Ende September 2021 wurde die offizielle Bundes-Notruf-App eingeführt. Von Teilen der Gehörlosengemeinschaft wird “nora” jedoch noch skeptisch beäugt. Thomas Mitterhuber von der Deutschen Gehörlosenzeitung hat Erfahrungsberichte von drei gehörlosen Nutzern gesammelt, die unterschiedlich zufrieden waren.
Informationen in Einfacher Sprache
In diesem Text geht es darum, wie gehörlose Menschen den Notruf rufen können. Dafür gibt es verschiedene Apps. Im Text erzählen drei Menschen von ihren Erlebnissen, als sie in einer Notsituation waren.
Mit der Einführung der „offiziellen Notruf-App der Bundesländer“, verfügbar für Android- und iOS-Smartphones, wurde ein Versprechen im Koalitionsvertrag 2013 der damaligen schwarz-roten Bundesregierung endlich eingelöst. nora verspricht, im Notfall die Einsatzkräfte „schnell und einfach“ erreichen zu können. Man könne außerdem Notrufe absetzen, ohne sprechen zu müssen und stehe dennoch in direktem Kontakt zu den Leitstellen. In den sozialen Medien sorgen laufende Kritik und Werbung für alternative Apps jedoch weiterhin für Verunsicherung. Wie gut ist nora wirklich? Drei Erfahrungsberichte.
Axel Schneider, 50
aus Jüchen (NRW)
Im November fiel meine Frau bei uns zu Hause bewusstlos um. Ihr Kopf knallte auf den Boden, aus ihrem Mund kam Blut heraus. Ich nahm sofort mein iPhone zur Hand und öffnete nora. Als die Abfragebuttons mit den Details zum Notfall kamen, geriet ich in eine Blockade. Ich war in Panik und wusste nicht, was ich auswählen sollte. Ich war zwischen meiner Frau und der App hin und her gerissen und fühlte mich überfordert.
Als ich den Notruf nach etwa drei, vier Minuten endlich absenden konnte, kam bald darauf eine Textnachricht von der Leitstelle Rhein-Kreis Neuss: „KÖNNEN SIE BITTE ANRUFEN?“ Ich war von diesem „Tonfall“ perplex. In den nora-Einstellungen hatte ich ja bereits angegeben, dass ich eine Hörbehinderung habe. Ich schrieb zurück, dass ich taub bin. Daraufhin wurden Rückfragen im Chat gestellt und ich beantwortete sie, so gut ich konnte.
Der Notarzt war bereits nach sieben Minuten da – eigentlich eine sehr gute Zeit. Die App funktioniert ja. Allerdings müsste es dringend die Möglichkeit geben, per Gebärdensprache einen Notruf abzusetzen. Ich habe selber gemerkt, dass es schwer sein kann, unter Schock oder unter besonderen Umständen einen Notruf mittels Abfragebuttons und einem Textchat abzusetzen. Außerdem haben viele Gehörlose Schwierigkeiten mit der Schriftsprache.
Beim Betatest (= Test von Software im Entwicklungsprozess) von nora im vergangenen Frühjahr war ich dabei. Ich konnte die App ausgiebig testen und gab auch Feedback. Leider wurde es bis zur Einführung im September nicht mehr berücksichtigt. Zu der ganzen Diskussion in den sozialen Medien kann ich nur sagen, dass auch für Gehörlose der Notruf kostenlos sein muss. Monatliche Abo-Kosten, wie es sie beim uney-Button gibt, lehne ich ab. Das wäre keine Gleichbehandlung gegenüber Hörenden. Mein Appell an alle: Installiert nora auf euren Handys und gebt laufend Feedback ab. Nur so kann die App besser werden.
Telefon absurd: Warum der Nachteilsausgleich mehr hindert als hilft
Durch die Corona-Krise tritt eine Schwachstelle des deutschen Unterstützungssystems für Behinderte zu Tage: Der Nachteilsausgleich und das Konzept der Arbeitsassistenz. Eng damit verbunden ist auch das Telefondolmetschen für Gehörlose, welches in Deutschland als einzigem Land nach privatem und geschäftlichem Gebrauch getrennt wird. Wille Felix Zante erklärt, wie man das System ändern müsste.
