Frauen mit Behinderung – Transkript

Lesezeit ca. 53 Minuten

Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.

Folge 55: „Frauen mit Behinderung“

Jonas:
Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast – zu hören natürlich auch in der ARD Audiothek. Heute möchten wir über Frauen mit Behinderung sprechen.

Karina:
Jonas ich glaube, vielleicht sollte ich das machen.

Jonas:
Ja, okay, klar, selbstverständlich.

Karina:
Ja, herzlich willkommen bei Die Neue Norm, dem Podcast: Heute aber nicht wie sonst gewohnt mit Jonas Karpa und Raul Krauthausen. Was aber trotzdem zutrifft, ist: ein Rollstuhl, eine Sehbehinderung und eine chronische Krankheit oder drei Journalistinnen. Die Männer, die machen heute mal Pause, weil wir über ein Thema sprechen, zu dem sie nicht ganz so viel sagen können oder beziehungsweise sollten. Und zwar: Frauen mit Behinderung. Natürlich könnt ihr die ganze Folge auch in der ARD Audiothek finden. Also, in der heutigen Folge sprechen wir ein bisschen drüber, wie Frauen mit Behinderung in verschiedenen Bereichen Diskriminierung erfahren. Was passiert, wenn man nicht nur Frau und behindert ist und wie man behinderte Frauen empowern kann. Mein Name ist Karina Sturm und bei mir sind heute zu Gast, Amy Zayed und Rebecca Maskos. Beides Journalistinnen, beziehungsweise Wissenschaftlerinnen, die sich viel mit Ableismus und um den Abbau von Barrieren beschäftigen. Herzlich willkommen, Amy und Rebecca.

Amy & Rebecca:
Hallo…Danke, dass wir da sein können…oder dürfen.

Karina:
Schön, dass ihr da seid! Schön auch, dass wir als Frauen mit Behinderung mal eine Plattform kriegen, beziehungsweise, dass die Männer ihre Privilegien nutzen und uns ihre Plattform überlassen. Ich finde es natürlich schade, dass Raul und Jonas nicht da sind – deswegen hier mal schöne Grüße an dieser Stelle. Amy, Rebecca, wollt ihr zu Beginn mal ein bisschen was von euch erzählen? Amy, vielleicht magst du anfangen?

Amy:
Ja, ich bin Amy, ich bin 50. Ah, das ist echt krass. Das ist so krass, ich bin dieses Jahr 50 geworden! Ja, genau. Ich bin von Geburt an blind, habe übrigens auch eine chronische Erkrankung, die aber im Moment fast in Remission ist. Bin von Geburt an blind. Bin, seit ich 14 Jahre alt bin, im Radio irgendwie unterwegs. Ich meine, ich weiß nicht, ob ich mich schon mit 14 hätte Radiojournalistin schimpfen können. Aber seit damals ging das irgendwie schon los. Ich habe beim britischen Soldatensender BFBS meine ersten Erfahrungen gemacht, bin dort eigentlich schon relativ früh mit 14 auch ausgebildet worden. Also habe im Grunde genommen mit dem Volontär das Volontariat mitdurchlaufen, bin dann da auch als Freie geblieben. Nach dem Studium dann WDR Volontariat und während des Studiums schon freie Mitarbeit bei 1live und eben halt weiter bei BFBS. Ja, und jetzt bin ich halt freie Journalistin, meistens für alle möglichen ARD-Wellen Bereich Popkultur, viel Pop, Jugend-Wellen, Pop-Wellen, Kulturwellen. Also alles, was irgendwie mit Kultur und Pop zu tun hat. Wer nicht bei drei auf den Bäumen ist und mich haben will, kriegt mich. Ansonsten moderiere ich auch noch den John Sinclair Podcast für den Kölner Verlag Bastei Lübbe und ich mache auch noch so ein bisschen Inklusionsarbeit seit 2021. Arbeite meistens eben für Agenturen, die Kultur veranstalten oder Theaterhäuser oder BookerInnen, was auch immer, berate zum Thema Inklusion von Menschen mit Behinderungen vor, auf und hinter der Bühne. 

Karina:
Super! Du machst ja auch ein bisschen viel. 

Amy:
Ach ja, und Inklupreneur mache ich auch noch, das ist meine dritte Inklusionsarbeit. Das ist so eine Organisation, die arbeitet mit relativ großen, aber auch kleineren Firmen zusammen, damit sie Menschen mit Behinderung einstellen.

Karina:
Ja, ich habe das Gefühl, Rebeccas Lebenslauf klingt ähnlich.

Rebecca:
Ja, ich mache auch irgendwie viel, und ich bin ja mittlerweile auch 49 – also ich bin dann nächsten Jahr dran mit der 50, das ist auch noch ganz schräg. Aber, na ja, so ist es, hat ja auch den Vorteil, dass man dann irgendwann so Erfahrungen hat mit allen möglichen Sachen. Ich bin eigentlich Psychologin, also habe das studiert, habe aber auch dann also während des Studiums schon viele freie Mitarbeit gemacht und bin dann auch mit so einem ARD-Volontariat tiefer eingestiegen bei Radio Bremen und habe da auch ein paar Jahre gearbeitet. Und für mich war es aber so, dass ich aus vielen Gründen als Selbstständige arbeiten, was mit dem Journalismus heutzutage eigentlich zwangsläufig verbunden ist, mir nicht auf Dauer vorstellen konnte. Und dann bin ich eigentlich in andere Arbeitsbereiche gegangen und habe immer so nebenbei journalistisch gearbeitet. Viel so zum Thema Behinderung und Politik, zu Inklusion und so weiter, weil ich da schon lange immer interessiert war. Viel geschrieben zum Bereich Behinderung. Ich habe zwischen 2008 und 2015 auch Stellen gehabt im Bereich Behinderung und gendern und – ach so genau – ich bin übrigens kleinwüchsig und Rollstuhlfahrerin und bin ansonsten, ja, cis-Frau also, werde als Frau sozusagen gelesen und sehe mich auch so und bin Weiß. Und ich habe dann während meines Studiums mal ein Jahr in den USA studiert. Disability Studies, das war damals in Deutschland noch eher unbekannt. Das ist auch schon… man kann es sich denken an meinem Alter, es ist schon sehr, sehr lange her, und ich bin da irgendwie immer drangeblieben. Das hat mich nicht losgelassen. Ich fand das einfach super spannend und habe dann in Deutschland mitgeholfen, das so zu etablieren und bin dann darüber nach und nach einfach immer mehr in die wissenschaftliche Arbeit reingerutscht. Und habe dann vor einigen Jahren über eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin angefangen zu promovieren. Habe das dann vor zwei Jahren abgeschlossen und bin jetzt ganz frisch Professorin für Disability Studies an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Das ist eine Schule für soziale Arbeit, eine Berufsschule für soziale Arbeit und ich bin da eben die Frau für all das, was mit Behinderung zu tun hat. Das ist ganz spannend. Und ob ich mich jetzt weiter Journalistin nennen kann, das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht genau. Das wird sich irgendwie, glaube ich, in den nächsten Jahren zeigen. Aber ich glaube, den journalistischen Blick, den werde ich ja zum Glück auch nicht los. Und mir macht es auch immer weiterhin total viel Spaß, journalistisch zu schreiben. Ja, vielleicht so weit zu mir.

Karina:
Ja, ich glaube, das verliert man auch nicht, das Journalistin sein. Also, das teilen wir alle, dass wir Frauen sind und eine Behinderung haben. Und ich glaube, was wir wahrscheinlich auch alle gemeinsam haben, ist irgendwie diskriminierende Erfahrungen, also Ableismus auf verschiedenen Leveln. Rebecca ich weiß, du hast vor kurzem mal unter dem Hashtag „Ableismus Tells Me“ eine Story geteilt. Magst du mal erzählen oder erst mal erklären, was dieser Hashtag überhaupt eigentlich ist und mir vielleicht erstmal erzählen, was deine kürzlichste ableistische Erfahrung war.

Rebecca:
Ja, das Wort Ableism kann ich vielleicht gleich nochmal ausführlicher erklären. Es geht um Diskriminierung und Entwertung, Herabwürdigung von behinderten Menschen, Ungleichbehandlung und dieser Hashtag „Ableismus Tells me“ gab es eigentlich 2020 – vor allem hier in Deutschland sehr durch die Decke gegangen, obwohl er in den USA entstanden ist. Eine Studentin, Kelly Hill, hat unter diesen Hashtag einfach Erfahrungen mit Benachteiligung durch Behinderung aufgeschrieben. Und sie hat dann irgendwann mal selber geschrieben, so, also das, was sie am meisten überrascht ist, dass das in Deutschland so durch die Decke geht. Und ich glaube, das war, weil in Deutschland war damals 2020, der Begriff noch nicht so bekannt und schlug aber deswegen, glaube ich, so ein, weil er diese ganzen Erfahrungen, die wir machen, mit Vorurteilen und stereotypen Umgangsweisen, mit Ausgrenzung, dass wir da schon mal so einen Begriff haben, der das Ganze auf eine politische Ebene bringt. Also, weil das ist etwas, was in Deutschland immer noch ein neuer Gedanke ist, dass Behinderung auch ein politisches Thema ist, dass unsere Diskriminierung etwas mit Machtverhältnissen zu tun hat und mit Herrschaftsverhältnissen und eben nicht einfach nur mit „da ist jemand gemein zu uns“ sozusagen. Und ich glaube, deswegen ist es so eingeschlagen. Naja, und ich habe neulich gedacht, irgendwie kann man den ja eigentlich mal wieder beleben den Hashtag. Obwohl ich eigentlich überhaupt nicht mehr aus X oder Twitter gehe. Nein, es war so eine kurze Situation, wo ich dachte, Wow, dass das immer noch passiert. Ich war einfach irgendwo, stand auf der Straße, habe auf irgendwen gewartet. Und dann drückt mir so ein Mann Bonbons in die Hand, und ich dachte so… es ging halt alles so total schnell. Also, es hat wirklich ein bisschen gedauert, bis er kapiert hat, dass ich seine Bonbons nicht haben will. Also ich musste ganz klar Nein sagen….

Amy: Lachen

Rebecca:
Ja, und ich dachte so, Wow, ich bin 49 und krieg Bonbons geschenkt.

Amy:
Also ich hätte gesagt: Wie? Nur Bonbons sind drin? Ich hätte jetzt 6 Millionen Dollar erwartet!

