Seite 34

Lesezeit ca. 6 Minuten

Auf den Seiten 30 bis 34 ist der Text über “Barrierefreies Gaming”.

Barrierefreies Gaming

Zwei Hände liegen auf einem barrierefreien Gamepad.

Wie funktioniert Zocken an der Konsole mit einer Muskelerkrankung? Und welche Features sind für barrierefreies Gaming wichtig? Melanie Eilert erzählt von ihren eigenen Erfahrungen.

Ich lebe mit Spinaler Muskelatrophie, einer fortschreitenden Muskelschwäche. Die SMA wurde erkannt, als ich ein bisschen älter als ein Jahr war. Damals, Ende der 80er, gab es für meine Eltern noch nicht die Möglichkeit, sich massenhaft Informationen aus dem Internet zu holen und trotzdem haben sie versucht, sich so gut es geht darüber zu belesen, was SMA ist und welche Folgen die Erkrankung hat. So war ihnen klar, dass die Kraft in meinen Händen früher oder später nicht mehr ausreichen wird, um mit einem Stift zu schreiben. Es war ihnen daher wichtig, mich schon früh in meiner Kindheit mit Computern und Technik vertraut zu machen. Wir hatten unseren ersten Computer schon kurz nach meiner Einschulung. Wenige Zeit später zog zu Weihnachten ein Super Nintendo bei uns ein, den meine Cousine, mein Cousin und ich zusammen zu Weihnachten bekamen. Das war eine große Überraschung, mit der wir drei nicht gerechnet hatten.Ich hatte viel Spaß dabei, mit meiner Cousine und meinem Cousin am Super Nintendo zu spielen. Wir spielten sehr gerne gegeneinander Super Mario Kart oder wechselten uns bei Mickey’s Magical Adventure ab. Spielen machte mir so viel Spaß, dass ich mit ungefähr 10 Jahren mein gespartes Taschengeld für einen Gameboy Color Pocket ausgab und darauf sehr viele Pokémon sammelte.

Doch das Vergnügen hielt nur wenige Jahre an. Mit dem Erscheinen der ersten PlayStation und dem N64, welche Ende der 90er populär wurden, stieß ich das erste Mal auf Barrieren beim Gaming. Die Games präsentierten jetzt häufig 3D-Welten, was die Steuerung komplexer machte. Die neuen Controller waren groß und unhandlich. Und generell wurden viel mehr Tasten benötigt, als bei den vorherigen Konsolen. Ich versuchte dann auf Games am Computer umzusteigen, aber zu dem Zeitpunkt war es bereits ziemlich anstrengend für mich, eine Tastatur zu benutzen und mit der Zeit, war auch das nicht mehr möglich. Somit blieben nur noch Games, die allein mit der Maus gesteuert werden konnten, doch die langweilten mich bald, sodass ich das Spielen für viele Jahre nahezu komplett aufgab.

Um genau zu sein für über 15 Jahre. Ich hatte nie das Interesse an Games verloren, ich konnte nur keine finden, die zu mir passten. Ich konnte manchmal bei Freund*innen zuschauen und auf diese Weise passiv spielen. Bei dem Spiel Beyond – Two Souls gab es sogar eine App, um einen zweiten Charakter mit dem Smartphone zu steuern. Das war cool und die aktivste Spielerfahrung, die ich seit Jahren hatte. Es war ein tolles Erlebnis, doch es war mir nicht genug.

Uncharted 4 – erstes barrierefreies Spiel seit Langem

Irgendwann im Frühjahr 2017 checkte ich mal wieder im Internet, wie es aktuell mit Barrierefreiheit in Games aussieht. 2017 gab es bei weitem noch nicht so viel hilfreiche Informationen wie heute, aber eine Sache packte mich:

Ich stieß auf ein YouTube-Video von Ende 2016, in welchem über Barrierefreiheit im Action-Adventure Uncharted 4 gesprochen wurde. Es war die Aufzeichnung eines Diskussionspanels, an dem unter anderem Josh Straub, ein behinderter Gamer, und eine UI Designer des Spiels teilnahmen. Die UI Designerin sagte bei der Diskussion, dass eine E-Mail von Josh, in der er seine Probleme mit dem vorherigen Spiel schilderte, den Anstoß dafür gab, beim aktuellen Titel für weniger unbeabsichtigte Barrieren zu sorgen.

Dieses Video war der wichtige Auslöser für alles, was danach bei mir passierte. Ich war überrascht und sehr glücklich, zu sehen, dass es in der Gaming-Industrie Menschen gibt, die behinderten Spielenden zuhören und aktiv daran arbeiten, Barrieren in Games aus dem Weg zu räumen. Ich fühlte mich wahrgenommen und ich hatte Hoffnung, doch endlich wieder selbst und alleine spielen zu können.

Natürlich musste ich umgehend das besagte Spiel, Uncharted 4, ausprobieren. Glücklicherweise konnte ich mir das Spiel und eine PlayStation 4 von einem Freund ausleihen. Und ich konnte es tatsächlich spielen! Es war immer noch sehr anstrengend und es hat nicht alles perfekt funktioniert, aber ich konnte es mit dem normalen PlayStation-Controller von Anfang bis Ende komplett selbstständig spielen und das fühlte sich gut an.

