Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.
Folge 56: „Über Politik, Engagement und Tourette – mit Bijan Kaffenberger“
Jonas:
Karina, wir müssen noch irgendetwas in der Gesellschaft ändern, oder?
Karina:
Ja, wir müssten mal mit PolitikerInnen sprechen.
Jonas:
Über Inklusion?
Karina:
Ja, aber da gibt es so wenige mit Behinderung.
Stimme aus dem Off:
Also mich gibt’s!
Jonas:
Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast. Zu hören natürlich auch in der ARD Audiothek. Wir möchten, dass unsere Gesellschaft vielfältiger, inklusiver und barrierefreier wird und es weniger Diskriminierung gibt gegen Menschen mit Behinderung. Und damit das passiert, müssen wir mit Leuten sprechen, die die Macht haben, sozusagen diese Dinge umzusetzen. Und das sind häufig Leute, die in der Politik aktiv sind. Und deswegen geht es in dieser Podcast-Episode um Politik. Bei mir sind Karina Sturm und Raul Krauthausen.
Raul & Karina:
Hallo.
Jonas:
Mein Name ist Jonas Karpa. Und wenn wir über Politik sprechen und mit PolitikerInnen, dann wäre es ja auch super, wenn wir auch PolitikerInnen mit Behinderung hätten. Deswegen haben wir Bijan Kaffenberger bei uns zu Gast. Hallo!
Bijan Kaffenberger:
Schönen guten Tag.
Jonas:
Wir haben uns vorab, weil wir hier in einer lockeren Podcast Situation sind, darauf verständigt, dass wir beim Du bleiben. Deswegen, Bijan, du sitzt im Hessischen Landtag für die SPD. Würdest du dich selbst als Politiker mit Behinderung bezeichnen?
Bijan:
Also, ich spreche meistens über das Tourette Syndrom. Ich sage ganz oft ich habe einfach Tourette. Ich habe Tourette. Also, ich sage auch dann nicht, ich leide an oder ich leide unter. Aber natürlich ist es so, dass das Tourette Syndrom auch für viele Leute sicherlich eine Behinderung, eine Barriere darstellt und auch viele Menschen mit Tourette eben nicht so locker damit umgehen können, wie ich das jetzt gelernt habe in den letzten Jahren und die schon darunter leiden. Und insofern, ich würde auch sagen, dass es in der Gesellschaft nicht uneingeschränkt angekommen ist, dass Menschen mit Tourette auch im Parlament sitzen können, und deswegen würde ich schon sagen, dass man das definitiv als Behinderung sehen kann.
Karina:
Also ich habe mal hier den Wiki-Eintrag zu Tourette gelesen, und da steht: es ist eine angeborene Erkrankung des Nervensystems, Veränderungen am Erbgut und das Hauptmerkmal sind unwillkürliche Bewegungen und tic-artige Laute. Würdest du sagen, das ist akkurat und kannst du es eigentlich überhaupt noch hören diese Definitionen?
Bijan:
Ja, also, ich habe mich ja mit den Definitionen, Fragen da auch schon lange und oft beschäftigt und irgendwann klassifiziert man dann eben in vokale Tics, in motorische, in einfacher und komplexe. Aber ich glaube, die Frage, wie wir gesellschaftspolitisch diskutieren müssen, die ist jetzt ja keine, die es in irgendwelchen diagnostischen Beschreibungen oder irgendwelchen ICD-Richtlinien zu klären gibt, sondern die Frage, wie die Gesellschaft damit umgeht, ist ja unabhängig davon, wie so eine Wikipedia Beschreibung ist. Und ich glaube, das sind die Debatten, die wir führen müssen. Und ich glaube, das sind die Punkte, an denen es auch noch viel zu tun gibt. Solche ICD-Dinge ändern sich eh immer mal wieder, mal fällt was raus, mal kommt was dazu. Aber ich glaube, den gesellschaftlichen Umgang damit, der wird eben nicht allein durch die Definition geprägt, sondern durch unser tägliches Miteinander. Und ich glaube, daran müssen wir alle zusammenarbeiten, dass es noch besser wird.
Raul:
Gibt es einen Satz den du immer sagst, wenn man dich darauf anspricht?
Bijan:
Ich würde sagen, das hat sich ein bisschen über die Zeit verändert. Also ich muss offen zugeben, ich habe früher gerade als Jugendlicher/junger Erwachsener immer eigentlich zu Beginn, wenn ich neue Leute kennengelernt habe, vorangestellt, also, dass sie sich nicht wundern sollen wegen der Tics oder den Lauten, den Bewegungen, dass ich Tourette habe. Ja, mit zunehmendem, ich sage mal Älterwerden… und bei mir natürlich kommt natürlich auch das Thema Bekanntheit mit dazu und jetzt Stellung, desto weniger denke ich auch eigentlich, dass ich das immer voranstellen muss. Also einerseits natürlich kennen mich mittlerweile viel mehr Leute und wissen es einfach, sodass man weniger erklären muss, mich persönlich. Genauso ist es aber auch so, dass in den letzten Jahren auch einfach viel awareness geschaffen wurde für das Thema, dass das jetzt einfach auch von vielen Leuten auch schon als Tourette identifiziert wird. Natürlich gibt es immer noch Leute, die es nicht wissen und die komisch gucken. Aber man muss sagen, seit meiner Diagnose, die jetzt schon ungefähr über 20 Jahre her ist, hat sich auch einfach im Umgang da und im Verständnis in der Bevölkerung schon zum Glück ein bisschen mehr Verständnis eingestellt.
Jonas:
Es ist natürlich immer so, dass es unterschiedliche Behinderungsarten gibt, die in der Gesellschaft, würde ich mal sagen, unterschiedlich anerkannt sind. Also quasi, Raul, ich gehe mal davon aus, dass wenn dich Leute sehen, dass du im Rollstuhl unterwegs bist, dass eine Person im Rollstuhl sitzt, ist erstmal klar für die meisten Leute, die sich jetzt auch nicht großartig mit Behinderung auseinandersetzen, okay, die Person kann ich laufen. Es gibt natürlich unterschiedliche Gründe, warum die Person vielleicht irgendwie nicht laufen kann. Aber das ist irgendwie, das irgendwie klar oder eben auch Personen, die, sag ich mal, blind sind und mit einem Langstock unterwegs sind, da es irgendwie klar, die Person kann irgendwie nicht sehen. Oder es gibt halt Behinderungsarten, die irgendwie eindeutiger sind. Ich habe das Gefühl, bei Tourette ist es etwas, wo die Menschen irgendwie noch mehr Fragezeichen irgendwie haben, wenn sie in einer Person begegnen, die Tourette hat und haben vielleicht irgendwie weniger Verständnis dafür, auch weniger Berührungspunkte. Also es gibt ja, es gab ja diesen Film „Vincent will Meer“. Karina, du hast mir im Vorfeld gesagt, dass du den sehr gerne gesehen hast. Das ist ja ein Film, wo es quasi um das Tourette-Syndrom auch geht.
Karina:
Okay, also ich muss dazu sagen, ich habe den vor allem deswegen sehr gern gesehen, weil ich ein bisschen ein Fangirl von Florian David Fitz bin. Seit „Doctors Diaries“ bin ich ein bisschen verliebt in Florian David Fitz. Deswegen habe ich…
Jonas:
Florian, wenn du das hörst – melde dich.
Karina:
Ne, ne, danke! Ich bin aus dem Alter ja mittlerweile raus. Aber natürlich habe ich den Film damals mit ganz anderen Augen gesehen.
Raul:
Damals… Du hast den jetzt nicht aktuell gesehen?
Karina:
Ne, das ist schon ewig her. Ich weiß gar nicht, wie alt der schon ist. Aber da war ich noch sehr jung. Da hatte ich auch noch nicht so viel mit dem Thema irgendwie Behinderung zu tun. Also da geht es im Endeffekt um den Vincent, der hatte das Tourette Syndrom, und der wird von seinem Vater in eine Einrichtung eingewiesen. Und da hat er überhaupt keinen Bock drauf und lernt dort auch noch andere junge Menschen mit anderen Behinderungen kennen und bricht dann quasi aus der Einrichtung aus, um das Meer zu sehen. Und da geht es ganz viel auch um Selbstbestimmung und um Freundschaft und so, also Themen, die eigentlich super wichtig sind und also auch relevant jetzt, wo ich mich mehr mit dem Thema beschäftigt habe. Aber natürlich wird Vincent nicht gespielt von einer Person, die selbst Tourette hat. Das ist ein Problem. Aber es ist Florian David Fitz deswegen…
Raul:
Also, ich will dir die Freude nicht verderben. Aber es gibt ja auch den Film „Crazy“.
Karina:
Kenne ich nicht.
Raul:
Also auch so ein Coming of Age Film – auch zum Thema Behinderung. Und wenn man diese Filme dann später erwachsen guckt oder mit mehr Wissen zu dem Thema, da kann man sich das richtig kaputt machen.