Allgemeines Gelächter

Rebecca:
Also ich dachte früher, ist eigentlich schon ein bisschen her, ich dachte echt, das gehört langsam mal der Vergangenheit an, zumal in Berlin… irgendwie. Aber ich habe früher auch irgendwann wieder mal Geld angeboten bekommen oder Geld geschenkt bekommen. Und das fand ich früher…da war ich natürlich ganz wahnsinnig aufgeregt. Und ich glaube, ich hab es irgendwann… habe ich es mal genommen oder dann halt so dieses… Leute wollen halt was ausgeben. Also das habe ich auch öfter erlebt. Man will was kaufen und dann sagen die Leute: „Nein Nein, Nein, für Sie ist das umsonst“. Und dann habe ich am Schluss gesagt „Na, von mir aus“. Aber grundsätzlich ist das natürlich unterirdisch. Nein, also was sind das für Botschaften? Also, ich bin irgendwie ein armes Kind, dem man letzlich irgendwie was ausgeben muss und was kein Geld hat und dem man irgendwie den Tag verschönern muss, weil es ja gar nichts im Leben hat. 

Karina:
Passierte dir das öfter, dass Leute dich irgendwie behandeln wie ein kleines Kind.

Rebecca:
Ja, ich denke, da spielt der Kleinwuchs die größte Rolle. Dass Leute das nicht einordnen können. Aber der Rollstuhl an sich auch. Das sichtbare Behinderung oft noch so gelesen wird als Infragestellung des erwachsenen Subjekts – nicht als souveräne Erwachsene, die selbst Entscheidungen treffen können, die nicht selbst für sich sprechen können. Und ich erlebe das oft, dass über meinen Kopf hinweg geredet wird oder dass meine Begleitpersonen angesprochen werden. Über mich geredet wird und so weiter. Und das regt mich immer ziemlich auf. Passiert leider immer noch…ja.

Karina:
Amy, bei dir, was war deine letzte „Ableism Tells me“-Erfahrung?

Amy:
Also, ich glaube, im normalen Kontext, war das tatsächlich gar nicht so lange her. Das war im April, und ich war auf der CO Pop mit nach Freundin von mir. Wir waren tatsächlich auch so halbberuflich oder freiberuflich da, weil ich hatte ja schon erwähnt, ich arbeite unter anderem auch freiberuflich für eine Agentur, die heißt „Wir kümmern uns – Initiative barrierefrei feiern“. Und wir machen manchmal auch Ortsbegehungen, um zu gucken, ob ein Festival barrierefrei ist und wo man da vielleicht noch was machen kann. Und wir waren auf der CO Pop. Aber auch, weil wir eher auf der CO Pop sein wollten. Weil, wir wohnen beide in Köln und die CO Pop ist halt für jemanden, der irgendwie Musik mäßig affin ist, natürlich auch so ein bisschen ein Muss. Und wir wollten eigentlich nur aufs Klo. Und die Freundin von mir ist im Rollstuhl, ich bin halt blind. Wir waren dann auf dem Klo angekommen und dieser Mensch am Klo, diese Security-Person hat uns wirklich ungelogen 10 Minuten vollgeblubbert, wie sehr ihm das leid tut, dass wir, das wir arme behinderten Menschen so behindert sind. Und dass es doch so toll wäre, dass wir trotz unserer Behinderungen auf dieses Festival gehen, obwohl es doch so laut ist. Und das täte ihm so leid, und es würde ihn so inspirieren. Und wir so: Ja, wir müssen jetzt weiter… und er hörte nicht auf. Und irgendwann haben wir dann gesagt, es tut uns leid, wir müssen jetzt aber echt weg. Wir waren dann auch weg, und es war halt so eine sehr befremdliche Situation, wo wir natürlich auf der einen Seite es nicht irgendwie eskalieren lassen wollten. Also nicht, weil wir uns jetzt nicht getraut hätten, dem jetzt mal klar die Meinung zu sagen. Aber wir merkten, der kann nichts dafür. Der ist einfach nicht… dem hat man das halt nie anders beigebracht. Das ist halt ein Security- Mensch, der wahrscheinlich auch… ich sag mal, wahrscheinlich noch nie jemanden getroffen hat mit einer Behinderung und auch noch nie mit jemandem zu tun hatte. Auf der anderen Seite wollten wir dann aber auch wirklich weiter, und es war so…ah….es ist jetzt gerade so ein bisschen peinlich. Aber ich muss sagen, diese Begebenheiten, die finde ich zwar nervig, aber ich kann noch mit denen umgehen. Wo ich mit Ableismus wirklich nicht umgehen kann, beziehungsweise wenn ich damit umgehe, dann sehr rigoros, dann ist es wirklich am Arbeitsplatz. Oder aber, sage ich mal, an einer Stelle, wo es wirklich um Selbstbestimmung geht. Also wenn ich zum Beispiel meinen Pass abholen möchte und/oder meinen Pass beantragen möchte. Und da steht eine Person im Bürgerzentrum und will mir erzählen, irgendwie wie ich etwas zu händeln hätte, weil ich behindert bin. Oder im Arbeitsleben, wo mir eine Person sagt: Das kannst du nicht, weil du die Behinderung hast. Obwohl diese Person mich gar nicht vorher gefragt hat, ob es geht – dann werde ich auch wirklich… dann kann ich richtig ruppig werden.

Karina:
Das war jetzt gerade auch das Paradebeispiel irgendwie für den Hauptstereotyp überhaupt – für Menschen mit Behinderung. Du bist ja so inspirierend dafür, dass du überhaupt aus dem Haus gehst, weil…

Amy:
Dass du aufs Klo gehst!!!!!   

Lachen

Karina:
Also, dass ist so eine Leistung von dir!

Rebecca:
Also, es ist halt das Leiden, weil du hast ja ein sehr leidvolles Leben, aber es ist auch diese Unterstellung von Inkompetenz. Also, dass man permanent mit Behinderung beweisen muss, dass man Dinge kann, und das verstärkt sich natürlich, wenn du weiblich gelesen bist.
Haut dieses Stereoty, was ja sowieso Frauen immer zugeschrieben wird, Frauen und nicht männlich gelesenen Leuten, dass sie nicht so kompetent sind, das haut stärker rein, würde ich sagen.

Amy:
Also, wann mir das wirklich richtig klarer geworden ist in dieser Form war mit 19, als ich das erste Mal bei einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum in Deutschland war. Also ich habe halt, wie schon gesagt, mit 14 im Radio angefangen. Aber das war britisches Radio, aber auch in Deutschland. Die waren ja damals erst in Köln und später in Herford stationiert. Und dann habe ich halt in der 12. Klasse durch meinen damaligen Freund die Möglichkeit bekommen, irgendwie ein Praktikum zu machen bei einem Lokalradio in Deutschland. Und ich muss zusätzlich noch dazu sagen, ich bin person of colour, also man sieht halt, dass ich Migrationshintergrund habe, und ich kam dann zu diesem Vorstellungsgespräch. Und ich war so 19, das erste Mal in einem deutschen Sender und der Programmchef oder der Chef ums Ganze da, der kam dann auf mich zu. Ich habe einen Mini-Sehrest, also ich konnte ihn sehen. Er hatte irgendetwas leuchtendes an. Irgendwann hat man mir dann erklärt, das war eine knatschrosane Krawatte. Also das Ding leuchtete mir so grell in die Augen, dass ich dachte: Auah! Und er stand halt vor mir, wedelte mit den Händen links und rechts und meinte: „Können Sie, kö kö können Sie….sprechen?“ Und zeigte auf mein Gesicht. „Deutsch sprechen?“ Und ich so: Hä…was ist denn mit dem jetzt? Ich dann so: „Ja, ich bin durchaus der deutschen Sprache mächtig.“ „Ja, aber Sie sind blind.“ Ja, da hat jetzt das eine mit dem anderen nichts zu tun. Ich hab den ja wirklich… ich war mir nicht sicher, ist der, also ist er jetzt derjenige, der von mir irgendeine Art Hilfestellung braucht, um irgendwie klarzukommen? Und dann haben wir halt dieses Gespräch geführt. Und er meinte dann irgendwann: Ja, wir sehen uns dann an dem und dem Tag. Und ich bin dann da aufgekreuzt an dem und dem Tag. Und das Erste was er meinte: „Sie sind wirklich hier?“ Ich war da so…“Ja, wir hatten eigentlich Termin heute.“ Und das ging halt wirklich die ganze Zeit so weiter. Nein, ich durfte auch kein Reportage-Gerät berühren, weil um Gottes Willen, wenn ich das anfasse, dann geht das automatisch kaputt, weil du weißt doch, blinde Menschen haben so eine Energie – wenn sie Dinge berühren, dann explodieren die immer sofort. Und diese drei Wochen waren wirklich sehr, sehr, sehr… Es war für mich so das erste Mal, dass ich so wirklich massiv mit Ableismus konfrontiert wurde. Weil ich glaube, bis ich 19 war, ich war halt seit der weiterführenden Schule auf einer inklusiven Schule. Ich hatte halt immer schon behinderte und nichtbehinderte FreundInnen. Und dann war das plötzlich so das erste Mal, dass ich so dachte, okay, das gibt es auch auf diesem Planeten. Und ab da hört es aber auch leider nicht mehr auf.

Karina:
Meine Ableismus-Erfahrung ist tatsächlich erst ein paar Wochen her, und ich bin ehrlich noch immer pissed, weil ich wollte eigentlich einfach nur in den Urlaub fahren. Das war eigentlich mein erster Jahresurlaub. Und ich dachte, geil, Holland… Strand… einfach eine Woche irgendwie am Strand liegen und lesen und nix davon ist passiert. Also ich habe ja immer noch das Privileg, dass ich eine unsichtbare Behinderung habe. Das heißt also, ich geh sowieso immer inkognito. Keiner weiß, dass ich behindert bin. Aber wir waren halt als Gruppe unterwegs mit, ich glaube, sieben oder acht RollstuhlfahrerInnen. Und es gab an diesem Strand, der übrigens beworben worden ist als barrierefreier Strand und es gab praktisch nur einen zementierten Weg hin, und von dem ging dann einzementiert der Weg so auf der Seite schräg an einem Kiosk vorbei und endete aber in Sand. Also das war ein Dead End. Und nachdem wir eine größere Gruppe waren und uns unterhalten wollten und so, haben wir uns da halt bei diesem Kiosk auf diesen zementierten Weg gestellt und haben auch gut getrunken, gegessen und so und gut Umsatz für die Leute gemacht. Und es hat am ersten Tag schon angefangen, dass der Besitzer zu uns kam und meinte, wir können da nicht stehen, wir würden diesen Weg blockieren. Da wird keiner mehr durchgehen können. Mit dem Argument, dass die Leute unbedingt, also die gehenden Menschen, unbedingt auf diesem zementierten Weg laufen müssen, obwohl sie ohnehin am Ende von dem Weg in den Sand gehen würden. Und die können am Strand nicht da außen rumlaufen. Und ja, das ging dann insgesamt irgendwie fünf Tage, und dann ist es komplett eskaliert. Zu dem Punkt, dass er zwei, nein, drei Leute mit Behinderung mit einem Gabelstapler bedroht hat und gesagt hat, er wird jetzt quasi das in die eigene Hand nehmen. Und hat dann den Weg blockiert mit dem Gabelstapler, und wir haben die Polizei gerufen. 

