„Weiße Menschen sollen nicht stumm bleiben“

schwarze menschen bei einem protest auf der straße. auf schildern steht black lives matter und is my son next?
Weiße Menschen müssen sich ihrer Privilegien bewusst werden, sagt Asha Rajashekhar. Bild: The All-Nite Images CC-BY-SA 2.0
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Wie zeigt sich der Rassismus in der Gehörlosencommunity? Thomas Mitterhuber spricht mit Asha Rajashekhar über die Privilegien von weißen Menschen, über den Mangel an tauben BIPoC in Gehörlosenorganisationen und welche Gebärden für sie ein No-Go sind.

Informationen in Einfacher Sprache 

  • Die Trainerin Asha Rajashekhar spricht über rassistische Gebärden 
  • Sie gibt Tipps, wie man diskriminierende Gebärden vermeidet

Der gewaltsame Tod von George Floyd löste eine weltweite Bewegung aus. Auch in Deutschland fingen taube Schwarze und IPoC Menschen an, in den sozialen Medien offen über ihre negativen Rassismus-Erfahrungen zu sprechen. Eine von ihnen ist Asha Rajashekhar, Lehrerin an der Elbschule Hamburg, die Vorträge zu den Themen Rassismus und kritisches Weißsein in der Gebärdensprachgemeinschaft hält. Darin setzt sie sich mit den Privilegien (= Vorteilen), die nur eine bestimmte Personengruppe – hier: weiße Menschen – hat, auseinander.

Wie hast du die bisherige Debatte in der Gehörlosen-Community wahrgenommen? 

Asha Rajashekhar: Die Debatte ist unglaublich emotional – ich hatte oft mit Traurigkeit und Betroffenheit zu kämpfen und war verletzt. Oft wird behauptet, dass es im Vergleich zu den USA weniger oder keinen Rassismus in Deutschland gibt. Hier lag der Fokus meinem Eindruck nach nur auf körperliche als rassistische Gewalt, z. B. wie rassistisch Polizeigewalt in den USA im Vergleich zu Deutschland ist.
Dabei wurde jedoch vergessen, dass sich Rassismus nicht nur in (Polizei-)Gewalt widerspiegelt. Der unterschwellige (Alltags-)Rassismus in Deutschland und wie was wo passiert, wurde nicht diskutiert. Ich habe das Gefühl, dass weiße und taube Menschen sich noch nicht ausreichend mit den weißen Privilegien und den Rassismus-Erfahrungen von BIPoC auseinandergesetzt haben. Ich bin aber froh, dass sich einige taube weiße Menschen aktiv mit ihren Privilegien auseinandersetzen und die BLM-Bewegung aktiv unterstützen – als sogenannte weiße Allies (= Verbündete).

Im Juni hieltest du für die Humboldt-Universität zu Berlin einen Online-Vortrag zum Thema „Critical Whiteness innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaften“. Zentrales Thema waren die sogenannten „White Privileges“ (= weiße Privilegien). Was steckt dahinter?

Weiße Personen werden aufgrund ihres Weißseins nicht strukturell oder systematisch diskriminiert oder benachteiligt. Sie sind privilegiert und müssen sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen. Weiße Personen können bei diesem unangenehmen Thema einfach wegsehen. Im Gegensatz dazu werden BIPoC täglich mit ihren Rassismuserfahrungen konfrontiert.

Wie zeigen sich diese Privilegien in der Gebärdensprachgemeinschaft?

Meiner Ansicht nach unterscheiden sich die weißen Privilegien in der Gebärdensprachgemeinschaft nicht von den Privilegien, die die Autorin Noah Sow für weiße Menschen allgemein nennt: Zum Beispiel werden sie nicht automatisch als „fremd“ betrachtet, weil ihre Anwesenheit normal und selbstverständlich ist. Weiße Menschen können außerdem jede andere Kultur kopieren oder sich zu Teilen aneignen, ohne dafür von der Mehrheitskultur ausgegrenzt zu werden, etwa in einer Faschingskleidung als Indianer (ein außerdem politisch nicht korrekter Begriff). Weiterhin werden Weiße von den Fremden nicht über ihre Herkunft und die Herkunft all ihrer Vorfahren abgefragt. In ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiss – Der alltägliche Rassismus zählt Sow weitere Privilegien auf.

