Warum „Handicap“ das falsche Wort für Behinderung ist

Eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen sitzt an einem Tisch und stößt mit Getränken an.
Der Schlüssel zur sensiblen Sprache: gemeinsamer Austausch. Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
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Immer häufiger wird das Wort „Handicap“ benutzt, um den Begriff der „Behinderung“ zu vermeiden. Warum dies aber der falsche Weg ist und warum die häufig genannte Begründung dafür auch nicht stimmt, erklärt Jonas Karpa.

Informationen in Einfacher Sprache

  • In diesem Text geht es um den Begriff Handicap. Er wird oft verwendet, wenn eigentlich Behinderung gemeint ist. 
  • Der Autor Jonas Karpa erklärt die Herkunft des Begriffs.
  • Er geht zurück auf ein Tausch-Spiel. Auch beim Golf kommt er vor. In beiden Fällen geht es um Schwäche und Vergleich.
  • Beim Wort Behinderung geht es dagegen um die Rechte auf Nachteilsausgleich und um die Barrieren, die eine Person behindern. Deshalb sollte man diesen Begriff benutzen. 

Die Begriffe für behinderte Menschen haben in vielen Sprachen eine negative Konnotation. Sei es „Les Invalides“ (vom lateinischen Wort „invalidus“ für krank, hinfällig, kraftlos) in Frankreich, oder „Las personas con minusvalias“ (Personen mit niedrigem Wert) in Spanien. Auch in Deutschland sprach man lange Zeit von den Behinderten oder gar von Schwerbeschädigten. Immer häufiger ist inzwischen ein anderes Wort für Menschen mit Behinderung zu lesen: Handicap oder gehandicapt. Es klingt jung, hip, frisch und versprüht einen Hauch von Internationalität. Aber vor allem: es trägt nicht dieses sperrige Wort „Behinderung“ bei sich.

Hand in Cap vs. Cap in Hand

Trotzdem wird die Beschreibung, dass ein Mensch „gehandicappt“ sei, oft kritisiert. Handicap würde Bezug auf Obdachlose und Bettler*innen nehmen, die am Straßenrand sitzen, ihre Mütze in der Hand halten und nach Geld fragen. Dafür gibt es den englischen Ausdruck Cap in Hand. Diese Begründung hält sich hartnäckig, ist aber falsch. 

Tatsächlich taucht der Begriff Cap in Hand erstmals 1565 auf und beschrieb die Geste, aus Respekt, Achtung oder Höflichkeit den Hut zu ziehen. Diese Bedeutung entwickelte sich über die Jahre hin bis 1887, wo sie beschrieb, jemanden um einen Gefallen zu bitten. Dieses Bitten, oder gar Betteln, was Cap in Hand bedeutet, ist aber ein völlig anderer Wortstamm als das Hand in Cap

Mehrere Sportler mit Behinderung stehen in einer Turhalle nebeneinander Arm in Arm. Sie stehen mit dem Rücken zur Kamera.
"Handicap" ist ein häufig in Sport benutzter Begriff, der eher defizitorientiert ist. Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Die erste Erwähnung von Hand in Cap findet man im Jahr 1653. Hier beschreibt Hand-in-cap ein Lotterie-Spiel mit zwei Spieler*innen und eine*r Schiedsrichter*in. Grundlegende Spielidee war, dass die beiden Spieler*innen Gegenstände tauschen, von deren Wertigkeit sich die Schiedsrichter*innen vorher ein Bild machten. Die Spieler*innen mit dem weniger wertigen Objekt mussten den Differenzbetrag noch dazulegen. Vor jeder Spielrunde gaben alle drei Personen den gleichen Geldbetrag als sogenanntes Reuegeld in einen Topf ab. Ob nun ein Tausch zustande kam, entschied sich, indem beide Spieler*innen eine Hand in eine Kappe steckten und gleichzeitig, entweder als Faust oder geöffnete Hand, wieder herauszogen. Eine geöffnete Hand bedeutete in diesem Fall die Zustimmung zum Tauschhandel, eine Faust die Ablehnung des Geschäfts. Dieses „Hand in Kappe (stecken)“ ist die Grundlage des Namens Hand-in-Cap, der später in Hand i’Cap verkürzt wurde. Treffen nun beide die gleiche Entscheidung, so wird der Handel entweder vollzogen oder nicht. Das gesammelte Reuegeld bekommt in beiden Fällen der/die Schiedsrichter*in. Stimmt nur einer der beiden Spieler*innen zu, so kommt kein Tausch zustande, jedoch bekommt der/die zustimmende Spieler*in das Reuegeld. 

