Wenn es um das Thema Inklusion geht, wird meistens nur darüber berichtet, wie Inklusion in Schulen umgesetzt wird. Selten wird thematisiert, wie angehende Lehrkräfte in ihrem Studium auf das Thema vorbereitet werden. Gerade im Schulsport scheint sich in den letzten Jahren wenig bewegt zu haben – zumindest mangelt es an didaktischen Konzepten. Gibt es gesetzliche Vorgaben für das Thema Inklusion im Schulsport? Steht das Thema Inklusion in der Universität auf dem Lehrplan und falls ja, wie werden angehende Lehrkräfte auf inklusiven Unterricht im Fach Sport vorbereitet? Unterscheiden sich die Lehrpläne in verschiedenen Universitäten? Leon Amelung ist diesen Fragen nachgegangen und hat für uns mit Dozierenden der Leibniz Universität in Hannover und der Deutschen Sporthochschule in Köln gesprochen.
Rechtliche Grundlagen
Gesetzliche Vorgaben zum inklusiven Schulsport findet man in der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland 2009 ratifiziert wurde. In Artikel 24 steht:
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung an. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (...). Um zur Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften, einschließlich solcher mit Behinderungen, (...) zur Schulung von Fachkräften sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen des Bildungswesens.“
Artikel 24, UN-BRK
Diese Vorgaben sind zwar sehr allgemein gehalten, verpflichten jedoch umfassend alle Studiengänge zur Möglichkeit der gleichberechtigten Teilhabe. Sportstudiengänge sind, wie andere Studiengänge auch, in Module eingeteilt. Die Prüfungsordnung des Faches Sport schreibt gewisse Pflicht- und Wahlpflichtmodule vor, für die sich die Studierenden über einen Zeitraum von mehreren Semestern einschreiben müssen, um ihr Studium abschließen zu können. Diese Module bestehen aus Vorlesungen und Seminaren zu verschiedenen Themen, in denen am Ende des Semesters Prüfungen stattfinden. Wie ist das Thema Inklusion in diesen Modulen verankert?
Es gibt zwar gesetzliche Vorgaben durch die UN-BRK für inklusiven Schulsport und die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft ist diesen verpflichtet, allerdings werden diese nicht umfassend und einheitlich umgesetzt.
Leon Ameling
Beispiel Leibniz Universität Hannover
In der Prüfungsordnung der Leibniz Universität Hannover (LUH) ist u.a. das Pflichtmodul „Heterogenität im Schulsport“ vorgeschrieben, in dem auch auf inklusive Sportgruppen eingegangen wird. Außerdem ist ein Fachpraktikum, sowie ein Praktikum in einer außerschulischen Einrichtung für Lehramtsstudierende verpflichtend. Dies kann auch im Bereich Inklusion, z. B. bei einem Behindertensportverband, absolviert werden, muss aber nicht. Auf Anfrage teilte der Sportdozent der LUH, PD Dr. Gerd Schmitz, mit, dass jeder einzelne Grundlagenkurs in der Sportpraxis eine Seminarsitzung spezifisch zum Thema Heterogenität und jeder Fortgeschrittenenkurs eine Seminarsitzung zum Thema Inklusion anbieten soll. Schmitz hält regelmäßig ein Seminar mit dem Titel „Individualisierte und zielgruppenorientierte Sport- und Bewegungsprogramme für Menschen mit Handicap“. Weitere Seminare, die Herr Schmitz im Kontext Inklusion angeboten hat, waren beispielsweise Kurse zur Gestaltung eines wettbewerbsfreien Angebots für Menschen mit geistiger Behinderung für die Spiele von Special Olympics, Grundlagen der Inklusion und der UN-Behindertenrechtskonvention, Vertiefung der Aspekte Arbeit und Gesundheit mit Fallbeispielen oder die Einstellung der Lehrpersonen hinsichtlich des Umgangs mit Heterogenität. Auch das Deutsche Sportabzeichen und die Bundesjugendspiele für Menschen mit Behinderung sind Themen, zu denen er sich in den Seminaren mit den Studierenden austauscht. Dies sind alles wichtige Themen, allerdings ist eine Teilnahme für Studierende nicht obligatorisch.
