Alltagsrassismus, Rücktrittsforderungen, diskriminierende Gebärden: Wie die BlackLivesMatter-Bewegung die Gallaudet University erschüttert und was die deutsche Gebärdensprachgemeinschaft daraus macht, berichtet Thomas Mitterhuber.
Informationen in Einfacher Sprache:
- Die Bewegung “Black Lives Matter” wird auch von gehörlosen Menschen unterstützt
- Auch die Deutsche Gebärdensprache muss sich von diskriminierenden Begriffen verabschieden
George Floyd war sein Name. In Minneapolis im Norden der USA kniete am 25. Mai ein weißer Polizist knapp acht Minuten lang auf den Hals eines auf dem Boden liegenden, verhafteten Afroamerikaners. Obwohl dieser mehrmals angab, nicht atmen zu können, und Passanten die Polizisten aufforderten, davon abzulassen, starb er an Erstickung.
Damit reiht sich der Fall Floyd in eine Reihe von übermäßiger Gewalt von US-Polizeibeamten gegen Schwarze. Die 8 Minuten und 46 Sekunden wurden zu einem Symbol rassistischer Polizeigewalt – auch wenn die Staatsanwaltschaft später einen Rechenfehler zugab (es waren tatsächlich 7 Minuten und 46 Sekunden). Vier Polizisten wurden entlassen und angeklagt, der Fall soll 2021 vor Gericht verhandelt werden.
Weil mehrere Passanten das Geschehen filmten und veröffentlichten, formierte sich hinter dem Hashtag #BlackLivesMatter (engl.: Schwarze Leben zählen, kurz: BLM) eine Protestbewegung, die sich zum Teil auch in gewaltsamen Ausschreitungen zeigte. Auch in deutschen Städten demonstrierten Zehntausende Menschen. Der Hashtag ist nicht neu, er wurde bereits 2014 verwendet, als Menschen gegen tödliche Polizeigewalt an Afroamerikaner protestierten. Die Dimension der internationalen Bewegung ist diesmal aber eine viel größere.
In den sozialen Medien tauchten neben BLM auch abgewandelte Hashtags auf, vor allem #AllLivesMatter (= alle Leben zählen) und unter Gehörlosen auch #DeafLivesMatter (= taube Leben zählen). Nicht nur bei Schwarzen Menschen stoßen diese Varianten auf Unverständnis. Die BLM-Bewegung entstand aus der Tatsache heraus, dass viele Afroamerikaner täglich um ihr Leben fürchten müssen. Im Kern steht also die Frage von Leben und Tod. Das sei bei anderen Bevölkerungsgruppen und auch bei Gehörlosen normalerweise nicht der Fall, sagen Kritiker und lehnen diese Abwandlungen ab. Mit diesen würden Diskriminierung und Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen ignoriert werden. Der Hashtag #AllLivesMatter wird vor allem von rechtsextremen Anhängern verwendet.
Die BLM-Bewegung mischte auch die Gallaudet University in der US-Hauptstadt, der weltweit einzigen Universität für Gehörlose, gehörig auf. Anfang Juni erklärte Präsidentin Roberta Cordano die Studentenverbindung Kappa Gamma zum „Gesicht des systemischen Rassismus“ und suspendierte die Bruderschaft (wir berichteten in DGZ 06 | 2020). Der eigentliche Auslöser zu dieser Entscheidung waren jedoch nicht die BLM-Proteste, sondern ein umstrittenes Foto aus dem Jahre 1988, das zuvor in den sozialen Medien auftauchte: Auf diesem zeigen über 30 Kappa-Gamma-Brüder den Hitlergruß. Schwarz-taube Organisationen entgegneten, die Universität selbst sei Teil des Problems. Selbst auf dem Universitätsgelände würden Schwarze Studenten sich nicht immer sicher fühlen. Viele hätten bereits traumatisierende Erfahrungen und brutale Gewalt durch die Campus-Polizei erlebt, wie Studenten in einem Facebook-Videointerview berichteten.
