Raus aus der Werkstatt und rein in den Arbeitsmarkt

Foto von Sven Papenbrock. Er hat kurze schwarze Haare, einen Schnurrbart, trägt eine dunkle Brille und einen dunkelgrünen Pullover. Er sitzt im Elektrorollstuhl und spricht mit zwei Personen, die ihm gegenübersitzen.
Seit zwei Jahren arbeitet Sven Papenbrock nun auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für den Sozialhelden e.V.. Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Lesezeit ca. 4 Minuten

In Deutschland arbeiten 320.000 Menschen mit einer Behinderung in Werkstätten. Sven Papenbrock hat 13 Jahre lang in einer solchen gearbeitet. Doch eigentlich wollte er immer auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. In seinem Beitrag gibt er einige Tipps, wie Unternehmen Menschen mit Behinderung beschäftigen können.

Das Jobcenter wollte, dass Sven Papenbrock in eine Fördergruppe kommt. Das lehnte er ab. In Deutschland arbeiten 320.000 Menschen mit einer Behinderung in Werkstätten. Sven Papenbrock hat 13 Jahre lang in einer solchen gearbeitet. Doch eigentlich wollte er immer auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Mit seinem Unterstützer*innenkreis schaffte er das. Heute arbeitet er beim Sozialhelden e.V.. In diesem persönlichen Bericht erzählt er von seinem Weg und gibt Arbeitgeber*innen Ratschläge, die andere Menschen mit einer Behinderung dabei unterstützen möchten, aus den Werkstätten herauszukommen und in ihrem Unternehmen zu arbeiten. 

Mein Name ist Sven Papenbrock. Ich bin Anfang 30 und komme aus Berlin. Ich lebe mit einer Behinderung. Ich arbeite bei Sozialhelden e.V. in Berlin. Dort bin ich Inklusionsexperte in Ausbildung. Das heißt, ich arbeite mit meiner Erfahrung als Mensch mit Behinderung und Lernschwierigkeiten und lerne selbst viel Neues über Inklusion. Am besten gefällt es mir mit meinen Kolleg*innen Workshops bei Organisationen zu geben. 

Ich gab zum Beispiel einen Workshop für die Mitarbeiter*innen der Jobcenter in NRW. Dort berichtete ich von meinem ersten Termin beim Jobcenter, den ich nach Ende meiner Schulzeit hatte. Der Termin war für mich nicht positiv. Der damalige Sachbearbeiter im Jobcenter schaute mich nur einmal an. Daraufhin sagte er zu mir und meinen Eltern: “Ich habe auf Grund des hohen Hilfebedarfs für Sie nur eine einzige Lösung: Eine Fördergruppe.” In einer Fördergruppe sind Menschen beschäftigt, die nicht mal in einer Behindertenwerkstatt arbeiten können. Das war ein ganz großer Schock, da ich mit dieser Entscheidung nicht gerechnet hatte. Ich ging davon aus, dass ich wenigstens in einer Behindertenwerkstatt arbeiten könnte. Ich wünschte mir andere Vorschläge, wie ich arbeiten kann, aber die gab es leider nicht. Die Mitarbeiter*innen von den Jobcentern in NRW sagten am Ende des Workshops, dass sie durch mein Erzählen viel gelernt haben. 

Meine Eltern und ich entschieden uns damals gegen eine Fördergruppe.

Die Frage war: “Wie kann ich es trotzdem in die Behindertenwerkstatt schaffen, um meine Fähigkeiten zu erweitern?” Dazu fragten wir eine Gruppenleiterin aus einer Behindertenwerkstatt, ob sie noch eine Idee hat. Sie schlug ein Pilotprojekt vor, um mich besser vorzubereiten. Das fanden wir gut. Deshalb nahmen wir nochmal Kontakt mit meiner alten Schulleiterin auf. Wir fragten sie, ob ich für ein weiteres Jahr für drei Tage in der Woche die Schule besuchen und die anderen beiden Tage in der Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten kann. Dem stimmte sie zu. Wir fanden gemeinsam eine gute Lösung für meine speziellen Bedürfnisse. Nach diesem Jahr war ich dann so weit und konnte in den Berufsbildungsbereich der Werkstatt. Der Berufsbildungsbereich ist quasi die Ausbildungszeit in der Werkstatt für behinderte Menschen. Außerdem schaffte ich in der Zeit des Pilotprojektes ich auch noch meinen Hauptschulabschluss. Ich arbeitete dann 13 Jahre in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Doch eigentlich wollte ich immer auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Da arbeiten, wo andere auch arbeiten.

