Jung und Behindert: Im System nicht vorgesehen

Auf einem Tisch liegen mehrere Stapel Akten nebeneinander.
Rente, Krankengeld, Hilfsmittel - viele Anträge ziehen sich lange hin. Da kommt im Bürokratiedschungel einiges an Papierkram zusammen. Foto: Wesley Tingey | unsplash.com
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Junge, kranke, behinderte Menschen sind im System nicht vorgesehen. Unsere Autorin wurde in jungen Jahren chronisch krank und behindert und musste sich durch die vielen Herausforderungen der Bürokratiewüste Deutschlands quälen: Beantragungen von Rente, Krankengeld, Hilfsmitteln und mehr füllen ihren Tag aus. Oft werden die Anträge abgelehnt, weil sie für die jeweiligen Gutachter nicht krank genug aussieht. Karina Sturm spricht mit den Verantwortlichen über Ursachen und Konsequenzen dieses Problems.

Informationen in Einfacher Sprache

  • Unsere Autorin Karina Sturm hat eine chronische Erkrankung. 
  • Im Artikel schreibt sie darüber, wie schwer es ist, Anträge auf Hilfsmittel und andere finanzielle Hilfen genehmigt zu bekommen.
  • Finanzielle Unterstützung von chronisch kranken Menschen kostet Deutschland Geld und wird deshalb oft abgelehnt.
  • Karina musste schon mit Mitte 20 Rente beantragen. 
  • Viele Menschen, die über die Anträge entscheiden, kennen sich aber mit Behinderungen gar nicht aus.
  • Karina hat mit verschiedenen Organisationen gesprochen, darunter der Krankenkasse und dem Sozialverband. 
  • Sie wollte wissen, ob es für diese Anträge in Zukunft nicht leichtere Wege gibt.
  • Positive Antworten hat sie nicht bekommen.
  • Karina rät in ihrem Artikel dazu, sich bei den Anträgen Hilfe zu holen.

Mit 24 plötzlich schwer krank

Mittlerweile bin ich fast 35 Jahre alt und seit über zehn Jahren chronisch krank. Eigentlich lebe ich schon seit meiner Geburt mit einer angeborenen Bindegewebserkrankung, dem Ehlers-Danlos-Syndrom. Davon wusste ich nur nichts. Schwere Symptome setzten erst 2010 ganz plötzlich nach einer ärztlichen Behandlung ein. Zu erklären, wie es sich anfühlt, von einer Sekunde auf die andere von einer aktiven jungen Frau zu einer schwer eingeschränkten immer noch jungen Frau zu werden, ist schwierig. Nicht nur ändert sich das ganze Leben drastisch  auf einmal kann man nicht mehr arbeiten, verbringt viel Zeit im Liegen, kämpft mit Symptomen, die sich lebensbedrohlich anfühlen, wie zum Beispiel ein plötzlicher Gefühlsverlust in den Beinen, der einen mitten im Supermarkt zusammensacken lässt, oder nächtliche Atemaussetzer, die einen Aufwachreflex auslösen, der dazu führt, dass man schweißgebadet, nach Luft ringend in eine aufrechte Position schießt, trotzdem nicht genug Sauerstoff bekommt, wie im Nebel neben sich steht und um sein Leben fürchtet. 

Zusätzlich wenden sich Freunde, Partner, Familie ab, weil man zwangsläufig durch die Krankheit ein neuer Mensch geworden ist und die Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen plötzlich ganz andere sind; oder, wie es in meinem Fall war, die Krankheit nicht sichtbar ist und viele Menschen in meinem Umfeld mir unterstellt haben, ich würde mir das alles nur ausdenken. 

Und als wäre das nicht genug Stress, kommt zusätzlich die Angst vor dem finanziellen Ruin hinzu und man muss sich durch den Papierkram von Arbeitsamt, Krankenkasse, Rentenversicherung, Versorgungsamt und mehr wühlen. Für viele chronisch Kranke ist das eine Belastung, die sie neben der Erkrankung kaum bewältigen können. Ich möchte heute jedoch nicht nur von meinen Erfahrungen erzählen, sondern gleichzeitig herausfinden, warum jung und behindert zu sein für das deutsche System so ein schwer vorstellbares Konzept ist und ob die zuständigen Stellen von diesen Problemen wissen und Lösungsideen haben.