Bijan:
Also, ich hätte noch einen reingeworfen, ist ein Klassiker, also ich meine die wohl bekannteste Tourette-Darstellung im deutschen Film ist schon auch „Lammbock“. Also im Wohnwagen vor der Pizzeria. Ich gebe offen zu, also ich würde das jetzt als keine gelungene Darstellung empfehlenden, es wieder zu tun. Aber wir müssen ja auch den, wenn man sie heute guckt, ist es bewertet man es natürlich anders. Aber ich finde es immer noch schon ziemlich lustig, den Film insgesamt also. Aber da ist es halt so absurd und auf die Spitze getrieben, dass man es nicht mehr ernst nehmen kann. Aber ich habe, das mochte ich tatsächlich auch immer gern. Bei „Vincent will Meer“ ist es so ein bisschen… Ich war auch mal auf einer Podiumsdiskussion zu dem Film eingeladen, wo wir darüber diskutiert haben. Ich habe halt selbst sehr früh meine Mutter verloren, deswegen konnte ich so ein bisschen mitfühlen mit dieser herzzerreißenden Geschichte, das ist dann natürlich deswegen… das ist eine gewisse Identifikation dann schon. Allerdings ist es mir dann doch auch etwas, also bei aller, bei aller wichtigen… also unabhängig von auch der schauspielerischen Besetzung, dann ohne jemanden ohne Tourette. Es war dann doch etwas zu pathetisch mit dem Asche verstreuen im Meer. Aber sei es drum, also deinen persönlichen Fangirl-Moment will ich dir nicht kaputt machen.
Karina:
Das ist nett von dir. Ich weiß noch, da war sicher ein Haufen Klischees drinnen. Wie fandst du generell die Darstellung von Tourette in dem Film?
Bijan:
Ist jetzt irgendwie so lange her. Also ich würde mich jetzt auf dünnes Eis begeben. Ich hatte nur… hat nicht auch mal Jasna Fritzi Bauer jemanden mit Tourette gespielt?
Karina:
Weiß ich gar, also meine erste Berührung mit Tourette war tatsächlich…
Raul:
Es gibt ja nur drei bekannte deutsche Schauspieler: David Florian Fitz, Jasna Fritzi Bauer, Moritz Bleibtreu und Tom Schilling. Also vier – mehr fallen mir jetzt gerade nicht ein. Aber das sind doch die Go-to-SchauspielerInnen, oder?
Karina:
Es gibt noch einen… Matthias Schweighöfer. Der ist jetzt aber hauptsächlich in den USA – der hat es sogar nach Hollywood geschafft. Mit ihm wollte ich auch immer mal ein Interview machen. Den sollten wir auch mal einladen.
Raul:
Interview machen oder wegen etwas anderem?
Karina:
Okay – zurück zum Thema.
Jonas:
Ich glaube, wir biegen gerade ganz ganz falsch ab.
Raul:
Ich wollte mal nach Büchern fragen. Es hat mir ja so ein bisschen Hoffnung gemacht, als du gesagt hast, da die awareness schon gestiegen ist… ich bin so…ich sage dann mal… ambivalent, weil ich finde, das ist nicht unsere Aufgabe, ständig aufzuklären. Und es wird auch nie der Moment kommen, wo irgendwann der König der Behinderten auftaucht und sagt: Oh, Halleluja, wir haben alle aufgeklärt! Ich finde es manchmal ein bisschen zu… also wir beschäftigen uns vielleicht mit der falschen Thematik.
Bijan:
Nein, ich habe jetzt einen probiert, mal auch einen positiven Touch reinzubringen. Ich würde vielleicht nochmal was anderes… Also ja, es ist nicht unsere Aufgabe, immer allen zu erklären was ist, warum sie die Welt nicht richtig wahrnehmen oder Dinge nicht wahrnehmen oder Dinge ignorieren oder Dinge falsch bewerten. Wir sind natürlich, und das muss man halt sagen… und das ist, glaube ich etwas, was ich probiert habe am Anfang zu sagen: Es gibt immer innerhalb der, auch der Menschen mit Behinderung wie im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung auch einfach Leute, die an der Stelle Vorbilder, Vorreiterinnen/Vorreiter sind, die eben sich diese Aufgabe zu eigen machen und für was kämpfen. Und ich glaube, dass es deswegen schon wichtig ist, dass es auch Personen wie…also halt ganz auch besonders dich, Raul, gibt, die sich trauen, damit in die Öffentlichkeit geht zu gehen und die awareness für die zu schaffen, die eher das nicht können. Die sich zuhause, ich sage mal, vielleicht einigeln und sich nicht trauen, die Welt da draußen mit sich zu konfrontieren, einfach aus Sorge, dass sie da diskriminiert werden, dass sie da Anfeindungen erhalten. Und ich glaube deswegen, es ist eigentlich nicht unsere Aufgabe, aber die Welt ist leider, wie sie ist, und deswegen müssen wir es tun.
Raul:
Spürst du diese Verantwortung?
Bijan:
Naja, ich bin hauptsächlich in die Politik gegangen, weil ich… also die Gesellschaft voranbringen möchte. Und ich würde schon sagen, dass ich vieles, was ich politisch tue, nicht nur, was das Thema Tourette angeht oder Inklusion, aber auch, was meine anderen politischen Themen angeht, im Digitalbereich oder jetzt in der Wissenschaftspolitik, im Kulturbereich – dass ich schon die Verantwortung spüre. Das mir natürlich Menschen, also qua Amt einfach natürlich jetzt auch in einer repräsentativen Demokratie die Verpflichtung mitgeben mit ihrer Stimme bei einer Wahl, dass ich auch Dinge für sie erstreite oder mich in ihrem Sinne einsetze. Jetzt unabhängig davon, ob es dann darum geht, dass wir ein neues Forschungsprojekt bekommen. Dass die Theater, die Freie Szene ihr Geld bekommt oder so was. Oder dass man irgendwie… dass ich einen Gleichstellungsbeauftragten irgendwo installiere, also ich glaube, dass das alles… also ich habe so einen ja, ich habe da halt so ein Amtsverständnis irgendwie. Und das spür ich halt mit dieser Pflicht schon auch sehr stark in jedem anderen Bereich.
Jonas:
Du hast quasi von Diskriminierung ja auch gesprochen. Ich habe immer so das Gefühl, dass natürlich auch, sage ich mal, allein die Tatsache, in der Politik unterwegs zu sein, da steht man ja wie nirgendwo anders in der Öffentlichkeit und wird eben auch allein durch das in der Politik aktiv sein angefeindet, beschimpft, beleidigt, diskriminiert. Man wird bewertet von dem, was man sagt. Manchmal geht es auch ja quasi rein um die Bewertung, wie man sich gibt, wie man aussieht. Da gibt es ja auch, sage ich mal, was jetzt zuletzt ja mit Ricarda Lang von den Grünen ja passiert ist, die ja, wo einfach ihr Aussehen bewertet wird. Wo ich denke, okay, bleibt doch mal irgendwie auf der inhaltlichen Ebene. Jetzt hast du dich dazu entschlossen, quasi in die Politik zu gehen. Du hast gerade eben auch von einer gewissen Verantwortung gesprochen. War die Verantwortung trotz alledem losgelöst von deiner Behinderung? Oder hast du wirklich auch so gespürt, Okay, ich muss irgendwie… also diese Verantwortung zu haben, ich muss diese Lücke, die es vielleicht eben auch gibt, also quasi die Repräsentation von Menschen mit Behinderung in der Politik, die muss ich irgendwie ausfüllen, da muss ich quasi aktiv werden…?
