Der Weg in den Bundestag kann ganz unterschiedlich aussehen. Für Muhanad Al-Halak von der FDP war das ehrenamtliche Engagement und seine kommunalpolitische Arbeit ausschlaggebend für die Kandidatur. Mit unserer Redakteurin Carolin Schmidt spricht er über Integration, die Politisierung junger Menschen auf TikTok und über sein Lieblingsthema: die Ressource Wasser.
Carolin Schmidt: Sie sitzen seit Ende 2021 im Bundestag – was ist das für ein Gefühl?
Muhanad Al-Halak: Der Puls ist hoch. Auch bei meinen Reden – wenn ich persönlich irgendetwas sage, fangen meine Beine an zu wackeln, weil es für mich nicht selbstverständlich ist, hier zu sein. Ich stelle mir immer wieder die Frage, warum ich? Ich komme neu in dieses Land und ich bekomme diese große Chance, Teil der Demokratie zu sein. Das ist etwas, das mich noch heute bewegt.
Wie war Ihr Einstieg in die Politik?
Ich habe mich schon früh ehrenamtlich engagiert. Ich habe mich positiv integriert, war bei der Feuerwehr und im Fußballverein; habe Freunde gefunden. Mein Ziel war es nie, Politiker zu werden, aber ich wollte mich vor Ort engagieren und Stadtrat werden. Durch die Kommunalwahl 2020 kam ich nicht nur in den Stadtrat, sondern auch in den Kreistag, obwohl ich das gar nicht so geplant hatte.
Und wie ging es dann weiter Richtung Bundespolitik?
Auf einmal ist mein Engagement intern in der FDP aufgefallen. Einige haben sich gefragt, wie ich das geschafft habe, mit Migrationshintergrund aus dem konservativen Bayern… aber dann kam die Frage, ob ich Lust hätte, für den Bundestag zu kandidieren. Wahrscheinlich komme ich nicht rein, so wurde es mir damals gesagt (lacht).
Welchen fachlichen Hintergrund haben Sie?
Ich bin Handwerker, habe eine Ausbildung als Fachleiter für Abwassertechnik, habe meinen Meisterbrief absolviert im Abwasserbereich und war zuletzt auch als Betriebsleiter im öffentlichen Dienst für die Abwasserentsorgung zuständig. Und das wollte ich auch beibehalten. Trotz meiner Migrationsgeschichte sitze ich nicht nur im Innenausschuss und behandle das Thema Integration, sondern bringe Fachkompetenzen ein. Das Thema Umwelt und das Thema Wasser sind mir wichtig. Ich bin Abgeordneter meiner Fraktion, unabhängig von meiner Geschichte.
Muhanad Al-Halak
ist 1989 in Dyala/ Irak geboren und kam 2000 nach Deutschland. Nach seinem Hauptschulabschluss arbeitete er 2006 bis 2021 im öffentlichen Dienst bei der Stadt Grafenau. Nach seiner Ausbildung als Fachkraft für Abwassertechnik und seinem Meister-Abschluss war er 2020-21 Betriebsleiter der Abwasserbeseitigung. Seit 2017 ist er Mitglied bei der FDP, erst als Stellvertretender Kreisvorsitzender Freyung-Grafenau, ab 2020 als Kreisvorsitzender Freyung-Grafenau; seit März 2020 Stadtrat Grafenau, Kreisrat Freyung-Grafenau; seit September 2020 Beirat Bezirksvorstand Niederbayern.
Foto: Dominik Konrad
Ich finde es spannend, wie Sie das framen. Sind Sie nicht einfach mit Ihrer Migrationsgeschichte dort, wo Sie sind und nicht „trotz“? Einerseits macht das ,trotz’ vielleicht auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die migrantische oder migrantisierte Menschen aufgrund von antimuslimischem Rassismus haben. Andererseits suggeriert es, dass Menschen mit Migrationsgeschichte weniger Anrecht auf einen Platz im Parlament hätten.
Ich habe mich gut integriert. Ich versuche immer positiv auf Ereignisse zu reagieren, die andere vielleicht als negativ empfinden und anders reagieren würden. Meine Erfahrung ist, dass die Person, die sich diskriminierend geäußert hat, durch meine positive Reaktion eher ein schlechtes Gewissen hat. Alle Menschen machen Fehler und ich versuche immer, die menschliche Seite zu zeigen. Ja, ich habe einen Migrationshintergrund. Und ja, ich komme aus Niederbayern.
