Barrieren brechen und zu Sport motivieren
– das ist der tauben Fitnesstrainerin India
Morse ganz wichtig. Laura Hesseln von der Deutschen Gehörlosenzeitung hat ein Porträt über
die Britin und ihre Fitnesslaufbahn geschrieben.
Der Weg zu einem guten Körpergefühl
Sie hat 26.000 Follower auf ihrem Instagram-Kanal @youleanmeup – wer kann das schon von sich behaupten? Und dazu noch einen Beitrag auf der Instagram-Seite der weltweit bekannten Women’s Health mit über 785.000 Follower*innen. Das schaffte die taube englische Fitnesstrainerin India Morse.
„Die Follower*innen definieren nicht, wer ich bin, da ich weiß, dass ich eine gute Trainerin bin“, erzählt die 32-Jährige im Interview mit der Deutschen Gehörlosenzeitung. Das komme nicht von allein. Um da zu stehen, wo sie gerade ist, investierte sie sehr viel und arbeitete sehr hart. Aber wo und wie war genau der Beginn? Im Interview erzählt sie es mit gemischten Gefühlen: „Aufgrund meines gebrochenen Herzens versuchte ich, mich auf meine geistige Gesundheit zu konzentrieren.“ Durch ein übermäßiges Training wurde sie erst ziemlich dünn, aber mittlerweile ist ihr Körper mit ganz vielen Muskeln und zusätzlich mit Selbstbewusstsein ausgestattet. Heute postet sie ab und zu über ihre Vergangenheit und versucht, Bewusstsein über einen gesunden Körper zu verbreiten. Erst durch ihr Training wurde ihr bewusst, dass in der Fitnessbranche etwas für gehörlose Menschen fehlt und dass es einen Mangel an Zugänglichkeit gibt. Genau das wollte sie ändern und startete so mit ihrer Selbstständigkeit.
Eine*n Mentor*in hatte ich nicht.
India Morse
Abwechslungsreiches Arbeitsfeld
Zu ihrer Arbeit gehören neben dem Training die Zusammenarbeit mit Marken, Fotoshootings, das Schreiben für Zeitschriften und die Teilnahme an Veranstaltungen. Zudem erstellt sie Kundenprogramme. Diese Vielfältigkeit an Aufgaben liebt und erfüllt sie. Auf ihrer persönlichen Fitness-Reise war sie allein, ihre ganzen Erfahrungen sammelte sie selbstständig. „Eine*n Mentor*in hatte ich nicht“, sagt die Londonerin. Sie arbeitet hauptsächlich von zuhause aus, aber „bei Gelegenheit reise ich gerne und dann nehme ich meine Arbeit auch mal mit“, erzählt die Londonerin. Sie kennt aber ihre Grenzen und achtet auf eine Work-Life-Balance.
Wie man vermuten kann, trainiert sie selbst fünf- bis sechsmal die Woche und gibt je nach Bedarf drei bis fünf Trainingsstunden für ihr Klientel. Eine davon ist zufällig durch Instagram auf sie aufmerksam geworden und folgte ihr sofort. Da sie kein Fan von YouTube-Fitness-Videos ist, entschied sie sich dafür, es mal bei Morse zu probieren. „Es war alles online, es gibt auch eine eigene App. Jeden Monat wird mein Trainingsplan in der App aktualisiert“, erzählt die gehörlose Klientin, die mit der sympathischen Fitnesstrainerin zufrieden war. In den gemeinsamen drei Monaten gab es einmal in der Woche ein gemeinsames Online-Training. Dabei achtete Morse auf eine korrekte Ausführung der Übungen sowie auf die Körperhaltung. „Wenn ich mit ihr zusammen trainierte, grüßte mich danach immer mein Muskelkater. Den hatte ich nicht, wenn ich allein trainierte“, so die ehemalige Klientin. Was Morse ihrer Meinung nach noch ausmacht: Sie kann sehr gut motivieren. Und die reibungslose Kommunikation sei ein großer Vorteil: „In den Fitnessstudios mit hörenden Trainern fiel es mir schwer, mich auf die Übungen und Ausführungen zu konzentrieren, da ich auch noch irgendwie aufpassen musste, was da gesprochen wurde.“ Mit Morse konnte sie sich hundertprozentig auf das Workout konzentrieren und wusste, dass die Trainerin sie bei Bedarf korrigieren würde.
