Bei #AbleismTellsMe erzählten behinderte Menschen von Diskriminierung. Was genau Ableismus eigentlich ist und wo der Unterschied zur Behindertenfeindlichkeit liegt, erklärt Rebecca Maskos.
Informationen in Einfacher Sprache
- Die Autorin Rebecca Maskos erklärt in diesem Text das Wort Ableismus
- Die Autorin erklärt den Unterschied zwischen den Wörtern Ableismus und Behindertenfeindlichkeit
- Die Autorin erklärt auch, dass Ableismus ähnlich ist wie zum Beispiel Frauenfeindlichkeit
Able- was? Schon wieder so ein neues fancy word auf den Social-Media-Timelines? Ableismus und sein englischsprachiger Ursprungsbegriff ableism leiten sich ab vom englischen Begriff ability, Fähigkeit. Entstanden in der englischsprachigen Behindertenbewegung, wird der Begriff erst seit etwa zehn Jahren auch in Deutschland genutzt.
Mit dem Twitter-Hashtag #AbleismTellsMe hat es Ableismus nun auch in deutsche Mainstream-Medien geschafft. Nachdem die US-amerikanische, behinderte Studentin Kayle Hill Anfang September unter #AbleismTellsMe über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung twitterte, ging der Hashtag vor allem in Deutschland durch die Decke. In hunderten von Tweets berichteten User*innen von zum Teil krassen Erfahrungen der Ausgrenzung und Benachteiligung, Ausdruck des gesellschaftlichen Umgangs mit Behinderung.
Ableismus = Behindertenfeindlichkeit?
Doch braucht es dazu einen neuen Anglizismus? Ist Ableismus etwas Neues, Anderes, oder sind nicht Erfahrungen gemeint, die wir behinderten Menschen zur Genüge kennen – zusammengefasst unter dem Begriff Behindertenfeindlichkeit? Ja und nein. Ableismus ist tatsächlich erstmal nichts Neues.
Ableismus zeigt sich, wenn wir als kompetentes Subjekt auf Augenhöhe gar nicht vorkommen, wenn wir unsichtbar scheinen, wenn über unseren Kopf hinweg über uns entschieden wird. Wenn unsere Freund*innen und Partner*innen als unsere „Betreuer*innen“ angesprochen werden. Ableistische Denkmuster führen alles, was wir tun, auf unsere Behinderung zurück: Wir sind schlecht gelaunt, mürrisch und einzelgängerisch oder aber neugierig, freundlich und nett, vermeintlich weil wir behindert sind. Oder aber, wir tun alles trotz unserer Behinderung – unser Leben sei einzig und allein darauf gerichtet, unsere Behinderung zu überwinden. Ableismus lässt uns als vielschichtige Person verschwinden, hinter einer Wand von stereotypen Annahmen. Zum Beispiel, dass unsere Behinderung uns verbittert und depressiv macht, und dass es deshalb viel Mut braucht, wenn wir ein „ganz normales Leben“ führen. Oder, dass wir in allen Lebensbereichen hilflos und unfähig sind. Ableistisch ist die Anerkennung, die es regnet, wenn wir „trotzdem rausgehen“, „auch auf der Party dabei sind“, „uns nicht von unserer Behinderung aufhalten lassen“, oder ihr „die Stirn bieten“. Ableistisch ist aber auch die Missgunst, die wir für Behindertenparkplätze, Schwerbehindertenausweise und zusätzliche Urlaubstage bekommen. Oder die Frage, ob unser Leben überhaupt lebenswert sei und wir nicht hauptsächlich eine Last für unsere Familien darstellen.
Ein breites Spektrum an Vorstellungen also, die sich unter dem Schlagwort Ableismus versammeln. Die Überschneidungen mit Behindertenfeindlichkeit sind offensichtlich. Hass und Gewalt, die früher und heute behinderten Menschen entgegenschlagen, sind in der Tat behindertenfeindlich. Auch die Frage, wie viele „Pflegefälle“ sich eine Gesellschaft noch leisten will, oder ob man in Zeiten knapper Ressourcen im Gesundheitswesen nicht priorisieren müsse, wessen Leben man erhält und wessen nicht. Der Begriff Behindertenfeindlichkeit trifft die Abwertung behinderten Lebens in ihrer ganzen Schärfe. Und dennoch ist es sinnvoll, wenn ihm der Begriff Ableismus zur Seite steht.
Ableismus im Alltag
Zum einen ist die Praxis im Umgang mit Behinderung nicht immer feindlich. Oft kommt sie eher freundlich daher, als Gratulation zum „Lebensmut“, als das überbordende, nicht immer hilfreiche Helfen im Alltag oder in Gestalt von nett gemeinten Tipps, wie man die chronischen Schmerzen oder die Allergien und das Asthma ganz einfach los wird. Zum anderen ist Ableismus breiter als Behindertenfeindlichkeit. Wie Rassismus und Sexismus bildet der Begriff nicht nur die Praxis im Umgang mit einer Gruppe ab, sondern auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen, die diese Praxis hervorbringen. Ableismus zeigt sich nicht nur im schrägen Kommentar oder im Kopfstreicheln, sondern auch in der Treppe ohne Rampe, im fehlenden Aufzug, in den Geldern, die Veranstalter*innen für Gebärdensprachdolmetschen, Live-Streaming oder Leichte Sprache einfach nicht aufbringen wollen. Der Begriff Behindertenfeindlichkeit kann umgekehrt auch suggerieren, dass es reicht, einfach nur die eigene Haltung umzuwandeln – nämlich in eine „behindertenfreundliche“.