Für eine Studienleistung besuchen die Studierenden zusammen mit Herrn Schmitz den Sportkurs „Sport Inklusive”, der vom Zentrum für Hochschulsport angeboten wird. Der Kurs ist ein Angebot für Studierende und Beschäftigte der Universität Hannover und den hannoverschen Kooperationshochschulen, die in ihrer Freizeit gemeinsam Sport treiben möchten. In diesem Kurs werden unterschiedliche Sportarten für Menschen mit und ohne Behinderung angeboten. Die Sportstudierenden sollen vorab zwei bis drei sportliche Übungen oder Sportspiele konzipieren und sie dann im Kurs mit den Teilnehmenden durchführen.
In einzelnen Lehrveranstaltungstypen, wie z.B. „Situative Bewegungsangebote“ oder „Berufsfeldspezifische Probleme des Unterrichtens und Umgang mit Heterogenität“, werden entsprechend fundierte fachdidaktische und methodische Kompetenzen aus von anderen Dozierenden an der LUH vermittelt, um Studierende gezielt auf dieses Arbeitsfeld vorzubereiten, so Schmitz. Auch in den Veranstaltungen „Anfangsschwimmen“ und „Psychomotorische Bewegungsförderung“ würden die besonderen Rahmenbedingungen des Sportunterrichts in inklusiven Schulen und Förderschulen berücksichtigt und thematisiert.
Johannes Baltruweit studierte die Fächer Sport und Germanistik auf Lehramt an der LUH und macht jetzt sein Referendariat. Zusammen mit einer Kommilitonin leitete er den „Sport Inklusive“ Kurs. Seine Aufgabe bestand darin, eine Unterrichtseinheit an einer inklusiven Schule in Hannover zu betreuen, die mit dem sportwissenschaftlichen Institut der Leibniz Universität im Austausch steht. Im Vorfeld wurden die Studierenden darauf vorbereitet, welche verschiedenen Behinderungen es gibt und worauf sie beim Schulsport mit heterogenen Lerngruppen achten sollten. „Unsere Ausbildung berücksichtigt die aktuellen schulischen Gegebenheiten vor allem komplementär, das heißt wir versuchen in allen Seminaren im fachdidaktischen Bereich und im Ausbildungsbereich der Methodik und Didaktik der Sportarten aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aber auch erprobte fachdidaktische Konzepte zu in diesem Fall Heterogenität und Inklusion einfließen zu lassen“, sagt Dozentin Karina Schiedek, die die Masterarbeit betreut. Außerdem ist es für Studierende möglich, das Schulpraktikum mit einem inklusiven Schwerpunkt zu absolvieren – fakultativ. „Unsere Fachpraktika werden von erfahrenen Kolleg*innen aus dem Schuldienst eng betreut. Das Fachpraktikum kann optional semesterbegleitend in multiprofessionellen Teams oder in inklusiven Lerngruppen durchgeführt werden. Diese Form wird von Lehrenden-Tandems aus den Fachrichtungen begleitet und vermittelt in besonderem Maße Kompetenzen zum Unterrichten heterogener Lerngruppen im Fach Sport“, so Schiedek.
Wie sehen die didaktischen Methoden, die den Studierenden an der LUH vermittelt werden, genau aus? Gibt es bewährte Konzepte und Methoden, die fest verankert sind und jedes Semester immer wieder Thema sind? Dies verneinen Frau Schiedek und Herr Schmitz und begründen dies wie folgt: „Das zukünftige Betätigungsfeld in einer inklusiven Schule oder auch Förderschule stellt die Studierenden vor besondere Herausforderungen. Das Unterrichten von sehr heterogen zusammengesetzten Lerngruppen erfordert eine hohe fachliche Kompetenz bezüglich der emotionalen, kognitiven und sportmotorischen Bedürfnissen von Schüler*innen mit Behinderungen und sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen.“ Weil das Thema so komplex ist und die Seminarinhalte sehr unterschiedliche Schwerpunkte haben, werden die Seminarinhalte und die didaktischen Konzepte immer wieder neu strukturiert. Beispiele für solche unterschiedlichen Konzepte sind etwa in dem Handbuch des Niedersächsischen Kultusministeriums zu finden, an dem Frau Schiedek als Autorin mitgewirkt hat.