Wie gehen Sie mit diskriminierenden Ausgrenzungen oder Anfeindungen um?
Ich komme aus Deggendorf, was an der Grenze zu Österreich und Tschechien liegt. Und in Österreich gibt es die Grenzpolizei. Da wurde ich schon mehrmals aufgehalten. Ich komme mit meinem Auto, sehe so aus, wie ich aussehe und werde automatisch rausgeholt. Und jedes Mal habe ich mich gefreut, dass ich zeigen kann, dass ich sauber bin. Da kann man jetzt sagen, das ist struktureller Rassismus…
… das würde ich auf jeden Fall sagen.
Aber davon habe ich nichts. Ich würde nur Feuer mit Feuer bekämpfen und dadurch steigt der Hass nur. Mir ist es wichtig, Menschlichkeit zu zeigen.
Aber wo ist die Grenze?
Auf Social Media ist es sehr schlimm geworden. Ich habe in persönlichen Begegnungen, auch auf Bundesebene mit der AfD, noch nie das Gefühl gehabt, dass ich rassistisch angegangen oder beleidigt worden bin. Aber ich merke schon, dass sich der Ton auf Social Media verändert hat und dazu hat maßgeblich die AfD beigetragen. Da trauen sich viele, die ,anders’ aussehen, nicht mehr laut zu sein, weil die Leute sagen, hey, du bist ja gar kein Deutscher.
Haben Sie das auch erlebt?
Klar, es gibt auch Videos von mir, wo ich sage, dass ich Deutscher bin und im Bundestag sitze. Darauf folgen immer Hasskommentare. Du bist doch niemals Deutscher und so weiter.
Und wie gehen Sie damit um?
Auf die ganz schlimmen Kommentare oder Hassnachrichten gehe ich gar nicht ein, das ergibt keinen Sinn. Die anderen kann ich nett beantworten. Aber die Frage ist ja auch, wie man politisch damit umgehen will. Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Politikerinnen und Politiker werden angegriffen, weil Menschen gesehen haben, dass das möglich ist. Das ist ein Problem, das mir Sorgen macht. Auch in dieser Demokratie.
Sie sind sehr präsent auf TikTok und haben eine große Followerschaft. Gerade auf diesem Portal politisieren sich sehr viele junge Leute. Haben Sie hier auch die Möglichkeit, Vorbild zu sein und Jugendliche zu stärken?
Es gab in einem Artikel in der Augsburger Allgemeinen, der dazu ein schönes Feedback gibt, nämlich, dass ich viele junge Menschen erreiche und besonders von Leuten, die einen Migrationshintergrund haben, gefeiert werde. Ich bekomme täglich viele positive Nachrichten mit der Frage, wie ich das geschafft habe und wie man sich engagieren kann. Das motiviert.
Hatten Sie persönlich Vorbilder, als junger Mensch?
Ja (lacht), Angela Merkel. Ich war echt ein Riesenfan. Bei der Bundesversammlung, in der der Bundespräsident gewählt worden ist, habe ich sie persönlich getroffen. Sie ist eine starke Frau, die Deutschland 16 Jahre lang durch alle Krisen getragen hat.
Es ist wichtig, dass alle eine Chance bekommen.
Muhanad Al-Halak
Sie erzählen Ihre Lebensgeschichte als gelungene Integrationsgeschichte. Was steht demgegenüber? Braucht eine Person, die nach Deutschland kommt und sich öffnet, nicht auch eine Gesellschaft, die die Person wertschätzt, Teilhabe garantiert, dieselben Rechte gewährt?
Da haben Sie einen Nerv getroffen. Wir hatten gerade eine Veranstaltung, in der wir über Gastarbeiter*innen gesprochen haben. Da sagte Armin Laschet „Der Fehler liegt schon im Begriff Gastarbeiter – oder würden Sie Ihre Gäste arbeiten lassen?“. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass alle eine Chance bekommen. Ich hatte diese Chance, Gott sei Dank. Ich kam als Kind. Andere Kinder wollten mit mir spielen. Ich wollte mit ihnen reden und mitspielen. Und so habe ich mich sehr schnell integrieren können. Es gab keine*n, der*die Arabisch konnte – also habe ich Deutsch gelernt.
In Ihrem Europawahlprogramm steht, dass Sie die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderung verbessern wollen. Das ist nicht Ihr Hauptthema, aber wie nehmen Sie das Thema Behinderung persönlich wahr in Ihrer Partei?