Ein leerer weißer Raum. Eine Tür mit Glasfenster steht offen, auf dem ein rotes Herz zu sehen ist.

Unsichtbare Behinderung – sichtbare Rentnerin Mitte 20

“Ach, so ein Leben hätte ich auch gerne: Mitte 20, Rente beziehen, nie mehr arbeiten müssen.” Dabei hat unsere Autorin Karina Sturm nicht die 10.000 Euro Sofortrente gewonnen, sondern einen langen Weg hinter sich, dass ihre unsichtbare Behinderung anerkannt wird. In ihrem Text schreibt sie über ihre traumatische Erfahrungen einen Antrag auf Frührente zu stellen und die ihr entgegengebrachten Vorurteile und Diskriminierung. 

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Überwindung zum Rentenantrag

Nachdem mein Krankengeld ausgelaufen war – ist man länger als sechs Wochen für dieselbe Krankheit krank geschrieben, bekommt man für maximal 72 Wochen 90 Prozent seines Gehalts von der Krankenkasse – wurde es Zeit, Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Eine andere Möglichkeit finanziell zumindest ein wenig abgesichert zu sein, gab es für mich nicht. Ich hatte zwischendurch versucht, langsam und in Teilzeit wieder in meinen Beruf zurückzufinden, doch mehr als einen Tag mit wenigen Stunden schaffte ich körperlich nicht. Und damit war jede andere Option, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ausgeschlossen. Damals war ich gerade 25 Jahre alt und ein Leben ohne zu arbeiten war für mich unvorstellbar. Eine Wahl hatte ich nicht. Meinen Beruf als medizinisch-technische Laboratoriumsassistentin (MTLA) konnte ich nicht mehr ausüben – generell konnte ich kaum Stehen, Gehen oder irgendetwas für länger als zwei Stunden am Stück tun – eine Situation, die für viele junge Menschen, die plötzlich krank werden, eine große psychische Belastung bedeutet. Den Rentenantrag zu stellen, war für mich eine riesige Überwindung, aber meine Medikamente und Therapiekosten bezahlten sich auch nicht von selbst.

Vorgehensweise bei einem Rentenverfahren

Rentenantrag wird eingereicht

Antrag wird anhand der eingereichten Unterlagen geprüft

Ggf. werden von der Rentenversicherung zusätzliche Unterlagen angefordert

Ggf. werden Gutachter beauftragt

Erste Entscheidung

Bei Ablehnung kann Widerspruch eingelegt werden

Unterlagen werden erneut geprüft, Gutachten angefordert

Zweite Entscheidung

Bei Ablehnung kann ein Klageverfahren eingeleitet werden

Nun kommen unabhängige Gutachter des Gerichts zum Einsatz

Ggf. kann ein Gegengutachter beauftragt werden

Finale Entscheidung

Antrag, Widerspruch, Klage

In den darauffolgenden drei Jahren wurde ich nun von diversen Gutachtern der Rentenversicherung beäugt. Der Großteil davon waren entweder Orthopäden oder Neurologen/Psychologen. Mein erster Antrag wurde, wie es laut Rentenversicherung bei 40 Prozent aller Erstanträge der Fall ist, abgelehnt. „Versicherte haben die Möglichkeit, gegen einen ablehnenden Bescheid Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch ist zu begründen und wird anschließend in der Verwaltung beziehungsweise im Widerspruchsausschuss geprüft. Im Durchschnitt wird in der Hälfte der Fälle Widerspruch eingelegt”, teilt mir die Rentenversicherung schriftlich mit. „Die häufigsten Ablehnungsgründe [bei Erstanträgen] sind mit 70 Prozent: ‘nicht vermindert erwerbsfähig’ (es liegt trotz gesundheitlicher Einschränkung keine Erwerbsminderung vor) und mit 20 Prozent: ‘Wartezeit (Mindestversicherungszeit) nicht erfüllt.’” 