Nach dieser Erfahrung schaffte ich mir eine eigene PS4 an und versuchte mich an verschiedenen Games. Für manche musste ich erfinderisch werden, um an Steuerungsbarrieren vorbeizukommen, manche funktionierten für mich auch gar nicht und ein paar waren sogar ganz unkompliziert spielbar. Da ich nun wusste, dass es da draußen Menschen gibt, die sich für die Spielerfahrung behinderter Spielender interessieren, erzählte ich hier und da auf meinem Blog oder auf Twitter von meinen Erfahrungen mit einzelnen Games. Ich hatte zu der Zeit nur wenig Follower, die kaum über Freunde und Familie hinaus gingen, aber das war egal. Es machte mir Spaß, von meinen Gaming-Erlebnissen zu berichten.

Der Adaptive Controller von Microsoft

Wenige Monate später kündigte Microsoft den Xbox Adaptive Controller an. Einen Controller für die Xbox, der durch den Anschluss externer Taster komplett individualisiert und angepasst werden kann. Das klang für mich super interessant und ich fragte bei Xbox Deutschland, ob es eine Möglichkeit gibt, den Controller zu testen. Ich dachte dabei eigentlich an die Spielemesse gamescom oder einen Termin in einem der Microsoft-Büros, doch stattdessen bekam ich den Controller und eine Xbox One S geschickt, um beides ausführlich auszuprobieren. Der Xbox Adaptive Controller war für mich ein Game-Changer im wahrsten Sinne des Wortes – und das nicht nur beim Spielen. In meinem Setup nutze ich den Xbox Adaptive Controller ergänzend zum Standardcontroller, sodass ich mir Tasten, die dort zu schwer zu drücken sind, als leichtgängige Taster zusätzlich auf den Tisch legen kann. So werden mir auch Spiele mit komplexeren Eingaben ermöglicht, die ich vorher nur unter großer Anstrengung oder gar nicht spielen konnte.

Ich schrieb einen ausführlichen Testbericht über diesen Controller, den ich bei GamePro veröffentlichen konnte, eines der größten Gaming-Magazine in Deutschland. Der Controller wurde sehr stark beworben und so interessierten sich auch andere Medien für Erfahrungen damit. Durch meinen Testbericht und auch meine Aktivitäten auf Social Media kamen sie dabei immer wieder auf mich zurück. Plötzlich gab ich Interviews fürs Radio, Podcasts und sogar fürs Fernsehen.

Während ich langsam meine ersten Schritte in der größeren Öffentlichkeit machte und von meinen Erfahrungen als behinderte Spielerin erzählte, um auch allgemein auf Barrieren im Gaming, wie fehlende Hilfseinstellungen bei der Steuerung oder zu kleine Untertitel, aufmerksam zu machen, fand ich auf Twitter und Twitch andere behinderte Aktivist*innen und Expert*innen für Barrierefreiheit und Inklusion im Gaming, die jedoch leider alle im englisch-sprachigen Ausland tätig sind. Von deren Tweets und Streams lernte ich sehr viel darüber, welche Barrieren auch abseits von meinen persönlichen in Games auftreten können und auch, welche Lösungen es dafür in verschiedenen Games gibt. So ist es zum Beispiel wichtig, nicht nur gut lesbare Untertitel für die Dialoge einzubinden, sondern auch visuell auf Geräusche hinzuweisen. Gehörlose Spieler*innen können nicht im Spiel auf das klingelnde Telefon reagieren, wenn sie das Klingeln gar nicht hören und es nicht sichtbar gemacht wird. So breitete sich in mir das Gefühl aus, auch für ein besseres Gaming-Erlebnis für behinderte Spielende aktiv zu werden.

Motiviert vom Einfluss, den andere Aktivist*innen für Barrierefreiheit im Gaming haben, suchte ich nach Möglichkeiten, wo ich mich in Deutschland einsetzen könnte. Ich fand eine Universität in Köln, die nicht weit von meinem Wohnort entfernt ist und an der Digital Games/Game Design gelehrt wird. Ich fragte einfach mal an, ob sie daran interessiert wären, dass ich einen ihrer Kurse besuche und über meine Erfahrungen als behinderte Spielerin spreche. Sie waren einverstanden, und ich wurde als einmalige Gastdozentin eingeladen und bekam volle zwei Stunden Zeit, um vor Studierenden unterschiedlicher Semester über Barrierefreiheit, Repräsentation und Inklusion zu sprechen.

Seit ich 2014 meine Ausbildung beendet hatte, habe ich nicht mehr als Präsentierende vor Menschen gesprochen, und ich mochte Präsentationen eigentlich noch nie. Ich war also sehr nervös. Aber ich wusste, dass ich zukünftigen Spieleentwickler*innen einen Einblick in meine Erfahrungen geben und sie über Behinderungen und falsche Vorstellungen darüber aufklären konnte – eine große Chance für Barrierefreiheit in kommenden Games.

Nach dieser erfolgreichen ersten Präsentation reichte ich einen Kurzvortrag für den gamescom-Congress ein und wurde angenommen. Auch schrieb ich weiterhin über Barrierefreiheits-Themen für die GamePro, für die ich den Bericht über den Xbox Adaptive Controller geschrieben hatte, aber auch für andere Medien.

Ein Meilenstein, den ich sehr gerne als Aktivistin für barrierefreies Gaming noch erreichen möchte, ist, als Beraterin bei der Entwicklung eines Spiels mitzuwirken. Nicht nur mit einzelnen Tipps, sondern in einer engen Zusammenarbeit über längere Zeit. Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken ist eine Sache, aber gezielt an der Umsetzung zu arbeiten, bewegt natürlich noch viel mehr.

Das waren starke Zeilen? Dann gerne teilen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert