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Auf den Seiten 54, 55, 56 und 57 gibt es das Interview zum Thema “Aus der Behindertenwerkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt”.

Aus der Behindertenwerkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Herr S. sammelte Erfahrungen in vielen verschiedenen Werkstätten für behinderte Menschen. Glücklich wurde er nirgends. Im Rahmen des Projekt WERTARBEIT von der Wille fand er schließlich eine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Wie es dazu kam, erzählt Herr S. im Gespräch mit JOBinklusive.

Wo arbeiten Sie und wie geht es Ihnen heute mit Ihrer Arbeit?

Ich bin im Transportteam bei der Berliner Stadtmission. Wir machen Wohnungsauflösungen und wir leeren Kleidercontainer mit Spenden. Das kommt dann Leuten zugute, die nicht viel haben, zum Beispiel Obdachlosen, die auf der Straße leben, im Winter. Damit die Leute nicht frieren müssen in der Kälte und so. Deswegen versuche ich meinen Beitrag dafür zu leisten. Man sollte schon versuchen, eine gute Tat zu vollbringen und das versuche ich durch den Job.

Ich fühle mich glücklich, ich bin stolz, dass ich aus der Werkstatt raus bin und nie wieder zurückmuss. Das möchte ich auch nicht mehr. Diesen Teil habe ich geschafft. Der 2. Teil, eine eigene Wohnung, ist mein nächster Wunsch, das kann aber noch dauern.

Ich war in der Werkstatt und da wollte ich raus auf den ersten Arbeitsmarkt. Durch meinen Betreuer Herrn Sch. bin ich ja dann auch komplett rausgekommen.

Ich habe es leichter auf dem ersten Arbeitsmarkt als auf dem zweiten. Ich musste in der Werkstatt mit meinem Kopf in den PC kriechen, um eine kleine Minischraube ziehen zu können. Das hat nicht mal mit dem Trick Tesafilm zu nutzen funktioniert.

Ich habe dann oft Kopfschmerzen und Migräneanfälle gehabt. Deswegen war ich sehr oft krankgeschrieben. Jetzt fühle ich mich besser. Die Arbeit macht mir Spaß, ich gehe gern zur Arbeit. Okay, außer wegen der jetzigen Situation (Anmerkung: Corona). Aber sonst gehe ich regelmäßig zur Arbeit, habe Spaß mit den Kollegen, mit meinem Chef. Einen netten Chef, einen richtig netten Chef habe ich. Ja. Es macht wirklich alles Spaß. Besser als in der Werkstatt ist es auf jeden Fall.

Was war die größte Herausforderung auf Ihrem Weg zur jetzigen Arbeit? Wie haben Sie diese überwunden?

In der Schule haben die Lehrer gesagt, das kannst Du nicht. Das schaffst Du nicht. Ich habe ein Praktikum gemacht. Dann bin ich 2012 raus aus der Schule. Kurze Zeit später habe ich in einer Werkstatt angefangen. Dann war ich eineinhalb Jahre in dieser Werkstatt. Danach musste ich abbrechen, weil es mit meinen Augen immer schlimmer wurde. Es war eh schon schlimm, aber es wurde noch schlimmer, weil ich einen Unfall hatte. Ich musste notoperiert werden. Danach, als ich dann wieder da war, habe ich weitergemacht. Da habe ich aber gesagt, es geht nicht mehr. Ich habe dann abgebrochen und war die ganze Zeit zu Hause. Ich habe ein Praktikum in einer anderen Werkstatt probiert, und dann wieder in anderen Werkstätten. Ich war zum Schluss mindestens in 10 Werkstätten und nichts hat funktioniert. 

Meine Schwester ist bei der Polizei. Ich war in der Werkstatt, also nach unten versetzt, auf den zweiten Arbeitsmarkt und das ging für mich nicht. Deswegen wollte ich raus und auf einer Linie sein. Sie, auf dem ersten Arbeitsmarkt, ich, auf dem ersten Arbeitsmarkt. Dann fühlt man sich auch besser.

Ich habe mit meinem Wohnbetreuer lange Gespräche gehabt und auch viele, die mir sehr geholfen haben. Mein Betreuer hatte die Idee, dass wir zur Wille gehen und dass ich mich da erstmal in einem Vorstellungsgespräch vorstelle. Und die haben mir dann geholfen, mit mir zusammen einen Arbeitsplatz zu finden.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie diese Arbeit gefunden haben?