Bijan:
Tatsächlich war es das gar nicht, weil ich, also ich finde immer und es war mir immer ganz besonders wichtig, es darf gar keinen Automatismus geben, dass jemand mit einer chronischen Krankheit oder einer Behinderung, nur weil die Person dann politisch aktiv ist, diejenige ist, die in die Rolle gedrängt wird, den inklusionspolitischen Part zu übernehmen in der Fraktion, weil, das wäre ja genau das Gegenteil, glaube ich, auch von dem, was wir alle wollen. Also natürlich gilt der Grundsatz: Nichts über uns, ohne uns. Das heißt jetzt aber nicht, dass quasi man einfach ausschließlich Inklusionspolitik machen muss. Und ich habe immer für das Thema Digitalpolitik gebrannt. Das war mein erstes Thema, und da bin ich auch nach wie vor aktiv. Das macht mir auch Spaß, und das bearbeite ich im Landtag. Und ich glaube, ich glaube, dass es zwei Teile gibt. Es gibt in der inhaltlichen Arbeit im Parlament, die sich eben auf die fachlichen Dinge bezieht, die man gerne macht. Die gibt es auch um Inklusionsbereich. Und es gibt das, was ich als, wie soll ich sagen, Person des öffentlichen Lebens, die man dadurch wird, eben nebenbei gesellschaftlich mache. Und ich glaube, das sind zwei Dinge. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Es gehört zu meiner Persönlichkeit, das gehört zu mir, dass ich Tourette habe, und deswegen bin ich auch bereit, darüber zu sprechen und finde es auch wichtig und engagiere mich ja auch in dem Bereich, ob das jetzt in den entsprechenden Verbänden ist oder auch mit dem Theaterstück dem „Chinchilla Arschloch, waswas“, von Rimini Protokoll, wo ich mitgetourt bin. Das ist ja auch, sag ich mal, ein kulturpolitisches, kulturelles awareness-Programm. Und ich glaube, das sind Dinge, die für mich dazu gehören, die mir auch wichtig sind. Ich möchte die quasi aber nicht als… also mir geht es quasi nicht um die Gesellschaft allein durch Gesetzgebung an der Stelle im Landtag besser zu machen im Inklusionsbereich, sondern einfach, sage ich, dass ich ein Stück weit auch als Vorbild für andere Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten stehe. Dass die sich vielleicht auch zutrauen und sagen, also, wenn ich ein Vorbild habe, traue ich mir da auch was zu. Wir brauchen…also, ich meine, der Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, der liebe Herr Dusel, hat ja nicht ohne Grund auch, glaube ich, dieses Motto für seine Amtszeit: Demokratie braucht Inklusion. Also ich finde es sehr gut gewählt, weil, wenn einfach ein großer Teil der Gesellschaft nicht gehört wird, nicht repräsentiert wird und sich nicht aktiv teilhaben will oder kann, weil diese Barrieren da sind. Und ganz oft sind es ja auch Barrieren in den Köpfen. Also wir sprachen ja auch mit Blick auf Raul da drauf, dass… die Rollstuhl-Barriere ist für jeden immer die greifbarste. Aber viele andere sind es eben auch. Und ich glaube, dass da, dass da beide Barrieren weg müssen, sowohl die physischen als auch die in den Köpfen.
Jonas:
Jetzt sitzt du ja quasi im Hessischen Landtag. Was ja schon, ich sage mal, auf der politischen Karriereleiter bist du weiter als ich. Nein, ich bin nicht in der Politik aktiv, aber auf jeden Fall, das ist das quasi schon etwas. Hast du auf dem Weg dorthin Barrieren erlebt oder quasi gemerkt, dass es dort, ja, Widrigkeiten gibt… womit d dich, ja, umtreiben muss. Es ist ja quasi eben bei dir nicht diese obligatorische Rampe, die angelegt werden muss. Und dann, sagen wir, gesagt wird: das Gebäude ist irgendwie barrierefrei und alles ist gut.
Bijan:
Man muss unterscheiden. Es gibt einerseits die innerparteiliche Frage. Zuerst muss man ja mal an den Punkt kommen, dass die eigene Partei einen aufstellt. Und natürlich habe ich, bevor ich gesagt habe ich will kandidieren, auch mit ein paar Leuten gesprochen. Und da würde ich sagen, war das wie immer. Die Leute sind unterschiedlich offen dafür gewesen. Es gab Leute, die sofort gesagt haben: Ja, hey, klingt doch cool, kann ich mir bei dir supergut vorstellen. Und dann kam nichts. Und dann gibt es die Leute, die gesagt haben: Ja, eigentlich… doch… interessant. Ja, warum eigentlich nicht. Aber….. Und die gab es schon auch. Und da waren nicht nur Leute… ich glaube, das waren jetzt auch nicht nur Leute, die mir jetzt unwohl gesonnen waren oder die im Kopf hatten, dass sie jetzt gerade jemanden irgendwie vielleicht diskriminieren können, sondern ich glaube, da waren einfach auch Leute dabei, die sich, ja, vielleicht sogar um mich gesorgt haben, die mich irgendwie überbefürsorglichend quasi vor dieser Öffentlichkeit schützen wollten, weil sie gedacht haben…. Hmmmm…..Ja….und wenn dann doch…
Ich meine, wir haben vorhin drüber gesprochen – es ist natürlich, man ist exponiert. Und wenn dann Anfeindungen kommen und ist das….hmmm… ist das denn vielleicht… Also die hatten, glaube ich, eher Sorge, dass mich das vielleicht kaputtmacht, weil ich dann online irgendwie hate speech kriege oder irgendwie angefeindet werde oder Leute mich auslachen am Redepult oder so was in großen Parlamenten. Ich glaube, all das waren auch Sorgen, die mitgeschwommen sind von Leuten. Ich habe mich da nicht beirren lassen, und am Ende habe ich auch sehr viele Leute dabei unterstützt. Dafür bin ich meiner Partei sehr dankbar. Ich glaube auch, dass der Umgang mit… ich glaube, das ist auch kein Geheimnis… Inklusionsthemen oder Gleichberechtigungsthemen in verschiedenen Parteien anders gehandhabt wird. Also bei der SPD ist es üblich, dass in der Listenaufstellung man paritätische Besetzung in einem sogenannten Reißverschlussverfahren hat, das Männer und Frauen abwechselnd auf Listenplätzen sitzen. Es ist jetzt auch, das ist nicht überall so. Das sind einfach eben, glaube ich, insofern war es vielleicht in der SPD auch noch, vielleicht auch noch einfacher als anderswo. Gleichzeitig war es natürlich aber auch ein Wagnis. Weil die abschließende Entscheidung darüber, ob man es ins Parlament schafft, treffen ja schon die Wählerinnen und Wähler. Und ich finde, deswegen finde ich es auch richtig, dass man als Partei da keine „Angst“ in Anführungszeichen, falsche Angst vor den Menschen hat. Weil ich glaube, dass die, also gerade in meinem Wahlkreis, es hat ja beim ersten Mal auf Anhieb funktioniert, und zwar überraschend gut mit einem der besten Ergebnisse schon damals. Ich hatte ja damals schon sehr großen Personeneffekt, dass sehr viel Leute mehr mich gewählt haben, als die SPD-Stimmen hatten, sodass ich den Wahlkreis gewinnen konnte. Jetzt, bei der letzten Landtagswahl hatte es den landesweit größten Personeneffekt von allen, das heißt, interessanterweise hat das Tourette am Ende sogar dazu geführt, dass viele Leute mit mir was verbinden konnten, was sich, ja, was sich positiv ausgewirkt hat, weil die Leute, weil die Leute mit ihrer Stimmabgabe auch, glaube ich, einfach verbunden haben, dass sie es schätzen, dass jemand das, dass das jemand, obwohl, obwohl diese Bedenken da waren, da sind – und die sind ja auch nicht völlig unberechtigt – trotzdem eben sich da reinhängt. Und ich finde das auch, jetzt für mich ist das also, ich finde es jetzt nicht unbedingt nur ein negatives Zeichen. Also, es gibt auch Leute tatsächlich, und da wird es dann halt schon wieder aber kritisch, die haben bei der ersten Wahl gesagt, ja, die haben den halt aus Mitleid gewählt. Also, das habe ich auch schon gehört. Natürlich sagt dir das niemand ins Gesicht, aber hinter vorgehaltener Hand, ich meine, das ist, glaube ich, auch eine, wie soll ich sagen, was die sich selber eingeredet haben bei anderen Parteien, weil sie die Wahl nicht gewonnen haben. Nichtsdestotrotz, ich glaube, die Leute wissen schon ganz genau, dass es für viele Menschen, die an der Stelle… wir sind ja hier bei Die Neue Norm, die von der „alten Norm“ in Anführungszeichen abweisen, deutlich schwerer ist, Karriere zu machen, egal in welchem Bereich. Und ich glaube, dass das auch von diesen Menschen, die sich aktiv für mich entschieden haben, dann ein klares Signal war, dass das gesellschaftlich eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist.
Raul:
Jetzt bist du ja in verschiedenen Gremien aktiv. Wissenschaft, Kultur, du bist Schatzmeister. Konntest du dort die Aspekte der Inklusion – wie auch – einbringen?