Rebecca:
Richtig so! Genau so läuft das!

Karina:
Ja, die aber nichts gemacht hat. Also die gesagt haben, sie können da keine Diskriminierung sehen, weil das ist sein Grundstück, er kann quasi Leute wegschicken wie er möchte. Und solange er nicht sagt, dass das explizit ist, weil die Leute behindert sind, ist es auch keine Diskriminierung. Und Gewalt sei es auch nicht. Also weil er hätte ja quasi mit dem Gabelstapler eigentlich nichts gemacht. Zu

Amy:
Also wenn er jetzt jemanden umgemäht hätte, dann wäre es Gewalt gewesen, dann wäre es okay. 

Karina:
Wahrscheinlich.

Amy:
Ja, okay!

Karina:
Aber das war halt echt krass, weil da waren Leute in der Gruppe, die gesagt haben, sie hatten in ihrem Leben noch nie so viel Angst. Und andere Leute haben erzählt, sie haben schon überlegt, wie sie den Rollstuhl am besten positionieren, dass der kleinstmögliche Schaden entsteht, wenn dieser Typ wirklich auf die zufährt und solche Gedanken. Und die Polizei steht halt da und sagt…ja, ne, das war nicht diskriminierend. Das war richtig, richtig krass. Ja, dann war der Urlaub auch vorbei.

Rebecca:
Kann ich aber auch verstehen. Also ich glaube, das ist aber auch oftmals, denke ich, auch so ein strukturelles Problem. Wie sind Gesetze strukturiert? Und ich muss sagen, ich habe während meiner Zeit, in der ich in Großbritannien gearbeitet habe, einfach gemerkt, das ist nicht good will, dass jetzt irgendwie alles da so in vieler Hinsicht besser läuft als hier, sondern einfach, weil die Gesetze so cool strukturiert sind. Dass sei einfach sehr klar geregelt ist, was ist jetzt Diskriminierung und was geht gegen behinderte Menschen und was halt nicht. Und ich glaube, dass ist etwas, was man einfach regulieren muss. Und es funktioniert nicht mit „seid doch alle nett“. Also, ich bin auch immer, ich war auch während der Corona-Zeit immer so wirklich auf 180, wenn ich diese wirklich grauenvollen Beiträge gesehen und gehört habe. Irgendwie, ja, da ging es meinetwegen während Corona um das Ding, das blinde Menschen keine Abstandslinien sehen können. Und dann hieß es immer „seid doch nett und rücksichtsvoll“. Und ich war so… ganz ehrlich, ich möchte gar nicht, dass jemand rücksichtsvoller ist als sonst. Oder dass ich jetzt darauf angewiesen sein muss, dass irgendwer rücksichtsvoll ist, sondern, warum macht ihr nicht einfachen Beitrag! Leute, nehmt doch einfach ein bisschen Gaffa-Tape und eine Wäscheleine drunter. Das ist sichtbar für die Menschen, die noch Sehrest haben. Dort ist fühlbar für den Stock. Haut doch das Zeug vor eure blöden Abstandslinien. Und dann wissen es alle.

Karina:
Das stimmt wohl. Jetzt sind unsere Erfahrungen aber alle, ich sage mal, noch relativ glimpflich ausgegangen. Jetzt kann Ableismus aber auch direkt zu Gewalt führen und ich weiß, Rebecca, du hast ganz lange in diesem Bereich gearbeitet auch. Wir hatten jetzt vor kurzem erst eine Folge zu Gewalt. Und in der haben wir auch schon gesagt, dass Frauen – vor allem Frauen mit Lernschwierigkeiten oder mit mehreren Behinderungen – sehr, sehr viel häufiger von Gewalt betroffen sind. Ja, zum Beispiel vor allem, wenn sie in stationären Wohneinrichtungen leben. Habt ihr euch denn schon mal selber von Gewalt bedroht gefühlt oder einfach Angst gehabt, euch wird irgendwie Gewalt widerfahren. 

Rebecca:
Mehrmals. 

Karina:
Magst du erzählen, in welchen Situationen das war?

Amy:
Ja, also ich meine, ich habe da lange, lange Zeit nicht darüber gesprochen. Also ich glaube, ich habe erst in den letzten drei, vier Jahren erst angefangen, darüber offen zu reden, weil es für mich halt auch echt Zeit bedurft hat, darüber reden zu können, obwohl es jetzt nicht wirklich eskaliert ist. Aber ich bin während meiner Studienzeit hatte ich – also, das ist ja schon einiges her, das war Mitte der 90er – und da gab es noch keine Studien-Assistenzen oder Alltags-Assistenzen. Das heißt, wir waren damals, wenn du als blinde Person studiert hast, warst du halt angewiesen auf Zivildienstleistende oder Ähnliches. Und dieser Service wurde nur bei meinen Eltern in Paderborn angeboten. Ich habe aber in Bielefeld studiert. Das heißt, ich konnte nicht nach Bielefeld ziehen, sonst hätte ich keine Assistenz gehabt. Musste bei meinen Eltern wohnen bleiben. Das bedeutete aber, dass ich ein Auto hatte, was der Zivi gefahren ist. Und es hatte natürlich seine Vorteile. Ich war so ein bisschen Prinzessin auf der Erbse. Ich musste halt nie irgendwie öffentliche Verkehrsmittel nutzen, wenn ich nicht unbedingt wollte. Wenn dann höchstens, wenn ich nach Köln gefahren bin, um bei 1Live zu arbeiten oder Interviews zu machen, dann habe ich den Zug genommen. Aber es war nicht so krass, wie jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Als ich dann nach Köln gezogen bin, da ist es mir dann halt immer mal wieder passiert, ich stand an der Haltestelle, an verschiedenen Haltestellen und musste, ich weiß nicht, was ich an mir habe. Also ich glaube nicht, dass ich so aussehe, als würde ich das hervorrufen wollen, dass ich irgendwie schwach wirke oder so. Ich hoffe zumindest nicht. Aber es war halt wirklich immer wieder so, dass irgendwelche Menschen kamen mir ins Gesicht oder an die Brüste oder an den Hintern fast… „Ey, ich hab noch nie eine Blinde angefasst“ oder „Du siehst ja Hammer aus, kann ich dich mal betatschen? Willst du mich nicht auch betatschen?“ So, ich war dann so, also im ersten Moment verdattert, aber ich habe mich dann auch sehr schnell gewehrt mit Stock, Fingernägeln, alles, was da war. Und ich glaube, die schlimmste Erfahrung war 2005. Da war ich auf dem Weg von Dortmund zurück nach Köln. Irgendein Zug ist ausgefallen, und ich musste irgendwo in Hagen oder in… ich weiß es nicht, irgendwo stand ich dann da auf dem Bahnhof und wartete auf den Ersatzzug. Und dann kam ein Typ, der muss, aber ich glaube, der hatte auch eine psychische Erkrankung. Auf jeden Fall wollte der mit mir Kaffeetrinken. Ich wollte nicht. Und dann fing der an zu schreien und mich zu verfluchen und versuchte, mich wegzuzerren. Und ich habe mich natürlich nach Leibeskräften gewehrt, habe ihn dann endlich von mir wegstoßen können. Zig Leute standen rum, alles guckte, und der einzige Kommentar der kam, war eine Frau, die dann meinte „Ja, Mensch, stell dich doch nicht so an, du kriegst doch wahrscheinlich als Blinde eh nicht so viele Angebote“. Was mich halt wirklich in dem Moment… ich bin dann… und es wird noch schlimmer… ich bin in den Zug. Ich weiß nicht, was an diesem Tag los war… Also es war alles an einem Tag, was echt weird ist… ich bin in diesen Zug eingestiegen, zwei Minuten später saß dann ein Typ neben mir, der mich auch vollgeblubbert hat. Ich habe den dann ignoriert, weil ich einfach überhaupt nicht in der Verfassung war….irgendwie, also nach dieser Erfahrung, so…lasst mich alle in Ruhe. So, dann bin ich ausgestiegen in Köln und dachte, ja, damit hat sich das erledigt, ich merkte aber, irgendwer ist hinter mir die ganze Zeit, stieg dann in meine Bahn ein, um nach Hause zu fahren. Dreh mich um und der Typ spricht mich schon wieder an, der da die ganze Zeit mit mir im Zug…und ich Uh…ist der spooky….Scheiße. Und ich meinte dann so: „Magst du mich bitte in Ruhe lassen, ich bin gerade nicht in Stimmung für irgendeine Unterhaltung, bitte geh weg!“ Und dann bin ich ausgestiegen und merkte, der Typ ist immer noch hinter mir, und ich bin dann – ich habe damals in der Südstadt gewohnt, und da war eine Stelle zwischen der Teutoburger und der Altenburger Straße, die ist abends halt echt düster. Und der Typ war hinter mir und kam auch immer näher und sagte dann auch so etwas wie: „Ich kriege dich auch gleich“ und so. Und ich war so: Oh, Hilfe, Angst. Und ich bin dann einfach nur noch gelaufen. Und Gottseidank kam mein damaliger Mitbewohner auf dem Fahrrad längs und meinte irgendwie: „Hey, Amy, wir sehen uns dann gleich.“ Der hatte die Situation auch relativ schnell erfasst und meinte dann: „Geht es dir gut?“ und ich meinte „Ja, ich glaube, dieser Kollege da hinter mir, der sollte mal langsam gehen“. Und dann hat er sich auch zu ihm umgedreht und meinte „Ich glaube, da hat sie wohl recht. Wenn sie das sagt, dann verpiss dich mal.“ Und dann ist er auch ganz schnell abgehauen, weil er gemerkt hat, okay, er ist ein Typ, da ist jemand, der ist jetzt auch 180 groß und ist jetzt irgendwie auch in der Lage, da auch einzugreifen. Dann hat er sich verpieselt. Aber ich bin nach Hause gegangen. Ich habe mich echt nur noch ins Bett geschmissen und habe vier Stunden geheult, kam gar nicht mehr klar. Und seitdem bin ich auch leicht traumatisiert. Das heißt, wenn ich von hinten plötzlich angefasst werde oder so, dann haue ich zu. Also nicht, weil ich irgendwie so eine fiese, aggressive Ader habe, sondern weil ich einfach unfassbar Angst habe. Es ist mir auch immer mal wieder in Taxen passiert. Dass ich irgendwie um 23 Uhr aus Berlin wiederkam, steig in ein Taxi und irgendein Taxifahrer sagte: „Ich könnte mit dir machen, was ich will, weil du bist behindert“. So, also, das also, das sind Sachen, die… damit lernst du, irgendwann umzugehen. Aber geil ist es nie.

Karina:
Rebecca, kannst du das aus auch aus deiner Arbeit und so bestätigen oder auch persönlich?

