Serap Güler ist seit 2021 für die CDU im Bundestag und setzt sich dort mit Verteidungs- und Sicherheitspolitik auseinandern, wobei in ihrer Brust, wie sie selbst sagt, zwei Herzen schlagen, denn als Frau mit Migrationsgeschichte bringt sie sich auch weiterhin in integrationspolitische Fragen ein. Mit Karina Sturm spricht sie über die Herausforderungen und Chancen als junge Politikerin, ihre politischen Ziele und warum sie sich so stark für ein „Gesellschaftsjahr“ einsetzt.
Karina Sturm: Wie vielfältig ist unsere Politik und wie sehr muss eine Person „der Norm“ entsprechen, vielleicht auch im Hinblick darauf, dass Politik viele Menschen erreichen will?
Serap Güler: Ich bin 2012 zum ersten Mal in den Landtag gekommen. In Nordrhein-Westfalen bin ich seit 2009 Mitglied der CDU. In all den Jahren ist die CDU, sowie der Landtag und Bundestag vielfältiger geworden. Luft nach oben ist immer, gar keine Frage. Man muss sich als Politiker*in natürlich an gewisse Grundregeln halten. Aber auch die Einsicht, dass ein Politikerjob eben kein 9-to-5-Job ist und man auch in der Lage sein und die Bereitschaft erbringen muss, auch mal auf das Private zu verzichten, weil der Beruf so viel Raum einnimmt.
Sie haben gesagt, heute sei es schon deutlich besser, was die Vielfalt in der Politik angeht, im Vergleich zu ihren Anfangsjahren. Auf welche Herausforderungen oder Barrieren sind Sie im Laufe Ihrer Karriere gestoßen und wie haben Sie diese überwunden?
Was bei mir vor allem hängen geblieben ist, ist, dass ich ganz viele Unterstützer*innen hatte, die mir Wege vorbereitet und Türen geöffnet haben. Durch die musste ich selbst durchgehen, aber ich stand während meiner aktiven politischen Zeit nicht andauernd vor geschlossenen Türen. Klar muss man sich beweisen. Ich bin mit 32 Jahren als jüngste Frau mit Migrationsgeschichte in die Fraktion gekommen; war die erste in der Landtagsfraktion. Damit mussten die Kolleginnen und Kollegen vielleicht auch umgehen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie dafür lange gebraucht haben. Am Anfang musste ich auch lernen, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
Was meinen Sie damit genau? Haben Sie ein Beispiel?
Ich hatte 2012 meinen Landtagswahlkreis in Köln-Mühlheim. Dort ist die Keupstraße, in der es 2004 den Nagelbombenanschlag des NSU gab. Im Rahmen der Ermittlungen wurden viele der Bewohner*innen vor Ort als Täter*innen statt als Opfer dargestellt. Als ich 2012 als Landtagsabgeordnete die Leute gefragt habe, was ihnen wichtig sei, haben fast alle erwidert, dass sie lange Zeit von der Polizei zu Täter*innen gemacht wurden und keine Entschuldigung folgte. Was macht eine junge, total motivierte Abgeordnete? Ich marschiere zurück in den Landtag und sage: „Ich schreibe einen Antrag und verlange als Mitglied der CDU, dass sich die Polizei bei den Bewohner*innen der Keupstraße entschuldigt.“ Nachdem ich den Antrag eingereicht hatte, kam unser damaliger stellvertretender Fraktionsvorsitzender auf mich zu und meinte, er finde den Antrag keine gute Idee. Ich reagierte natürlich sofort mit Gegenwehr. Er erklärte dann, dass wir mit dem Antrag die Polizei ein bisschen gegen die Wand stellen würden und ob ich es nicht erstmal mit einem Gespräch versuchen wolle. Er vermittelte mir einen Termin beim Polizeipräsident von Köln, der sofort einwilligte, sich im Rahmen einer Veranstaltung zu entschuldigen, was am Ende viel mehr Wert war als so ein Antrag, der als Oppositionsantrag sowieso keine Mehrheit findet. Das war ein ganz wichtiger Moment. Anfangs dachte ich, mir werden Steine in den Weg gelegt, während es sich am Ende als einen wichtigen und klugen Ratschlag herausgestellt hat und auch für die Betroffenen viel besser war.
Serap Güler
Serap Güler, 1980 in Marl als Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie geboren, wuchs im Ruhrgebiet auf und zog 2012 nach Köln. Nach einer Ausbildung zur Hotelfachfrau und einem Studium der Kommunikationswissenschaft und Germanistik begann sie ihre politische Laufbahn im nordrhein-westfälischen Landtag. Von 2017 bis 2021 war sie Staatssekretärin für Integration in der Landesregierung von NRW. Seit 2021 vertritt sie Nordrhein-Westfalen im Deutschen Bundestag, wo sie im Verteidigungs- und Innenausschuss für die CDU tätig ist.
