Vielfältig, digital, manua!

Zwei Männer halten ein Dokument in die Kamera und lächeln.
Die Geburtsstunde von Manua: Benedikt J. Sequeira Gerardo (links) und Konstantin Grin beim Notariat. Foto: manua GmbH
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New Work, Technologie, Services aus Sicht Gehörloser für alle: manua GmbH, ein Unternehmen mit Sitz in Berlin, entwickelt sich zu einem modernen, familienfreundlichen Unternehmen. Wie das gelingt, erzählen die tauben Geschäftsführer im Interview mit der Deutschen Gehörlosenzeitung.

New Work, Technologie, Services aus Sicht Gehörloser für alle: manua GmbH, ein Unternehmen mit Sitz in Berlin, entwickelt sich zu einem modernen, familienfreundlichen Unternehmen. Wie das gelingt, erzählen die tauben Geschäftsführer im Interview mit Felicitas Berger von der Deutschen Gehörlosenzeitung.

Für Benedikt J. Sequeira Gerardo und Konstantin Grin, zwei der Gründungsmitglieder von manua GmbH, fühlt es sich an, als hätte die Geburtsstunde ihrer Firma kürzlich stattgefunden. Dabei unterschrieben die Geschäftsführer die Gründungsurkunde bereits am 7. Dezember 2022. Ihre Visionen und Ziele, die sie gemeinsam mit ihren Ehefrauen Angelina Sequeira Gerardo und Claudia Macht entwickelten und formulierten, werden zur Realität. Gemeinsam mit neunweiteren Mitarbeitenden möchte manua mit ihren Projekten, Produkten und Dienstleistungen den Menschen mit Behinderung, unabhängig von deren Fähigkeiten und Einschränkungen, Zugang in die Welt ermöglichen.

Felicitas Berger: Wie war das erste Unternehmensjahr rückblickend für euch?

Benedikt J. Sequeira Gerardo (BSG): Nachdem im Dezember 2022 die manua GmbHgegründet wurde, war ich ab Februar im darauffolgenden Jahr als alleiniger Mitarbeiter angestellt. Vorher war ich selbständig. Zu dem Zeitpunkt hatte ich Aufträge, die ich mit in manuanahm. Vom Arbeiten her änderte sich wenig, nur die Rechnungen musste ich auf die Firma umstellen. Später kam das Projekt Taubenschlag, welches schon lange existiert, hinzu. Der Antrag zum zweijährigenEU-Projekt „Deaf Journalism Europe“, an dem Taubenschlag beteiligt war, wurde bereits vor der Gründung gestellt. Zu dem Zeitpunkt führteich Taubenschlag noch als Einzelunternehmer. Die EU lehnte jedoch die Teilnahme von Taubenschlag ab, da ein Einzelunternehmen nicht förderfähig war. Innerhalb von nur zwei Wochen musste ich eine Lösung finden. Durch die vorherige Gründung vonmanuaergab sich die Möglichkeit, an dem Projekt teilzunehmen. Das Projektprofil von Taubenschlag passte gut in das Unternehmenskonzept von manua. So konnten wir die Organisation und Verwaltung von Taubenschlag an manuaübertragen. Nach dieser Umstrukturierung erhielten wir die Zusage für die Teilnahme am Projekt. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, aber letztendlich schafften wir es.

Konstantin Grin (KG): Das erste Jahr ist so rasend schnell vergangen. Normalerweise geht man nach einer Unternehmensgründung Schritt für Schrittvor. Doch wir entwickelten uns sehr schnell weiter. Eins der Ziele von manuaist es, Dolmetscherservice aus der Sicht Gehörloser anzubieten. Andere Betriebe werden oftmals von Hörenden geführt. Aber die Perspektive als gehörlose Person ist anders, wir wissen um den Bedarf an Unterstützung und Qualität und können eigene Erfahrungenals Kunden vorweisen. Hörende haben andere Interessen und Motivation. Hinzu kommt auch das Angebot der Taubblindenassistenz. Parallel zu manuamachte ich eine Ausbildung zum Taubblindenassistenten underwarbvor kurzem das Zertifikat. Daher kann manuaauch offiziell Service für Taubblinde anbieten.

Wie seid ihr auf den Namen manua gekommen und welche Bedeutung hat das Symbol für euch?.