Bijan:
Also, ich meine, wir, der Kulturbereich ist, glaube ich, ein gutes Beispiel. bin ja auch dort sehr viel unterwegs. Natürlich habe ich meinen eigenen Blickwinkel und auch ein Netzwerk aus anderen Menschen mit Behinderungen, die mich dann auf Dinge aufmerksam machen, die ich in Prozesse einspeise. Und ich habe schon auch immer noch mal, glaube ich, einfach einen besonderen Blick dadurch auf die Dinge. Das Thema Teilhabe ist für mich aber eben nicht auf Inklusion beschränkt, sondern ich komme ja eigentlich aus der aus der SV. Also ich habe so an der Schule Politik gemacht, um so ein bisschen so, dass… die Rahmenbedingungen vor Ort zu verbessern, was weiß ich, mich für Laptops eingesetzt. Wir haben damals für ein Grundrecht auf Ausbildung gekämpft und so weiter. Und ich probiere schon, eben dieses Thema Gesellschaftliche Teilhabe ganzheitlich zu betrachten. Und ich denke dabei das Thema Inklusion immer mit. Ich habe jetzt kein konkretes Inklusionsprojekt jetzt gemacht. Aber was ich zum Beispiel, was ich in den Landtagen, gerade im politischen sehr stark mittlerweile spüre ist das… und das hat auch was mit der Tatsache zu tun, dass es immer mehr werden, dass die Vernetzung mittlerweile einfach da ist, also auch aus anderen Parteien. Der Constantin Grosch aus Niedersachsen, Katrin Langensiepen aus dem EP, Heike Heubach im Bundestag. Da findet jetzt einfach, da findet eine Vernetzung statt. Man setzt sich zusammen, man tauscht sich aus, es ist jetzt auch ein…. ein gemeinsamer Arbeitskreis klingt jetzt falsch, aber sagen wir es mal so, ein Netzwerk entstanden, das sich trifft und arbeitet und Sachen entwickelt. Das macht es auch einfacher, weil, wenn man gemeinsam sich da über Sachen austauschen kann und vielleicht da noch einmal zurückzukommen zu dem, was konkret passiert: alle eben Genannten haben das Problem gehabt oder, dass sie auf für sich persönlich demokratische Teilhabe besonders erkämpfen mussten. Nicht nur im Wahlkampf, weil sie es oft schwieriger hatten als andere… beispielsweise meine ich, wenn man nicht selbst Auto fahren kann alleine, ist das ja auch schon ein Problem bei den großen Distanzen in den Wahlkreisen und den engen Terminkalendern. Aber sie haben auch das Problem, selbst wenn sie gewählt sind, am Ende ist das, ich sage mal, der parlamentarische Ablauf und all die Regeln, die es gibt, die sind für den Standard-Abgeordneten gemacht. Und da sind also der Gebärdendolmetscher, die Gebärdendolmetscherin, jemand, der Gebärden dolmetscht, war einfach, also das war nicht vorgesehen. Also, natürlich ist es vorgesehen, um die Debatten im Landtag oder im Bundestag irgendwie zu übersetzen, sodass man, dass man die draußen gucken kann. Aber dass man jetzt auch jemanden braucht, der da mal zu einem Gesprächstermin mitgeht, weil es sonst einfach nicht möglich ist, ganz normale Gespräche mit Unternehmen, mit Verbänden, mit Trägern, mit Vereinen zu führen. Und dann muss man immer für sich eine eigene, quasi Lex Kaffenberger, eine Lex Heubach, eine Lex Langensiepen erkämpfen oder eine Lex Grosch. Und deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir es schaffen, dass wir quasi das, was auch an Unterstützung, an Assistenz, an besonderen Bedarfen besteht bei Menschen mit Behinderung in der Politik auch da ist, weil, sonst ist es auch eine Wettbewerbsverzerrung. Und ich glaube, das sind Dinge, die wir, die wir gerade ganz gut gemeinsam angehen, weil das sind auch einfach für die aktive Beteiligung von mehr Menschen mit Behinderungen in der Politik, glaube ich, Hürden, die im Parlament selber noch da sind und die müssen… also, vielleicht mache ich es bei mir noch einmal konkret: ich habe selber ja keinen Führerschein und ja, manchmal muss… aber es ist es halt zeitlich klar. So. Jetzt ist die Reisekostenrichtlinie aber so, dass die Fahrtkostenerstattung wohl für den Abgeordneten gilt. Das heißt, alle Abgeordneten, die sich in ihr eigenes Auto setzen, kriegen dann halt ihren 30 Cent pro Kilometer bezahlt. Und wenn, wenn ich jetzt jemanden bitte, aus meinem Büro, mich zu fahren, dann ist das ein Freundschaftsdienst sozusagen. Und das ist natürlich nicht fair, weil, ich meine, da entstehen dieselben 30 Cent pro Kilometer an Verbrauch und Verschleiß, der nach Reisekostengesetz Anderen gewährt wird. Warum sollte er also… Es geht ja darum, dass ich von A nach B komme und nicht davon… also, und das ist ja das Ziel dieser Erstattung. Und das sind einfach so kleine Dinge, wo man dann halt erst einmal dasteht. Und dann muss man halt… ich meine, das ist alles lösbar. Nur, man muss selber wieder zum Ältesten, zur Präsidentin gehen. Über den Ältestenrat muss das dann gehen, da wird eine Ausnahme gemacht oder vielleicht auch nicht. Und das sind alles Dinge, wo wir, glaube ich, jetzt auch mal so Best Practices aus den Ländern, aus dem Bund zusammengefasst haben, um zu gucken… oder am Zusammenfassen sind, wie wir das Anderen einfacher machen können, weil das sind ja auch die Hürden, die die Leute schon vorher mitbekommen und auch darüber nachdenken.
Jonas:
Ich meine, du hast es gerade angesprochen. Thema Vernetzung: wenn ihr generell interessiert seid an PolitikerInnen mit Behinderungen oder größer gesagt, nun mal über Behinderungen hinaus, vielfältige PolitikerInnen. Auf dieneuenorm.de haben wir eine Interview-Reihe, wo wir unter anderem eben auch mit Katrin Langensiepen mit Heike Heubach und Stefanie Aeffner zum Beispiel gesprochen haben, über ihren…
Bijan:
…die habe ich jetzt vergessen, das tut mir leid!
Jonas:
Kein Problem… und quasi auch über deren Werdegang in die Politik und über deren Erfahrungen von Barrieren, ja, wie gesagt, gesprochen haben – also schaut dort gerne mal rein, wenn ihr auch dort an anderen Perspektiven noch einmal interessiert seid. Ich finde diesen Gedankengang, den du soeben mit reingebracht hast, dass man dich vielleicht aus Mitleid gewählt hat, auch nochmal spannend. Vielleicht noch mal so meine Wahlentscheidungen in den letzten Jahren durchgegangen und gedacht habe, okay, die Leute, die ich…wenn ich da diesen Mitleidsaspekt reinbringe… interessant. Aber ich meine, kann ja auch eine Perspektive sein.
Bijan:
Wie gesagt – ich glaube nicht, dass es so war. Aber es zeigt nur, zeigt, ja, das Weltbild von Menschen, die eben nicht inklusiv denken ganz deutlich. Also, da konnten sich Personen, die quasi mich nicht als gleichberechtigten Konkurrenten sehen, einfach nicht vorstellen, dass sie quasi in einem fairen Wettbewerb, in dem ich nicht positiv diskriminiert werde, verlieren. So, dass ist es ja einfach so. Und das ist ja völlig verrückt. Also, das zeigt ja aber, glaube ich, dass man es einfach auch nicht verstanden hat. Aber das ist ja auch schön, dass man dann eine Wahl hält, weil es ja die Gesellschaft mit den Leuten ja eigentlich auch zeigt, dass die weiser sind, aber selbst das hat ja das Denken nicht verändert, sondern es hat halt einfach dazu geführt, dass man sich eine Begründung zurechtlegt, die das eigene Modell weiter stützt, weil man einfach nicht, also sich nicht vorstellen kann, dass irgendjemand der von der vermeintlichen Norm abweicht, am Ende eine demokratische Wahl gewinnt.
Jonas:
Jetzt hast du doch gerade davon Best-Practice-Beispielen gesprochen, die quasi du, die quasi alle anderen PolitikerInnen mit Behinderung so mit reinbringen können. Zeigt aber… also, entsteht da für dich auch so ein gewisser Druck im Sinne von vielleicht – wir haben es hier häufig im Podcast irgendwie angesprochen – dass häufig Menschen mit Behinderung, wenn sie irgendwohinkommen, immer die Ersten sind. Also quasi im Arbeitskontext, ist man häufig die erste Person mit Behinderung, die im Unternehmen eingestellt wird. Vielleicht eben die/der erste Politiker mit Behinderung im Landtag oder Bundestag. Dass man da auch so einen gewissen Druck hat, das nicht zu verkacken. Weil, wenn das nicht funktioniert, das dann gesagt wird: Funktioniert eh nicht, dann machen wir es nicht mehr.