In deinem Vortrag sprachst du auch über weiße Privilegien, die sich bei bestimmten Berufsgruppen zeigen. Kannst du das näher ausführen?

In vielen Berufen wird häufig agiert, ohne die Privilegien kritisch zu hinterfragen, die mit dem eigenen Weißsein einhergehen. Weiße Pädagogen, die Schüler mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Sprachentwicklung auch in anderen Fächern und Bereichen keine Chance einräumen, wären hier ein Beispiel. Wir haben bisher in Deutschland beispielsweise auch sehr wenige BIPoC als Gebärdensprachdolmetscher, die einem tauben BIPoC aufgrund ähnlicher Erfahrungen mehr Sicherheit geben würden.

In der tauben US-Gemeinschaft sind „White Privileges“ ein aktueller Brennpunkt. Kritisiert wird, dass es eine Eliteschicht von tauben Weißen gebe und BIPoC-Menschen kaum Aufstiegschancen hätten. Gibt es eine solche Schicht auch bei uns? 

Das ist einfach zu beantworten: Ja. BIPoC sind bis jetzt zum Beispiel im Gehörlosentheater, bei Veranstaltungen von und für Gehörlose, im Gehörlosensport, bei den Bildungsseminaren von Gehörlosenvereinen, in den Gehörlosenmedien sowie im öffentlichen Diskurs kaum vertreten. Dies gilt insbesondere für öffentliche Positionen, zum Beispiel bei den Vorsitzenden der eben genannten Bereiche.

Du studiertest ein Jahr lang an der Gallaudet University, die sich inzwischen unter schwerem Beschuss befindet. Welche Erfahrungen hast du als taube IPoC-Frau mitgenommen?

An der Gallaudet Universität habe ich dank Deaf Studies und Deaf Education sowie dank Kontakten zu tauben BIPoC und (weißen) hörenden Allies viele Denkanstöße erhalten und konnte mein Wissen erweitern. Hier habe ich mein Bewusstsein für Diversität weiterentwickeln können. Leider hat die Universität es damals versäumt, sich klarer gegen Rassismus zu positionieren. Ich persönlich habe dort keine negativen Erfahrungen gemacht, ich war allerdings auch nur für zwei Semester dort. Aber ich habe viele Rassismus-Erfahrungen von befreundeten tauben BIPoC mitbekommen.

Neben Rassismus existieren noch andere Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Homophobie. 2011 veröffentlichtest du einen wissenschaftlichen Artikel zu Audismus und „Hearing Privilege“ (= hörende Privilegien). Was haben die Diskriminierungsformen alle gemeinsam?

Ich denke, es ist gut, dass ein eigener Begriff für die Diskriminierung, die in dem Fall stattfindet, gefunden wird. Es ist immer hilfreich, Parallelen herzustellen und ähnliche Mechanismen in unterschiedlichen Diskriminierungsformen sichtbar zu machen und verstehen zu lernen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es eben unterschiedliche Diskriminierungsformen sind.
Vereinfacht gesagt: Ein Mensch, der heterosexuell, hörend, männlich und weiß ist, gilt als Norm und kann nicht diskriminiert werden. Also keine Erfahrungen mit Rassismus, Audismus, Sexismus usw. sammeln. Dieser kommt somit in den „Genuss der Privilegien“. Daher ist es total wichtig, sich mit seinen (unverdienten) Privilegien auseinanderzusetzen.

Derzeit wird in den sozialen Medien debattiert, ob die DGS auch rassistisch sein kann. Manche fordern, bestimmte Gebärden nicht mehr zu verwenden. Andere entgegnen, die DGS sei eine visuelle Sprache und würde die Dinge somit wertfrei darstellen. Wie siehst du das? 