BSG: Wie Konstantin und ich auf den Namen gekommen sind, war eher zufällig. Konstantin hatte zuerst einen Vorschlag, der sich meinem sehr ähnelte –das war wirklich ein Zufall. Damals schlug ich manaosvor. Wir entschieden uns aber für Konstantins Vorschlag, da er uns besser gefiel. Was das Wort bedeutet, kann Konstantin erklären.

KG: Für die Namensfindung unseres Unternehmens recherchierte ich. Unsere Zukunftsvision ist, die Gebärdensprachen in der Welt zu verbreiten, nicht nur innerhalb der Gehörlosengemeinschaft. Auch in Verbindung mit der Technologie, die sich permanent weiterentwickelt –da möchten wir, bildlich dargestellt, mit in den Zug einsteigen.manuasetzt sich zusammen aus dem lateinischen „manus“, was Hand heißt, und „nua“, abgeleitet von „ianua“, was Zugang bedeutet.Mit der Hand, in unserem Fall die Gebärdensprache, schaffen wir den Zugang in die Gesellschaft. Da spielen Lautsprache und Hören keine Rolle.

BSG: Der Prozess der Erstellung eines Logos für manuadauerte sechs Monate. Hierfür beauftragte ichden dänischen Grafikdesigner Simon Bak. Ich mag seinen Stil und wir tauschten uns sehr lange aus. So entstand unser Unternehmenslogo. Der Buchstabe m ist im Wort manuasichtbar. Das Symbol, das sich dem Unendlichkeitssymbol ähnelt, beschreibt die Vielfaltund das breite Spektrum an Möglichkeiten von manua.

Wieviel Zeit investiertet ihr darin, dass das Vorhaben der Unternehmensgründung immer mehr zur Realität wurde?

KG: Bengie (Benedikt Sequeira Gerardo, Anm. d. Red.) arbeitete bei yommaundmachtesich dann selbständig. Ich zog aus beruflichen Gründen nach Berlin. Ich spielte schon länger mit dem Gedanken, eine Firma zu gründen – aber allein wollte ich nicht. Durch den regelmäßigen Kontakt mit bengie und dem Austausch über unsere Visionen und Gedanken stellten wir fest, dass wir uns mit unseren Stärken sehr gut ergänzen. Dann entschieden wir uns gemeinsam, innerhalb der nächsten Monate ein Unternehmen zu gründen.

BSG: Hinzu kommt, dass die Abrechnung meiner Leistungen mit einem Kunden als Selbständiger aus verschiedenen Gründen sehr kompliziert war und ich dementsprechend eine Firma brauchte, um dies zu vereinfachen. Gemeinsam mit unseren EhefrauenAngelina und Claudiagründeten wir das Unternehmen.

Konstantin, du erwähntestvorhin, dass ihr euch mit euren Stärken sehr gut ergänzt. Welche Stärken habt ihr und warum könnt ihr voneinander profitieren?

KG: Was uns verbindet ist unsere Neugier und Aufgeschlossenheit für zukunftsweisende Technologien, auch zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI). Wir sehen in KI viele Möglichkeiten und Potential, Vorteile für die Gehörlosengemeinschaft zu bringen.

BSG: Konstantins Stärken sind Verwaltung und Behörde. Er weiß in den Anträgen sehr gut zu argumentieren. Bei sowas gebe ich schnell auf und akzeptiere schnell, wenn beispielsweise eine Absage kommt. Aber Konstantin ist da hartnäckig. Auch bringt er Wissen in Sprache, Linguistik und Neurowissenschaft mit. Meine Stärken liegen in Gestaltung, Kreativität und Verwaltung

Eine Frau vor blauem Hintergrund gebärdet.
Zwei Personen in je zwei bildschirm fenstern vor blauem Hintergrund die Gebärden.

Die Gebärdensprach-App ist wie eine Pflanze, die Zeit und Aufmerksamkeit erfordert.

Das neueste Produkt, welches manua auf den Markt brachte, ist die Lernapp Duomano. Sie soll den Einstieg in die Deutsche Gebärdensprache erleichtern und neue Themen-Module werden laufend entwickelt. Was macht die App oder euer Projekt so besonders? Warum stelltet ihr so ein Projekt auf die Beine?