Bijan:
Lustig, weil: ich sage im Theaterstück ja auch was dazu. Ich glaube, es ist am Ende in der Politik, ist Bekanntheit eben auch sehr wichtig. Und ich habe, an der Stelle würde ich sagen, dass einfach… ist sag es jetzt einfach mal… das Glück…ich muss mir nicht die Haare bunt färben oder irgendwie im negativen Sinne sage ich jetzt mal, jede Woche in der BILD am Sonntag irgendeine Scheiße raushauen, damit die Leute mich wahrnehmen und mir zuhören. Und ich glaube, ein großes Problem in der Politik ist, dass Menschen, die sich nicht gesehen fühlen oder mehr gesehen werden wollen dazu neigen, radikale Dinge zu tun und sich – insbesondere das ist ja auch gerade beim Rechtspopulismus ein großes Problem – die immerwährenden Tabubrüche, die werden ja auch begangen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um Minuten im Fernsehen zu bekommen. Und ich bin sehr froh, dass ich tatsächlich in meiner täglichen Arbeit mich nicht dem Thema widmen muss. Und an der Stelle. Und sei es eben auch mein Tourette, wenn das, wenn die Leute sich darüber freuen, dass ich der Erste mit Tourette im Parlament bin und deswegen gern über mich berichten wollen – dann sei es so. Es tut einem manchmal auch gut, dass man sich nicht dauernd irgendeine Möglichkeit suchen muss, um einen USP für sich zu haben, sich in den Vordergrund zu drängen. Und insofern, ja, vielleicht bin ich manchmal einfach auch der Normalste hier.
Karina:
Du hattest diesen Begriff des Parlaments-Tourette geprägt. Kannst du mal kurz erklären, was das heißt?
Bijan:
Ich hatte ja eben von dem Stück schon erzählt, und in dem Stück ist es auch drin. Da rede ich auch vom Parlaments-Tourette. Ja, es ist, also ich habe halt im Landtag am Anfang, als ich frisch reinkam erlebt, dass da dann mit der AFD eine Partei eingezogen ist, die halt im Prinzip quasi diesen… vom Tourette ja oftmals auch induzierten verbalen Tabubruch und der beim Tourette natürlich unabsichtlich ist, eben quasi also in Anführungszeichen zu imitieren, nur halt mit rechten Tabubrüchen, also sich quasi hinzustellen und obszöne Dinge von sich zu geben und damit Aufmerksamkeit zu bekommen. Nur natürlich eben nicht unabsichtlich, sondern mit voller Absicht. Darauf habe ich so ein bisschen abgezielt, und das ist, glaube ich, was in der in der Debatte tatsächlich einfach zu beobachten ist, dass viele von diesen Tabubrüchen genau deswegen gemacht werden, weil sie eben Tabubrüche sind. Und sie sollen Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und sie sollen die Berichterstattung auf einen lenken. Und ja, das habe ich eben in dem Sinne so bezeichnet, ja.
Jonas:
Wird denn bei dir im Hessischen Landtag… ist das Landtagspräsidium dort so rücksichtsvoll, dass quasi deine Tourette bedingten Wortausbrüche dort auch wirklich dann als diese unbeabsichtigten Wörter wahrgenommen werden? Oder kriegst du da eine Rüge nach der anderen?
Bijan:
Also, ich habe jetzt ja nicht so massive, wirklich vokale Ticks. Ich habe mal mit dem… das ist übrigens auch eine Szene aus einem Stück, das ist ganz lustig, mit einem der Protokollanten im Landtag gesprochen, relativ am Anfang schon. Und natürlich frage ich dann mal, „So, notierst du das denn jetzt eigentlich im Protokoll? oder so, weil da steht ja dann, was weiß ich, ‚Zuruf Abgeordneter so und so‘, das stimmt doch gar nicht. Notierst du dann irgendwie Abgeordneter Kaffenberger in eckigen Klammern „Tic“ oder so?“ Und da hat er auch nur geschmunzelt gesagt: Nee, ach, also, es ist schon wichtig, dass quasi Dinge notiert werden im Protokoll, die passiert sind. Aber natürlich nur, wenn sie in intentionell debattenbezogen waren.
Also er würde jetzt auch nicht drinstehen drin. „Abgeordneter XYZ, Abgeordnete XY, popelt gerade in der Nase“. Das würde ja auch nicht drinstehen. Da stehen eher so konkrete Anlässe, die sich auf die Debatte beziehen. Und tatsächlich glaube ich, dass die Leute ziemlich überrascht waren im Landtag. Es war vor meiner ersten Rede, glaube ich, es wirkte eher so, als hätten die anderen mehr Angst davor, was da jetzt kommt, als ich. Die haben Angst, huuuu, und wie wird das jetzt? Und dann am Ende, muss ich sagen, ich war mit der Rede sehr zufrieden. Und wenn man mich jetzt offen fragen würde – ich würde mich jetzt nicht selber loben, aber so eine realistische Einschätzung wäre, glaube ich schon, dass ich im Schnitt so wahrscheinlich zu den unterhaltsameren am Redepult gehöre, würde ich jetzt sagen, ist auch das, was mir regelmäßig gespielt wird. Also ich glaube, es ist auch immer so eine Charakterfrage. Ich bin halt auch jemand, der ein bisschen Humor hat und der sich selbst manchmal auch nicht zu ernst nimmt. Und ich glaube, es ist schon wichtig, dass man manchmal auch da so etwas in seine Reden einfließen lässt. Und das lockert natürlich auch so einen Plenartag auf. Und ich glaube, dass deswegen eigentlich die Leute mir tendenziell sogar eher eigentlich gern zuhören und das ist auch völlig unabhängig von den Tics ist.
Raul:
Ist es… als du dir überlegt hast, du gehst jetzt in die Politik, wäre es für dich eine Frage gewesen, ob die Leute dich wegen oder trotz des Tourettes wählen?
Bijan:
Also ehrlicherweise ich neige dazu, mir nicht zu viele Fragen zu stellen, bei denen ich am Ende niemals eine zufriedenstellend oder eine schlüssige Antwort bekommen kann. Ich meine, ich werde es, man wird es nie wissen, weil, aus gutem Grund ist die Wahl halt quasi geheim. Und man wird die Beweggründe von den Menschen am Ende nicht abschließend ergründen können. Aber das… ich kann natürlich nur mutmaßen. Das, was ich aus vielen Gesprächen mitnehme, ich mache auch viel Hausbesuche und klingel einfach, insbesondere in Wahlkampfzeiten natürlich. Ich bin viel unterwegs, einfach auf Veranstaltung von Vereinen und sprech da mit Leuten. Was mir da gespiegelt wird sind eher andere Charaktermerkmale, die die Leute an mehr mir geschätzt haben in den vergangenen Jahren. Ich bin jemand, der der eigentlich eher unaufgeregt ist. Also ich bin jetzt niemand, der Extrempositionen bezieht. Ich bin jemand, der seine Meinung und seine Haltung zu Themen abwägt, der auch mal bereit ist, eine Meinung zu revidieren. Ich höre den Leuten zu, ich gehe mit ihnen ins Gespräch. Ich nehme die ernst, und das, was mir am meisten gespiegelt wird, ist, dass die Leute meinen Fleiß und meine Verbindlichkeit schätzen. Sie sagen einfach: Herr Kaffenberger, Sie sind wirklich sehr präsent. Man sieht sie oft, sie machen viel und, ach, übrigens meine Schwägerin hatte Ihnen mal eine E-Mail geschrieben zu irgendeinem Thema, und da hatte sie binnen einer Woche wirklich eine tolle Antwort bekommen dann über ihr Büro und ihr wohl geholfen. Und das wollte ich Ihnen mal sagen, das war gut. Also, ich glaube nicht, dass die Erwartungen der Menschen… also natürlich gibt es Leute, die Erwartungen an die Politik haben, die nicht erfüllbar sind. Also weder im Landtag noch im Bundestag noch ein europäisches Parlament kann morgen irgendwie beschließen, dass wir eine friedliche und glückliche Welt haben und keiner mehr hungert. Und das passiert sofort. Leider ist das manchmal so ein bisschen von einer kleinen Gruppe die Erwartungshaltung. Ich glaube aber, dass ein großer Teil der Menschen schon auch weiß, dass es oftmals komplex ist und nicht so einfach und dass die wirklich die kleinen Dinge auch wertschätzen, wenn Leute sich Zeit nehmen, um Gespräche zu führen. Und selbst wenn es am Ende nicht dazu führt, dass das Problem gelöst werden kann, dass man es aber mal darlegt, dass man das Problem anerkennt, dass man sich an Lösungen probiert, aber es ist jetzt vielleicht kurzfristig keine optimale gibt, aber man daran arbeitet, dass das irgendwie künftig besser läuft. Und ich glaube, wirklich so einen Dialog auf Augenhöhe führen, ich glaube, das ist den Menschen wichtig und das wird mir jedenfalls gespiegelt, auch warum die Leute für mich häufig gestimmt haben.
Jonas:
Karina kannst du dir vorstellen, mit deiner unsichtbaren Behinderung in die Politik zu gehen?
Karina:
Oh, Gott, also ich könnte mir aus vielen Gründen gar nicht vorstellen, in die Politik zu gehen. Also auf der einen Seite, weil ich wahrscheinlich innerhalb von 10 Minuten aus diesem Saal geschmissen werden würde, weil ich viel zu emotional bin und wahrscheinlich nur fluchen und schimpfen würde.
Bijan:
Du könntest es ja dann auf dein Tourette schieben.