Nun sind seit meinem Rentenantragsverfahren mehrere Jahre vergangen; ich wollte jedoch trotzdem endlich wissen, ob der Rentenversicherung klar ist, dass viele der Menschen, deren Antrag abgelehnt wird, danach aufgeben, weil ihnen die Kraft für ein weiteres Verfahren fehlt. Eine Antwort habe ich von Seite der Rentenversicherung leider nicht erhalten. „Bei so mancher Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung, liegt auch die Vermutung nahe, dass erst einmal abgelehnt wird, in der Hoffnung, dass Betroffene nicht dagegen klagen werden. Und dahinter stecken wiederum finanzielle Interessen: Eine Erwerbsminderungsrente 10, 15 oder 20 Jahre lang zu bezahlen, ist für die Rentenversicherung einfach ganz schön kostspielig”, erklärt Dr. Samuel Beuttler-Bohn, Referent für Alterssicherung des Sozialverband VdK Deutschland e. V.

Karina, eine Frau mit kurzen, braunen Haaren und einer roten Blume im Haar, sitzt in einem elektronischen Scooter. Sie trägt eine schwarze Jacke und Hose und ein blau-weiß gestreiftes Halstuch über ihrer Halskrause. Im Hintergrund sitzen mehrere Menschen auf einer Bank und zwei Männer gehen neben Karina auf einer schmalen Straße.
Karina nutzt einen E-Scooter an einem Tag mit starken chronischen Schmerzen. Foto: privat

Auch mein Widerspruch wurde nicht bewilligt. Ich hatte allerdings Glück, denn meine Familie riet mir schon vor Antragstellung dazu, diesen Weg nur mit rechtlichem Beistand zu gehen, weshalb ich während des ganzen Verfahrens die Hilfe des lokalen VdKs hatte. Dort ist man gerade mit Rentenstreitigkeiten vertraut. 2019 wurden laut Dr. Beuttler-Bohn alleine vom bayerischen Sozialverband 19.600 Anträge, 6.100 Widersprüche, 2.700 Klagen und 90 Berufungen eingelegt bzw. erhoben. „Diese Zahlen nehmen Jahr für Jahr zu”, sagt Beuttler-Bohn. 

Schnell fand ich mich in einem Klageverfahren wieder, das sich über Jahre hinweg zog und für mich tiefe psychische Wunden zur Folge hatte. „Leider gibt es viel zu wenig Gutachter – von so einem Gutachten wird man als Arzt auch nicht reich. Das führt zu langen Warte- und Bearbeitungszeiten. Und wenn dann gegen einen negativen Bescheid geklagt wird, kann es Jahre bis zu einer Entscheidung dauern. Das schreckt viele ab und ist für die betroffenen Menschen sehr zermürbend”, fügt Beuttler-Bohn hinzu.

Teure Hilfsmittel gibt es selten ohne Kampf

Vor selbigen Problemen findet man sich als chronisch kranker oder behinderter Mensch auch in Bezug auf die Krankenkassen wieder, denn nicht alle Hilfsmittel werden von den Krankenkassen übernommen und kranke und behinderte Personen brauchen häufig mehr als die Standardausstattung, die sich eher nach gesunden Menschen richtet. Welche Hilfsmittel erstattet werden, kann man im Hilfsmittelverzeichnis nachlesen. Benötigt man eine Leistung, die darüber hinaus geht, muss diese beantragt werden und oft kommt dann der medizinische Dienst zum Einsatz. „Die gesetzlichen Krankenversicherungen dürfen laut Sozialgesetzbuch die Kosten von Hilfsmitteln übernehmen, die medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Vor diesem Hintergrund prüft die BARMER eingehende Anträge auf Hilfsmittel”, sagt Annabelle Michy von der Unternehmenskommunikation der BARMER. 

Unsichtbare Krankheiten existieren für Gutachter nicht 

Von jungen Menschen mit größtenteils ‘unsichtbaren’ Symptomen – Schmerzen oder Gelenke, die instabil sind, kann man nicht sehen  – sind die Gutachter – MDK oder Rentenversicherung gleichermaßen – oft überfordert. „Du siehst ja gar nicht krank aus”, ist eine Aussage, die viele Menschen mit ähnlichen Krankheiten wie der meinen oft von ihrem Umfeld hören. Diese Vorurteile machen auch vor Gutachtern nicht halt, die am Ende auch nur Menschen sind und die, wie alle Ärzte, nicht jedes Krankheitsbild bis ins Detail kennen können. Wenn zu jung und behindert noch weitere erschwerende Faktoren hinzu kommen, zum Beispiel dass die Krankheit selten oder recht unbekannt ist, fällt man sofort durch das Raster, unabhängig davon, was man im deutschen System beantragt hat. 