BSG: Ich beschäftigte michschon länger damit, wie zum Beispiel für Nachbarn oder Café-Mitarbeitendendie Kommunikation mit Gehörlosen erleichtert werden kann. Mit der App können sie die Basisgrundlagen der Deutschen Gebärdensprache für den Anfang in Form eines Vokabel-Trainings erlernen. Das ist das erste Ziel. Um die Sprache weiter zu vertiefen, wie zum Beispiel die Grammatik, dafür eignet sich die App nicht. Dafür sind Gebärdensprach-Kursegeeigneter. Das zweite ist, dass gebärdensprachkompetentePersonendie App nutzen können, um nach einer bestimmten Vokabel oder einem spezifischen Fachbegriff zu suchen. Zum Beispiel zum Thema „Queer“. Sie haben die Gebärde gesehen, einmal genutzt, aber wieder vergessen. Dafür ist die App da, um nach Fachbegriffen zu unterschiedlichen Themen zu suchen und diese zu erlernen. Langfristig planen wir ein umfangreiches Lexikon.

Wie ist die Resonanz auf die App, wie kommt sie in der Community bzw. bei Lernenden an?

BSG: Es gibt da zwei unterschiedliche Resonanzen – zum einen finden die Lernenden die Aufnahmen und das Design der App sehr gut. Zum anderen erwarten die App-Nutzenden mehr – zum Beispiel mehr Inhalt, mehr Vokabeln. Ich kann die Bedürfnisse der Nutzenden nachvollziehen. Um ihren Erwartungen gerecht zu werden, benötigen wir mehr Zeit. Um Duomanoweiter zu pflegen und mit weiteren Gebärden zu ergänzen, benötigen wir etwa zwei Jahre – die App existiert seit September 2023 und ist wie eine Pflanze, die Zeit und Aufmerksamkeit erfordert.

Anhand welcher Kriterien legt ihr die Gebärdenfür Duomano fest? Wie in der Lautsprache hat die Deutsche Gebärdensprache auch Dialekte, sodass viele Gebärden auch unterschiedliche Ausführungsformen haben?

BSG: Wir arbeiten teilweise mit dem DGS-Korpus – dort können wir einsehen, welche Gebärde deutschlandweit verbreitet und wie häufig benutzt wird. Ist eine Gebärdeim Korpusnicht vorhanden, tauschen wir uns intensiv im manua-Team aus und entscheiden uns für die Gebärde. Für uns ist es sehr wichtig, dass die Gebärde nicht diskriminierend und politisch umstritten ist. Das ist keine leichte Aufgabe. Langfristig müssen wir überlegen, ob wir nur eine Gebärde für einen Begriff zeigen, oder ob noch eine zweite dazu kommt. Die Entwicklungskosten der App sind sehr hoch.

KG: Entscheidend ist, ob die Ausführung der Gebärde in zehn Jahren immer noch aktuell ist. Ist das nicht der Fall, müssen wir die Gebärde aktualisieren. Unser Ziel ist es, die App immer wieder auf den aktuellen Stand zu bringen. Wir gehen mit dem sprachlichen Wandel.

10 Personen lächeln auf diesem Gruppenbild in die Kamera.
Treiben Services aus Sicht gehörloser Menschen voran - das Team von Manua. Foto: manua GmbH

Neben dem Redakteur für Taubenschlag und weiteren Mitarbeitenden habt ihr auch einen Taubblinden-Assistenten. Was genau ist seine Aufgabe?

KG: Im Nordosten herrscht ein großer Mangel an TBA. ImVergleich zu NRW, wo sehr viele TBA aktiv sind, haben wir in Berlin und Brandenburg kaum Mitarbeitende für TBA. Ich bin selbst auch TBA, und übernehme bei manua die Vermittlung. Hierfür ist ein Zertifikat als ausgebildeter Taubblindenassistent notwendig. Unser Taubblindenassistent Kevin Lindemann arbeitet Vollzeit, bei den anderen TBA ist es mehr ein Nebenberuf. Sie können meistens nur an den Wochenenden Aufträge ausführen. Aber die Taubblinden haben sehr viele Bedürfnisse und benötigen im Alltag auch Unterstützung, z.B. bei Arztbesuchen. Dasist ein Widerspruch, dem wir entgegensteuern möchten.

manua bietet Workshops zur Schulung und Sensibilisierung für mehr Barrierefreiheit im Alltag und Berufsleben an. Wie sind da eure Erfahrungen und die Resonanz der Teilnehmenden?