Karina:
Ich habe das Gefühl, dass wirkt irgendwie diskriminierend.
Bijan:
Ja, der Vorschlag kam jetzt ja von mir. von dir.
Karina:
Ja, das stimmt, dann ist es ja okay.
Ne, ich bin ehrlich auch gar nicht sicher, ob ich überhaupt sagen würde, dass ich eine chronische Krankheit oder Behinderung habe, wenn ich es nicht unbedingt müsste. Ich habe jetzt von allen PolitikerInnen, die ich interviewt habe, nur gehört, dass die eigentlich ständig diskriminiert werden und wurden. Und ich habe ja das Privileg, das ich auch irgendwie inkognito gehen kann. Also, ich weiß ehrlich nicht… zumindest würde ich es vielleicht nicht sofort sagen. Ich würde vielleicht warten, bis ich in einer Rolle bin, ja, in der ich schon bewiesen habe, dass ich kompetent bin. Damit ich nicht von vornherein diese Zweifel an der Kompetenz habe nur wegen dem Status Behinderung, was ich irgendwie auch immer höre. Na also, dass behinderte PolitikerInnen von vornherein als weniger kompetent eingeschätzt werden, weil sie behindert sind. Weiß nicht, ob ich mir diesen Kampf antun wollen würde, wenn ich nicht müsste. Ich glaube, ich bin nicht geeignet für Politik.
Jonas:
Nein, ich glaube also, dieser tägliche Kampf als Mensch mit Behinderung diskriminiert zu werden und dann quasi noch mehr im Fokus zu sein und dann eben auch im Fokus der Politik zu sein, also quasi so doppelt Fokus wäre mir zu viel. Wir haben ja mal in einer Episode, wo wir zur letzten Bundestagswahl bei Die Neue Norm drüber gesprochen haben, mal darüber gesprochen, ob wir eine Parteigründung gründen, Raul, kannst du dich daran erinnern? Die BPD, die Behindertenpartei Deutschlands. Haben wir einfach mal so ein bisschen rumgesponnen und ja auch quasi ein paar Ministerposten vergeben. Und ich glaube aber, das wäre quasi im Sinne des Inklusionsgedanken und des Disability Mainstreaming, also quasi Inklusion, Barrierefreiheit, Antidiskriminierung auf allen Ebenen mitzudenken, wäre das, glaube ich, auch eine Art der, ja, der falschen Spezialisierung. Deswegen sind wir da auch von dem Gedanken wieder abgekommen. Aber nein, schlussendlich ist es so, dass ich es wichtig finde, dass viele unterschiedliche Personengruppen mit den unterschiedlichsten Vielfaltsmerkmalen in unserer Politik repräsentiert sind aber …
Raul:
Vielleicht aber auch in den bestehenden Parteien, oder? Dass man dafür nicht eine Extrapartei gründet… obwohl es die Mehrheit ist. Die RentnerInnenpartei hat jetzt auch nicht so viel Erfolg.
Jonas:
Genau. Wobei es quasi, glaube ich, auch Deckungsgleichheit gibt in so manchen Bereichen. Warum sollten sich Menschen mit Behinderung nicht auch für Tierschutz interessieren und gleichzeitig RentnerInnen sein?
Bijan:
Das ist ja das, was ich vorhin gemeint habe. Wenn wir, wenn wir diese Vorfestlegung treffen, dass die Inklusionsthemen jetzt bitte nur von den Behinderten zu bearbeiten sind, weil, das suggeriert ja auch, dass es nur sie betrifft. Und ich glaube, wir alle hier sind der festen Überzeugung, dass eine inklusive Gesellschaft am Ende auch eine Bereicherung für alle anderen darstellt. Und genau deswegen kämpfen ja auch so viel Leute ohne Behinderung für Inklusion. Und das ist, glaube ich, auch gut so.
Karina:
Aber ist es nicht auch ein bisschen so, dass wir ja doch auch uns oft darüber beschweren, dass, wenn das Leute machen, die nicht behindert sind, die das nicht so richtig gut machen? Also ist es… muss man dann nicht…
Jonas:
Sie machen es häufig auch Scheiße.
Karina:
Nicht alle und, ich meine, du brauchst auch Allies natürlich. Aber es ist trotzdem… du bist ja quasi die Person, die dasitzt und die Diskriminierung erfährt und dadurch irgendwie auch in der Rolle, dass du ohnehin irgendwie was dagegen machen willst oder musst.
Bijan:
Ja, ich glaube, es ist halt wichtig, dass wir nicht dann in dieselbe Falle tappen wie andere tappen und uns von der Tatsache, dass die Person, die das gerade tut, ist, in Anführungszeichen, jetzt keine Behinderung hat. Dass die das dann nicht kann. Weil ich glaube, es ist ein völlig normales Phänomen, also, selbst innerhalb von einer relativ homogenen, vermeintlich relativ homogenen Gruppe wie einer Fraktion – ganz oft ist es doch so, dass man denkt: Also, was meine Kollegin, was mein Kollege da macht, was die anderen da jetzt gemacht haben, das würde ich ganz anders machen. Und am Ende ist es, glaube ich, immer so, dass man… ich glaube, man muss dann schon vorsichtig sein, dass man quasi dann nicht allein diese fehlende Perspektive direkt… es ist, glaube ich, schon wirklich wichtig, dass man sich die Ergebnisse der Arbeit anguckt. Und warum sollten nicht auch Menschen mit Behinderungen Vorurteil haben gelegentlich? Das ist ja völlig normal. Wir sind alle Menschen. Und wenn wir halt denken, also… natürlich kann niemand die Welt durch meine Augen sehen. Aber ich finde, wir sollten die Empathiefähigkeit, das Einfühlungsvermögen, auch die Möglichkeit des Perspektivwechsels, in die Rolle, andere zu schlüpfen, auch nicht unterschätzen. Es gibt, glaube ich, schon nicht viele Leuten, die es richtig gut können. Aber ich habe durchaus auch schon Menschen erlebt, die so unglaublich empathisch sind. Also, natürlich haben die kein Tourette, aber ich habe schon das Gefühl, dass sie die Mechanismen verstehen und dass sie, dass sie nachvollziehen können oder vielleicht nachfühlen, mitfühlen können oder sich zumindest probieren, da reinzuversetzen, so, dass ich mir vorstellen kann, dass sie dann ein Gefühl dafür bekommen. Weil am Ende bin ich doch, was mein Tourette angeht, genauso weit weg von Raul wie vielleicht Karina von Raul oder irgendwie eine nichtbehinderte Person vielleicht, die andere Probleme, was weiß ich, in ihrem Leben hat, weil jeder hat ja irgendwie auch ein Päckchen zu tragen. Die Differenz zwischen uns allen hier ist schon so groß, dass es halt ganz schwer ist zu sagen, also nur, weil jetzt jemand eine Behinderung hat. Also ich bin auch kein Experte für, ich sage mal, jetzt dieses ganze Thema Leitsysteme für Sehbehinderte. Ja, ich habe da mal was darüber gelesen. Ich kenne da so ein paar Sachen. Aber ich bin da kein Experte für. Das muss man einfach anerkennen. Und wenn man schaut, wie vielfältig Behinderung ist, kann auch ein Mensch mit Behinderung niemals Verständnis für alle Formen der Behinderung die es gibt abdecken. Insofern ist es müßig.
Karina:
Engagierst du dich eigentlich auch privat irgendwie im Bereich Tourette, also mit dem Theaterstück, glaube ich…
Bijan:
Genau. Ich bin auch Mitglied bei der Tourette-Gesellschaft Deutschland zum Beispiel. Dann gibt es ja noch den Interessenverband Tic-Störung IVTS, ja, also, ich bin da Mitglied. Ich bin auch mal auf Veranstaltungen, wenn die Mitgliedsversammlung haben. Und ich halte auch mal irgendwo ein Vortrag zu dem Thema, wenn darum gebeten wird. Ich habe auch mal eine Person, da habe ich bei einer beruflichen Integration in Anführungszeichen unterstützt. Da ging es darum, quasi Kolleginnen und Kollegen auf einer Arbeitsstelle aufzuklären darüber, dass eine Person mit Tourette eben hier anfängt und habe eben dort… das war ganz schön, weil ich quasi auf meine Karriere verwiesen habe und damit so ein bisschen dem vorbauen konnte, dass da vermutet wird, dass jemand mit Tourette nicht so leistungsfähig ist und habe mal so ein bisschen erzählt, was das für ein Arbeitsalltag heißt und was es eben auch nicht heißt. Und, also, wenn ich da angefragt werde schon. Ich muss nur offen zugeben, ich habe in der ersten Legislatur nicht nur viel gelernt, sondern bin auch zwei Mal Vater geworden. Und wenn man sich anschaut, was das Mandat und die Familie an Zeit allein schon beanspruchen. Wenn ich jetzt noch etwas anderes zusätzlich machen würde über das hinaus was ich tue… ich glaube, man muss auch immer ein bisschen mit seinen Ressourcen haushalten – aber auf Anfrage immer gerne. Und wenn ich irgendwo etwas sehe, wo ich sage: Oh, super, das würde ich gern unterstützen, muss ich sagen, bin ich auch jemanden, der dann immer sehr schnell dann doch sagt: Ach, komm! Also, wenn es nur darum geht, mal einen Abend was zu machen oder Spenden zu organisieren für ein Projekt oder so was. Das mache ich natürlich eigentlich immer.