Rebecca:
Ja, genau, das, was Amy erzählt ist eine so wirklich klassische Erfahrung von vielen behinderten Frauen oder vielen Frauen, die nicht als Männer einsortiert werden oder vielen Menschen, die nicht als Männer einsortiert werden. Das zentrale Paradox ist, dass behinderten Menschen generell Sexualität abgesprochen wird und vor allem Frauen als sexuelle Neutren gesehen werden. Also, behinderte Frauen werden überhaupt nicht als sozusagen sexuell begehrenswert oder attraktiv wahrgenommen, einsortiert. Und dann gibt es halt dieses Stereotyp, dass sexualisierte Gewalt ja nur attraktive Personen erleben würden. Was halt völliger Quatsch ist. Das wissen wir aus Studien, dass Leute sich ein bisschen mehr damit beschäftigen müssen, dass unsere Alltagserfahrung, dass sexualisierte Gewalt nichts mit Attraktivität zu tun hat und Tatsache ist, dass halt behinderte Frauen weitaus öfter Gewalt erleben. Also das weiß man auch aus repräsentativen Studien, also zwei bis drei Mal so häufig wie nicht behinderte Frauen und noch häufiger sexuelle Belästigung. Nahezu alle Frauen mit Behinderung erleben psychische Gewalt, also Mobbing, Beleidigungen, Drohungen und solche Geschichten. Das ist von der Quote her deutlich höher als bei behinderten Männern und bei nicht behinderten Frauen. Aber das perfide ist, dass es halt behinderten Frauen oft nicht geglaubt wird. Gerade Frauen mit Lernschwierigkeiten wird es oft nicht geglaubt, wenn sie Gewalt erleben. Und das macht das Ganze natürlich so schwierig. Also, überhaupt, sich dann Hilfe zu holen, überhaupt im Vorhinein sozusagen so gestärkt zu sein, dass du weißt, dass das, was dir passiert, nicht in Ordnung ist. Also viele Frauen mit Lernschwierigkeiten oder gerade Personen, die in Einrichtungen leben oder vielen solchen Einrichtungssettings sind, sind von Anfang an die, die lernen halt nicht so richtig, ihre Grenzen zu wahren und für die ist Grenzüberschreitung völlig normal, so in der Pflege, im Alltag. Das ist dann schon sehr schwierig, einfach so zu agieren wie Amy, das jetzt zum Glück gemacht hat, zu sagen so: Nein, lass mich in Ruhe! Hau ab! Das ist etwas, was vielen, gerade behinderten Mädchen nicht beigebracht wird. Behinderten Jungs vielleicht schon eher. Aber auch die, muss man sagen, haben natürlich damit zu kämpfen, dass ihre Grenzen immer wieder überschritten werden. Ein anderes Element, was du angedeutet hast, Amy, ist die Abhängigkeit. Du hast das angedeutet mit dem Taxifahrer – das ist halt das andere Element, was halt für behinderte Menschen und oft auch noch einmal mehr für behinderte Frauen halt ein Problem ist, dass das bei den Abhängigkeitssituation stattfindet und dass diese Abhängigkeitssituation da gerade auch die Möglichkeit bietet, überhaupt für Übergriffe. Also gerade in Einrichtungen sind das sozusagen die besten Bedingungen sozusagen für TäterIn. 

Und du fragtest nach eigenen Erfahrungen und bei mir ist es so, also ich habe diese beiden Stellen, die ich hatte, also zum einen bei Weibernetz hab ich so ein Projekt geleitet damals oder mit aufgebaut, dass diese Frauenbeauftragte in Einrichtungen und die Frauen mit Lernschwierigkeiten geschult, Ansprechpersonen zu sein für das Thema, also hauptsächlich das Thema Gewalt. Es ging ja auch um andere Themen, frauenspezifische Themen in Werkstätten und Wohnheimen. Und also haben dort Schulungen gemacht, Empowerment-Inhalte denen vermittelt. Und dann habe ich später noch mal beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe gearbeitet. Und da haben wir so versucht, Beratungsstellen, Notrufe und Einrichtungen der Behindertenhilfe zu vernetzen. Also sozusagen, dass die sich austauschen und, sage ich mal, von ihrem Wissen profitieren und auch sozusagen Informationen zugänglich zu machen für behinderte Frauen und Mädchen. Und ich habe diese beiden Jobs nicht gemacht aus eigener Betroffenheit heraus, sondern weil ich das einfach ein total wichtiges Thema finde. Ich muss sagen, gerade die Situation in den Einrichtungen, das ist mir echt irgendwie so eine Herzensangelegenheit. Das regt mich immer noch irgendwie wahnsinnig auf, wenn ich was mitbekomme, wie es Menschenwort geht. Ja, und es ist mir wirklich wichtig, dass sich da etwas ändert. Und ich glaube, gerade diese ganze Struktur, die ganzen feministischen Strukturen, die es gibt, die haben eine Menge zu bieten, sozusagen, um diese Themen anzugehen. 

Und genau, jetzt der Punkt zu meiner eigenen Erfahrung. Also, was ich definitiv viel erlebt habe, ist eben dieses, was auch in den Studien, die es so gibt, immer als psychische Gewalt bezeichnet wird. Also dieses Mobbing, Ausgrenzung und so weiter. Ich habe auch hin und wieder mal sexuelle Belästigung erlebt, aber vergleichsweise wenig, glaube ich. Tatsächlich, weil ich wirklich immer durch diesen Kleinwuchs und dass ich nicht normschön aussehe, glaube ich, immer eher so das exotische Andere war, was man eher nicht so anfasst. Was wiederum – also das jetzt nur als Fußnote, aber letztlich natürlich auch ein Thema – also ich habe diese Neutralisierung immer so erlebt, dass ich halt gar nicht als Frau wahrgenommen wurde. Also, dass ich immer auch in meiner ganzen Teenager-Zeit, eigentlich bis zu meinen Dreißigern immer so der gute Kumpel war. Ich bin halt irgendwas, aber keine Frau – so ungefähr. Und wenn du halt selber dich als Frau wahrnimmst und gesehen werden willst, ist es natürlich schon irgendwie etwas, womit man ganz schön zu kämpfen hat. Also das vielleicht erst mal nur hier am Rande, weil, wie gesagt, also Gewalt kann allen Leuten passieren, egal ob sie als weiblich oder was auch immer gelesen werden. Und genau… also ich habe da schon so alles Mögliche erlebt, aber tatsächlich eher so diese klassische ableistische Gewalt. Und es war bei mir ganz oft, sozusagen… Ableismus hat Sexismus geschlagen. Ich war immer in erster Linie die Behinderte. Und ganz oft wurde ich auch, und werde auch immer noch, misgendert. Leute sagen: Der Kleine. Oder so. Oder: Der Opa.

Lachen

Also, Oma finde ich ja schon….aber Opa….
Dieses misgendern passiert mir häufig genau. Ich habe auch gerade so eine frisches Erlebnis, wo ich denke, ja, das hat richtig körperliche Gewaltqualität oder, das ist definitiv die Abteilung Gewalt. Ich bin verreist und kam wieder zusammen mit meinem Partner. Wir sind geflogen, kamen am BER an, am Flughafen Berlin, mussten dort, wie immer, wie eigentlich alle Leute im Rollstuhl sehr, sehr lange warten, bis wir aus dem Flugzeug rausgeholt wurden. Also der BER ist bekannt dafür, dass diese Abläufe da einfach ein sehr, sehr kompliziert und chaotisch sind. Und der Mensch, der dann reinkam ins Flugzeug, wo er mich dann irgendwann rauszuholen wollte – normalerweise haben die so ein kleines Wägelchen dabei, auf das setzt man sich kann und dann wird man raus transportiert. Der kam rein und war schon so auf 180. Also der war so Typ Kampfsportler, irgendwie habe ich den so wahrgenommen. Und er schrie so: „Wer trägt denn das Kind jetzt?“ Wir waren ein bisschen fassungslos…

Amy:
Hasta la Vista, Baby!

Rebecca:
Und natürlich habe ich keine Lust, mich von so einem Typen tragen zu lassen. Also geht es schon los beim Tragenlassen, also, dass ist eigentlich rechtlich überhaupt nicht zulässig, meiner Einschätzung nach. Und ich will mich tatsächlich auch so leicht, speziell auch als Frau mit Behinderung nicht von so einem Typen tragen lassen, weil es ein relativ enges körperliches Geschehen ist. Und da habe ich meinen Partner gebeten, mich zu tragen. Dann ging das so weiter, dass der die ganze Zeit total agro war, und sein Kollege war völlig überfordert mit der Technik, die die da nutzen – mit allem eigentlich. Der hat dann immer gegen die Technik getreten, der war richtig agro und hat auch erzählt, dass sie zu zweit für alle Flüge zuständig sind. Also Fußnoten: Grüße an den BER und seine Subunternehmer. Bezahlt auch die Leute mal besser, stellt mehr Leute ein. Und schult die, verdammt noch mal, dass die nicht einfach nur Koffer ausladen können, sondern auch Menschen menschenwürdig und sicher aus Flugzeugen rausbringen können. Und also mein Freund und ich hätten eigentlich… Ach so, der hat dann auch noch mein Freund angeschrien und und gesagt, dass er für ihn nichts trägt – der Hinweis, dass mein Freund auch eine Beeinträchtigung habt, die übrigens auch nicht sichtbar ist, hat nicht so richtig viel gebracht. Also mein Freund und ich hatten beide hinterher das Gefühl so, wenn wir jetzt noch irgendwas gesagt hätten, irgendeinen Hinweis im Sinne von: „Entschuldigung, so geht das nicht“. Dann hätte der uns eine reingehauen. Also, wir haben uns wirklich körperlich bedroht gefühlt. Und so was erlebe ich zum Glück selten. Wobei ich so etwas wie: „Oh Gott, oh Gott, ich darf jetzt nichts mehr sagen, sonst kriege ich ja richtig… Sonst weiß ich nicht, ob der einfach meine Griffe nimmt und mich umkippt“ oder so, das hab ich schon öfter erlebt. Und das ist eben genau diese Abhängigkeit. Du bist körperlich einfach sowieso unterlegen, das ist völlig klar. Und du bist in der Situation einfach bestimmten Leuten ausgeliefert. Und das ist etwas, was natürlich alle Frauen, alle weiblich gelesene Personen, sozusagen die, die nicht in dieses männliche Spektrum von Stärke und körperlicher Agilität und so weiter da nicht reinpassen, was sie erleben – das ist nicht behinderungsspezifisch, aber Behinderung. Und weil dieses gendern sozusagen verstärkt das natürlich alles noch einmal. Und, dass ich jetzt mit meinen 49 Jahren einfach mittlerweile irgendwie so ein Selbstbewusstsein habe, in bestimmten Situationen dann doch etwas zu sagen und zu sagen: „Hey, stopp! Ich lasse mich von dir jetzt nicht tragen“. Aber andere Menschen, zum Beispiel Leute, die nicht gut Deutsch können – ich dachte irgendwann mal – ach du meine Güte, was ist denn, wenn hier die Touristen ankommt, die kein Deutsch kann, kein Englisch kann, was ja im BER häufig vorkommt, die die ist dem ja völlig ausgeliefert. Oder halt jüngere Frauen, Frauen mit Lernschwierigkeiten, die einfach dieses Selbstbewusstsein vielleicht einfach noch nicht so beigebracht bekommen haben. Was machen die denn? Die sind solchen Typen, sag ich mal, einfach ausgeliefert. Und das ist, so würde ich sagen, so die Alltagsgewalt, mit der wir uns herumschlagen müssen.