Barrieren in der Fitness-Branche
Auf die Frage, was denn die größten Herausforderungen überhaupt sind, antwortet die Londonerin: „Die Fitness-Veranstaltungen sind nicht barrierefrei und es stehen keine Dolmetschende zur Verfügung. Deswegen liegt es mir sehr am Herzen, Barrieren zu überwinden und mit Marken zusammenzuarbeiten, um die Barrierefreiheit zu verbessern.“ Eine Brücke zwischen der gehörlosen und hörenden Welt zu bauen, fällt ihr anscheinend nicht schwer: „Ich mag es, diese beiden Welten in Einklang zu bringen!“ Auf Instagram gibt Morse zu, dass es ihr manchmal schwer fällt, zu sportlichen Veranstaltungen oder Workouts in großen Gruppen zu gehen. Sie würde sich im Vorfeld immer Sorgen machen, wie sie daran teilhaben kann. Aber oft würde sie überrascht werden: Alle würden versuchen, es der gehörlosen Sportlerin so angenehm wie möglich zu machen und im Nachhinein sei sie immer glücklich gewesen, weil sie sich auspowern konnte.
Die Fitnesstrainerin macht es glücklich, wenn ihre gehörlose Kundschaft mit ihrer Unterstützung einen gesunden Lebensstil beginnt – sowohl geistig als auch körperlich.
Laura Hesseln
Allianzen
Die Fitnesstrainerin wiederum macht es glücklich, wenn ihre gehörlose Kundschaft mit ihrer Unterstützung einen gesunden Lebensstil beginnt – sowohl geistig als auch körperlich. Da aber nicht alle Gehörlosen Interesse an Fitness haben, hat sie auch hörende Kundschaft. Dabei sieht sie von den Lippen ab und stellt sicher, dass sie sich anstrengen. Die Trainerin betont auf Instagram aber auch oft, dass es sehr wichtig sei, Ruhetage einzulegen und dem Körper eine Pause zu gönnen. Vor allem sollte man deswegen kein schlechtes Gewissen haben.
Neben den Workouts spielt Ernährung eine wichtige Rolle bei India und wie jede Person im Fitnessbereich verfügt sie über Grundkenntnisse in der Ernährung. Mit diesem Wissen kann sie ihrer Kundschaft individuell angepasste Rezepte zur Verfügung stellen. Die Ernährungsumstellung ist nicht verpflichtend, jedoch ist es ihr wichtig, dass ihre Sporttreibenden genügend Proteine (= Eiweiß) zu sich nehmen.
Auch auf YouTube ist Morse zu sehen, wenngleich nicht auf ihrem eigenen Kanal: Hier kommt der hörende Personal Trainer, Fernsehmoderator, Autor und Influencer Joe Wicks ins Spiel. Er machte sich in ganz England einen Namen und während der Corona-Pandemie postete er täglich „Sportunterricht mit Joe“-Videos für Kinder. Seinem Instagram-Kanal @thebodycoach folgen 4,6 Millionen Personen. Während des Lockdowns suchte Wicks drei weitere Personal Trainer, woraufhin Morse sich bewarb. So fing ihre gemeinsame Geschichte an. Für seinen YouTube-Kanal @TheBodyCoachTV drehte sie einige Workout-Videos und vor kurzem gaben sie zusammen auf einer Bühne eine Trainings-Einheit.
Bei so einer Geschichte wünscht man sich doch einfach, dass ihre Reise sportlich weitergeht. Vielleicht schaffen wir es in Deutschland auch, diese Barrieren durchzubrechen?
Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 07/2023) erschienen.