Immer mehr Taube von Tauben Eltern bezeichnen sich als DODA. War es der richtige Zeitpunkt oder hat man aus den Fehlern gelernt? Und wird sich der neue Ausdruck durchsetzen? Thomas Mitterhuber von der Deutschen Gehörlosenzeitung hat mit der DODA-Arbeitsgruppe gesprochen.
Im Juli 2022 wurde auf Facebook und Instagram eine neue Selbstbezeichnung vorgestellt: DODA. Das Kürzel steht für Deaf of Deaf adults, auf Deutsch heißt das Taube (Kinder) von Tauben Eltern. Damit solIen die unterschiedlichen Erfahrungen im Vergleich zu Tauben Menschen mit hörenden Eltern zum Ausdruck gebracht werden. Eine lose Arbeitsgruppe stellte die Idee hinter DODA in mehreren Videos dar, auch in International Sign.
Inzwischen wird die Bezeichnung von immer mehr Menschen verwendet, auch in anderen Ländern. Von der Gemeinschaft wird der Begriff unterschiedlich aufgenommen: Neben breiter Akzeptanz betrachten manche ihn als überflüssig, bisweilen gar spalterisch. Die DGZ sprach mit der DODA-Arbeitsgruppe.
Könnt ihr euch bitte kurz vorstellen: Wer ist alles in eurer Gruppe?
Wir sind eine kleine DODA-Arbeitsgruppe aus verschiedenen Orten in Deutschland und sind seit 2011 in einer geschlossenen Facebook-Gruppe. Da drin sind zum aktuellen Stand rund 500 DODA bundesweit dabei.
"Gehen wir die Dinge positiver an."
bei Facebook gelesen
Viele von uns hatten schon immer das Gefühl gehabt, dass wir unter Gehörlosen doch irgendwie anders sind. In dieser Gruppe konnten wir endlich unter uns darüber diskutieren. Denn jahrelang stießen wir außerhalb der Gruppe oft auf Unverständnis, Hindernis und Kritik, warum wir als Gehörlose unter Gehörlosen noch eine eigene Bezeichnung haben wollten. Nun war es so weit, dass wir eine eigene Bezeichnung/Gebärde finden wollten. In einer solch großen Gruppe wäre es schwierig, sich einig zu werden. Also haben wir beschlossen, eine kleine „Arbeitsgruppe“ zu gründen. Jeder, der DODA ist, kann dazustoßen.
Ihr stelltet den Begriff „DODA“ und die dazugehörige Gebärde vor. Was ist eure Motivation dazu?
Wir merkten durch unseren Austausch, dass wir andere Wörter nicht wirklich passend fanden. Es fehlte einfach was. Uns war dann klar, dass wir eine Selbstbezeichnung brauchen, um zu verstehen, wer wir sind. Die Zeit war einfach reif, eine passende Bezeichnung und Gebärde für unsere Identität zu finden. Nach einer Umfrage in der DODA-Gruppe entstand ein kleines Team aus verschiedenen Orten in Deutschland. Natürlich gibt es einige DODA, die sich (noch) nicht mit der Gebärde oder der Bezeichnung angefreundet haben. Doch viele DODA sind glücklich darüber.
Wie entstanden der Begriff und die Gebärde?
Bevor das Wort DODA aufkam, hatten wir uns erstmals auf die Gebärde fokussiert und diese schnell erfunden, da die Gebärde unsere Sprache ist. Wir hatten auch fünf verschiedene Bedeutungen für diese Gebärde miteinander kombiniert:
Seit Geburt spüren wir den Herzschlag der Gebärdensprache, durch taube Eltern bzw. ein taubes Elternteil mit täglicher Kommunikation in Gebärdensprache.
Die Handformen „Auge“ und „Hand“ zur Visualisierung sowie Kommunikation der Gebärdensprache.
Wir wachsen in der Taubenkultur auf, die mit Gebärdensprache verbunden ist.
Die Handform „Baum“ erinnert an den Stammbaum, die tauben Generationen sowie Weitergabe der Gebärdensprache.
Die Farbsymbolik „Türkis“, die Farbe der Taubengemeinschaft, in der DODA als Teil der Gemeinschaft dabei sind.
Danach entstand der Begriff DODA, welcher aber nicht neu erfunden wurde, sondern schon länger im Umlauf war. Es gibt ja schon Bezeichnungen wie CODA, GODA usw. Da passt das Wort DODA wunderbar. Denn wir alle gehören irgendwie zusammen und die Wörter gleichen einer Wortfamilie. Ein anderes Wort würde da einfach nicht passen. Wie DODA gebärdet wird, kann man sich auf Facebook/Instagram anschauen.
