Die nordrhein-westfälische Mandy Kelch setzte schon von Kindesbeinen an ihren Willen durch und ging ihren Weg. Während die Teenager der 90er-Jahre zu McDonalds oder zu H&M strömten, begann bei ihr bereits das Umdenken. Ein Portrait von Jasmin Neuhaus von der Deutschen Gehörlosenzeitung.
Hinter uns liegt der sonnigste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. So mancher Gärtner stand ratlos vor den Rissen in seinen Beeten und betrachtete ohne Worte den braunen Rasen. Zunehmend stellen sich die Menschen hierzulande die Frage, wie es weitergehen soll und der Begriff „Klimawandel“ kam plötzlich nun nicht mehr nur aus dem Politikermund.
Eine, welche diese Gefahr und zugleich Herausforderung schon sehr früh erkannt hat, ist Mandy Kelch aus Dormagen, einer Stadt linksrheinisch zwischen Köln und Düsseldorf. Die 34-Jährige setzte schon früh auf einen „grünen“ Alltag. Mit 17 Jahren wurde sie zur Vegetarierin, vor neun Jahren begann sie bereits, eine Menstruationstasse zu nutzen. „Damals gab es kein Google und keine sozialen Medien. Ich ging in die Bücherei und es gab unter anderem nur eine sehr magere Auswahl an vegetarischen Kochbüchern oder Büchern zum Minimalismus“, erzählt die gebürtige Berlinerin. Doch sie blieb dabei. Heute ist Nachhaltigkeit einer der wohl bedeutsamsten Trends unserer Zeit.
Mandy erinnert sich an die ersten Diskussionen innerhalb der tauben Familie: „Meine Mutter blieb drei bis vier Jahre stur und konnte meine Entscheidung nicht verstehen. Mein Vater war eher zurückhaltend nachdenklich.“ Familie Kelch kommt ursprünglich aus der ehemaligen DDR. „Fleisch war dort sehr wichtig. Morgens eine Scheibe Wurst aufs Frühstücksbrot, mittags gab es Fleisch und abends wieder Wurst“, erklärt die Fertigungsmechanikerin. Deshalb wurde ihre neue Ernährungsweise lange nicht akzeptiert, bis Vater Kelch eines Tages die Diagnose Rheuma erhielt. Von diesem Tag an gab es mit mehr Verständnis weniger tierische Produkte in ihrer Familie.
Heute lässt die Hobbyfotografin über ihr Instagram-Profil ausliebezurnatur Follower an ihrem nachhaltigen Alltag teilhaben. Sie gibt Tipps wie Geschenke nachhaltig eingepackt werden, welche Pfannen schadstofffrei sind und wie jeder von uns Putzmittel selbst herstellen kann. Knapp 1.200 Follower folgen ihren Ratschlägen in Gebärdensprachvideos. Auf den Fotos erscheint stets eine modisch und selbstbewusst gekleidete junge Frau. Doch wie lässt sich Modebewusstsein mit Nachhaltigkeit vereinbaren? „Schon als Azubi habe ich unbewusst ‚gute‘ Kleidung gekauft. Dank der von meinem Vater vermittelten Ausbildungsstelle bei Daimler Benz konnte ich von meinem guten Gehalt neue Oberteile bei zum Beispiel Esprit kaufen. H&M hat mich schon damals nicht angezogen“, erinnert sich die Nordrhein-Westfälin.
Nach und nach entdeckt sie aber auch bei der angeblich hochwertigeren Kleidung „Modesünden“. Auf dem Etikett steht, dass der Pullover teils aus Plastik besteht. Die ehemalige Schülerin der Dortmunder Realschule beginnt nun, auf Secondhandware zu setzen. „Wenn ich in einem Laden ein schönes Oberteil sehe, schaue ich erst mal auf Vinted (App für gebrauchte Kleidungsstücke, d. Red.), ob jemand dieses zufälligerweise verkauft. Manche bieten die Sachen wie neu an“, schildert Mandy die Herkunft ihres Outfits.