Karina:
Jetzt haben wir uns ganz viel quasi über die privaten ableistischen Erfahrungen ausgetauscht. Ich würde gern mal noch ein bisschen drüber reden – wir sind ja alle Journalistinnen, und Journalismus ist ja auch immer noch eine, sagen wir, meist sehr männerdominierte Domäne. 

Rebecca:
Absolut. 

Karina:
Amy, was hast du denn so im Journalismus erlebt in Richtung Ableismus?

Amy:
Also was hab ich nicht erlebt, ist vielleicht eher die Frage. Also ich muss sagen, ich hatte einfach, glaube ich, dass unfassbare Glück, dass ich bei einem Sender gelernt habe, der durchaus gewohnt… also, wo es einfach in Großbritannien ist, die Tatsache, dass es behinderte JournalistInnen gibt, schon relativ früh bekannt. Also, es gab schon welche in den Sechzigern,

Karina:
Die haben doch so ein Diversität Programm auch noch, habe ich letztens gelesen, 

Amy:
50, 50, 20, 12.

Karina:
Voll gut!

Amy:
Also es geht darum, 50 Prozent Männer, 50 Prozent Frauen, 20 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte, 12 Prozent Menschen mit Behinderung vor und hinter Mikro und Kamera. Und das finde ich einfach so unfassbar geil. Das gibt es noch nicht lange. Das gibt seit ein paar Jahren, aber die waren schon immer… also, ich erinnere mich 2011, als ich da Redakteurin war bei der BBC. Ich habe die Augen, die waren so offen, die sind mir fast aus gekullert, obwohl sie irgendwie fast blind sind, weil ich habe an jeder Ecke irgendeinen Menschen mit Behinderung gesehen, gehört und gesprochen. Ob jetzt irgendwie RollstuhlfahrerInnen, schwerhörige Menschen, taube Menschen, Menschen, die Lernschwierigkeiten hatten, Menschen mit Hirnlähmung, also wirklich auch unsichtbare Behinderungen, also, die liefen da überall rum. Und es war halt nicht nur, dass man die irgendwie an der Pforte gesehen hat, irgendwie so als RezeptionistInnen, sondern das waren teilweise auch Vorgesetzte. Das waren ganz normale RedakteurInnen. Was heißt „ganz normal“ –  also die waren halt regulär mit im Betrieb. Es war halt so, und es war für mich so: „Oh, geil, das kenne ich gar nicht“. Ich kannte das ein bisschen von vornherein. Ich hatte halt das Glück, dass ich das von Anfang an kannte. Ich glaube, wäre das nicht so gewesen, wäre ich heute keine Journalistin mehr, weil, ich habe schon bei meiner freien Mitarbeit bei 1Live damals, als ich mich beworben habe, habe ich eine Absage bekommen mit der Begründung: „Sie sind blind. Für so was haben wir keine Zeit“. Und ich eigentlich nur da rein gekommen, weil ich das einem befreundeten Plattenpromoter erzählt habe, der einen Musikredakteur bei 1Live kannte, der wiederum dem Musikchef das gesteckt hat und der dann meinte: „Boah, ich will die aber mal kennenlernen. Ich will der einfach eine Chance… ich finde es spannend. Wer ist die? Die ist bei BFBS?“ Und dann war ich auch noch irgendwie bei BFBS Music Events Co-Koordinator, also mit einem Kumpel zusammen. Und ich habe bei 1Live immer regelmäßig versucht, irgendwelche Präsentationen zu klauen und habe halt oftmals auch Interviews bekommen, wo 1Live dann auch keins bekommen hat. Und er wollte hält wissen: wer ist diese Frau? Wir haben uns super verstanden, dass es auch nach wie vor einer der Menschen, die ich auch als Ally sehe. Liebe Grüße, Stephan Laack, wenn du zuhörst! Und der hat mir damals die Chance gegeben, bei 1Live überhaupt zu arbeiten. Und es war auch so, dass ich einfach der bunte Hund war, auch schon in der Plattenindustrie für ganz viele damals am Anfang PlattenpromoterInnen/RedakteurInnen. Und es wurde wirklich, ohne Scheiß, es wurden dann im Flurfunk hinterm Rücken getuschelt. Also ich habe das dann später von Menschen gehört, die mir nahestehen. Also von wegen: „Ist das denn jetzt irgendwie rechtens? Zerstört das nicht den Eskapismus des Pop, wenn da jetzt eine Blinde irgendwie im Moshpit… und wenn die, überfordert die nicht die KünstlerIn, also, wenn dort, wenn die da so eine Blinde sehen mit ihrem Mikro, ist das nicht zu viel für die armen KünstlerInnen?“ Und ich war so: „Hey, was geht ab hier?“ Und meine BFBS-RedakteurInnen haben das überhaupt nicht verstanden, die so: „Häh….in welchem Land lebt denn ihr hier? Es ist halt Deutschland hier, ist ja jetzt nicht irgendwie, in weiß ich nicht, im hintersten Dschungel oder so“. Na, auf jeden Fall war es dann halt, dass ich dann auch im Volontariat Ähnliches erlebt habe, weil, ich glaube gar nicht mal, dass es… wirklich, ich sage das auch immer gerne, Ableismus ist gar nicht unbedingt immer gewollt. Ich glaube, Ableismus ist einfach unbewusst, weil wir das gar nicht aus unserer Kultur, aus unserem Leben kennen. Behinderung ist in Deutschland einfach viel zu wenig sichtbar und schon gar nicht in so einem Bereich wie Journalismus. Man hat immer so den Gedanken, naja, also Journalismus, das ist was für Menschen, die vollkommen funktionieren von vorne bis hinten. Und wenn jemand blind ist und wir nehmen ja jetzt… 80 Prozent irgendwie unserer Wahrnehmung läuft visuell, dann kann die ja gar nicht Journalistin sein. Und dann war das so: „Ja, also Fernsehen, das solltest du vielleicht eher nicht machen. Dann stehst du bei den Seminaren den anderen im Weg und mach das mal nicht“. Und auch wenn ich irgendwie gesagt habe: „Hey, ich würde voll gerne mal sechs Wochen oder so während des Volontariats nach Brüssel gehen, weil ich spreche halt viele Sprachen. Und wär voll geil, mal irgendwie EU-Korrespondenten über die Schulter zu gucken“. „Nein, das geht nicht. Du bist blind“ und so. Und Fakt war halt auch, es wurde wenig mit mir kommuniziert darüber, wie Dinge laufen sollen. Also auch meinetwegen Screen, also Equipement für mich, was ich brauche, um zu arbeiten, Bildschirm, Auslesegeräte. Und ich muss sagen, es war halt… ich glaube, das Schlimmste war dann so am Ende des Volontariats, wo dann eine Chefin eines Senders dann meinte: „Frau Zayed, wir haben eine Stellenausschreibung, da können Sie sich wirklich bewerben“. Und ich meinte: „Was ist das für eine?“ „Ja, da können Sie dann Musik in den Rechner einspeisen.“ Und ich so: „Brauche ich dafür ein abgeschlossenes Studium und ein Volontariat?“ Und sie: „Nein, aber sie sind doch blind, Sie brauchen einen Job.“ Und das war für mich der Moment, wo ich beschlossen habe, nein, ich werde hier nicht fest arbeiten, zumindest nicht, bis ich eine klare Ansage bekommen: Wir wollen dich, weil du eine gute Journalistin bist. Und ich war dann irgendwann auch nach dem Volo… ich war eine Zeit lang Freie. Ich war dann irgendwann so weit, dass ich dachte: Amy, du bist keine gute Journalistin. Du bist nicht gut, du bist schlecht. Also, du kannst gar nicht gut sein. Dann werde ich einigen meiner Freundinnen wirklich, werde ich denen nie vergessen, dass sich da einige auch mit mir hingesetzt haben, gesagt haben: „Amy, das ist Blödsinn tun. Du musst aber, wenn wir das von heute bis morgen erzählen, das musst du selbst verstehen. Versuch mal was anderes“. Aber das war der Moment, wo ich mich dann beworben habe für ein Stipendium in Großbritannien. Internationale Journalisten-Programme und hab gesagt: „Okay, Amy, wir machen jetzt die Probe aufs Exempel“, weil, ich war wirklich mental am Ende. Ich war, das muss 2008/2009/2010 gewesen sein, und ich war also so weit zu sagen, ich schmeiße alles hin und mach irgendwie eine Lehre als Bürokauffrau oder so. Und werd halt nicht glücklich. Aber ich bin es jetzt auch nicht. Und mein damaliger Mentor auch, der damals noch gelebt hat, mein Ziehpapa, Peter McDonagh, in London, der meinte: „Amy, ich habe dir von Anfang an gesagt, mach kein Volontariat in Deutschland. Du wolltest es unbedingt“. Und er hat mir halt auch gesagt: „Amy,…“ also es kam von ihm: „…bewirb dich jetzt bitte sofort für dieses Stipendium!“, weil ich war… so soll ich, soll ich nicht…? „Du schreibst mir in einer halben Stunde, wenn du dich beworben hast, schreibst du mir und wenn nicht, dann nerve ich dich so lange, bis du es tust“. Und ich vermisse ihn auch echt jeden Tag, weil dieser Mann – sein Bild hängt ja auch wirklich neben dem Bild von meinem Papa, weil er für mich auch den gleichen Stellenwert hat. Und ich habe mich beworben, bin auch genommen worden, erst ein Jahr später, weil sie mich beim ersten Mal auch nicht nehmen wollten, weil der damalige Chef meinte, das geht nicht, sie ist blind. Im Jahr später war dann ein anderer da, und der meinte: „Ne, sofort, weil von den Qualifikationen passt das“. Und dann war es halt auch erstmal so der Krampf… bei der BBC haben die halt überall Screenreader. Das heißt, ich muss gar nicht irgendwas mitbringen. Aber die aktivieren sie halt nur für Menschen, die da fest, frei oder fest Fest arbeiten. Und für so eine, weiß ich nicht, acht Wochen Hospitanz-Dings, machen sie das nicht, und ich habe halt versucht, damals auch mit der IOP zusammen, Sponsoren zu finden. Und da kamen dann halt auch, nicht nur bei mir, sondern damals auch bei meinen StipendiengeberInnen, also wirklich so etwas wie: „Blind und Journalistin. Sie wollen uns verarschen!“ Hörer aufgelegt. Das kam also auch sowohl vom Inklusionsamt, also, kam halt nichts. Also, ich meine, wir reden jetzt von 2011, das ist schon ein bisschen länger her. Und dann war aber mein Chef, der wusste nichts von alldem, rief mich an. Also mein Chef bei Six Music, bei BBC Radio Six Music. Der meinte: „Amy, ich habe gerade echt ein Problem.“ und ich dachte, Okay, der sagt jetzt alles ab. Er meinte: „Ich habe wirklich ein Problem. Und zwar sind mir jetzt zwei Redakteurinnen schwanger geworden.“ und ich dachte, Okay, der sagt jetzt, ich habe keinen Platz für dich. Ich muss jetzt irgendwie gucken, dass ich Ersatz finde. Und er meinte dann auch: „Ja, und ich muss Ersatz finden. Ganz ehrlich, ich habe nicht viel Zeit, und ich muss jetzt nach irgendwem suchen, der die Qualifikation hat, und du kommst jetzt eh für diese acht Wochen. Kannst du nicht einfach dieses Stipendiaten-Geld nehmen, und dir damit irgendwie, keine Ahnung, Klamotten kaufen? In eine Kneipe gehen, weiß ich nicht. Ich schicke dir jetzt einen Vertrag, unterschreibt den und bleibt dreieinhalb Monate. Ist das für dich eine Option?“ Und ich so: „JAAAAAA!“ Und ja, und es war halt wirklich für mich die Offenbarung. Als ich dann da war, wurde mir bewusst, Okay, du bist vielleicht nicht die Begabteste aller JournalistInnen auf Gottes Erdboden. Ja, du bist nicht Gottesgabe an den Journalismus. Aber so Scheiße bist du jetzt auch wieder nicht, das hat nichts mit dir zu tun. Das hat schlichtweg was mit Ableismus zu tun, der in Deutschland passiert. Und eigentlich war es halt so, ich bin wiedergekommen und dachte: Wisst ihr was, ihr könnt mich kreuzweise. Ich packe mein Zeug und gehe nach England. Aber dann bin ich leider sechseinhalb Jahre krank geworden. Aber ja, also, das war so meine… mittlerweile kann ich damit anders umgehen, auch weil ich das weiß. Aber das war für mich am Anfang echt auch ein Lernprozess.