Jonas:
Das hast du ja eben grad gesagt, dass du auch gutes Feedback bekommen hast. Vielleicht von WählerInnen in deinem Wahlkreis, die sagen, dass du relativ schnell auf Mails antwortet oder auch irgendwie da gute Antworten oder Tipps irgendwie parat hst. Ich meine, wir haben ja eingangs gesagt, dass wir vielleicht unsere Gesellschaft ja in der Zukunft ein bisschen verändern möchten, ein bisschen mehr in den Vielfaltsgedanken stärken, gegen Diskriminierung, für mehr Inklusion, Barrierefreiheit uns einsetzen möchten. Und wir eigentlich mit diesem Wunsch ran an die Politik müssten. Jetzt haben wir einen Politiker hier zu Gast, und das wäre quasi unsere Chance, auch zu sagen, okay, wir könnten jetzt auch mal direkte Forderungen stellen. Raul, Karina, was, was können wir, was können wir Bijan…. Gut, es ist jetzt natürlich Landtag/Hessen. Was jetzt vielleicht für uns, da wir hier gerade in Berlin aufzeichnen vielleicht nicht so direkt relevant ist. Aber was könnten wir quasi symbolisch hier an die Politik weitergeben? Was sind unsere Forderungen?
Raul:
Also, wenn du mich jetzt so fragst, dann würde ich wahrscheinlich gucken, was könnten gemeinsame Nenner sein behinderungsübergreifend. Und dann, denke ich, könnte man zumindest im Bundesrat daraufhin wirken, dass die Privatwirtschaft verpflichtet wird, barrierefrei zu sein. Also, erst mal so allgemein und nicht nur bestimmte Bereiche, so etwas wie Bankautomaten oder Websites, sondern dass man einfach mal grundsätzlich sagt, es muss die Barrierefreiheit herrschen – mit einer Übergangszeit meinetwegen. Aber dass das halt endlich mal entschieden ist und nicht alle so rumeiern.
Jonas:
Und keine Übergangszeit von 40/50 Jahren oder so. Ich glaube, wir haben vor ungefähr, glaube ich, fast genau einem Jahr eine Episode aufgenommen, wo wir über die UN-Behindertenrechtskonvention gesprochen haben, beziehungsweise über die Staatenprüfung, die dort in dem Zeitraum stattgefunden hat. Und über die, ja, ich will nicht sagen nur Rügen, ja, doch, Deutschland wurde ja gerügt, dass die UN-Behindertenrechtskonvemtion nicht wirklich gut umgesetzt wurde. Karina, das wäre, wäre das vielleicht auch eine große Antwort, im Sinne von einfach zu sagen: Setzt doch endlich mal die UN-Behindertenrechtskonvemtion um.
Karina:
Ja, ich glaube, das ist ein bisschen ein großer Rundumschlag, weil da waren ja so unfassbar viele Punkte, die da bislang noch nicht beachtet worden sind, also von irgendwie Einrichtungen abbauen und Förderschulen abbauen und so weiter. Und ich glaube, jeder von diesen Punkten ist jahrelange Arbeit. Insofern, glaube ich, wäre es gut, wenn man mal mit einem anfängt. Aber ich habe grade überlegt, eigentlich, also, wenn ich ein bisschen egoistisch sein darf und mir Sachen wünschen darf, die mir auch was bringen zum Beispiel… Ich fände es sinnvoll, wenn der Zugang zu Hilfsmitteln einfacher wäre, vor allem für Leute mit irgendwie Krankheiten, die nicht so bekannt sind, die selten sind und so. Zum Beispiel auch in Klageverfahren, dass das Gutachtersystem besser wird, das MDK-Gutachten keine irgendwie Monate dauern und ich dann fünf Jahre klag für irgendetwas, was am Ende irgendwie eigentlich 100 Euro kosten würde. Und so, also das, ja, das wäre auch ein großer Wunsch. Die UN-BRK umsetzen wäre auch schön. Traumwelt…
Raul:
So, Bijan, was machst du jetzt damit? Die
Karina:
Ihr macht das mal bitte alles.
Bijan:
Ich sag mal so, all das sind ja Themen, mit denen unsere Leute, die Inklusionspolitik machen auch konfrontiert sind tagtäglich. Ich habe den Eindruck, dass das tatsächlich also manchmal ein Teil des Problems ist, dass die Inklusion ein so breites und riesiges Feld ist und wir mit der UN-BRK tatsächlich eine tolle Grundlage haben. Nur vielleicht ist mein Key-Take-Away da raus aus dem ist, was wir jetzt sagen, dass wir das für uns, dass man sind vielleicht konkrete Einzeldinge. Und deswegen fand ich das von Raul auch gut, nochmal wirklich runtergebrochen und man klarer raussucht. Man sagt vielleicht, also, ist es natürlich immer schwierig, innerhalb von solchen Dingen, die nicht umgesetzt sind, zu priorisieren. Ich glaube aber schon, dass man es wirklich konkret machen muss und die konkreten Stellschrauben auch beackern muss. Also ich finde gerade das Thema Arbeitsmarkt und Teilhabe von Menschen mit Bedingungen am Arbeitsmarkt wirklich super relevant. Weil, gut, ich bin in der SPD, aber irgendwie, ja, finde ich halt wichtig, weil ich finde, es gibt den Leuten irgendwie auch was zurück. Es gibt Selbstwert, es verschafft einem Autonomie, integriert einen in die Gesellschaft, und ich finde dieses Thema also wirklich… Quoten finde ich wichtig. Ich finde auch dieses Thema und freikaufen nach wie vor irgendwie wirklich echt was, was mich wirklich ärgert. Und wenn man, wenn man wirklich da noch mal konkret… Nächstes Jahr ist Bundestagswahl, und ich glaube, das wäre auch da vielleicht…Da werden ja auch sicherlich wieder die ein oder anderen Forderungen formuliert. Vieles davon ist ja auch Bundespolitik. Da finde ich es, glaube ich, gut, wenn man das noch einmal adressiert.
Raul:
Was sind denn, wo du grad in die Zukunft blickst, was sind denn deine Zukunftspläne, jetzt in deiner politischen Karriere vielleicht auch.
Bijan:
Also inhaltlich muss ich jetzt sagen, wir haben dieses Thema mit Verwaltungsdigitalisierung – ist natürlich etwas, was mich sehr umtreibt. Und da ist natürlich das Thema – vorhin fiel es ja schon, glaube ich, auch schon mit den barrierefreien Websites. Wenn wir künftig alle Verwaltungsleistungen auch digital anbieten wollen, dann ist das Thema Barrierefreiheit da extrem wichtig. Und ich setze da wirklich viel drauf und achte an jeder Stelle, dass wir da auch eine barrierefreie Umsetzung bekommen, weil wir sonst den nächsten Punkt haben. Weil wenn das System einmal, glaube ich, aufgesetzt ist und läuft, hoffentlich irgendwann in den Kommunen vor Ort und das Land dort seine Standards nicht ordentlich setzt vorher, dann wird es wieder ewig dauern, bis man dann nachträglich rumfriemelt und das barrierefrei macht. Deswegen müssen wir das jetzt von Anfang an gleich richtig machen. Und das ist schon etwas, was, glaube ich, viele Leute betrifft. Aber, Raul, hast du noch so etwas gefragt oder meintest du jetzt so persönliche Karriereschritte?
Raul:
Also, ich habe es bewusst ein bisschen offengelassen, damit du vielleicht auch privat werden kannst.
Bijan:
Die Landtagswahl in Hessen war ja gerade erst im Prinzip im Oktober letzten Jahres. Also ich bin jetzt ja noch viereinhalb Jahre gewählt. Insofern, also, viereinhalb Jahre verändert sich jetzt höchstwahrscheinlich – sag niemals nie – erst mal nichts. Aber ich kann so viel sagen. Also zur Bundestagswahl trete ich definitiv nicht an, weil wir haben gerade erst gestern Abend dort unseren Bundestagsabgeordneten Andreas Lage mit 94 Prozent nominiert. Also der Zug wäre auch abgefahren.
Raul:
Aber wenn du jetzt schon sagt, dass in vier Jahren nicht viel passiert, unabhängig…
Bijan:
Ach so, du meinst für mich persönlich oder…
Raul:
Also auch gern im Bereich Inklusion. Meine Frage war noch nicht fertig.