2020 lernte ich die Organisation “Die Wille” kennen. Ein Projekt dieser Organisation half Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu kommen. Mit einer Mitarbeiterin schrieb ich viele Bewerbungen an verschiedene Firmen. Obwohl ich viele Absagen auf die Bewerbungen bekam, ließ ich den Kopf nicht hängen. Ich freute mich sehr als die Sozialheld*innen mich zu einem Bewerbungsgespräch einluden. Nach dem Gespräch boten sie mir ein Praktikum an. Darüber freute ich mich auch sehr. 

Die Sozialheld*innen wollten mich nach dem Praktikum gerne anstellen. Doch um richtig gute Arbeit zu leisten, muss ich noch ganz viel lernen. Darum werde ich jetzt ausgebildet mit der Unterstützung eines Jobcoaches und einer pädagogischen Begleitung von BIS e.V..

Doch um diese Leistungen zu erhalten, begann ein Kampf mit den Ämtern. Kein Mensch kennt sich dort wirklich aus, wie Wege aus der Werkstatt aussehen können. Es gab sehr viele Gespräche mit dem Inklusionsamt. Meine Eltern und meine Kolleg*innen bei Sozialhelden e.V. haben mich dabei besonders unterstützt. 

Es gab viele große und kleine Steine auf diesem Weg. Erst nach mehr als einem halben Jahr und einer sehr anstrengenden Zeit für mich stand fest: ich werde auch Sozialheld. 

Nun gebe ich bei Sozialhelden e.V. zusammen mit meinen Kolleg*innen Workshops bei Organisationen und bringe meine Erfahrung als Mensch mit Lernschwierigkeiten im Team ein. Ich prüfe Texte auf einfache Sprache. Zudem teste ich Fragebögen, die die Sozialheld*innen an Menschen mit Behinderung richten. Für die Wheelmap schaue ich mir Orte an, ob sie barrierefrei sind. Über meinen Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gebe ich Interviews und schreibe Artikel.  

Ich arbeite inzwischen seit mehr als einem Jahr mit verschiedenen Jobcoach*innen zusammen. Sie unterstützen mich bei verschiedenen Tätigkeiten, die ich nicht alleine ausüben kann. Ihre Aufgaben sind zum Beispiel mir beim Lesen oder Schreiben am Computer zu helfen. Durch sie habe ich erstmals gelernt am Computer zu arbeiten. 

Mit den Jobcoach*innen reflektiere ich meinen Arbeitsalltag, damit ich manche Aufgaben besser verstehe. Das Jobcoaching ist mir sehr wichtig, weil ich dadurch viele neue und spannende Erfahrungen sammle. 

In Deutschland arbeiten 320.000 Menschen mit einer Behinderung in Werkstätten. 

Wenn Sie Menschen mit einer Behinderung, die in diesen Werkstätten arbeiten, bei Ihnen in der Firma einstellen möchte, rate ich Ihnen:

Dieser Artikel ist zuerst auf tbd* (26.07.2023) erschienen.

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2 Antworten

  1. Lieber Sven,
    gratuliere! Ich finde es großartig, dass du deinen Weg gehst und Menschen gefunden hast, die ihn mit dir gehen.
    Ich würde gerne ergänzen, dass es auch in vielen Werkstätten eine Abteilung “Vermittlung” (diese kann unterschiedliche Namen haben) gibt. Ich leite mit einem Kollegen in einer Werkstatt diese Abteilung und bei uns sind einige Mitarbeitende in Firmen angestellt. Da gibt es verschiedene Modelle. Man muss prüfen oder ausprobieren, was für wen passt. Ich finde es auch schade, wenn Menschen gerne mehr aus ihren Leben machen möchten und keine Möglichkeit dafür bekommen.
    Also bitte einfach mal in den Werkstätten den Wunsch nach einem Arbeitsplatz in einem Betrieb ansprechen. So schlecht sind die meisten gar nicht, wie man immer meint.
    Viele Grüße Sabine

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