Wer entscheidet, ob die DGS die Dinge wertfrei darstellt? Es geht darum zu schauen: Werden mit der Gebärde Personen diskriminiert? Hat die Gebärde überhaupt eine berechtigte Existenz? Meiner Ansicht nach werden rassistische Gebärden meistens (unbewusst) von weißen Tauben verwendet, weil diese die Gebärden auch gar nicht als verletzend empfinden können. Daher sollte den BIPoC zugehört werden. Es ist Zeit, einige Gebärden kritisch zu hinterfragen und zu vermeiden.

eine frau of color gebärdet

Asha Rajashekhar

ist Lehrerin an der Elbschule Hamburg. Sie hält Vorträge zu den Themen Rassismus und kritisches Weißsein in der Gebärdensprachgemeinschaft.

Kannst du Beispiele für rassistische oder diskriminierende Gebärden benennen?

Die (alten) Gebärden für Afrika: Afrika-Nase, Afrika-Stock. Diese Gebärden stellen die Bevölkerung Afrikas als primitiv dar. Dasselbe gilt auch für die folgenden Gebärden: Roma-Ohrring. Bart-Döner. Diese Gebärden haben taube Weiße erfunden.

Viele Gehörlose fühlen sich durch Ausdrücke wie „taubstumm“ diskriminiert, verwenden aber weiterhin diskriminierende Gebärden. Wie ist das möglich?

Nur weil man selbst diskriminiert wird, reflektiert man sein eigenes diskriminierendes Verhalten nicht automatisch besser. Es gibt auch Taube, die der Meinung sind, dass die Gebärdensprache durch Veränderungen in ihrer Existenz gefährdet ist und sich deshalb weigern, bestimmte Gebärden nicht mehr zu benutzen. Ein häufiges Argument ist: „Haben wir schon immer so gemacht.“ Das macht es aber nicht richtig.  

Ein Schaubild zeigt die Faktoren von Critical Whiteness. Die Aspekte sind Fallbeispiele, Zusammenhänge von Weißsein und Audismus, Sexismus und Homophobie. Als nächstes folgen die Schritte Umgang wie? und schließlich Handlungsempfehlung.
Kritisches Weiß-Sein. Bild: Asha Rajashekhar

Deinen Vortrag hast du mit Empfehlungen an die Gebärdensprachgemeinschaft abgeschlossen. Welche sind es?

Als weißer Mensch soll man aufhören, zu sagen: „Ich bin kein Rassist“, weil die weißen Privilegien NICHT verschwinden. Man soll sich mit den weißen Privilegien auseinandersetzen und nicht das eigene Weißsein verleugnen. Man soll bitte auch keine Dankbarkeit erwarten dafür, dass man sich als weißer Mensch rassismuskritisch fortbilden will.

Es ist auch wichtig, dass weiße Menschen nicht stumm bleiben, wenn eine Person einen rassistischen Spruch bringt. BIPoC sollen auch nicht immer zur Erklärung herhalten müssen! Es gibt viele sehr gute Bücher, Webseiten und Gebärdensprachfilme über kritische Weißseins-Forschung, Kolonialismus und Rassismus.

Was wünschst du dir von weißen Mitgliedern unserer Community?

Ich wünsche mir, dass sie sich mit den weißen Privilegien auseinandersetzen und konstruktiv und sachlich mit den BIPoC diskutieren. Am wichtigsten ist es für mich, dass sie mit den BIPoC respektvoll umgehen.

Und was möchtest du tauben Menschen, die Schwarz oder IPoC sind, mitgeben?

Ich möchte, dass taube BIPoC wissen, dass sie nicht alleine sind, weil ich auch Erfahrung mit Rassismus habe. Es ist für viele nicht so einfach, mit weißen Gehörlosen offen über Rassismus und weiße Privilegien zu gebärden. Mir ist es wichtig, dass BIPoC mutig sind, über ihre Erfahrungen mit (Alltags-)Rassismus zu erzählen. Danach fühlen sie sich nicht mehr allein oder ignoriert, sondern viel besser. Da bin ich mir sicher.

Vielen Dank für das Interview!

 

Dieser Text erschien zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung, Ausgabe 07/2020

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