Das Prinzip der Gleichbehandlung

Bei der Rentenversicherung als auch dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen und den Krankenkassen gibt es keine Unterschiede in der Handhabung der Anträge. Sie folgen dem ‘Gleichheitsgrundsatz’. „Dies bedeutet, dass sich die Prozesse oder die Handhabung nicht abhängig von bestimmten Faktoren unterscheiden. Bei jedem Antrag wird der individuelle Einzelfall betrachtet. Dazu gehört auch, jeweils die individuellen Umstände zu berücksichtigen,” erklärt Michy. Ausnahmefälle gibt es nicht. „Die sozialmedizinische Begutachtung erfolgt für alle Altersgruppen nach sozialmedizinischen oder pflegefachlichen Kriterien. Es wird nach den Begutachtungsbereichen differenziert, für die dann Begutachtungsanleitungen und Leitfäden bestehen”, sagt Michaela Gehms, Pressesprecherin des Medizinischen Dienstes (MDS) in einem schriftlichen Interview. Der MDS koordiniert laut eigener Aussage die fachliche Arbeit der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) in den Bundesländern und berät den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen in medizinischen und pflegefachlichen Fragen.

Meine Gutachter hatten vor mir noch keine anderen Betroffenen mit Ehlers-Danlos-Syndrom gesehen und sie wussten daher auch nicht wie vielfältig die Symptome sein können. „Für die Begutachtung werden ausschließlich Fachärzte des entsprechenden Fachgebiets beauftragt. Gutachter, die für die Deutsche Rentenversicherung tätig sind, erhalten kontinuierlich auch eine Fortbildung durch die Deutsche Rentenversicherung. Ebenso erfolgt eine regelmäßige Qualitätssicherung durch den Sozialmedizinischen Dienst der Deutschen Rentenversicherung” erklärt die Rentenversicherung auf die Frage, wie man sicherstelle, dass die Gutachter das nötige Wissen zur vorliegenden Erkrankung hätten. Beim MDK hingegen, ist die Einstellungsvoraussetzung für ärztliche Gutachter, dass sie eine Facharztausbildung haben. Laut MDS gibt es zusätzlich Kompetenzzentren zu bestimmten Themenfeldern und es wird sich mit dem ACHSE e. V. und diversen Selbsthilfeorganisationen für Menschen mit seltenen Erkrankungen ausgetauscht.

Da gibt es Ärzte, die über Krankheiten schreiben, von denen sie offensichtlich wenig Ahnung haben.

Einer meiner Gutachter hat damals während des Termins mit mir den Wikipediabeitrag zu meinem Krankheitsbild gelesen. Selbiges oder ähnliche Szenarios habe ich von anderen Betroffenen ebenfalls gehört.Ein solcher Fall ist der Deutschen Rentenversicherung nicht bekannt, würde aber bei entsprechender Meldung überprüft werden”, erklärt die Rentenversicherung. Doch selbst wenn ein Gutachter wenig Erfahrung mit bestimmten Erkrankungen hat, darf er das Gutachten deshalb nicht ablehnen. Das geht nur aus zwei Gründen: Arbeitsüberlastung oder derzeit wegen COVID-19. Das teilt mir die Rentenversicherung schriftlich mit. In einem Dokument der Rentenversicherung lese ich allerdings folgendes: „Ärzte erstellen ihre Gutachten auf der Grundlage eines Auftrages. Sie sollen diesen ablehnen, wenn ihre fachlichen Kompetenzen überschritten werden oder berufliche Überlastung eine zeitgerechte Erstellung eines Gutachtens verhindert.” 