Können Studierende mit Behinderung auch das Fach Sport an der LUH studieren? Herr Schmitz und Frau Schiedek weisen darauf hin, dass das durchaus möglich ist. Die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft hat 2015 dazu ein Positionspapier veröffentlicht. In diesem Positionspapier verpflichtet sich die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft, Inklusion im Studium und in der Lehre umzusetzen und „Studierenden mit Behinderungen adäquate Zugangsmöglichkeiten zum und Unterstützungsformen im sportwissenschaftlichen Studium zu gewähren.“ Zahlen dazu haben sie leider nicht.
Die unterschiedlichen methodischen Ansätze sind wichtig, da das Thema inklusiver Sport komplex ist. Allerdings wäre mehr praktische Arbeit für die Studierenden von Vorteil – wenn sie beispielsweise über einen längeren Zeitraum mit einer inklusiven Sportgruppe arbeiten – anstatt in einem Semester nur eine Trainingseinheit zu konzipieren.
Beispiel Deutsche Sporthochschule Köln
Die Prüfungsordnung der Sporthochschule Köln (DSHS) ist anders strukturiert als die der LUH, aber auch dort ist Inklusion Thema in den Lehrveranstaltungen. „Im Rahmen des Förderschwerpunktes „körperliche und motorische Entwicklung“ wird das Spiel Rollstuhlbasketball in Theorie besprochen und in der Praxis für gehfähige und nicht-gehfähige Schüler*innen in der methodisch-didaktischen Vorgehensweise diskutiert und ausprobiert”, sagt Frau Dr. Raabe Oetker, die Rektoratsbeauftragte für Studierende mit Behinderung. Der Grund, warum die Prüfungsordnungen der LUH und der DSHS unterschiedlich strukturiert sind, liegt laut Frau Oetker daran, dass die einzelnen Bundesländer selbst für ihre Bildungspolitik zuständig sind.
Auch Frau Oetker ist der Meinung, dass der Praxisbezug im Sportstudium gerade im Bereich Inklusion eine wichtige Rolle spiele. Sie appelliert deswegen an die Studierenden, die vielfältigen Praktikumsmöglichkeiten zu nutzen und sich mit Dozierenden und Lehrenden über inklusiven Schulsport intensiv auszutauschen. Auf die Besonderheiten der unterschiedlichen Schulformen werde, laut Frau Oetker, in den Seminaren an der Universität in Köln auch eingegangen.
Die Zugangsvoraussetzungen für ein Sportstudium sind schwierig, die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion oft noch zu vereinzelt und es gibt zu wenig verpflichtende Praxisangebote.
Leon Amelung
Ist es auch an der DSHS in Köln ist es für Studierende mit Behinderung möglich, das Fach Sport zu studieren? In einem Artikel auf der Webseite der Sporthochschule Köln wird dargestellt, dass dies möglich ist. Als Zugangsvoraussetzung zum Sportstudium wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Sportstudierenden mit Behinderung aber in jedem Fall dazu in der Lage sein sollen, an sportpraktischen Seminaren teilzunehmen. Sollte ein*e Studierende*r mit Behinderung nur an sporttheoretischen Seminaren teilnehmen können und aufgrund der Behinderung nicht in der Lage sein, an der sportpraktischen Aufnahmeprüfung teilzunehmen, ist die Aufnahme des Sportstudiums nicht möglich. Insgesamt müssen 20 Einzeltest absolviert werden, die verschiedene Sportarten beinhalten, wie z. B. Turnen, Leichtathletik, Schwimmen oder Mannschafts- und Rückschlagspiele. Einen Nachteilsausgleich oder alternative Prüfungen gibt es nicht. Im Gegensatz zu Studierenden ohne Behinderung können Studierende mit Behinderung stattdessen auch nach bis zu zwei oder drei nicht bestandenen Einzelprüfungen zugelassen werden. Es wird bei der Eignungsprüfung von Frau Dr. Oetker und ihrem Kollegen Prof. Dr. Thomas Abel geprüft, ob die Prüfung aufgrund mangelnder Vorbereitung oder aufgrund der Behinderung nicht bestanden wurde. Die Zeitvorgaben oder Werte, die mindestens für die Einzelprüfungen erreicht werden müssen, orientieren sich an den Leistungen von Olympischen Sportler*innen. Für Studierende mit Behinderungen werden die sportlichen Leistungen von Parasportler*innen zum Vergleich herangezogen.
Die Zugangsvoraussetzungen für ein Sportstudium sind also schwierig und die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion oft noch zu vereinzelt und es gibt zu wenig verpflichtende Praxisangebote.