Stefan*, Mitte 30
aus Südbayern
* Name von der Redaktion geändert
An einem Freitag Mitte Dezember habe ich nora zum ersten Mal benutzt. Wir waren zu Hause, gegen 21 Uhr bekam unsere Tochter Atemnot. Meine Frau war bei ihr, ich nahm mein Apple-Smartphone und setzte über nora einen Notruf ab. Einige Minuten später kam von der Notrufleitstelle die Bestätigung per Textchat, dass ein Rettungswagen unterwegs sei. Ich wurde laufend über den Status des Rettungswagens informiert. Kurz vor dessen Ankunft bat mich die Leitstelle, rauszugehen und die Rettungskräfte zu empfangen. Sie waren gut eine Viertelstunde, nachdem ich den Notruf abgesetzt hatte, bei uns. Unsere Tochter wurde ins Krankenhaus gebracht, ihr geht es inzwischen wieder gut.
Davor hatte ich mit meiner Frau die Diskussion, welche Notruf-App besser sei. In den sozialen Medien wird nora ja seit Monaten kritisiert und kräftig für die App von HandHelp geworben, in Kombination mit dem kostenpflichtigen uney-Button. Meine Frau tendierte zu uney, da man mit nur einem Knopfdruck einen Notruf absetzen kann. Ich wollte mich aber selbst informieren und es gelang mir, über Tess unsere örtliche Leitstelle zu kontaktieren. Auf meine Frage, welche App sie gehörlosen Menschen empfehlen würden, kam sofort zurück: nora. Für mich war die Sache klar und meine erste Notruf-Erfahrung hat meine Wahl auch bestätigt. Für mich ist es wichtig, dass die Leitstelle und die Einsatzkräfte alle nötigen Informationen zum Notfall erhalten, damit sie schnell helfen können, wenn sie da sind. Das geht mit nora und ich bin sehr zufrieden damit. Ich habe sie auch schon anderen Gehörlosen empfohlen.
Jonas Brendicke, 31
wohnt in der Nähe von Ludwigslust
Am 29. September 2021, zufälligerweise einen Tag, bevor ich nora erstmals einsetzte, hatte ich die App auf meinem Android-Handy installiert und eingerichtet. In den Einstellungen gab ich meine persönlichen Daten und auch meine Hörbehinderung ein.
Am darauffolgenden Tag hatten wir einen Notfall. Meine hörende pflegebedürftige Oma lebt ganz in meiner Nähe, meine gehörlose Mutter besucht sie täglich. An diesem Tag hatte sie jedoch gesundheitliche Probleme und war halb bewusstlos. Ich wählte nora und war in Aufregung. Doch die Auswahlbuttons fand ich klar und gut verständlich, so konnte ich Informationen zur Situation angeben. Bis ich durch war und den Notruf absenden konnte, dauerte es insgesamt etwa zwei Minuten. Also etwa so lang, wie ein Hörender den Notruf anwählen und dann die typischen fünf W-Fragen am Telefon beantworten müsste, finde ich.
Daraufhin meldete sich die Leitstelle per Textchat und ich beantwortete ihre Rückfragen kurz. Zehn Minuten, nachdem ich den Notruf absetzte, waren die Einsatzkräfte da. Sie wussten auch bereits über meine Gehörlosigkeit und den Notfall Bescheid.
Davor mussten wir Gehörlose bei einem Notfall selber ins Krankenhaus fahren oder Nachbarn darum bitten, die 112 anzuwählen. Das halte ich nicht für hinnehmbar. Jetzt können wir selbst einen Notruf absetzen und ich bin dankbar für diese App. Die Einsatzkräfte wunderten sich nachher darüber, wie ich den Notruf absetzen konnte. Ich zeigte ihnen nora und sie waren davon begeistert. Meinen Eltern habe ich die App auch schon eingerichtet und erklärt, aber sie müssen sich darin noch ein wenig orientieren.
Beim Gehörlosen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern engagiere ich mich als Beisitzer. In dieser Funktion nahm ich an mehreren Zoom-Sitzungen der Notruf-Arbeitsgruppe vom Deutschen Gehörlosen-Bund teil. Daher kannte ich nora schon vorher. Meine Erfahrungen mit dieser App sind sehr positiv. An diesem Tag hat nora schließlich ein Leben gerettet – das meiner Oma.
Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 01/2022) erschienen.
Eine Antwort
Also ich finde diese App super.Im Notfall ist schnelle Hilfe da ist ne tolle Idee und prima gemacht.Danke.Immer das lässige Anrufen bei ein Notfall.Hier macht die App diese Arbeit.