Bei uns arbeiten einige Abgeordnete mit Behinderung. Vor einigen Wochen gab es den Moment, in dem Heike Heubach, taube Politikerin von der SPD, im Bundestag begrüßt wurde von allen. Das ist Demokratie für mich. Aber es ist ein Thema, über das ich noch lernen kann. Auch hier ist Repräsentation natürlich wichtig.
Laut einer Studie des Mediendienstes Migration haben nur 11,3 % der Menschen im Bundestag einen Migrationshintergrund, in der Gesellschaft sind es 26 %. Was kann Ihre Partei konkret tun, um das zu ändern?
Ich habe schon einige Interviews geführt, in denen ich gefragt wurde, welcher Partei ich angehöre. Vermutet wurde erstmal Grün, dann SPD und am Schluss erst die FDP. Das finde ich immer ein bisschen ärgerlich, weil ich dann in eine Schublade gesteckt werde. Ich bin hier aufgrund meiner Inhalte hier und darum wurde ich gewählt. Es ist mir wichtig, dass ich nicht nur aufgrund einer Quote oder meines Aussehens hier bin. Genau das wird durch die FDP gefördert und ich kann dazu beitragen. Ich spreche Leute an, mache Werbung für meine Partei und sage, hey, wenn ihr Lust habt, mischt mit, werdet Mitglied. Bevor ich in den Bundestag eingezogen bin, kannte ich unseren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai durch Social Media und ich habe ihn gefeiert, gerade weil er einen Migrationshintergrund hat. Neulich haben wir uns bei einem Kaffee ausgetauscht über die Werte, die wir teilen, auch wenn unsere Herkunftsländer sich bekämpft haben – ich komme aus Irak, er kommt aus dem Iran. Das zeigt, dass jede*r eine Chance bekommt, wenn er*sei Interesse zeigt und sich engagiert.
Das wird bei der FDP ja gerne gefördert, die Leistungsbereitschaft. Aber es ist wichtig, dass Menschen unabhängig von ihren (Arbeits)leistungen Teil der Gesellschaft sein können. Ihr thematischer Schwerpunkt ist ja das Thema Wasser. Gibt es auch Momente, in denen Sie das Thema Migration oder Integration platzieren müssen oder wollen?
Letztes Jahr wollte ich zum Thema Chancen-Aufenthaltsrecht sprechen, was von der Fraktion erst abgelehnt wurde. Eine Kollegin hat das Gesetz verhandelt und schließlich konnte ich sie überzeugen, ihre Rede zu halten, weil es von Herzen kam. Ja, mein Fokus liegt auf der Ressource Wasser. Ohne Wasser können wir nicht leben. Und das wird auch ein wichtigeres Thema, wie man jetzt irgendwie überall sieht, Stichwort Hochwasser. Aber für mich gibt es kein Entweder-oder. Ich setze mich für alle Themen ein, die mich bewegen. Ich habe beispielsweise das Klimaanpassungsgesetz mit verhandelt. Und mir war es einfach wichtig, als FDP-Wähler, dass wir ein Cluster Wasser mit drinstehen haben im Gesetz.
Was kann ich mir darunter vorstellen?
Ich habe das Thema Hochwasserschutz und Starkregen mit rein verhandelt. Von den Grünen hieß es dann, du bist ja grüner als wir… Aber das sind gemeinsame Themen, die verbinden können.
Gibt es abschließend noch einen Link, den Sie mit uns teilen möchten zu einem Artikel, einem Song oder einem Podcast, der Sie begeistert?
Ich höre mir keine Podcasts an und auch keine Musik. Jetzt haben wir, glaube ich, ein Problem.
Und Bücher lesen Sie auch nicht?
Ich lese Gesetze (lacht).
Gibt es da eines, das Sie gerade besonders beschäftigt?
Ja. Das Klimaanpassungsgesetz.
Warum?
Ich habe dieses Gesetz mit verhandelt für die FDP. Der grüne Vorsitzende des Umweltausschusses, Harald Ebner, war mein Verhandler. Ein Detail wollte ich unbedingt durchsetzen und Harald Ebner nicht. Dann habe ich gesagt, ach komm Harald, ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie lange ich noch hier bin, wahrscheinlich bin ich eh in zwei Jahren raus, gib mir das doch bitte. Dann kann ich das irgendwann mal meinen Kindern erzählen (lacht). Und dann hat er eingelenkt. Das war so emotional – da haben sogar unsere Fraktionsreferent*innen gestaunt.