Wie wichtig ist es Ihnen, integrationspolitische Themen in Ihre Arbeit einzubringen, und fühlen Sie sich wegen Ihres eigenen Backgrounds auch ein bisschen dazu gedrängt?
Ich habe vor meiner Arbeit im Bundestag fachpolitisch eine lange Zeit Integrationspolitik in Nordrhein-Westfalen gemacht. Hier im Bundestag bin ich ja eher für das Thema Verteidigung- bzw. Sicherheitspolitik zuständig, fühle mich aber dem Thema Migration nach wie vor verbunden, gerade wenn es um integrationspolitische Themen geht. Ich tue mich damit immer ein bisschen schwer, aber ich glaube, ich bin gerade für jüngere Menschen mit Migrationsgeschichte auch Vorbild, genauso wie für mich Politiker*innen mit Migrationsgeschichte, bevor ich angefangen habe, auch Vorbild waren. Deshalb versuche ich schon, auch die Perspektive der Menschen mit Migrationsgeschichte in meiner politischen Arbeit zu berücksichtigen.
Auf Ihrer Website schreiben Sie, Sie fordern eine „pragmatische Migrations- und Integrationspolitik mit dem Ziel eines zielgerichteteren Ressourceneinsatz“. Damit man möglichst viele Menschen möglichst effizient unterstützen kann, anstatt allen zu wenig anzubieten. Können Sie das näher erklären? Ist es nicht besser, allen ein bisschen zu ermöglichen?
Das kommt ganz darauf an, wie Sie das verstehen. Wenn Sie den Fokus auf Integration legen, dann ist es schon wichtig, Menschen, die hier sind, in der dritten, vierten Generation leben oder aus Kriegen oder aus politischer Verfolgung nach Deutschland gekommen sind, ein gutes Start-up-Paket in die Hand zu geben. Wenn Sie ganz viele aufnehmen, werden die Zugänge kleiner, weil unsere Lehrer*innen oder Erzieher*innen, die in der Integrationspolitik eine entscheidende Rolle spielen – diejenigen, die Sprach- und Integrationskurse geben – nicht an Bäumen wachsen. Da bin ich ehrlicherweise bei unserem ehemaligen Bundespräsidenten, der sagte, „unsere Herzen sind weit, aber unsere Möglichkeiten sind eben begrenzt“.
2015/2016 habe ich natürlich die Position vertreten, wenn es Menschen in Not gibt, müssen wir ihnen helfen. Das waren damals ganz viele syrische Geflüchtete. Allein in Neukölln hatten wir 25 Turnhallen, die mit Menschen belegt waren. Und ich habe mir immer die Frage gestellt: Wenn Menschen hier lange sind, wie soll deren Integration je gelingen? Das ist mehr oder weniger ein Überleben in Deutschland, aber kein Leben in Deutschland, auch im Sinne der Integration. Es sind nicht nur die menschlichen Ressourcen, die uns fehlen, sondern es gibt auch keine Wohnungen und an vielem anderen mangelt es auch. Insofern müssen wir hier einen pragmatischeren Ansatz führen, in dem wir, – das wird zwar immer so als Floskel abgetan, aber nur weil es jetzt jeder sagt, macht es das nicht falsch,– die Herkunftsstaaten unterstützen. Ungefähr 50 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, fliehen nicht vor Kriegen und sind laut Genfer Flüchtlingskonvention oder Artikel 16a des Grundgesetzes nicht berechtigt. Dann lasst uns doch auf die anderen 50 konzentrieren und versuchen, dem Rest vielleicht im Rahmen von Fachkräftezuzug oder Chancen im Herkunftsland, die Möglichkeit zu geben, erst gar nicht fliehen zu müssen.
Meine Eltern hätten mich gerne direkt an der Uni gesehen bzw. in einem, im Türkischen sagt man dazu gerne „sauberen“ Job, also so einen „weißer Kittel“-Job wie Bankkauffrau.
Sie setzen sich auch ganz stark dafür ein, dass Jugendliche wieder ein soziales Jahr machen, bzw. so etwas wie einen Zivil- oder Wehrdienst.
Ja, da schlagen tatsächlich zwei Herzen in einer Brust. Das ist mein altes integrationspolitisches Herz und das ist mein neues verteidigungspolitisches Herz. Wobei das Gesellschaftsjahr sich gar nicht nur auf die Bundeswehr fokussiert, aber wenn ich insgesamt von Verteidigung spreche, dann meine ich auch eine verteidigungsfähige Gesellschaft und dazu gehören eben auch Dinge wie Rettungsdienste, Krankenhäuser, soziale Einrichtungen, Kitas, etc. In einer vielfältigen Gesellschaft, die wir heute viel stärker sind als noch vor 20 oder 30 Jahren, kann ein Gesellschaftsjahr gut dazu beitragen, dass vielleicht etwas zusammenwächst, was nicht oft zusammenkommt. Damit meine ich nicht nur Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, sondern auch unterschiedliche Milieus, die sich sonst nicht treffen, weil jeder in seiner eigenen Blase lebt. Vielleicht kann so ein Jahr jungen Menschen auch Orientierung geben, die nicht wissen, was der richtige Weg für sie ist.
