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Minenfeld Musikdolmetschen: Wenn Inklusion nicht so einfach ist

Zwei Musiker*innen stehen auf einer Bühne. Daneben ist eine Person die musikdolmetscht.

Seitdem die Deutsche Gebärdensprache 2002 im Behindertengleichstellungsgesetz als Kommunikationshilfe anerkannt wurde, nimmt sie in ihrer Bedeutung stetig zu. Sichtbar ist dies vor allem an Dolmetscher*innen.

Diese sind für die breite Masse der Gehörlosen ein wichtiges Werkzeug, um Zugang zu Informationen zu bekommen. Neben öffentlichen Veranstaltungen dolmetschen sie auch Gespräche zwischen Patient*in und Ärzt*in, im Krankenhaus, bei Behördengängen, im Jobcenter, in Schule, Uni und Ausbildung. Die Kostenübernahme ist dabei denkbar unterschiedlich, rangiert von leicht bis kompliziert, aber meist hat der gehörlose Mensch die Wahl, dass er kostenlos eine Verdolmetschung bekommen kann. Auf Veranstaltungen ist man mehr oder weniger auf die Organisator*innen angewiesen: Hat man hier an Budget und Platz auf der Bühne gedacht? Mittlerweile sieht man aber immer häufiger, besonders bei politischen Veranstaltungen, auch mal Dolmetscher*innen auf der Bühne. Besonders im Scheinwerferlicht landeten sogenannte Musikdolmetscher*innen. Für Hörende – also nicht hörbehinderte Menschen – scheint eine der größten Grausamkeiten des Lebens in Taubheit der Verlust von Musik zu sein. 

Anders lässt sich die Faszination, mit der Videos von dolmetschenden Menschen auf Konzerten tausendfach geteilt werden, nicht erklären. In Amerika, wo Gebärdensprachkurse nicht zuletzt dadurch, dass sie als Kurse an High Schools belegt werden können, viel weiter verbreitet sind, gibt es regelmäßig Hörende, die mit ihren „Übersetzungen“ von Liedern in Gebärdensprache durch die Decke gehen. 

Identität: Taub

Gehörlose Menschen dagegen juckt der „Verlust“ des Hörens nicht. Das Taub sein ist vielmehr zentraler Bestandteil der eigenen Identität. Martin Vahemäe-Zierold haute Ende August 2018 auf den Tisch mit einem Kommentar, der es in dem Satz auf den Punkt bringt: „Hörende können sich mit meiner Sprache schmücken – für die ich als tauber Mensch immer noch verspottet werde.“ Die Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser veranstaltete kurz darauf eine Podiumsdiskussion zum Thema kulturelle Aneignung an der Universität Köln. Das Thema war bereits vorher präsent – die Dolmetscherin Laura M. Schwengber war in Deutschland das Gesicht des Musikdolmetschens und damit ziemlich populär und aktiv auf sozialen Medien unterwegs. Sie war – wie Vahemäe-Zierold und andere – ebenfalls auf der Podiumsdiskussion eingeladen. Später gründet sie die Gruppe „#DieMitDenHändenTanzen“, eine Mischung aus Kollektiv und Agentur für Musikdolmetschen. Sie dolmetschen Konzerte, lassen sich von Gehörlosen beraten, sind aber hörend. Sie dolmetschen auch ein Punk-Konzert im Berliner Subkultur-Club SO36. Während des Konzerts stürmen dann plötzlich mehrere gehörlose Aktivist*innen die Bühne, stellen sich vor die Band „Metzer 58“, die gerade spielt (und verdolmetscht wird). Sie halten Schilder hoch: „Wir wollen keine Vermarktung unserer Muttersprache!“ Das Konzert wird abgebrochen, die tauben Aktivist*innen nehmen kurz Stellung, veröffentlichen später ein Manifest auf dem Portal Taubenschlag. Sie fordern Bühnenpräsenz tauber Menschen und eine Sichtbarkeit tauber Kultur, sie wehren sich gegen die „Vermarktung“ ihrer Sprache. 

Das bewegt #DieMitDenHändenTanzen zu einer Stellungnahme, sie entschuldigen sich, suchen nach qualifizierten Musikdolmetscher*innen, die taub sind, für eine Zusammenarbeit. Daraufhin antworten die tauben Aktivist*innen, dass sie diese Zusammenarbeit ablehnen, da gehörlose Menschen nicht den gleichen Zugang zu Ausbildungen hätten wie hörende. 

Deaf Perfirmance

Das Thema Musikdolmetschen oder Deaf Performance ist komplex. Allein an der Perspektive der beiden Begriffe zeigen sich zwei Herangehensweisen. Das Musikdolmetschen versucht, Bestehendes – Musik, gespielt von hörenden Menschen – zugänglich zu machen, es ist eine Frage der Inklusion, also der Teilhabe behinderter Menschen am Normleben. Deaf Performance hingegen versucht, die taube Bühnenkunst als eigenständige Form zu etablieren. Es ist unklar, wie stark Musikdolmetschen vergütet wird – taube Aktivist*innen sprechen ausgehend von Standardsätzen von 75, 85 Euro die Stunde von einem hoch profitablem Geschäft, Musikdolmetscher*innen verneinen diese Profitabilität aber, auch unter Verweis auf Steuern und Abgaben, aber auch niedrigere Entlöhnung als beim Dolmetschen im medizinischen Kontext oder vor Gericht. 