Karina:
Ich finde es total spannendes, dass du das erzählst, ich war gerade in England und war am Set von „Coronation Street“, was die Daily Soap schlechthin ist.

Amy:
Ach, cool!

Karina:
Ich fand es so spannend, weil die haben mehrere Schauspieler mit Behinderung, die auch gespielt werden von der Person mit der tatsächlichen Behinderung. Und die Behinderung ist Thema in der Show, aber nur halt so beiläufig. Also halt, wie das für eine behinderte Person auch ist, es ist nicht die Main Storyline. Und die Writer, also die, die die Storys schreiben, sind selber Menschen mit Behinderung, sodass es sehr authentisch ist. Ich stand nur da, dachte mir, was in der Daily Soap und das funktioniert hier? Also, wieso geht das hier und nicht anderswo…

Amy:
Was wie die „Heiland“, was irgendwie richtig richtig fremdschäm mäßig schlecht ist.

Rebecca:
Ja, allerdings.

Lachen

Amy:
Tschuldigung…..Tschuldigung….

Rebecca:
Ich weiß, was du meinst, Amy.

Karina:
Ja, Rebecca, erzähl mal von dir, gibt es denn behinderte WissenschaftlerInnen?

Rebecca:
Also, vielleicht noch einen Satz, ich habe ja zur gleichen Zeit wie Amy ein Volontariat gemacht, und ich dachte die ganze Zeit…Ja, Ja, Ja – genau – kenn ich, kenn ich!

Karina:
Ich glaube, das ist nicht anders jetzt, oder?

Rebecca:
Das ist so, das würde mich wirklich mal interessieren, weil, wie gesagt, das ist schon ein bisschen her. Vielleicht kann man so ein bisschen so zusammenfassen – also erst mal ganz kurz zum Thema Ableismus. Natürlich passiert das unbewusst, also Ableismus ist nicht intendiert oder in den seltensten Fällen. Das trifft für alle Ungleichwertigkeits-Ideologien zu, dass sie einfach in unseren Köpfen verankert sind, in allen Köpfen, ohne dass wir das sozusagen bemerken. Das ist ja gerade das Perfide, was ja auch mit Privilegierung zu tun hat. Dass wir das gar nicht mitbekommen. Und das ist sozusagen der Sinn von Sensibilisierung, das erstmal bewusst zu machen. Und die Leute haben halt riesige Normalitätsstandards im Kopf, denen wir genügen müssen. Und ich glaube, im Journalismus sind die wirklich sehr hoch. Also in meinem Fall war natürlich auch Mal: „Eine kleinwüchsige Rollstuhlfahrerin, wie soll das denn gehen?“ und so. Aber ich muss sagen, es gab ganz unterschiedliche KollegInnen, also auch in meinen Praktika vorher, in meinen freien Mitarbeiterverhältnissen. Und bei Radio Bremen, es hat wirklich sehr, sehr gemischt, gab viel Unterstützung auch. Aber es gab eben auch sehr viel Skepsis, vor allen Dingen in der Chefetage. Und bei mir war das so. Also, genau, ich fand das spannend, was du gesagt hast, was zu finden, dass dich England so gerettet hat. Ich glaube, so etwas hätte ich auch gebraucht. Bei mir hat das nämlich irgendwann echt angefangen, dass ich gedacht habe, Okay, dann bin ich wohl schlecht. Weil das auch wirklich so dieser Talk war immer damals. Also ja, wenn du es nicht schaffst, dann liegt es an dir. Und ich glaube allerdings, dass die Barrieren und sozusagen die Glasdecke für mich noch mal höher waren als für andere Leute. Weil, also, ich hatte wirklich das Gefühl, ich muss mich da total abstrampeln, um spannende Sachen zu machen und so dieser Unterschied zwischen dem alltäglichen Zeitdruck und Stress und dem, was ich inhaltlich machen durfte, war einfach sehr hoch und hat mich irgendwann sehr unzufrieden gemacht. Und genau, das wollte ich noch sagen, also, ich glaube, dieser Punkt ist, ich glaube, ich wäre dann dort klargekommen, wenn ich so ein 150 prozentiges Selbstbewusstsein gehabt hätte. Also wenn ich wirklich immer so aufgetreten wäre, so: Hey, ich mache das euch, kein Problem, hier gibt mir, so, hier, ich mache das alles in 10 Minuten fertig… und, gar kein Problem. Vielleicht wäre das einfacher gewesen. Also soll jetzt nichts heißen, dass das immer alles problematisch war. Es gab auch Zeiten, die sehr, sehr nett waren und so gut gelaufen sind, aber genau. Aber dieses Selbstbewusstsein hatte ich halt nicht. Also ich war damals so, das war ja zu Beginn meiner sozusagen festen Berufstätigkeit, einfach auch sehr unsicher und bin damit ganz transparent umgegangen. Ich habe auch gesagt so: Oh, weiß ich nicht, ob ich das kann, traue ich mir nicht zu … so ganz schlecht die Idee als Berufsanfängerin, weiß ich jetzt auch. Aber, ich hätte eigentlich irgendwie so Empowerment gebraucht und mehr Leute, die gesagt hätten: „Ey, wir wollen, dass du das machst – du kannst das – hier… so. Und ich glaube, da kommt so ein bisschen der Gender-Aspekt rein, glaube ich, weil Frauen und Mädchen werden ja oft so erzogen, dass sie so ausgleichend sein sollen, dass sie nicht so wahnsinnig selbstbewusst auftreten sollen. Das sorgt ja, wenn Frauen selbstbewusst und stark auftreten, sorgt das oft eher für Irritation, während das bei Männern völlig selbstverständlich ist. Die haben so eine Art Entitlement so: Hier komme ich – kein Problem. Ich kann alles! So ungefähr. Und das ist natürlich vielleicht für behinderte Männer dann oft, oftmals einfacher, weil die einfach diese… also man sagt in der Forschung auch so: patriarchale Dividende mitbringen sozusagen. Also die haben so ein bisschen diese Privilegien als männlich sozialisierte Menschen bringen sie mit, und das hilft ihnen im Ausgleich von diesen ganzen ableistischen Stereotypen, denen sie gegenübertreten. Und ich hatte das eben nicht. Und ich habe dann halt irgendwann gedacht: Nee, also, das gebe ich mir nicht auf Dauer, um damit wirklich fest meine Brötchen zu verdienen. Ich mache das nebenbei und suche mir einen anderen Hauptjob. Und, ja, und das „nebenbei“ ist schwierig unter einen Hut zu bringen. Und jetzt kriege ich die Kurve zu deiner Frage nach Wissenschaft…..sorry!

Aber ich musste das grad sagen, weil letztlich ist das natürlich das Gleiche, die gleiche Dynamik in der Wissenschaft, ne, die Leute, also auch in der Wissenschaft, sind so am besten 150 prozentig selbstbewusste Menschen gefragt, die sich gut verkaufen können, die auch irgendwie mobil sein können und auf jede Konferenz fahren und irgendwie am Wochenende noch das xte Paper fertig schreiben und am besten in vier Jahren ihre Promotion durchgezogen haben und so weiter und das sind alles Dinge, die für behinderte Menschen schwierig sind. Nicht nur für behinderte Menschen, auch für Menschen mit Sorgeverantwortung. Chronische Krankheiten kann man im Grunde auch zu Behinderungen zählen, je nachdem, wie man es nennt. Bei mir war es so, dass ich tatsächlich einfach sehr viel Glück hatte, weil ich eben schon sehr lange in diesen Disability Studies Netzwerken bin. Und ich habe sozusagen … also da war es wirklich so ganz anders als im Journalismus, wo ich sozusagen immer dankbar sein musste, dass ich da arbeiten darf. In den anderen Bereichen, in denen ich gearbeitet habe, vor allen Dingen im Disability Studies Bereich, war es eher so, die Leute haben gesagt: Ey, wir brauchen dich, komm, komm zu uns und mach das! Also eigentlich eher so offene Arme. 