Bisherige Ausdrücke waren Deaf Coda, taube Familie/Generation sowie taub. Warum eignen diese sich aus eurer Sicht nicht?
Nach einigen Vorträgen, Workshops und Treffen war für uns ein fester Begriff, den alle verwenden können, wichtig. Man kann diesen Begriff bei der Aufklärung im medizinischen, schulischen Bereich usw. nutzen. Auch in der Gesellschaft sowie innerhalb von Familien. Man sollte diesen Begriff für die eigene Persönlichkeit verwenden können. „Ich bin ein DODA“ statt „Ich habe eine gehörlose Familie“.
Rund um die Bezeichnung Deaf-Coda gab es einige Diskussionen. Manche fanden die Bezeichnung nicht so passend und die Coda waren auch nicht glücklich damit. Natürlich kann jeder die Ausdrücke nutzen, die er mag. Das hängt auch von dem jeweiligen Kontext ab.
2015 hatte die Kommunikationstrainerin Sandra Friedrich vorgeschlagen, für diese Personengruppe „taub“ zu verwenden und sorgte für kontroverse Diskussionen. Was habt ihr diesmal anders gemacht?
Was bei uns anders war, ist, dass wir nur für uns DODA gebärden und nur für uns eine neue Bezeichnung gefunden haben. Wir führen keine Bezeichnung für andere, die noch keine Bezeichnung haben, ein. Das sollen diejenigen mit anderen Erfahrungen und anderen Hintergründen für sich entscheiden können.
Die bisherigen Reaktionen lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen: Die einen zeigen sich begeistert von eurem Vorschlag, andere finden es überflüssig oder warnen gar vor einer Spaltung. Wie seht ihr das?
Dass es zu einer großen Bewegung mit positiven und auch negativen Reaktionen kommt, hatten wir vorher schon gedacht. Wir haben schon lange genug gewartet und da es in den sozialen Medien erneut Diskussionen zu Deaf-CODA gab, hat der Zeitpunkt einfach ganz gut gepasst, DODA vorzustellen.
Durch unsere Aufklärung und auch den sachlichen Austausch im Netz hat sich nach unserer Sicht die Angst vor einer Spaltung weitgehend gelegt. Wir sind alle ein Teil der Gebärdensprachgemeinschaft, egal welche Bezeichnung man hat. Aber durch die Bezeichnung können wir alle voneinander lernen und das macht die Gemeinschaft bunt und stark.
In der heutigen Zeit kommt unser Wunsch nach Diversity (= Vielfältigkeit) und Identitätsbildung besser an als damals. Immer mehr Gehörlose zeigen Verständnis für Diversity und Identitätsbildung. Daher ist es heutzutage zum Glück einfacher zu zeigen, wer man ist und dass man offen darüber reden kann.
Mit euren Videos in International Sign richtet ihr euch auch an die weltweite Gehörlosengemeinschaft. Warum?
DODA gibt es weltweit und da wir eine Minderheit sind, ist es schön, wenn die Bezeichnung für alle da ist und wir gemeinsam ein internationales Netzwerk aufbauen können. Dadurch können wir mehr Erfahrungen sammeln, weil es beispielsweise in anderen Ländern mehr Generationen von tauben Familien als in Deutschland gibt (wegen der Zwangssterilisation, Euthanasie und anderen Gründen während der NS-Herrschaft). Ebenso wäre da mehr Austausch möglich. Zudem ist DODA eine englische Bezeichnung. Andere Länder haben schon angefangen, die Gebärde sowie das Wort zu nutzen, was ganz toll ist.
Was sind eure weiteren Pläne?
Als Nächstes kommen Erfahrungsberichte, Austausche und die Stärkung des internationalen Netzwerks. Gerne möchten wir auch Informationsmaterialien sammeln und daraus etwa eine Internetseite über DODA bauen sowie Ansprechpartner für offene Fragen sein, damit jeder an Informationen zum Thema DODA kommen kann.
Auch ein offener Austausch mit der übrigen Gehörlosengemeinschaft und mit Coda wäre für uns ganz wichtig. Wie ihre Sicht auf uns ist usw. Wir schauen auch, wie sich das Ganze entwickelt und dann sehen wir weiter.
DODA in den sozialen Medien
Facebook: DeafOfDeafAdults
Instagram: deaf_of_deaf_adults
Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 08/2022) erschienen.