Nicht zufällig werden auch Begriffe wie „Frauenfeindlichkeit“ oder „Ausländerfeindlichkeit“ eher seltener genutzt. Denn Rassismus und Sexismus sind genau wie Ableismus nicht nur Denk- und Handlungsmuster, sondern auch Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die alle Menschen betreffen – auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Weiße Männer beispielsweise müssen sich mit den Zumutungen einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft kaum auseinandersetzen und finden es deshalb oft schwer, sie überhaupt zu erkennen. Auch nichtbehinderte Menschen erscheinen in diesem Zusammenhang privilegiert: Den energieraubenden Kampf mit Barrieren und Vorurteilen können sie sich sparen. Behinderte Menschen hingegen müssen sich nicht nur mit dem Ableismus der anderen auseinandersetzen. Zusätzlich besteht auch die Gefahr, dass man den von außen herangetragenen Ableismus verinnerlicht, dass man sich irgendwann selbst als minderwertig, als Belastung für die Gesellschaft sieht.
Parallelen zu anderen “-ismen”
Es gibt also eine Menge Parallelen zwischen Ableismus, Sexismus, Rassismus und ähnlichen „-ismen“– aber auch Unterschiede. Eine Identität als nichtbehinderter Mensch ist fragil. Spätestens im Alter sind wir alle mittendrin im behinderten Leben: Kein Leben geht ohne Beeinträchtigungen zu Ende. Und in den allermeisten Fällen haben wir alle vorübergehend kleinere und größere Beeinträchtigungen im Laufe des Lebens. Alle machen wir Erfahrungen mit Beeinträchtigungen – mit Krankheiten, mit Abhängigkeiten von anderen, mit Hilfsbedürftigkeit, ohne jedoch dadurch automatisch behindert zu sein. Dennoch: Ein schwerer Unfall reicht und zack ist man Teil des „Clubs der Behinderten“.
Vielleicht ist das ein Grund, weshalb Behinderung so viel Angst und Unsicherheit auslösen kann– sie ist in Wirklichkeit näher dran am nichtbehinderten Leben, als den meisten Leuten lieb ist. Ableistisches Handeln kann ein Versuch sein, sich eine unangenehme Wahrheit vom Leib zu halten: Niemand ist unverletzlich. Ableismus kann behinderte Menschen zu Anderen machen und sie auf Distanz halten. An der vermeintlich sicheren Normalität muss dann gar nicht erst gerüttelt werden.
11 Antworten
Sehr geehrte Frau Maskos,
Sie schreiben über Diskriminierung und Stereotype und dann dieser Satz: “Weiße Männer beispielsweise müssen sich mit den Zumutungen einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft kaum auseinandersetzen und finden es deshalb oft schwer, sie überhaupt zu erkennen.” Stereotyp, Rassismus und Sexismus in einem Satz, von Ihnen! Das was Sie im übrigen Artikel bei anderen anprangern ist in Ihrer Denkweise anscheinend stark verwurzelt.
Viele Grüße, Erich Grau
Sehr geehrter Herr Grau,
Erstaunlich, wie schnell Sie auf
“Weiße Männer beispielsweise müssen sich mit den Zumutungen einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft kaum auseinandersetzen und finden es deshalb oft schwer, sie überhaupt zu erkennen.”
anspringen, und sich offensichtlich auf den Schlips getreten fühlen.
Dabei sagte dieser Satz nichts anderes, als dass weiße Männer so gut wie nie (<>) Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus machen, und sich entsprechend KAUM in Erfahrungswelten von PoC oder Frauen hineinversetzen können, die von frühster Kindheit an damit konfrontiert werden – genau so, wie es Behinderten ergeht, wenn ihre Behinderung “sichtbar” ist.
Es stimmt nicht, dass weiße Männer kaum Erfahrungen mit Sexismus machen. Es wurde bis vor wenigen Jahren noch von fast jeden Mann in Deutschland erwartet, dass er im Notfall für sein Land stirbt. Selbst die feministischsten unter meinen Freundinnen tragen ihre Wasserkästen nicht selbst. Männer werden komplett ausgeblendet, wenn es um häusliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch geht und Kinder müssen nach einer Scheidung natürlich bei der Mutter bleiben. Das sind nur ein paar Bereiche, in denen Männer Sexismus erfahren. Aber da das in den meisten Fällen den Frauen (von denen ich auch eine bin) Vorteile bringt, fällt das einfach unter den Tisch. Das heißt nicht, dass Frauen es nicht vielleicht in der Regel schwerer hätten, das kann schon sein, wenn man mal alles zusammenaddiert, aber das heißt nicht, dass ein weißer Mann nicht weiß, was Sexismus ist.