Aber das ist natürlich, glaube ich, untypisch also, wenn man sich da von Null auf hocharbeiten will und so… auch sehr schwierig in der Wissenschaft. Es gibt dazu leider keine genauen Zahlen, auch nicht nach Gender sortiert, sozusagen, wird es bisher nicht gemessen, aber natürlich gibt es superwenig behinderte ProfessorInnen, also, ich meine nicht FH-Professoren, das ist noch mal ein bisschen was anderes als eine Uni-Professorin, wo man noch mehr auffahren muss an Veröffentlichung, was weiß ich, bei einer FH-Professur musst du auch Praxiserfahrung haben, das ist da wichtig, das hatte ich nun mal, aber das ist einfach sehr, sehr selten und ich glaube bei mir einfach eine Kombination aus, tja, zur richtigen Zeit am richtigen Ort und einfach auch, dass es da wirklich gerade Bedarf gab, auch nach einer Person, die fachlich qualifiziert ist und selbst eine Behinderung hat, weil das ist eben bei den Disability Studies auch wirklich wichtig, dass man Behinderungsserfahrungen, die eigenen, aber auch die von anderen behinderten Menschen, als Ausgangspunkt der Forschung mitbringen kann. 

 Karina:

Meinst du so ein Projekt wie Leidmedien, ich weiß ja, du hast Leidmedien mitgegründet, anfangs. Zur Erklärung: Leidmedien ist ein Projekt, das eigentlich für JournalistInnen ohne Behinderung ist oder eigentlich für jeden, der sich mit Behinderungen beschäftigen will, und wo es nützliche Tipps gibt.  Aber meinst du, das kann helfen, JournalistInnen zu schulen, also so, dass die quasi in relativ kurzer Zeit ein bisschen verstehen, wie man Menschen mit Behinderung eigentlich gut repräsentiert?  

Rebecca:

Ja, theoretisch ja, wenn sie es denn nutzen, wenn sie auch mal reinkucken. Ja also, ich glaube, dass Leidmedien damals sehr viel bewirkt hat. Wir waren alle damals wirklich selber überrascht davon, wie das eingeschlagen hat und dass … also ich habe da auch versucht, so ein bisschen mein disability studies Wissen reinzuholen, in die Texte, in das Konzept und ich glaube das und dass wir halt sehr geschickt und gut daran sind, zur richtigen Zeit Kampagnen zu machen, hat das halt dann sehr gut funktioniert, damals 2012. Und es hat ja nicht nur JournalistInnen beeinflusst, sondern einfach ganz viel Aufklärung zu Sprache und Behinderung gemacht. Also es war ja in erster Linie ein Portal zum Thema Sprache, aber an Sprache hängt ja ganz viel. Also in den Wörtern drücken sich ja gesellschaftliche Verhältnisse aus und ich glaube, dass Leidmedien darin ein echter Katalysator war, irgendwie auch Debatten so zu all diesen Themen anzuregen, und es freut mich total, dass das so gut geklappt hat. Aber ob jetzt zum Beispiel eine Journalistin oder ein Journalist, die gerade das Thema Behinderung auf dem Tisch liegen haben, ob die sagen: „Oh, da gibt es doch diesen Leidmedien-Ratgeber, da schau ich mal rein“, weiß ich nicht, also eigentlich … ich meine, das machen die Leute von Leidmedien und da bist du ja auch teilweise noch dabei. Also ich sag mal, das macht ihr ja auch, dass ihr Schulungen macht, und ich glaube, das wäre eigentlich, also das ist, glaube ich, das Allerwichtigste, dass Leuten im Volontariat, JournalistenschülerInnen, einfach Schulungen zu Diversität und eben auch zu Behinderungen bekommen und da einfach einen anderen Blick bekommen und das würde sich auswirken, sowohl darauf, wie sie schreiben, wie sie Berichte machen, aber auch vielleicht auf so eine Idee, hey, man könnte auch mal eine behinderte Kollegin haben, und ich könnte als Chefredakteurin vielleicht auch einmal jemanden mit Behinderung beauftragen oder einstellen. 

 Amy:

Wobei man da halt auch wieder aufpassen muss, finde ich, also ich merke das halt selber total extrem, dass man dann halt immer auch gerne auf die behinderten Themen reduziert wird, also, da muss man halt auch aufpassen und ich bin halt auch mittlerweile auf dem Punkt, wo ich dann auch ablehne, wenn ich das Gefühl habe, das ist mir jetzt gerade too much, und: Leute, ich bin Musikjournalistin und Kulturjournalistin und ich mache gerne mal ab und an Thema zum Thema, also irgendwas zum Thema Inklusion, biete das auch selber oft an, wenn ich das Gefühl habe, es lohnt sich, oder ich finde es gut, ich möchte darüber berichten, das ist mir jetzt gerade ein Herzensthema, aber ich bin… also ich habe oft den Eindruck, dass im Moment … und das muss ich jetzt einfach sagen, weil ich merke… du hast gerade auch noch mal, Karina, du hast gerade gefragt, wie es denn wohl heute wäre. Ich kenne tatsächlich ein paar neuere JournalistInnen, KollegInnen, die jetzt halt neu dazukommen, und ich merke immer mehr, dass auch ich und diese KollegInnen so ein bisschen in die Schiene geschubst werden: „Macht doch Inklusionsthemen oder noch besser, gehe doch eher in den Inklusionsbereich und lass uns in Ruhe“. Und da muss man halt irgendwie… und da muss man halt aufpassen, als JournalistIn, dass man sich selbst dessen bewusst ist: Was will man? Also für mich war das irgendwie ganz klar: Ich möchte nicht hauptsächlich mich den ganzen Tag mit dem Thema Behinderung beschäftigen. Das heißt nicht, dass ich mich nicht gar nicht damit beschäftigen will. Aber ich möchte jetzt nicht Inkluencerin sein oder irgendwie Inklusionsfrau, weil mich das einfach mental zu sehr einengt und auch belastet nach einer gewissen Zeit und ich will mich da auch nicht reinschubsen lassen. Und viele lassen sich da rein schubsen, einfach auch aus der Not, weil du sonst einfach kein Geld verdienst. 

 Rebecca:

Nein, vielleicht ganz kurz. Das meinte ich damit auch gar nicht, dass man… ich meinte einfach generell, dass man Leute mit Behinderung einfach als JournalistIn wie alle anderen beauftragen muss. 

Am: 

Absolut!

Ne, ne, du hast vollkommen recht, da bin ich ganz bei dir.  

Rebecca:
Vielleicht auch noch mal einen anderen Punkt. Also vielleicht gibt es auch teilweise wirklich mehr JournalistInnen mit Behinderung, als wir denken, weil ja eben viele Behinderungen einfach unsichtbar sind und tatsächlich leider im Journalismus durch diese Stigmatisierung viele auch nicht drüber reden. Also ich habe bei Radio Bremen damals eine Menge Leute gekannt, die mir hinter vorgehaltener Hand von ihren Behinderungen erzählt haben und die aber das nicht sich getraut haben, öffentlich zu machen, genau wegen dieser Stigmatisierung. 

 Karina:
Es ist auch übrigens so, … Also ich habe mich natürlich relativ bewusst dafür entschieden, gerade in dem Bereich irgendwie Repräsentationen zuzugeben, aber selbst, wenn man es sich quasi dieses Nischenthemas, so ein bisschen als quasi seine Expertise zurechtlegt und sich als Journalistin auch so quasi nach außen hin präsentiert, selbst dann wird einem die Kompetenz dafür abgesprochen, von anderen nicht behinderten JournalistInnen.

Amy:
Aber das macht ja gar keinen Sinn.

 Karina:

Also, das ist echt für den Arsch. Ich habe auch schon… Ich habe Artikel geschrieben, die dann quasi von halt… die wurden redigiert und dann waren da auf einmal ganz viele Worte drin, wie „leidet unter“, „Rollstuhl gefesselt“ und diese ganzen halt Stereotypen und ich habe mich natürlich darüber beschwert, weil das so in den Druck gegangen ist mit meinem Namen darunter, ohne dass ich das noch mal zu sehen gekriegt habe, was natürlich jetzt nicht unbedingt gut für meinen Ruf ist. Das ist mehrfach passiert, ich habe auch auf Leidmedien verwiesen, unter anderem hat auch keiner draufgeguckt, und das Ende vom Lied war, dass mir der Chefredakteur gesagt hat, dass die Kollegen, und ich sage bewusst Kollegen, weil das waren alles nur Männer, es unangenehm finden, mit mir zu arbeiten, weil ich würde mich die ganze Zeit beschweren.  

Es war nicht so, als hätte ich mich über Dinge beschwert, also nicht über Kleinigkeiten, sondern es waren wirklich Fakten.  

Amy:

Die tun mir aber leid…

Karina:

Und ich habe echt, ich dachte, ich bin im falschen Film. Ich wusste nicht mehr, was ich dazu sagen soll, es war richtig schlimm und zur Belohnung, weil ich mich dann furchtbar darüber aufgeregt habe, dass sich dann auch noch die ganzen weißen Männer im Alter von 50+ und so sich dahingesetzt haben und gesagt haben: Wir reden mit dieser Frau nicht, die motzt zu viel, bin ich natürlich relativ harsch geworden, und dann als Belohnung haben sie einen meiner Artikel auf einen Wettbewerb eingeschickt…. Danke…Herzlichen Glückwunsch. 

Gut, jetzt haben wir viel über Ableismus, Sexismus und diese Zusammenhänge gesprochen. Ich würde gern, weil das auch oft untergeht, ein bisschen auch noch über andere Intersektionen reden, weil, was ist denn zum Beispiel, wenn auch noch Rassismus dazu gehört? Und ich weiß, dass Amy da viele verschiedene Erfahrungen hat, von denen Sie vielleicht erzählen möchte. 