Was wollten Sie mit 18 Jahren machen?
Damals wollte ich unbedingt mein ganzes Leben in verschiedenen Hotels weltweit arbeiten. Ich habe dann mit 19 eine Ausbildung zur Hotelfachfrau angefangen, trotz des Widerspruchs meiner Eltern, die mich eigentlich gerne direkt an der Uni bzw. in einem, im Türkischen sagt man dazu gerne „sauberen“ Job, also so einen „weißer Kittel“-Job wie Bankkauffrau, gesehen hätten. Aber ich wollte mich hocharbeiten bis zur Hotelmanagerin und dann die Welt bereisen.
Nach drei Monaten Ausbildung war mir dann schon irgendwie klar, hier wirst du nicht alt; ich war dann aber zu stolz, gerade gegenüber meinen Eltern, die Ausbildung abzubrechen und deswegen habe ich sie durchgezogen und beendet. Ich wusste eben auch mit 18 Jahren nicht ganz genau, was ich wollte. Auch wenn mich diese Zeit geprägt hat, zurück in das Gewerbe möchte ich nicht.
Es haben keine Demokraten diesen Tyrannen gestürzt, sondern Islamisten und viele Menschen aus Syrien sind nicht nur vor Assad, sondern eben auch vor Islamisten geflohen.
Eine sehr ehrliche Antwort. Was war denn Ihr letzter politischer Streitpunkt?
Mein letzter politischer Streitpunkt ist, das Wehrdienstmodell des Verteidigungsministers nicht weitreichend genug ist. Eigentlich hat Minister Pistorius sich glaube ich auch eher ein Dienstpflichtmodell – wir nennen es Gesellschaftsjahr – vorgestellt, was er nicht durchsetzen konnte und jetzt ist daraus nur so ein kleines Ding geworden. Und was mir gerade politisch auf den Senkel geht, ist die Diskussion um Rückführungen nach Syrien, so kurz nach dem Assad-Sturz.
Um das einzuordnen: Ich habe vor einigen Monaten selbst vertreten, dass es durchaus Regierungen in Syrien gibt, die eine Rückführung von Straftäter*innen möglich machen könnten, aber die Lage ist heute eigentlich fragiler als noch vor ein paar Monaten. Es ist legitim, darüber zu diskutieren, aber das 24 Stunden nach Assad-Sturz zu tun, ohne zu wissen, wo die Reise hingeht, ist streitwürdig. Es haben keine Demokraten diesen Tyrannen gestürzt, sondern Islamisten und viele Menschen aus Syrien sind nicht nur vor Assad, sondern eben auch vor Islamisten geflohen. Das sind die Dinge, die dann manchmal für Kopfschütteln sorgen.
In Bezug auf die bevorstehende Bundestagswahl: Welche Risiken, aber auch Chancen sehen Sie, gerade im Hinblick auf die Verfolgung ihrer politischen Ziele im Bereich Integration und Sicherheit?
Ein großes Risiko besteht darin, dass die Debatte zunehmend weniger sachlich und stattdessen immer emotionalisierter geführt wird. Ich habe die Sorge, dass wir uns in ideologischen Gräben verlieren. Deswegen müssen die Diskussionen auf Fakten und pragmatische Ansätze fokussiert sein, um den Herausforderungen wirklich gerecht zu werden. Dagegen ist es ermutigend zu sehen, dass mittlerweile alle Parteien der Mitte erkannt haben, dass wir in diesen Bereichen vor echten Problemen stehen. Die frühere Naivität weicht zunehmend einem klareren Realismus. Dies schafft eine echte Grundlage für eine breitere politische Zusammenarbeit, um tragfähige und wirksame Maßnahmen zu entwickeln.
Wofür wollen Sie sich in Ihrer Zukunft noch stärker einsetzen?
Ich möchte mich gerne stärker dafür einsetzen, dass wir uns sicherheitspolitisch besser aufstellen, im Sinne von einer gesamtstaatlichen Verteidigungsfähigkeit, was nichts anderes heißt als: Wir müssen viel stärker verteidigungsfähig sein, um uns nicht verteidigen zu müssen. Weil das am Ende die beste Form von Abschreckung gegen all diejenigen ist, die mit unserer Art zu leben nicht klarkommen, oder in uns Feinde sehen. Und wir müssen die Gesellschaft auch dafür sensibilisieren, dass das Leben, das wir hier in Freiheit und Frieden führen, keine Selbstverständlichkeit ist.