In einer Online-Petition forderte die Vereinigung Schwarzer Gallaudet-Studenten tiefgreifende Veränderungen, bis Redaktionsschluss wurde sie mehr als 9.000-mal unterschrieben. National Black Deaf Advocates (NBDA), die landesweite Vertretung der tauben Afroamerikaner, verlangte gar die Absetzung von Cordano. Die Gallaudet-Präsidentin würde von den Sorgen der Schwarzen Community über systemischen Rassismus an der Universität ablenken, schrieb NBDA in Anlehnung an Floyds Tod: „Wir verspüren das Knie des Unrechts und der Ungerechtigkeit.“
„Weiße Menschen sollen nicht stumm bleiben“
Wie zeigt sich der Rassismus bei uns? Ein Gespräch mit Asha Rajashekhar über die Privilegien von weißen Menschen, über den Mangel an tauben BIPoC in Gehörlosenorganisationen und welche Gebärden für sie ein No-Go sind.
Am 23. Juni errichtete die Universität eine Mikro-Webseite unter dem Motto „Zugehörigkeit und Gleichheit“. Auf dieser präsentierte Cordano ihren Plan, der unter anderem spezielle Schulungen für Polizisten auf dem Campus-Gelände sowie für Universitäts-Angestellte beinhaltet. Zudem will sie sich für mehr Diversität unter ihren Mitarbeitern sowie unter der Studentenschaft einsetzen – und für eine Null-Toleranz-Politik.
Auch Deutschland wurde von der BLM-Bewegung erfasst. Unzählige Medien griffen die Thematik auf, BIPoC Menschen kamen zu Wort und sprachen über ihre Rassismuserfahrungen. Mitte Juni lud die Deutsche Gehörlosen-Jugend zu einem Online-Vortrag des tauben Afro-Deutschen Vincent Hesse zum Thema „Hautfarbe im Fokus“. Auch die Humboldt-Universität zu Berlin griff das brandaktuelle Thema auf: Die Gehörlosenpädagogin Asha Rajashekhar referierte über weiße Privilegien in der Gebärdensprachgemeinschaft, ebenfalls live über das Internet.
In den sozialen Medien tauchten außerdem Videos von tauben BIPoC Menschen auf, die von ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismus berichteten. In einem 23-minütigen YouTube-Video zeigten sie Beispiele auf und forderten – unterstützt von weißen Allies (= Verbündeten) – mehr Respekt und Selbstreflexion in Bezug auf den Umgang mit nicht-weißen Menschen. Dazu gehört auch das Nichtverwenden von bestimmten, als diskriminierend empfundenen Gebärden. Dies löste zum Teil eine heftige Debatte über den richtigen Umgang mit der Deutschen Gebärdensprache aus. Kritiker sahen den Fortbestand der DGS bedroht, würden einzelne Gebärden „verboten“ werden. Asha Rajashekhar, eine der tauben Aktivistinnen, merkte jedoch schon in ihrem Online-Vortrag an, sollte der Fokus vielmehr auf einer diskriminierungsfreien Sprache liegen als auf dem starren Erhalt alter Gebärden.
Was diese Begriffe bedeuten
Schwarz
Politische Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen. In einem Glossar für diskriminierungssensible Sprache wird empfohlen, Schwarz (und auch Weiß) großzuschreiben, um eine soziale Zuordnung zu verdeutlichen. Damit ist nicht die Hautfarbe gemeint. Schwarz-Sein ist demnach keine Zugehörigkeit zu einer ‚ethnischen Gruppe‘, sondern mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung aller Schwarzen verbunden.
PoC
People of Color (nicht-diskriminierende Selbstbezeichnung): Menschen, die nicht-weiße Minderheiten in der weißen Mehrheitsgesellschaft sind.
BIPoC
Umfassender Ausdruck, der neben People of Color auch Schwarze (Black) und indigene (Indigenous) Menschen einschließt. Mit indigenen Menschen sind Bewohner von Gebieten gemeint, die sie ursprünglich bewohnt hatten, bevor sie von fremden Bevölkerungsgruppen (oft: weißen Menschen) untergeordnet oder kolonialisiert wurden. Für diese werden häufig Ausdrücke wie „Ureinwohner“ oder „Indianer“ verwendet, welche jedoch als diskriminierend empfunden werden.
Dieser Text erschien zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung, Ausgabe 07/2020.