristeter Stelle jedes Jahr ein neuer Antrag. Den letzten musste ich sogar mit juristischer Unterstützung durchfechten.
    Ich hoffe das System ändert sich bald.

  4. Das kommt mir alles so bekannt vor!
    Dass diese Rehamaßnahmen auf 40 Stunden ausgelegt sind, ist eine Katastrophe. Ich kenne so viele Leute, die damit nicht klar kamen und aussortiert wurden und jetzt eine Erwerbsminderungsrente bzw. Grundsicherung beziehen. Ich eingeschlossen. Einzelfälle sind das ganz und gar nicht.

    Mal von der beschissenen Situation für die jeweiligen Personen abgesehen, entgehen der Gesellschaft und dem Arbeitsmarkt jede Menge tolle Menschen, die ihr Potential nicht ausschöpfen können. Und gleichzeitig gibt es Fachkräftemängel, tja, darüber kann ich nur lachen.

  5. Ich bin sehbehindert mit einem GdB von 70. Nach meiner letzten Beschäftigung war ich fast 7 Jahre arbeitssuchend. Und das trotz einer guten Betreuung durch das Jobcenter. Es gab ein extra Team, dass sich ausschließlich um Menschen mit Einschränkungen kümmert. Die BeraterInnen waren wirklich sehr bemüht. Dann bekam ich zusätzlich noch Unterstützung durch meinen Reha-FachBerater von der DRV Bund.
    Meine jetzige Stelle habe ich aber allein gefunden. Die DRV hat mir eine “leidensgerechte” Arbeitsplatzausstattung zur Verfügung gestellt. Ich arbeite jetzt bei der DRV Berlin-Brandenburg im rehaproTeam. Dort gibt es mehrere Projekte zur besseren Betreuung von Menschen, die eine mehrfache Vermittlungseinschränkung haben. Unter anderem die Projekte “ReHaWeB” und proFis, bei denen eine Tandemberatung durch Mitarbeiter der DRV und der Jobcenter erprobt wird – also quasi aus einer Hand. Es geht sowohl um berufliche als auch gesundheitliche Reha, aber wir haben auch ein Netzwerk aus weiteren Beratungsstellen und Hilfsangeboten aufgebaut, um den Versicherten ein ganzheitliches Angebot machen zu können. Unsere Beraterinnen arbeiten nach dem Prinzip des Fallmanagements. Es ist noch nicht perfekt, aber wir hoffen, den Menschen auf dem Weg in eine bessere Zukunft helfen zu können.

  6. Liebe Sophie,

    Dein Bericht hat mich sehr berührt. Ich habe zum Glück keine Behinderung, aber ich musste mich beruflich verändern, und habe auch einen langen Kampf mit der Arbeitsagentur hinter mir. Zudem wurde ich, gelinde gesagt, als alter Sack und mehr oder weniger ungebildet abgestempelt.

    Wer zuletzt lacht, lacht am Besten: Ich bin nun eine gefragte IT Kraft, die sich raus suchen kann, wo sie arbeitet, und mit Jobangeboten überhäuft wird. Und ich verdiene ein bißchen besser, als die frustrierten Kaffeekocher in den Amtsstuben 🙂

    Lass Dich nicht unterkriegen, und herzliche Grüße

  7. Krass.
    Ich war in meiner Naivität davon ausgegangen, dass Reintegration in den Arbeitsmarkt immer auch mit weniger Stunden möglich ist. Allein bei dem Gedanken, mit so viel Stunden einzusteigen, krieg ich ja schon als gesunder Mensch Magenschmerzen.
    Und die Arbeitsfähigkeit AM ENDE der Maßnahme ist ja wohl was anderes als die Einstiegszeit. Abgesehen davon, dass das Gutachen weird ist – 40h 2. Arbeitsmarkt, gut udn schön, aber vielleicht findest du ja die perfekte Stelle für 15, 20, 25, 30 oder wieviel auch immer Stunden auf dem 1. Arbeitsmarkt .

    Gibt immer noch Sachen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die ich mindblowing finde und im 21. Jhd nicht erwartet hätte

  8. Danke für den interessanten Beitrag und meinen Respekt für deinen Weg. Ich hatte bei meiner letzten Arbeit einen schweren Unfall und wurde aufgrund der unbestimmten Genesungszeit entlassen. Da ich mich nicht frei auf eine neue Arbeit einstellen kann, werde ich mir eine Arbeitsvermittlung vom Jobcenter als Hilfe holen.

  9. Ich schreibe hier wegen unserem erwachsenen Sohn (Ü40), der inzwischen sozusagen aufgegeben hat. Er ist zu 80% schwerbehindert, Kennzeichen G auf Grund eines teiloperierten Hirntumors. Für ihn wäre eine Teilzeitbeschäftigung von bis zu 30 Stunden optimal aber das Job-Center hat ihn schon vor Jahren in die EU-Rente geschickt. Da er erwachsen und auf Grund seiner “Aussonderung” durch das Job-Center psychisch sehr angeschlagen war, konnten/durften wir uns nicht so einbringen, wie es hätte sein müssen. Inzwischen ist die Situation psychisch nicht wesentlich besser aber unser Sohn signalisiert, dass er gerne einer Tätigkeit/Beschäftigung (auch ehrenamtlich) nachgehen würde.

    Gibt es ggf. einen Tipp, wie er aus dieser leidigen EU-Rente wieder herauskommen kann und ob er eventuell auf eine gesundheitliche Kur/Reha Anspruch hat?

    VG, Sabine

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