Das ist eigentlich gut gelaufen. Aber es hat eine Zeit gedauert. Das ist klar, dass das nicht so schnell geht – in 1 bis 2 Monaten oder so. Ich habe auch erstmal ein Praktikum gemacht. Es wurde zweimal verlängert. Und nach dem vierten Monat konnte ich dann endlich stolz meinen Arbeitsvertrag unterschreiben. Ich war glücklich, als ich einen Anruf bekam: “Kannst Du bitte ins Büro kommen, Deinen Arbeitsvertrag unterschreiben? Wir würden uns freuen.” Und da bin ich hingefahren und habe ihn unterschrieben. Und der wurde dann gleich zu meiner Betreuerin geschickt. Die hat dann auch unterschrieben. Und dann läuft das jetzt alles, wie es läuft.

Was ist Ihnen an Ihrer jetzigen Arbeit wichtig?

Wie soll man das sagen? Man ist halt freier als, wenn man in einer Werkstatt einen Arbeitsgruppenleiter hat. Man kann offener mit den Kollegen reden, besser Vertrauen aufbauen, als zu den Arbeitsgruppenleitern. Damit komme ich besser klar, als wenn ich in einer Werkstatt bin. Das Zweite ist, man bekommt mehr Aufmerksamkeit und viel mehr Gehalt als in der Werkstatt. Das bisschen da. Das finde ich alles komplett besser als in einer Werkstatt, weil eine Werkstatt ist so wie für Kinder. Ja, ich fühle mich halt richtig erwachsen.  

Ich konnte jedem zeigen und beweisen, ich habe es doch geschafft und nicht wie andere gesagt haben, das schaffst du nicht. Mit dem Arbeitsvertrag in der Hand habe ich den Leuten bewiesen, dass ich es doch kann. Und dass sie mir keine Chance gegeben haben. Und sie hätten mir eigentlich eine Chance geben sollen. Ich habe dafür halt gekämpft.

Was würden Sie Menschen, die in einer Werkstatt sind oder in einer ähnlichen Situation, wie Sie sie hatten, sagen wollen?

Dass man kämpfen muss, niemals aufgeben darf. Man sollte halt immer für seine Ziele, seine Wünsche und für seine Träume kämpfen. 

Und wirklich auch immer dranbleiben. Ansonsten ist das wie ein Kreis, man dreht sich und dreht sich. Und man kommt nie raus.  Wie eine Einbahnstraße im Kreisverkehr in eine Richtung. Und man kommt nie wieder raus. Und wenn man das nicht durchbricht, dann kommt man nie aus den Werkstätten raus, nie auf den ersten Arbeitsmarkt. Das hat mir wirklich geholfen und ich bin meinem Betreuer und der Wille, die mir geholfen haben, sehr dankbar, dass ich das wirklich geschafft habe.

Was würden Sie Arbeitgebern in Deutschland sagen wollen?

Was ich denen sagen würde ist, dass man den Leuten eine Chance geben sollte. Dass jeder Mensch die Chance hat auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten, dass jeder die Chance hat rauszukommen, aus der Werkstatt. 

Es gibt nur ein Leben. Und ein Leben in der Werkstatt ist nicht richtig. Das richtige Leben gibt es erst auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Vielen lieben Dank für das Gespräch, Herr S. Wir wünschen Ihnen alles Gute! 

Das Projekt WERTARBEIT bei der Wille: 

Das Ziel des Projektes ist es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen für Menschen mit einer Behinderung zu finden und Unternehmen und Arbeitgeber*innen zu gewinnen, die auf der Suche nach motivierten und zuverlässigen Mitarbeitenden sind. Das Modellprojekt “Beschäftigungsimpulse für Menschen mit Behinderungen durch Nutzung des Budgets für Arbeit (BfA)“  wird durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales gefördert.       

Die Wille

Die Wille ist ein soziales Unternehmen der Johannesstift Diakonie. Als soziales Unternehmen liegt der Fokus der Arbeit darauf, Menschen den Zugang zu Erwerbsarbeit und Bildung und somit ihrem Platz in der Gesellschaft zu ermöglichen. Langjährige Erfahrung, innovatives Denken und eine gute Vernetzung sind die Basis und die Grundlage, um Menschen professionell und empathisch auf ihrem Weg zu begleiten. Mehr Informationen gibt es hier.   

Gezeichnetes Bild von einem Mann mit schwarzen Haaren, Brille und Schnurrbart. Er sitzt in einem Elektrotollstuhl und sagt "Hallo, ich bin Sven!"
Sketchnote mit dem Gesicht von Sven. Daneben der Text: Niemand hat das recht zu sagen: du kannst das nicht oder das ist zu schwer für dich. Du weißt am besten was du kannst oder nicht.
Sketchnote mit dem Gesicht von Sven. Daneben der Text: Es gibt Alternativen zu Werkstätten! Es gibt "andere Leistungsanbieter". Sie unterstützen die bei der Arbeit direkt in einem Betrieb.

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