Bijan:
Nein, nein, also das, was ich eben angesprochen habe, also wir müssen in den nächsten Jahren, also, eigentlich muss zum Ende der Legislatur jede Verwaltungsdienstleistung barrierefrei erreichbar sein, und zwar auch die, wo das Land nicht direkt zuständig ist. Ob man das schafft, weiß ich nicht. Aber ich glaube, man kann auf jeden Fall…
Raul:
Dein Wort in Microsofts Ohren…
Bijan:
… einen signifikanten Schritt vorankommen.
Jonas:
Ich habe gerade nur den Gedanken gehabt, dass wenn, wenn irgendwann ein Gutachten oder eine Studie herauskommt, die belegt, dass Faxgeräte barrierefrei sind. Oje, das ist so das, was ich mit Ämtern…
Raul:
Apropos Faxgeräte, weil ich mich bei einem Faxgerät immer frage: die hat ja auch jemand eingeführt. Und damals war das ja auch der digitale, geile, heiße Scheiß. Und das schien relativ schnell zu gehen. Ich weiß nicht, was jetzt anders ist. Aber Hintergrund meiner Frage war, ich glaube, um PolitikerIn zu werden, da muss man eine gewisse Resilienz besitzen und Geduld.
Bijan:
Oh ja!
Raul:
Wo nimmst du diese Geduld her? Mal völlig unabhängig von Tourette und so.
Bijan:
Vielleicht bin ich einfach grundsätzlich zu sehr Optimist. Ich glaube, das es halt am Ende irgendwie, das wir hinkriegen können, dass es gut wird. Und weil ich das glaube, verliere ich die Hoffnung nicht. Nein, ich glaube, das ist vielleicht das eine, das pathetische. Das unpathetische ist, dass man, je näher man dran ist, desto mehr, glaube ich, sieht man auch die kleinen Dinge, die passieren. Und es ist wirklich unglaublich, ja, wie langsam manchmal die Mühlen mahlen. Aber je näher man an der Mühle ist, desto mehr sieht man auch diese langsame Bewegung. Und man sieht auch manchmal die Dinge, die drinstecken, den Sand im Getriebe. Und ich glaube, das, also, das hilft, manchmal vielleicht, dass man das nicht ganz so schlimm wahrnimmt, weil das Absurde ist ja, im Betrieb selber nimmt man alles als super hektisch, super gedrängt, superschnell war. Also, meine Tage sind oftmals ziemlich voll und ziemlich durchgetaktet. Da hat man halt das Gefühl, man dreht an hundert Rädern gleichzeitig. Und dann ist auch ganz klar, dass sie sich nicht alle so ganz schnell drehen können. Aber ich glaube, dass, deswegen fällt einem manchmal das gar nicht so auf, wenn man sich einen ganzen Tag mit Politik beschäftigt, quasi, und die sich so unglaublich schnell für einen anfühlt, wie langsam das vielleicht in der Außenwirkung ist.
Jonas:
Gleichzeitig ist es ja so, dass, wenn du sagst, es verändert sich was, gibt es für dich grundsätzlich irgendwie auf sehr, sehr lange Sicht gesehen irgendein Ziel, wo du sagst, okay, hier habe ich mein für mich politisches Werk vollbracht, hier kann ich mich zur Ruhe setzen, bin zufrieden?
Bijan:
Das hat jetzt nichts mit Inklusion zu tun. Aber wenn ich irgendwann mal… ich fahre ja viel Bus und Bahn. Und wenn ich irgendwann es mal schaffe im Rhein-Main-Gebiet, wenn ich mit der S-Bahn, mit der Regio, mit dem Bus unterwegs bin, zwischen, was weiß ich, zuhause meiner Oma, dem Landtag in Wiesbaden und irgendwie einem Termin in Frankfurt durchgehend zu telefonieren. Ich glaube, dann wäre mein Leben wirklich, wirklich schon echt an einem Punkt, wo ich sagen würde, das ist wirklich kurz vorm Paradies.
Raul:
Ich glaube, das schaffst du.
Jonas:
Ich war gerade gut unsicher, ob wir sagen: Mein Gott, dann machen wir das lieber mit der UN-BRK. Das ist ja vielleicht… irgendwie… lieber das. Und dann, wenn du dich dann zurücksetzen würdest, was wäre dann…
Raul:
Das wäre die Lex Kappenberger, so geil.
Jonas:
Und dann, schön auf der Bahamas. Oder?
Bijan:
Nein, ich habe ja schon mal ein Buch geschrieben, 2019, was darf man Politiker eigentlich beruhigt fragen an die da oben. Da ist auch ein Kapitel natürlich zur Inklusion drin, all inclusive Inklusion. Ich wollte eigentlich schon ewig ein zweites Buch schreiben, und dann kamen die Kinder, und wenn das mit dem Mobilfunknetz so ist – spätestens dann schreibe ich noch ein Buch.
Jonas:
Wir nageln dich darauf fest, beziehungsweise also…oder versuchen, mal alles irgendwie in die Wege zu leiten, dass auch das mit dem Mobilfunknetz… Also ich meine, wir in Berlin lebend und arbeitend, es ist ja quasi, kaum ist man in Brandenburg unterwegs, geht es uns, glaube ich, also mir zumindest, ich weiß nicht, ob es an dem Mobilfunkanbieter liegt oder einfach generell dort sehr totes Gebiet generell da ist. Da wir ja nicht nur journalistisch unterwegs sind sondern eben auch aktivistisch: Es ist ja bei uns in unserer Arbeit ja eben auch genauso, dass wir häufig eigentlich daran arbeiten, unsere Projekte, das, was wir machen, eben selber abzuschaffen. Also egal, ob es jetzt Leidmedien.de ist, wo es um Sprache zu Behinderung geht und wir JournalistInnen aufklären, wie man klischeefrei schreibt. Im besten Fall ist es irgendwann so drin, dass wir das Projekt gar nicht mehr brauchen. Oder die Wheelmap, unsere Online-Karte für rollstuhlgerechte Orte. Wenn irgendwann alle Orte rollstuhlgerecht barrierefrei sind, dann braucht man keine Karte mehr, um anzeigen zu lassen, welcher Ort ist denn der nächste, wo es eine Toilette gibt oder so. Ich finde immer, so dieser, dieser Drang oder der Wunsch, irgendwie daran zu arbeiten, irgendwie das, was man natürlich macht, also nicht arbeitslos zu werden, aber irgendwie, dass die Projekte irgendwann vielleicht auch irrelevant werden würden. Das wäre…
Bijan:
Ich habe nur leider die Befürchtung und ich meine, in den Zeiten, in denen wir gerade leben, ist es ja deutlicher denn je, dass die Welt und ihr Lauf immer wieder Herausforderungen produzieren, die wir nicht antizipiert haben, die neue Komplexitäten und Herausforderungen aufwerfen, auch mit Blick auf Inklusion, sodass uns… also, die Arbeit am Welt verbessern wird, die wird uns nie ausgehen. Da mache ich mir keine Sorgen.
Jonas:
Das glaube ich auch. Ja, nun hören wir uns auf jeden Fall, denke ich, mal wieder. Vielleicht, wir können es ja, ich glaube, wenn wir uns einen Termin machen, dass wir uns nochmal sprechen und die aktuelle Weltlage diskutieren, wenn… vielleicht aus dem Zug heraus. Vielleicht machen wir den nächsten Podcast, wenn du in Hessen unterwegs bist und das quasi, du bist einfach uns per W-LAN zugeschaltete…
Raul:
In der Bahnlounge am Frankfurter Hauptbahnhof zum Beispiel.
Jonas:
Ja, vielleicht. Aber ich glaube, also so lange können wir nicht warten. Aber wir schauen einfach, wie sich, wie sich die Lage entwickelt. Bijan, vielen Dank, dass du da warst bei uns in unserem Podcast.
Bijan:
Sehr gerne. Vielen Dank nochmal für die Einladung. Es hat wirklich Spaß gemacht
Jonas:
Uns auch! Wenn ihr quasi Informationen haben möchte zu alldem, worüber wir heute gesprochen haben, dann schaut gerne vorbei auf www.dieneuenorm.de in unseren Shownotes. Dort haben wir alle Informationen für euch gesammelt. Und auf dieser Webseite findet ihr auch noch mal unsere Interview-Reihe zu vielfältigen PolitikerInnen, wenn ihr generell interessiert seid, wie unsere Landes- und Bundespolitik vielfältig aufgestellt ist. Und alle Podcast-Episoden findet ihr natürlich auch in der ARD Audiothek zum Nachhören. Und das Transkript gibt es auch dort zum Nachlesen. Vielen Dank, dass du da warst. Vielen Dank Raul und Karina. Und wir freuen uns, wenn ihr euch beim nächsten Mal auch wieder mit einschaltet und mit dabei seid.
Alle:
Tschüß – Bis bald!