Ihr Text hat mir sehr gut zu verstehen gegeben, was Ableismus ist und ich kann ihre Argumentation voll und ganz nachvollziehen. Wie jemand aus dem Satz “Weiße Männer beispielsweise müssen sich mit den Zumutungen einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft kaum auseinandersetzen und finden es deshalb oft schwer, sie überhaupt zu erkennen,” ernsthaft Rassismus oder Sexismus rauslesen kann, erschließt sich mir nicht. Genauso wenig kann ich nachvollziehen, wie man nach so einem Text erstmal darauf hinweisen muss, dass Männer ja auch Benachteiligungen erleiden.
Schreiben Sie weiter so. Ich finde es sehr gut, dass Sie andere Menschen dazu anregen, die eigenen Verhaltensweisen zu reflektieren und bestenfalls zu ändern.
Insgesamt sicher zutreffend. Dennoch scheinen mir manche Passagen übertrieben. Wenn jemand depressiv ist, warum auch immer, dann werden sie ihn nicht umstimmen können, indem sie alles auf die bösen ableistisch handelnden Nichtbehinderten zurückführen. Generell würde ich davor warnen hier die Gräben zu vertiefen. Ich war zwar Jahrzehnte lang nicht behindert und versichere Ihnen, dass man als Nichtbehinderter auch nicht morgens aufsteht mit dem Gedanken “wen kann ich heute wieder abwerten”. Gedankenlosigkeit kann auch etwas schönes sein. Man nennt sie dann Leichtigkeit.
Vor ca. 35 Jahren, als ich in den USA lebte und studierte, schrieb eine Universität in Washington, D.C. eine Lehrstelle im German Department aus mit der Anmerkung: “White males need not apply.” Kein weiterer Kommentar.
Oh nein Dagmar. Das ist ja ganz schrecklicher Rassismus gegen Weiße… Wait a second. Weiße wurden Jahrhunderte lang unterdrückt mit dem Ziel Herrschaftsansprüche zu legitimieren, wurden als Menschen zweiter Klasse und viel öfter noch nicht einmal als Menschen gesehen? Oh wait… das waren ja die Schwarzen. Die systematische Unterdrückung mit dem Ziel Hierarchie- und Gesellschaftsstrukturen zu legitimieren und zu festigen, das nennt sich Rassismus. Wenn du in der Schule Kartoffel genannt wirst oder jemand keine Weißen Männer einstellen möchte, dann ist das zwar ganz schön doof, aber kein Rassismus. Ich hoffe, du hast ein bisschen was gelernt und erkennst nun Rassismus dann wenn er auch vorkommt.
Man muss wirklich linksradikal indoktriniert sein, um zu verstehen, wie solch unverschämte Diskrimination von heutigen weißen Männer, die vermutlich in ihrem ganzen Leben niemanden unterdrückt haben bei den uralten Ungerechtigkeiten helfen soll. Und jemanden wegen deiner Rasse(“weiß”) zu diskriminieren ist eindeutig Rassismus.
Hallo bin ein körperlich behinderter Mensch habe ärger mit der Justiz Deutschland alle Staatsanwaltschaften haben in meine Fälle nicht ermittelt mir kommt es so vor ob ich nicht existiere. Staatsanwaltschaft haben bis heute alle betrüge mit unterstützt keiner hat mich bis heute geholfen sogar Opfer Hilfe hat mich im Stich gelassen.
Rassismus gegen weiße Menschen gibt es nicht. Schauen sie sich gerne noch einmal die wissenschaftliche Definition über Rassismus an. Wenn überhaupt ist es Diskriminierung.
Ich stehe der Debatte etwas ratlos gegenüber, weil ich nun gar nicht mehr weiß, wie ich einem Menschen mit Behinderung begegnen soll. (Dabei habe ich selbst eine ärztlich attestierte körperliche, allerdings nicht sichtbare Behinderung.) Ich weiß nun zwar, was alles als verletzend empfunden werden kann, aber immer noch nicht, wie denn nun jeder einzelne behandelt werden möchte. Da geht mir alle Spontaneität flöten. Das macht den Kontakt nicht einfacher. Könnte es vielleicht auch sein, dass Menschen mit Behinderung oft nur das Gefühl haben, Nicht-Behinderte würden in ihrem Umgang alles auf die Behinderung beziehen?
Und wenn es so sein sollte, dann heißt das ja nur, mein Gegenüber weiß von mir nicht mehr als ich von ihm. Wir beurteilen unser beider Verhalten darum nach dem, was wir voneinander auf den ersten Blick erkennen können. Das ist menschlich und kein behindertenspezifisches Problem.
Dem einen wird dadurch vielleicht eine Rücksicht zuteil, die er gar nicht möchte. Der andere wird dadurch als unehrlich freundlich abgestempelt.
Da ist eines nicht besser als das andere.