Inklusion ist also im Bereich Gebärdensprache und Gehörlosigkeit ein sehr profitables Geschäft. Der Mangel an Dolmetscher*innen ist immens, die Auftragslage ist gut. Stetig kommen neue Tätigkeitsfelder hinzu. Unterm Strich mag die Vergütung nicht viel besser sein als die von qualifizierten Handwerker*innen, aber dennoch handelt es sich um einen Job ohne nennenswerte laufende Kosten und mit einer guten Auftragslage, die nur besser wird: Ganze Schullaufbahnen werden mittlerweile im Zuge der inklusiven Beschulung verdolmetscht. Gehörlose Kinder gehen bisweilen nicht mehr auf „Förderschulen Schwerpunkt Hören und Kommunikation“, sondern besuchen die Regelschule. Überall entstehen neue Ausbildungsstätten und Studiengänge, die stetig neue Dolmetscher*innen ausspucken. Dem gegenüber stehen gehörlose Menschen, die durch die Bank diskriminiert werden: Schlechtere Schulbildung, schlechtere Ausbildungschancen, schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. 

Kaum Bühnen für Taube Kulturschaffende

Naheliegend, dass es Neid produziert, wenn man – wie Vahemäe-Zierold – für einen niedrigen zweistelligen Stundenlohn die eigene Muttersprache unterrichtet, nur um dann zu sehen, wie die Belehrten profitieren. Von seiner Muttersprache und ihrem eigenen Hearing Privilege, dem Vorteil, hörend zu sein. Es mag die eine Sache sein, dass sie mehr und leichter Geld verdienen als Gehörlose, aber die andere Sache ist eine der Bühnenpräsenz. Für taubes Theater, taube Poesie, taube Filme gibt es in Deutschland keine Bühne, keine Förderung. Was an Förderung geschieht, passiert als Inklusion. Man kann also die Geschichten von Shakespeare barrierefrei machen, aber nicht die Geschichte, Kultur, das Leben Gehörloser auf der Bühne zeigen. Dementsprechend sind es vor allem auch hörende Dolmetscher*innen, die präsent sind, die zu sehen sind, die Karriere machen. Nicht dank ihrer künstlerischen Fähigkeiten, sondern weil sie dolmetschen, was bereits andere sich ausgedacht haben. 

Im Zuge der öffentlichen Diskussionen in der Community um Laura M. Schwengber und die Aktivist*innen von Deaf Performance Now trat zusehends in den Vordergrund, dass vor allem die Frage der Sichtbarkeit gehörloser Bühnenkunst wichtig ist. Reine Accessibility von Bühnenprogrammen ermöglicht es keinem tauben Menschen, auf die Bühne zu kommen. Auch der Einsatz von tauben Dolmetscher*innen fördert die taube Bühnenkunst nicht unmittelbar. 

Neues Bewusstsein: Inklusion heißt auch Teilgabe

2020 kündigte Laura M. Schwengber Ende März dann an, ihre Arbeit im Musikbereich niederzulegen, nicht zuletzt wegen eines Diskurses, der „undemokratisch gelenkt“ sei und eine „emotionalisierende Wortwahl“ hätte. Die noch andauernde Corona-Pandemie bremste dann auch andere Initiativen aus, die taube Performer fördern würden. Erst am 4. September 2021 konnte der Deutsche Gehörlosen-Bund seine Fachtagung zum Thema Deaf Performance umsetzen – als Online-Veranstaltung. Hier wurde kritisch diskutiert und eine stärkere Etablierung tauber Künstler*innen gefordert. Beim Jahresempfang des Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel im Juni 2022 trat die taube Performerin Inna Shparber an der Seite des Rappers Graf Fidi auf, moderiert wurde von der ebenfalls tauben Journalistin Iris Meinhardt. Nachdem jahrelang das Thema Musikdolmetschen die Community erregt und beschäftigt hat, hat es gleichzeitig auch den Boden bereitet für ein anderes Bewusstsein der Inklusion – nicht nur zugänglich machen, sondern auch einbeziehen. Verdolmetschte Mehrheitskultur ist nämlich immer noch Mehrheitskultur, Normkultur. Was es tatsächlich braucht und was das Ziel sein sollte, ist ein gleichberechtigter Zugang für alle Künstler*innen und eine gezielte Förderung insbesondere der tauben Kultur und Sprache. 

Hier zeigt sich, dass Behinderung sich nicht nur in den baulichen Barrieren manifestiert, oder in den viel zitierten „Barrieren in den Köpfen“, sondern dass es um eine umfassende Einbeziehung der Perspektiven behinderter Menschen geht. Für Gehörlose ist schon lange sonnenklar, dass sie neben der Minderheit als Behinderte auch als kulturelle Gruppe, als Sprachgemeinschaft in der Minderheit sind. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass sich Behinderte zutrauen, ihre Behinderung als kulturelle Komponente und aktiven Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft zu sehen statt als Hürde, die es zu überkommen gilt? 

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