Wie gut gemeinte Worte verletzen können – und warum genau darin das Problem liegt. In seiner Kolumne erzählt Leon Amelung von einer alltäglichen Begegnung, die zeigt, wie tief Ableismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Ein kurzer Satz, eine beiläufige Geste – und plötzlich steht man vor einer Wand aus Ignoranz. Warum Zuhören, Einsicht und ein einfaches „Es tut mir leid“ so viel verändern könnten.
Es geschah an einem kalten Winternachmittag. Weil ich Rückenschmerzen hatte und mich mein Weg zum Einkaufen eine steile Straße bergauf führte, war meine Laune nicht gerade die beste. Vor mir ging eine ältere Dame mit ihrem Hund die Straße entlang. Als ich sie mit meinem Rollstuhl überholte, sprach sie mich an: “Wenn man Sie so sieht, darf man nicht meckern.” “Was meinen Sie?”, entgegnete ich ruhig. Mit einer schlaffen Armbewegung zeigte sie auf meinen Rollstuhl und sagte: “Na da!”. Der Spruch und diese Geste machten mich wütend. Die Wut kochte regelrecht in mir hoch. Normalerweise bin ich nicht so leicht reizbar, aber an diesem Tag reichte es mir. “Wollen Sie mich beleidigen oder was?”, fuhr ich sie an. Die Dame bekam einen geschockten Gesichtsausdruck und wirkte wie erstarrt. “Nein”, stammelte Sie. “Das war positiv gemeint.” Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich Ihre Aussage nicht als positiv, sondern als diskriminierend empfand, weil sie mir mit ihrer Aussage implizit vermitteln wollte, dass es ihr schlecht geht, aber wenn sie mich so sieht, dann “dürfe sie ja nicht meckern”. So nach dem Motto: Ich habe es schon schwer, aber wenn ich sie so sehe, dann darf ich mich ja nicht beschweren. “Wenn Sie so etwas sagen, stellen Sie sich doch über mich”, entgegnete ich. Dann erzählte sie mir, dass sie sich nie über andere stellen würde und selbst ganz unten sei. Ich hätte ihre Aussage nur “in den falschen Hals” bekommen. Ab diesem Punkt wusste ich, dass eine Diskussion mit dieser Person sinnlos war. Sie sah ihr Fehlverhalten nicht ein. Ich konnte jegliche Argumente vorbringen. Es war ihr egal. Sie hörte mir sowieso nicht zu. Warum soll ich mit einer Person diskutieren, die mir eh nicht zuhört und sich nicht entschuldigt.
Mit einer wegwischenden Handbewegung fuhr ich weiter und ließ sie stehen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich einfach entschuldigt und mir gesagt hätte, dass es ihr leid tut, dass ich mich durch ihre Aussage diskriminiert fühlte. Aber die Tatsache, dass sie sich nicht entschuldigt hat und meinte, ihre Aussage sei doch keine Diskriminierung, war für mich das Problem. Sie beharrte weiter auf Ihrer Meinung und sah ihr Fehlverhalten mir gegenüber nicht ein.
Wir alle machen mal Fehler, aber wir sollten einander zuhören und nicht immer auf unserer Meinung beharren und uns entschuldigen, wenn uns eine andere Person darauf hinweist, dass wir uns ungebührlich ihr gegenüber verhalten haben bzw. sie dieses Verhalten als diskriminierend empfunden hat. Das ist meine Meinung dazu. In einer anderen Kolumne habe ich mal eine bundesweite Aufklärungskampagne über Ableismus gefordert, weil ich immer wieder die Erfahrung mache, dass dieser Begriff und die damit beschriebene Form der Diskriminierung noch zu unbekannt ist. Wir brauchen diese Kampagne dringend.