Nachhaltig leben heißt, Dinge lange wiederzuverwenden und zukunftsfähig zu leben. Hier ist Mandy sehr streng mit sich selbst: „Täglich bereite ich mein Essen für die Arbeit vor. Es kommt vor, dass ich das nicht geschafft habe und dann irgendwo schnell etwas zu Essen kaufe. Wenn ich dann mein Sushi gegessen habe, ärgere ich mich sehr. Denn eigentlich war es unnötig.“ Trotz ihrer sehr konsequenten Haltung hat auch Mandy eine kleine Sünde – sie reist zu gerne. „Ich liebe das Reisen. Dafür bezahle ich bei jedem Flug eine kleine Summe für die CO₂-Kompensation“, erzählt sie.
Mit ihrem Instagram-Account möchte sie mit anderen in den Austausch gehen und Tipps weitergeben. Mandy stellte nämlich in Gesprächen immer wieder fest, dass es den Tauben an Wissen fehlt. „In Gebärdensprache gibt es so wenig Profile zum Thema Nachhaltigkeit“, begründet sie ihre Entscheidung, ihren Lebensstil und ihre Haltung virtuell zu teilen.
"In Gebärdensprache gibt es so wenig Profile zum Thema Nachhaltigkeit."
Mandy Kelch
Viele Menschen, die nachhaltig leben, erfahren die Aussage: Nachhaltigkeit ist nur etwas für Reiche. Angeblich könne sich Otto Normalverbraucher diesen Lebensstil mit dem Mittagessen aus dem Bioladen und qualitativer Kleidung nicht leisten. „Das stimmt nicht“, kontert die Bloggerin. „Jeder Mensch kann auf etwas verzichten. Wer raucht, kann auf das Qualmen verzichten und das gesparte Geld in gute Lebensmittel investieren. Statt einer teuren Nacht in einem Luxushotel verwende ich das Geld lieber für gutes Essen.“
Schmunzelnd erzählt Mandy von einer Diskussion mit ihrem hörenden Freund: „Er meckerte, dass mein gekaufter Saft so teuer sei. Da erinnerte ich ihn an seinen Strafzettel fürs Falschparken. Er hat hier viel Geld verplempert, ich kann mir dies erlauben.“ Zu Beginn ihrer Liebe aß ihr Lebensgefährte von ihrem fleischlosen Essen mit. Doch irgendwann vermisste er das Fleisch. „Manchmal isst er mit, manchmal kocht er für sich selbst Fleisch dazu. Das ist okay so.“
Mandy lebt ihren umweltbewussten Alltag und lässt andere Menschen daran teilhaben. Denn sie glaubt bis heute, dass unsere Erde irgendwann zerstört sein wird, wenn sich nicht alle Menschen ändern. Manche steigen mit auf den Nachhaltigkeitszug, andere brauchen noch etwas Zeit und bleiben neugierig. Mit ihrer Ausstrahlung auf dem Bildschirm wird sie auf Instagram ihren Weg weitergehen: der Traum von einer zukunftsfähigen Welt für die nächste Generation bleibt bestehen.
Drei Tipps von Mandy
- Hinterfrage immer, woher die Sachen kommen. Du isst auch nicht, ohne zu wissen, was drin ist. Überlege dir dann auch immer gut, ob du sie wirklich brauchst.
- Sortiere all die Sachen immer ordentlich und übersichtlich im Schrank (Lebensmittel, Kleidung etc.). Das vermeidet Fehleinkäufe.
- Aus ungewohnt wird das Gewöhnliche. Nachhaltigkeit ist normal. Wir sind jedoch nur Bequemlichkeit und Schnelligkeit gewohnt und beklagen trotzdem, dass wir zu wenig Zeit haben.
Dieser Artikel ist zuerst in der Deutschen Gehörlosenzeitung (Ausgabe 10/2022) erschienen.
2 Antworten
Klasse, wenn ein vor denken stattfindet und das schon in einem eher progressiven Rahmen. So sympathisch das nun auch ist, erscheint Fliegen nun alles andere als eine „kleine Sünde“, um bei dieser Metapher zu bleiben. Die CO2 Kompensation über ein paar Euro scheint nur begrenzt zu funktionieren, betrachtet man, dass aktuell die halbe Welt in Flammen steht. Ich selbst befinde mich derzeit in Asien und denke sehr viel über das nach, was ich in meiner Rolle und Funktion in diesen Zusammenhängen noch tun kann.
Wenn sie ihre Reisen zu Fuß, mit dem Rad oder meinetwegen mit dem Zug machen würde, wäre es perfekt. Vor der nächsten Fernreise soll sie mal schauen, ob sie hier wirklich schon alles kennt.