KG: Durch die vielen Erfahrungen, die wir als Gehörlose mit Dolmetschenden machten, wissen wir, was sie an Wissen benötigen, um sich weiterzuentwickeln. Unsere Ehefrauen sind Dolmetscherinnen und bengie ist als tauber Dolmetscher tätig. So schafften wir mit unserem Wissen und unseren Erfahrungen ein Fundament für Weiterbildungen. Ich kenne viele Dolmetschende, die nach ihrem Abschluss nach Weiterbildungen suchen, die sie auch sprachlich und fachlich in ihrer Weiterentwicklung fördern. Um die Qualität ihrer Arbeit abzusichern und zu verbessern, möchten wir ihnen Weiterbildungen anbieten. Den anderen Bereich wie Beratung und Sensibilisierung, in dem wir beispielsweise Firmen, die einen gehörlosen Mitarbeitenden eingestellt haben, schulen, haben wir jetzt konkret nicht in Planung. Wir legen vielmehr den Schwerpunkt auf Weiterbildungen. Mit dem Ziel, nicht nur hörende Dolmetschende, sondern auch langfristig Gebärdensprach-Dozierende weiterzubilden.Nicht nur Hörende, sondern auch Gehörlose sollen davon profitieren. Außerdem beraten wir Veranstaltungen und Organisationen, die gezielt auch ein taubes Publikum ansprechen wollen, dahingehend, wie sie dies erreichen können.

Wir betrachten den Menschen als Ganzes und für uns ist seine Gesundheit sehr wichtig, nicht die Arbeitsleistung, die der Mensch erbringt.

Habt ihr für das neue Jahr weitere Projekte geplant?

BSG: Unser Ziel für die kommende Zeit ist erstmal, die Serviceleistungen, die wir mit manuaanbieten, qualitativ hochwertig zu halten und sie zu pflegen.

KG: Natürlich haben wir sehr viele Ideen, aber unsere Zeit für manuaist begrenzt. Wenn das Alltagsgeschäft mit dem Personal wie flüssig von statten und routiniert läuft, können wir unsere Angebote Stück für Stück erweitern. Eins meiner Herzensprojekte julimo wird aber hoffentlich im laufenden Jahr endlich starten – ein Projekt mit dem Ziel der spielerischen und pädagogischen Förderung des Spracherwerbs tauber Kinder.

Was hebt euch von anderen Unternehmen, unabhängig vonhörend oder gehörlos, ab?

BSG: manua verfolgt die Arbeitsphilosophie „New Work“ (engl.: Neue Arbeit). Das bedeutet, dass wir unseren Mitarbeitenden auf Augenhöhe begegnen und eine flache Hierarchie schaffen. Bei manua übergeben wir die Verantwortung an unsere Mitarbeitenden, sodass sie auch selbst entscheiden. Dies ist ein Prozess, den wir anstießenund nun verfolgen, um zu schauen, ob „New Work“ von unseren Mitarbeitenden positiv aufgenommen wird.

KG: Unsere Mitarbeitenden arbeiten maximal 32 Wochenstunden. Uns liegt es am Herzen, dass sie zufrieden und motiviert sind. Die Forschung zeigte bereits, dass Menschen mit einer 32-Stunden-Woche glücklicher sind, also warum sollen wir damit warten? Bei manua möchten wir mit gutem Beispiel vorangehen. Wir betrachten den Menschen als Ganzes und für uns ist seine Gesundheit sehr wichtig, nicht die Arbeitsleistung, die der Mensch erbringt.

Zu guter Letzt, was war bei der Unternehmensgründung für euch die größte Herausforderung?

BSG: Wir hatten unterschiedliche Herausforderungen, aber eine belastete uns sehr–nämlich die Kommunikation mit dem Inklusionsamt zum Thema Arbeitsassistenz. Bis wir ein Budget bekommen, dauert es beim Inklusionsamt typischerweise bis zu einem Jahr. Insofern entschieden wir uns, gleich welche einzustellen, die wir aus eigenen Mitteln vorfinanzieren.

KG: Das ist die typische Zusammenarbeit mit Behörden. Für sie ist es neu, dass Gehörlose eine eigene Firma haben – wenn Hörende eine eigene Firma haben, ist es selbstverständlich. Unsere Mitarbeitendensind Feuer und Flamme und möchten gerne gleich sofort ihre Ideen in die Praxis umsetzen. Da müssen wir sie manchmal in Schach halten und die Ideen schrittweise umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 02/2024) erschienen.

 

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