Die meisten meiner Gutachten waren von Fehlern gespickt, die nie ausgebessert wurden. „Unsere Erfolge vor Gericht zeigen, dass viele von der Rentenversicherung in Auftrag gegebene Gutachten fehlerhaft sind. Da gibt es Ärzte, die über Krankheiten schreiben, von denen sie offensichtlich wenig Ahnung haben. Teilweise wird auch nach Aktenlage entschieden, ohne dass der Patient persönlich untersucht wird. Und das führt natürlich zu Fehlern”, erklärt Beuttler-Bohn vom Sozialverband VdK Deutschland e. V.

Erst ein Gegengutachten eines Orthopäden, der mich über Jahre begleitete und meine Krankengeschichte von Anfang an kannte, führte letztlich dazu, dass ich das Gerichtsverfahren drei Jahre später gewonnen habe. Über die Abläufe während des Verfahrens bin ich bis heute schockiert.

Interessenskonflikt?

Unabhängigkeit ist im Duden definiert als (hinsichtlich seiner politischen, sozialen Stellung, seiner Handlungsfreiheit) nicht von jemandem oder etwas abhängig. Das Prinzip der Unabhängigkeit und Neutralität gilt auch für Gutachter der Rentenversicherung, die jedoch vor dem Klageverfahren sowohl von der Rentenversicherung beauftragt, als auch bezahlt werden. „Eine Begutachtung erfolgt immer unabhängig vom Auftraggeber. Dies lässt sich auch der Berufsordnung für Ärzte entnehmen. Um Interessenskonflikte auszuschließen, dürfen behandelnde Ärzte der Antragsteller niemals als Facharztgutachter im Renten- oder Reha-Verfahren tätig werden”, erklärt die Rentenversicherung, als ich sie frage, wie man den Interessenkonflikt der Gutachter in die finale Entscheidung einbezieht.

Meine Tipps im Umgang mit Versicherungsträgern und Co:

  • Rechtsschutzversicherung abschließen
  • Sich ausgiebig über die eigenen Rechte (und auch Pflichten) informieren
  • Dokumente genau lesen, dann erst unterschreiben
  • Alles über einen Rechtsbeistand regeln (VdK, Anwalt)
  • Jedes Telefonat, jeden Ansprechpartner, jede Konversation dokumentieren und wenn möglich wichtige Aussagen schriftlich geben lassen
  • Fehler in Gutachten sofort melden
  • Gedächtnisprotokolle über Termine und Gutachten führen

Wie unabhängig sind ‘unabhängige Gutachter’?

Bis vor Kurzem wurden auch die Gutachter des medizinischen Dienstes der Krankenkassen von den Krankenkassen beauftragt. Das hat sich jedoch 2020 geändert. Eine neue Gesundheitsreform hat bewirkt, dass der MDK heute unabhängig von den Kassen agiert. „Die gesetzliche Krankenkasse wendet sich in der Regel immer dann an den Medizinischen Dienst, wenn sozialmedizinische Fragen im Einzelfall zu klären sind. Der Medizinische Dienst erstellt ein Gutachten für die Krankenkasse und gibt darin eine Empfehlung ab”, sagt Gehms. Es gibt diverse Leitfäden für die verschiedenen Bereiche, die begutachtet werden können. Die Medizinischen Dienste selbst lehnen keinen Anträge ab; sie geben Empfehlungen. Die Kassen entscheiden am Ende über die Leistung. 

Was kann man als Versicherter tun?

Am Ende bleibt den Versicherten, der sich in einem Antragsprozess befindet, nicht viel anderes übrig, als dem Standardverfahren zu folgen und zu hoffen, dass ein Antrag möglichst schnell bearbeitet und bewilligt wird. Schnell gibt es beim Rentenverfahren eher nicht. Klageverfahren können sich über Jahre hinweg ziehen. Bei Hilfsmitteln geht es oft etwas zügiger, denn die Kassen müssen über Anträge innerhalb einer drei- bzw. fünfwöchigen Frist wenn ein Gutachter beauftragt wird, entscheiden. Laut MDS wurden im Jahr 2019 im Bereich Hilfsmittel rund 30.000 gutachterliche Stellungnahmen abgegeben. Bei 37,8 Prozent der Stellungnahmen waren die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung erfüllt, bei 14,2 Prozent teilweise erfüllt und bei 32,5 Prozent nicht erfüllt. Ist man als Versicherter mit dem Gutachten unzufrieden, kann man den Medizinischen Dienst kontaktieren, doch nicht den individuellen Gutachter.