Externe Angebote für Lehramtsstudierende
Von Behindertensportvereinen, die Lehramtsstudierende auf inklusiven Schulsport vorbereiten, gibt es einige externe Angebote. In Berlin bietet beispielsweise der Verein Pfeffersport e.V. in Zusammenarbeit mit der Humboldt Universität und dem Behindertensportverband Berlin das Seminar „Sport und Inklusion“ an. Die Prüfungsleistung für die Studierenden besteht darin, eine Trainingseinheit mit einer inklusiven Sportgruppe selbst zu leiten. „Viele Lehramtsstudierende sind unsicher, weil sie in ihrem Alltag keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderungen haben und das Gefühl haben, dass sie an der Uni nicht ausreichend auf inklusiven Schulsport vorbereitet werden“, sagt Christoph Pisarz. Er ist Referent, Dozent, Übungs- und Bereichsleiter beim Verein Pfeffersport und nutzt aufgrund einer Behinderung einen Rollstuhl. In dem Kurs wird den Studierenden beigebracht, wie sie mit einem Sportrollstuhl umgehen und es werden inklusive Sportspiele getestet. Zudem werden die Studierenden für das Thema Rollstuhlsport sensibilisiert und es erfolgt eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion. Dafür werden nicht die sportdidaktischen Konzepte aus der Sportwissenschaft, sondern die des Deutschen Rollstuhlsportverbands (DRS) verwendet. Vor allem die Konzepte der Autoren Horst Strohkendl und Peter Richarz seien zu empfehlen, so Pisarz, da beide Autoren über den DRS viel zum Thema Behindertensport publiziert haben und ihre Veröffentlichungen Maßstäbe im Rollstuhlsport gesetzt haben. Vor allem brachten sie mit ihren Veröffentlichungen den Rollstuhlbasketball, die Rehabilitation und das Konzipieren von Mobilitätskursen voran.
Auch in einem sportwissenschaftlichen Artikel der Universität Osnabrück aus dem Jahr 2020 kommen die Autor*innen zu dem Ergebnis, dass Lehramtsstudierende oft nicht ausreichend auf inklusiven Schulsport vorbereitet werden und unsicher gegenüber diesem Thema seien. Es gäbe zwar einen intensiven wissenschaftlichen Diskurs zu dem Thema, aber es seien noch nicht ausreichend didaktische Konzepte vorhanden.
Es gibt also zwar gesetzliche Vorgaben durch die UN-BRK für inklusiven Schulsport und die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft ist diesen verpflichtet, allerdings werden diese nicht umfassend und einheitlich umgesetzt. In den Prüfungsordnungen der Leibniz Universität Hannover und der Deutschen Sporthochschule Köln wird sich dem Thema Inklusion gewidmet und es wird sich mit den Studierenden zu dem Thema, im Rahmen von Seminaren und Praktika, ausgetauscht. Allerdings wird klar, dass durch die unterschiedliche Strukturierung der Prüfungsordnungen der einzelnen Bundesländer keine einheitliche und verbindliche Vorgabe zum Umgang mit dem Thema Inklusion im Sportstudium vorliegt. Sowohl auf der strukturellen Ebene beim Thema Zugänge für behinderte Studierende als auch bei den inhaltlichen und praxisbezogenen Lerninhalten gibt es auf bildungspolitischer Ebene kein übergeordnetes Konzept, da aufgrund des föderalistischen Systems jedes Bundesland seine eigene Bildungspolitik hat.
Um Unsicherheiten der Studierenden gegenüber dem Thema inklusiver Sportunterricht abzubauen und sie für das Thema Inklusion und Ableismus zu sensibilisieren, ist es vor allem wichtig, in den Austausch mit Behindertensportverbänden zu gehen und die Kooperationsmöglichkeiten im Bereich des inklusiven Schulsports weiter zu intensivieren. Zudem sollte das Thema fest verankert sein im Lehrplan des kompletten Studiums, statt das Thema nur in einer 90 minütigen Seminarsitzung im Semester zu besprechen. Nur so kann langfristig die Arbeit mit heterogenen Lerngruppen zur Selbstverständlichkeit werden und so auch die Möglichkeit geschaffen werden, das separierende Schulsystem zu einem inklusiven Lernort für alle werden zu lassen.