Sportlicher Wettkampf – Handicap als fairer Ausgleich 

Der Ausgleich zwischen zwei ungleichen Teilnehmer*innen – oder wie bei Hand-in-Cap von Gegenständen – spiegelt sich auch 1754 wieder, als der Begriff im Pferderennen auftaucht. Das beste Pferd musste extra Gewichte tragen, um Chancengleichheit gegenüber den Schwächeren herzustellen. 1883 ging das Wort Handicap dann vom rein sportlichen Kontext auch in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Es steht seitdem für die Gleichstellung zweier Personen mit unterschiedlichem Ausgangslevel.

Handicap erst 1915 Synonym für Behinderung 

Erst 1915 wurde Handicap mit Behinderung in Verbindung gebracht. Zunächst wurden nur Kinder mit einer körperlichen Behinderung als handicapped bezeichnet, ehe der Begriff in den 1950er Jahren auch für Erwachsene und Menschen mit Lernschwierigkeiten galt.

Heute ist Handicap als fester Bestandteil der Alternativ-Begriffe für Behinderung und in der Welt des Sports zu finden. Dort wird er am häufigsten beim Golf verwendet. Es besagt die Differenz zwischen den benötigten Schlägen und der Anzahl der Schläge, die ein*e sehr gute*r Spieler*in zum Beenden des Platzes benötigt. Handicap bezeichnet also die Spielstärke, die Qualität eine*r Golfspieler*in. Je höher das Handicap, desto schlechter.

Wenn der Begriff Handicap nun aber ursprünglich für das Lotterie-Spiel benutzt wird, warum wird trotzdem die vermeintliche Verbindung zu Bettler*innen genannt, wenn der Begriff kritisiert wird? Es wird vermutet, dass diese Begründung dafür, das Wort nicht zu benutzen, genommen wird, weil sie für viele Menschen leicht verständlich ist und man nicht noch großartig die Geschichte des Wortes Handicap erläutern muss. Mit einer Behinderung zu leben ist für Nichtbetroffene schon schwer vorstellbar, da möchte man diese „armen Menschen“ ja nicht auch noch mit Bettler*innen vergleichen. Das scheint für viele plausibel und niemand möchte darüber diskutieren. 

Wer ein Handicap hat, hat ein Defizit

Aber was ist nun der wirkliche Grund, warum Handicap das falsche Wort für Behinderung ist? Handicap beschreibt die Situation aus einer defizitorientierten Sicht. Natürlich steckt im Begriff Behinderung auch, dass ein Mensch an etwas gehindert ist bzw. wird, jedoch enthält er auch das soziale Modell von Behinderung. Dieses besagt, dass eine Person nicht nur behindert ist, sondern auch durch die Umwelt behindert wird. Sei es durch Vorurteile, Stufen oder fehlende Untertitel. Bei Handicap steht, wie es auch im ursprünglichen Lotterie-Spiel der Fall war, der Vergleich im Vordergrund. Es wird erst auf den*die Beste*n geschaut – in diesem Fall der Mensch ohne Behinderung – und dann verglichen, was der*die vermeintlich Schwächere (also der Mensch mit Behinderung) nicht kann. Der individuelle und persönliche Blick auf jede*n einzelnen geht damit verloren.

Ein Schwerbehindertenausweiß zeigt eine junge Frau mit Down-Syndrom. Der Titel "Schwerbehindertenausweis ist mit einem weißen Zettel überklebt, auf dem "Schwer in ordnung Ausweis" steht.

Behinderung beim Namen nennen!

Hannah Kiesbye rief den “Schwer-in-Ordnung-Ausweis” ins Leben. Dafür hat sie nun den Bundesverdienstorden erhalten. Warum wir aber beim Begriff “Behinderung” bleiben sollten, kommentiert Jonas Karpa.

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Da viele Menschen aber befürchten, allein mit dem Wort Behinderung zu beleidigen oder zu stigmatisieren, hat sich Handicap als Begriff etabliert. Gerne werden auch beschönigende Alternativ-Ausdrücke, wie z.B. „besondere Bedürfnisse“ oder „andersfähig“ gewählt. Ganz abgesehen davon, dass nur wenige behinderte Menschen selbst diese Ausdrücke gebrauchen, treffen sie auch nicht zu. Die Fähigkeiten und Bedürfnisse behinderter Menschen sind nicht „besonders“, sondern genauso vielfältig wie die nicht behinderter Menschen. Und sie haben nicht “besondere Bedürfnisse”, sondern das Recht, nicht benachteiligt zu werden. 

Warum nicht einfach „Mensch mit Behinderung“ oder “behinderter Mensch”?

Würde man 50 Personen auf der Straße nach einem sensiblen Begriff für Menschen mit Behinderung fragen, so würde man womöglich 50 verschiedene Antworten bekommen. Behindert und Behinderung sind ziemlich in Verruf geraten. Nicht zuletzt dadurch, dass „bist du behindert?!“ als beleidigende Phrase im Umlauf ist.

Zu Unrecht, wie Betroffene finden, denn Behinderung beschreibt letztendlich ein Merkmal von vielen einer Person. Wichtig ist nur, dass das Wort “Mensch” mitbenutzt wird, da mit dem Begriff Behinderte das Bild einer festen Gruppe entsteht, die in Wirklichkeit vielfältig ist. „Der/die Behinderte“ würde die Person auf ein Merkmal reduzieren, das alle anderen Eigenschaften dominiert. Bei Handicap verschwindet der Mensch vollkommen und der Fokus wird auf eine (vermeintliche) Schwäche gelegt. Die Auswahl des Begriffes hat dabei nichts mit der Frage nach politischer Korrektheit zu tun – zumal politische Korrektheit inzwischen als politischer Kampfbegriff missbraucht wird. Vielmehr geht es um Sensibilität und der Auseinandersetzung mit Sprache. Aussagen wie „ich habe das schon immer so gesagt“ oder „mir gefällt der Begriff aber so sehr“ sind dabei nicht förderlich und von oben herab. Die beste Lösung sind daher die Formulierungen „Menschen mit Behinderung“ oder „behinderte Menschen“. Das Gegenüber nach der für sie*ihn passenden Begrifflichkeit einfach zu fragen, gilt natürlich auch nach wie vor. 

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27 Antworten

  1. Bei mir hat durch verschiedene Beiträgen und Diskussionen in den Medien ein Umdenken stattgefunden. Ich wäre froh zu erfahren, wie es in französischer Sprache korrekt heisst. Ich kenne nur den Ausdruck « il est handicapé ». Oder könnt ihr mir sagen, wie ich das recherchieren kann?
    Vielen Dank

  2. es gibt keinen perfekten Sprachgebrauch-Behinderte – Deine Argument sind gut beschrieben und hergeleitet- Du hast Recht- Sagen wir doch einfach Behindete(r) – das versteht jeder

    1. Das sollte man aber immer nur mit der Verbindung, “ein MENSCH mit Behinderung” oder”ein/e MANN/FRAU mit Behinderung” sagen oder schreiben, oder direckt dazu sagen/schreiben was für eine Behinderung diese/r hat, also ob es eine Geh-, Seh-, Spastische-, Koknitive-, oder Hörbehinderung/beeinträchtigung vorhanden ist, es gibt unentlich viele Behinderungen/Beeinträchtigungen, keine kann mit der anderen verglichen werden, darum ist die Veralgemeinerung “Behindert” nicht richtig, der Grund ist, weil dieses Wort als Schimpfwort und Beleidigung herhalten muss, was bedeutet “Behindert gleich Dumm” genau so das Wort “Spasti” was eine Bezeichnung für “ungeschickt oder Depp” herhalten muss und als beleidigung gilt.

      1. Hallo Markus.

        Ich wollte nur einmal darauf hinweisen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, weswegen ich nur “Mann/Frau” schreiben würde, wenn das Geschlecht der Person auch bekannt ist.

        liebe Grüsse
        Anny

        1. Falsch! Es gibt nur zwei Geschlechter! Frau und Mann und nichts dazwischen. Das war auch früher so! Aber heutzutage ja leider nicht mehr….!

          1. Liebe Nadine,
            ich muß Dir leider widersprechen.
            Tatsächlich gibt es auch schon immer Zwitter.
            Nur wird in unserem Medizinsystem ein solches Wesen schon seit langer Zeit nach der Geburt, ohne es mit den Eltern abzusprechen einfach umoperiert. In Indien tut das niemand, deshalb gibt es dort sehr viele sogenannte Ladyboys.

  3. Danke für die klaren Worte!
    Als Behindertenbeauftragter einer Mittelstadt (Goslar, 50.000 Einwohner) war ich auch dabei einen anderen Ausdruck für mein Ehrenamt zu finden. Vielleicht ist der jetzige Begriff gar nicht so schlecht.
    Vielleicht liegt es an uns, den Begriff “Behinderung”, wie hier im vorliegenden Text gefordert, mit dem Recht zu verbinden würdevoll, gleichberechtigt und selbst bestimmt in den gesellschaftlichen Strukturen mitwirken zu können.

    1. Hallo Herr Dietsch,
      um den althergebrachten Begriff Behinderung und Mensch mit Behinderung mit einer neuen Bedeutung zu belegen, braucht es viele Generationen.
      Bei Beibehaltung der Begriffe werden über lange Zeit die alten Bedeutungen mitgezogen und unreflektiert beibehalten.
      Das kann nicht zum Ziel führen.
      Mensch, von Behinderung betroffen oder Mensch, Barrieren ausgesetzt, wären Umschreibungen, die auch jeden einzelnen darauf aufmerksam machen können, am Prozess der Behinderung beteiligt zu sein.
      Gruß
      Thomas Messingschlager

      1. Verzeihen Sie meine späte Antwort. Ich verfolgte diesen Thread nicht weiter. Sorry.
        Gerade bin ich dabei meinen ersten Bericht als Behindertenbeauftragter zu schreiben. Mir fällt es schwer mich mit den gängigen Formulierungen anzufreunden. Alle im Umlauf befindlichen Alternativen haben mehr Defizite als Verbesserungen. Leider. Ja, Sie haben recht! Alte Interpretationen werden oft genug in den zunächst unbelasteten Begriff impliziert. Das ist lästig, aber nicht zu ändern: Oder doch? Ja, ich meine wir können das! Durch unser offensives Auftreten, als selbstbewusste (VertreterInnen von) Menschen mit Behinderungen. Denn diese stehen m. E. für Menschen mit Behinderungen im ständigen Fokus. Egal, wie sie es nennen.
        In meinem ganz kleinen Umfeld lässt sich bereits jetzt ein Umdenken, ein Umfühlen feststellen! Das kriegen wir viel schneller hin als Ihre Befürchtungen vermuten lassen.
        Allerorten werden Inklusionspläne geschrieben, bei mir in der Stadtverwaltung ist Inklusion in den Köpfen bereits angekommen. Nur an der Umsetzung hapert es an verschiedenen Baustellen (im wahrsten Sinne des Wortes).
        Hauptsache wir bleiben dran! Alles Gute!

  4. Hi,
    ich finde das alles sehr nachvollziehbar. Was ich mich noch gefragt habe, wäre, ob der Begriff “Behinderung” oder “Beeinträchtigung” besser passen würde? Wie dazu die aktuelle Meinung?

    LG

    1. Im Prinzip spielt es keine Rolle, ob jetzt von einer Behinderung, oder von einer Beeinträchtigung gesprochen/geschrieben wird, wenn man weiss, was für eine Behinderung vorhanden ist, sollte man das dazu sagen/schreiben, also ob es geh-, seh-, hör-, spastische-, oder koknitive-Behinderung/Beeinträchtigung, aber auch wenn diese nicht bekannt ist, muss immer der “Mensch” im vordergrund sein, also nie von einem Behinderten, sondern von einem Mensch (Frau/Mann) mit einer Behinderung, oder auch Beeinträchtigung reden, dann ist das korekt.

    2. Beeinträchtigung kein falsches Wort. Bei uns in Salzgitter wird sehr oft das Wort in den Vereinen wie Menschen mit Behinderung verwendet. Zum Beispiel haben wir seit vielen Jahren beim Schiessclub Flora das Schiessen für behinderte, das störte viele und somit haben wir gemeinsam nach einem neuem Wort gesucht. Antwort war Menschen mit Behinderung. Hinzu kommt das wir das Wort Behinderte aus unserer Satzung entfernen möchten, da der LSB Niedersachsen e.V das Wort Inklusion in seiner Satzung hat? Wir suchen seit langer Zeit ein anderes Wort um die Leute mit Einschränkungen wieder zu gewinnen. Denn durch Corona hat sich die gesamte Angelegenheit erheblich verschlechtert.

  5. Handicap ist nicht in Ordnung. Aber Menschen mit geistiger Behinderung “Menschen mit Lernschwierigkeiten” zu nennen, das schon. Das verstehe ich nicht. Menschen mit Lernschwierigkeiten z.B. Legasthenie können studieren gehen und promovieren. Warum werden dann diese Menschen mit einer geistigen Behinderung (jeden Grades) in einen Topf geworfen, Deckel zugemacht und “das ist so in Ordnung”. Sogar Raul Krauthausen macht da mit, weswegen ich ihn eigentlich jetzt seit neustem genau deswegen ablehne.
    Sagen, dass “Handicap” nicht in Ordnung ist, aber Menschen mit einem Dr.-Titel in den gleichen Topf werfen mit Menschen mit geistiger Behinderung, das sei wieder in Ordnung. Ganz ehrlich, DASS geht gar nicht!!!

    1. Liebe Anneliese, ich verstehe deine Einwände und mir geht es auch so, daher bezeichne ich lieber den Begriff, koknitive Einschränkung, wobei auch das nicht beschreibt, wie stark und welche jetzt diese Einschränkungen sind, aber das ist sehr schwer in einem Wort zu bezeichnen und wird dieser Behinderung nie gerechfärtigen, durch meine Krankheit MS, habe ich auch, starke koknitive einschränkungen, die aber kaum jemand war nimmt, sie stören mich aber sehr.

      Alles was man mit einer Behinderung verbindet, wird nie jemandem der/die eine Behinderung hat, gerecht beschrieben und da wird es immer diskusionen geben, jedem kann man es nicht recht machen.

  6. Was ich mit Inklusion überhaupt nicht in Einklang bringen kann, ist die Art und Weise wie Betroffene und Professionelle und die Gesellschaft insgesamt von Menschen MIT Behinderung reden.

    Will nicht die UN-BRK diesen Paradigmenwechsel vollziehen helfen, vom “behindert sein zum behindert werden”?
    Ich stelle mir einen Menschen mit einer (technisch ausgedrückt) Funktionsstörung (im Vergleich zum langweiligen Normmenschen) vor, der in die Welt hinausruft: “Ich bin behindert! Ich fordere von der Gesellschaft Inklusion.”

    Dieser Mensch steht doch auf falscher Grundlage, also versteht sich selbst falsch, als mit der Eigenschaft “Behinderung” ausgestattet. (auch wenn das Meinen davon wissenschaftlich anders definiert ist)
    Wenn sich dieser Mensch nicht zugleich auch sprachlich auf die Inklusion gründet, wie will er dann in der Auseinandersetzung mit der Normwelt die Normmenschen darauf aufmerksam machen können, Teil des Aktes der Behinderung zu sein, die Ergebnis einer Interaktion und keine Eigenschaft eines Menschen ist.

    Denke ich da falsch, ist mein Denken nur Haarspalterei?

    Haben Betroffene das Gefühl ernst genommen zu werden, wenn weiter alles in der “alten” Sprach bleibt?

    Das geht doch nicht. Inklusion kommt doch einem Paradigmenwechsel gleich, der mit dem Wechsel vom Weltbild der “Erde als Scheibe” zum Weltbild der “Erde als Teil des Sonnensystems” vollzogen wurde.
    Wenn ein Mensch von Weltbild 1 das innerste Wesen von Weltbild 2 verstehen will, dann wird ihm das in der Sprache von Weltbild 1 nie gelingen, er kann Weltbild 2 nur verzerrt wahrnehmen.

    So ergeht es der Inklusion, sie wird nicht verstanden, nicht umgesetzt, da sie in die alte Sprache gestopft wird, und das zerstört die Inklusion, lässt sie nicht sprießen, erstickt das frische Pflänzchen.

    Aber nach der Argumentation im vorliegenden Beitrag zu urteilen, liege ich mit meiner Ansicht wohl falsch.

    1. Nein!
      Inklusion bedeutet soziologisch betrachtet ein Verschmelzen unterschiedlicher Daseinsformen, hier Menschen mit und Menschen ohne Behinderung.
      Inklusion bedeutet nicht in erster Linie Menschen mit Behinderungen weniger Last aufzubürden, sondern Menschen ohne Behinderung nicht länger die fantastischen Menschen mit Behinderung vorzuenthalten!
      Das wird leider auch in dieser Diskussion zu oft vergessen.
      Das gesellschaftliche Potential in allen(!) Bereichen wird nicht ausgenutzt, solange wir nicht (provokativ ausgedrückt) endlich von den Menschen mit Behinderungen inkludiert werden!
      Klingt komisch, lohnt sich aber drüber nachzudenken!
      Herzlich, axel

    2. Hallo Thomas, vielleicht habe ich dich nicht richtig verstanden, oder ich habe es nicht richtig geslesen, du schreibst hier von Inklusion, von 1 und 2 Weltbild, aber nirgens habe ich gelesen, wie man Menschen mit einer/m Behinderung/Beeinträchtigung/Handicap von diraus bezeichnen soll, klar bin ich auch dafür, jeden als “Mensch” zu bezeichen, wie es für alle Menschen zusteht, das problem dabei ist dann nur, dass sich für diejenigen die eine Behinderung & co haben, nichts ändern würde, wir können nicht sagen, es braucht eine Rampe für den Mensch, da müssen wir schon dazu sagen können, warum dieser Mensch eine Rampe braucht und schon sind wir wieder im Bereich “behindert, Beeinträchtigung, Handicap” und was es auch noch alles für Bezeichnungen gibt.

      Die Bezeichnung für solche Menschen ist so vielfältig, wie ihre Beeinträchtigungen, keine ist falsch, aber was immer dabei sein muss, ist die bezeichnung Mensch, nicht die Beeinträchtigung ist wichtig,die zeigt nur, warum etwas geändert werden muss, damit die “INKLUSION” stattfinden kann, was aber wichtig ist, ist dass diese auch Menschen sind, die die gleichen Rechte haben, wie jede/r andere Mensch.

  7. Ehrlich gesagt bin ich entsetzt, wie hier krampfhaft nach neuen Worten für den Begriff “Behindert” gesucht wird. Ich bin blind und habe überhaupt kein Problem damit, als Blinder oder Behinderter wahrgenommen zu werden, wobei ich sehr gerne auf das Wort “Mensch” verzichten kann. Schließlich sind wir noch nicht so weit, dass Wesen aus verschiedenen Welten unsere Erde bevölkern. Es ist also selbstverständlich, dass es um Menschen geht. Wichtiger ist mir ein ganz anderer Aspekt, nämlich, dass wir endlich damit aufhören, Behinderungen als Makel zu empfinden. Warum tun sich viele so schwer damit, “Funktionseinschränkungen” offen zuzugeben? Schließlich möchten wir Behinderte doch auch Nachteilsausgleiche dafür beanspruchen, dass wir eben nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie Nichtbehinderte. Der Begriff “Beeinträchtigung” bringt es nicht auf den Punkt, denn, auch jemand, der beispielsweise nur 50 Prozent Sehkraft hat, ist beeinträchtigt. Als behindert gilt er nach derzeitiger Definition des Begriffs Sehbehinderung jedoch nicht. Das wichtigste ist meines Erachtens, dass wir ohne Vorbehalte und ohne “Cancel Culture” miteinander reden können und dem Gegenüber nicht aufgrund falscher Wortwahl negative Absichten unterstellen. Diese ganze Suche nach neuen Begriffen hat zu großen Verunsicherungen beigetragen. Dabei gäbe es so viele Themen, die wichtiger sind als die Wortwahl, z. B. digitale Barrierefreiheit.

    1. Ich bin Gehbehindert und gebe das auch offen zu! Als ich bei deinem Kommentar grade las, das wir, besser noch die Gesellschaft, die “nicht-behinderten”, aufhören sollen, eine Behinderung als Makel zu empfinden, bin ich in freudigen Tränen ausgebrochen! TuT Ich werde hier bei mir in Itzehoe immer wenn ich mit meinem Therapiefahrrad, ein Dreirad also, hier Einkaufen oder Spazieren fahre, angegafft. Teilweise drehen die richtig penetrant den Kopf nach mir um, was ich sehr und extrem als Diskriminierend empfinde!!! Ich ignoriere das mittlerweile schon, weil ich mich nicht immer mit den Leuten auseinandersetzen will, da die hier so Unterbelichtet sind….!
      Fakt ist: du bist ein ehrlicher Mensch und das schätze ich sehr an dir!!! ☺️ Alles Liebe dir!

      1. Liebe Nadine,
        auch ich würde einem Dreirad hinterher gucken, weil es so außergewöhnlich ist!
        Habe schon öfter darüber nachgedacht, so ein Teil zu kaufen, weil es so cool ist! Wüßte nur nicht wo ich es parken könnte.

  8. Liebe Anneliese, ich verstehe deine Einwände und mir geht es auch so, daher bezeichne ich lieber den Begriff, koknitive Einschränkung, wobei auch das nicht beschreibt, wie stark und welche jetzt diese Einschränkungen sind, aber das ist sehr schwer in einem Wort zu bezeichnen und wird dieser Behinderung nie gerechfärtigen, durch meine Krankheit MS, habe ich auch, starke koknitive einschränkungen, die aber kaum jemand war nimmt, sie stören mich aber sehr.

    Alles was man mit einer Behinderung verbindet, wird nie jemandem der/die eine Behinderung hat, gerecht beschrieben und da wird es immer diskusionen geben, jedem kann man es nicht recht machen.

  9. Liebe Menschen, wir haben doch alle irgendwie eine Behinderung. Machen wir uns nichts vor.
    Schon alleine, dass Menschen mit Down Syndrom als geistige Behindert bezeichnen, deckt unsre menschliche Behinderung auf.

  10. Ich nehme Behinderungen in meinem Lebensalltag wahr, weil ich altersbedingt beispielsweise bezüglich meiner Mobilität und Agilität langsamer bin als die meisten anderen Verkehrsteilnehmenden. Insbesondere an Fußgängerampeln orientiert sich die Dauer der Grünphase meistens nicht an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der langsameren Menschen (Ältere mit und ohne Rolltor, anders im Gehen langsamere Menschen wie Kleinkinder) sondern am aktuellen Statusquo nach gausscher Verteilung und an den Bedürfnissen des motorisierten Verkehrs. Wer oder was behindert eigentlich wen an einer gleichberechtigten, angemessenen Mobilität im öffentlichen Raum? Welche Menschen, Haltungen und Interessen behindern wen?

  11. Aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung/Behinderung/Handicaps bin ich einer WfbM gelandet. Wenn ich diese Kolumne lese spiegelt sie eine der ersten Eindrücke wieder die ich hier gewonnen habe. Meine güte ist das alles kompliziert. Ich hab Abi, eine abgeschlossene Ausbildung (ein Studium musste ich krankheitsbedingt abbrechen). Nirgendwo waren die umgebenden Regeln und Abhängigkeiten so kompliziert wie in der Situation als Behinderter oder wie auch immer das jetzt richtig sein soll. Einfache Sprache ist ein großes Thema in der Werkstatt aber an allen Ecken und Enden werden Dinge über kompliziert gehalten. Ob es nun das Thema Geld ist, Zugang zu Informationen oder wie man richtig/falsch kommuniziert. Wieso ist das so? Ist das wirklich notwendig?
    Wie man mich nennt spielt doch viel weniger eine Rolle, als die Einstellung der Person dazu. Jemand kann mich behindert/beeinträchtigt/Mensch mit Handicap nennen und voll Anteil an meiner Situation nehmen. Ein anderer kann mich damit beleidigen. Daran werden die Begriffe an sich nichts ändern.
    Was wir damit allerdings zuverlässig erreichen ist eine massive Verunsicherung. Was ist richtig, was ist falsch. Man hängt sich am Wort auf anstatt auf die Intention zu schauen.

  12. Ich weiß gar nicht was die ganzen Diskussionen für das eine Wort….Behindert …überhaupt soll.
    Es ist doch nur ein Oberbegriff, nicht mehr und nicht weniger!
    Das Wort Handycap als Oberbegriff nutzen zu wollen finde ich mehr als nur unpassend.
    Sicher, viele kommen mit ihrer Situation und der Tatsache das eine Behinderung besteht nicht zurecht, was aber ja die Tatsache nicht ändert in dem ich es umbenenne.
    Das Wort Behinderung ist schon sehr passend getroffen als Oberbegriff.

    Ich meine es nicht böse…aber man kann sich auch anstellen.

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