Mentale Belastung

Um jedes Hilfsmittel, das Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen nutzen, um die gleiche Lebensqualität zu erzielen, wie Menschen ohne Behinderungen, kämpfen zu müssen oder immer wieder Anträge auf finanzielle Unterstützung wie Rente, Grad der Behinderung und vieles mehr stellen zu müssen, kann mental eine große Belastung sein. Mir graut es vor jedem Antrag, den ich stellen muss und ich bin immer wieder überrascht, wie viel Energie diese Anträge auf Leistungen beanspruchen, obwohl sie das nicht müssten, wenn die Verfahren nicht so schwierig und vor allem langwierig wären. „Bisher ist uns kein Fall bekannt, in dem durch das Antragsverfahren für Hilfsmittel eine psychische Erkrankung ausgelöst wurde. Gleichwohl können wir sehr gut nachempfinden, dass ein solches Antragsverfahren für die Betroffenen mitunter aufwendig sein kann. Das bedauern wir. Allerdings dürfen wir das Antragsverfahren nicht grundsätzlich ändern. Hier sind uns vom Gesetzgeber die Hände gebunden”, sagt Michy. 

Lösungen?

Ich habe die Rentenversicherung, BARMER und den Medizinischen Dienst gefragt, ob es irgendwelche Diskussionen zu Lösungsvorschlägen oder Initiativen gibt, die versuchen, die Abläufe gerade für die Menschen, die ständig durch alle Raster fallen – junge chronisch kranke und behinderte Menschen – zu verändern. Vom Großteil habe ich keine Antwort erhalten, oder es wurde versichert, dass man intern immer an einer Verbesserung der Prozesse arbeite. So heißt es für uns wohl weiterhin: kämpfen, nie aufgeben und hoffen, dass am Ende doch die Gerechtigkeit siegt, auch wenn das für viele junge Menschen bedeutet, sich jahrelang durch ein System zu navigieren, das nicht für sie gemacht ist

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Eine Antwort

  1. Kommt mir sehr bekannt vor. Ich stand mit Mitte 20 vor der zweiten Berufsunfähigkeit, wollte unbedingt aber noch arbeiten und traute mir Teilzeit zu. Antwort der DRV war, dass wenn “ich so faul wäre, ich es dann doch bleiben lassen solle. Es gäbe keine Umschulung in Teilzeit, entweder voll oder gar nicht”. Also habe ich in VZ angefangen und bin nach wenigen Wochrn auf der Intensiv gelandet. Nach kurzem Gespräch mit meiner Rehaberaterin und aufgrund sehr guter Noten durfte ich dann in TZ weiter machen. Aber nicht offiziell, denn das gibt es ja nicht. Offiziell wurde meine Umschulung nur verlängert, weil das Ziel in 2 Jahren nicht zu erreichen war. Nach 2.5 Jahten, also nur ei halben Jahr länger habe ich meine Prüfung mit Note 1 bestanden und hatte direkt eine Stelle. Da sowohl BfW als auch Reha geschrieben hatten, dass nur TZ geht (auf alle Berufe bezogen) hatte ich eine Rente beantragt mit Ziel EM Rente. Ergebnis war natürlich….abgelehnt. Von einer Orthopädin nach Aktenlage (meine Erkrankung ist neurologisch), der die gesamten Unterlagen von Reha und Co vorenthalten worden waren. Ich solle mir einfach einen anderen Job suchen. Selbst meine Rehaberaterin war stinksauer. Zitat:”wir zahlen ihnen eine Umschulung um ihnen dann zu sagen, dass sie sich einen anderen Job suchen sollen?” Mittlerweile habe ich die Teil EM Rente und eine 20 Stunden Stelle im umgeschulten Beruf…aber rechtfertigen muss ich mich weiterhin. Denn um mich einigermaßen fit zu halten mache ich leichten Sport. Und wer Sport macht, kann auch arbeiten. Das ich ohne Sport nach Schüben nie wieder auf nen grünen Ast gekommen wäre, wird ignoriert

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