 Amy:
Ja, ich hatte gerade halt schon erzählt, so dieses erste Vorstellungsgespräch, was ich schon sehr strange fand, aber allgemein auch… Es ist halt so… Ich bin mal irgendwann so bei Kleinigkeiten… Ich bin in Dresden ausgestiegen aus dem Zug und wollte wissen, wo es zum Taxistand geht, und ein Typ guckt mich an, sagt nur irgendwie: „Okay, Leute wie dich hätten wir vor 70 Jahren vergast“ und thanks a million, das war halt in dem Moment erst mal so: Öh! Weil damit rechnest du nicht. Aber auch so Sachen wie: die sehen deinen Namen, die sehen, dass du eine Behinderung hast, dass du auf dem Amt gefragt wirst: „Sie sind doch… wie ist denn das mit Ihrer… wann waren sie denn das letzte Mal beim Jobcenter?“ Und dann fragst du: „Häh, ne wieso Jobcenter? Ich bin berufstätig“ – „Ach so, ja. Mm.“ Weil sie sehen, behindert, woman of colour, also musst du ja irgendwie arbeitslos sein, so, weißt du? Und solche Sachen sind so Alltagsgeschichten, die passieren einem halt immer mal wieder, aber man denkt da nicht drüber nach, weil es einfach so mittlerweile schon zum normalen Alltag gehört, aber auf der anderen Seite auch so ein bisschen dieses auf dem Präsentierteller sein, also als Kind… Ich bin in so einem kleinen Kaff groß geworden, mittlerweile ist es schon ein bisschen größer das Kaff, das ist zwischen Paderborn und Bielefeld, und ich erinnere mich halt, wir waren so die Ausländer, die Nichtklischee-Vorzeigefamilie, weil, mein Vater war Apotheker, der war der Dorfapotheker, und wir, also meine Eltern stammen aus Kairo ursprünglich, und meine Eltern kommen beide aus einem diplomatischen Background und dann hatten die ein blindes Kind und das war halt alles sehr, sehr neu und sehr aufregend und sehr spannend und wir waren wirklich gefühlt jede Woche irgendwie auf irgendeiner Veranstaltung, wo wir dann irgendwie gefilmt oder fotografiert wurden, damals halt noch mit diesen alten Kameras, oder in irgendeiner Rundschau waren, oder man hat meinen Vater zu irgendwas eingeladen, wo er sprechen musste, so: „Hah, ist das nicht toll? Bla blub…“ und ich muss sagen, auf der einen Seite hat mich das gelehrt, ich glaube, das waren so meine ersten Erfahrungen mit Öffentlichkeitsarbeit wahrscheinlich, auf der anderen Seite hat es auch so ein bisschen… Also ich glaube, da wurde mir klar: ich bin eine Rampensau, ich kann das. Aber auf der anderen Seite war es halt auch irgendwo so ein Punkt, wo meine Eltern gesagt haben, jetzt ist aber auch ein Schlussstrich. Warum muss eigentlich unsere vierjährige Tochter auf jedem Pfarrfest da jetzt irgendwie possieren? Muss das eigentlich sein? Und wie gehen wir damit um? Und ich glaube, dass, wo ich dann älter geworden bin, hat mich das so ruppig gemacht, weil du irgendwann auch die Schnauze davon voll hast, dass dich jeder fragt: „Warum bist du eigentlich blind? Wo kommst du eigentlich her? Reiten die Leute in Ägypten auf Kamelen? Warum trägt deine Mutter eigentlich keine Burka und ist so modern gekleidet?“ 

Du bist du dann irgendwie so: Boh, fuck off, ey….Entschuldigung… kein Bock mehr. Und auf der anderen Seite aber auch… ich war gerade auf der Grundschule, das war noch eine Blindenschule, hatte ich halt ganz viele Mitschülerinnen, also auch gerade Mädchen, die halt auch Migrationshintergrund hatten, die… wo die Eltern dann teilweise halt wirklich kein Deutsch konnten und man als… Die Lehrer waren dann halt auch so, dass sie dachten: „Deine Eltern können auch kein Deutsch“ Und dann war das immer so, dass man sich so ein bisschen dafür geschämt hat: „Gottseidank sind meine Eltern nicht so. Gottseidank sind meine Eltern nicht so.“ Und dazu kam halt noch so ein traumatisches Erlebnis mit sechs. Ich war halt, als ich eingeschult wurde, noch nicht so richtig firm mit meinen beiden Sprachen. Also, ich bin deutsch – arabisch aufgewachsen und ich habe echt wunderbar die Sprachen zusammengeschmissen. Also ich dachte, alle verstehen alles, aber nur ich habe verstanden, weil die Lehrer natürlich des Arabischen nicht mächtig waren. Und ich kam in diese Klasse und es waren irgendwie, ich glaube sechs oder sieben oder acht SchülerInnen und es war halt so: Da waren einige lernbehinderte Kids dabei und der Lehrer war, glaube ich, mega überfordert und es war dann irgendwie so: Der eine schmiss seine Trinkflasche durch die Gegend, die andere warf ihre Blockflöte durch die Gegend, der dritte fing an zu schreien. Und irgendwann war es mir dann zu viel. Ich bin dann aufgestanden, dachte ich: Geh mal raus, guck dir mal die Welt da draußen an. Und dann, irgendwann, haben die Lehrer… hat der Lehrer das geschnallt und ist dann mit einer anderen Lehrerin hinter mir her, haben mich dann auch gefunden und die Frau hat mich relativ feste angefasst. Ich habe dann angefangen zu schreien und mich zu wehren und dann hat die Frau mir wirklich mitten ins Gesicht geschlagen. Die Lippe hat voll geblutet und dann meinte der Lehrer zu ihr… also ich weiß es noch, ich meine, ich war sechs, das heißt, ich konnte natürlich, ich konnte natürlich auch beide Sprachen, aber ich dachte, alle verstehen mein Kauderwelsch aus beiden, also ich habe alles verstanden, so. Und der eine Lehrer meinte dann zu ihr: „Ja, aber wenn die Eltern, die können uns jetzt echt Stress machen“ Und da hat sie geantwortet: „Nein, die können ja wahrscheinlich eh kein Deutsch“ Und sie wunderte sich dann, dass drei Tage später beide meine Eltern, also wirklich zu zweit auf der Matte da standen und sowohl diese Frau als auch den Direktor so dermaßen zur Minna gemacht haben. Und mein Vater meinte auch wirklich: „Ohne Scheiße. Ich gehe zur Presse. Ich gehe zur Politik. Ich mache das öffentlich, wenn es nochmal vorkommt. Seid bloß froh, dass ich das jetzt schon nicht mache und diese Frau fasst meine Tochter nie wieder an.“ Und dann, ja, und dann wann war, glaube ich, gut. Und das war aber für mich dann auch später so dieses: Ich möchte nicht eingestuft werden als jemand, der das oder jenes nicht kann. Und ich glaube, es hat echt ein bisschen gebraucht, bis ich dann so im Teenageralter war, dass ich für mich entschieden habe: So, okay, es ist absolut in Ordnung, beides zu sein. Es ist vollkommen fein, blind zu sein, aus Paderborn zu sein, aus Kairo zu sein, und diese ganze Mischung ist fein. Und es ist auch in Ordnung zu sagen, ich möchte gerade auf diese Frage nicht antworten. Oder ich möchte darauf antworten, es ist eine Frage, die ich entscheide, ob ich antworte oder nicht. Ich würde niemals jemandem eine Frage verbieten. Also es gibt halt viele AktivistInnen, die die ganze Zeit erzählen, was man alles nicht fragen soll. Ja, ich denke dann immer journalistisch und sage so: Ja, das Problem ist, wenn wir anfangen, Fragen zu zensieren, sind wir irgendwann im Kreml. Weil dann können sich auch die Rechten irgendwann trauen und sagen: „Nein, die Frage darf man jetzt auch nicht mehr stellen.“ Man darf jede Frage stellen, aber man muss auch als behinderte Frau, glaube ich, gerade als Frau, lernen, zu sagen: „Nein, ich beantwortete diese Frage nicht, die ist so dumm und die ist so ableistisch und die ist so rassistisch, ich muss die nicht beantworten.“ 

 Karina:

Gut, dass du das für dich schon gelernt hast über die vielen Erfahrungen. Ja, jetzt haben wir ganz viel über ganz, ganz viele negative Erfahrungen gesprochen. Ich wollte gern zum Schluss von diesem Podcast dann auch noch ein bisschen über empowernde Sachen sprechen. Was hättet ihr euch denn gewünscht? Wie hätte man euch quasi besser unterstützen können als Journalistinnen, als Wissenschaftlerinnen, um das irgendwie besser zu machen oder einfacher.  

Amy:
Wer fängt an? 

Rebecca:

Ich würde gerne noch mal das Thema Intersektionalität aufgreifen, weil man eigentlich an Amys Geschichte ganz gut sehen kann, wie halt verschiedene Dimensionen zusammenwirken und sozusagen Behinderung und Geschlecht und noch andere Dimensionen nicht einfach nur additiv wirken, also im Sinne von… früher hat man doppelte Diskriminierung gesagt, sondern es einfach mehrere Dimensionen sind, die halt auch immer wieder eine neue Form von Diskriminierung ergeben können. Also deswegen spricht man eben von Intersektion. Und ich würde sagen, sowohl bei Dir, Amy, als auch bei mir ist das Thema Klasse einfach relevant, weil wir das Glück hatten, dass wir Eltern hatten, die über Bildung verfügt haben, auch aber so etwas wie symbolische Macht. Also, Stichwort… weiß ich nicht, ich spekuliere jetzt. Aber sowas wie diplomatischer Dienst, der gibt dir schon ein bisschen Selbstbewusstsein, zu sagen: Hey, so wird mit meiner Tochter nicht umgegangen. Ja, und das ist eben was, was dann in diesem ganzen rassistischen Diskurs ja nicht vorkommt, weil davon ausgegangen wird, rassistisch marginalisierte Leute sind machtlos, ja? Mit denen können wir es machen, sozusagen. Und… also das und… also bei mir war es eben so, also ich meine, ich komme jetzt aus keinem besonders privilegierten Haushalt oder so, ich bin auch die Erste, die promoviert hat, meine Eltern haben auch nicht studiert und so weiter und so fort. Aber trotzdem gab es immer Bildung bei uns. Es gab immer Interesse an Bildung. Bildung wurde immer gefördert und es war meinen Eltern ganz, ganz wichtig, dass ich eine gute Schulausbildung hatte, dass ich Abitur mache, dass ich studiere. Und die wussten eben auch, wie sie mir das ermöglichen können. Also ich habe… Also damals war es völlig klar eigentlich, dass man als Kind mit Behinderung auf eine Sonderschule eingeschult wird und meine Eltern haben das erkämpft, dass ich auf eine Regelschule gekommen bin als ganz, ganz großer Ausnahmefall in der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin. Und so ging es weiter. Also ich habe einfach sehr viel… also, ich habe zum Beispiel ein Auto, also ich habe mit 19 Führerschein gemacht und das hätte ich auch ohne meine Eltern, das hätte ich alleine nie geschafft. Und das sind halt so Sachen. Also das ist insofern… Ich habe auch sozusagen durch diesen Stand der Klasse wiederum Vorteile gehabt oder Privilegien, wenn man so will. Also das ist immer so eine Mischung. Und jetzt zu deiner Frage: was wünsche ich behinderten Menschen? Also ich kann Ihnen ja nicht sagen, ich wünschte ihnen allen einen Doktortitel, oder so… Ich merk das schon, zum Beispiel mein Doktor steht auf der Gesundheitskarte drauf, und es ist ein Unterschied Tag und Nacht, wie Ärzte mit mir umgehen, das ist unglaublich. Und es ist so. Ich wünsche natürlich allen Bildung und so weiter und sofort. Aber vor allem wünsche ich Mädchen und Frauen mit Behinderung, letztlich allen… behinderten Kindern… Erwachsene, die ihnen zeigen, dass ihre Grenzen wichtig sind und dass sie Rechte haben. Also, dass sie sich nichts gefallen lassen müssen, dass sie es wert sind, mit Respekt unterstützend und liebevoll behandelt zu werden und dass sie Nein sagen dürfen. Dass ihr Körper ihnen gehört und dass niemand irgendetwas mit ihnen machen kann über ihren Kopf hinweg. Und ich glaube, das ist letztlich egal, was für einen Hintergrund oder Bildung und so weiter man da hat. Das kann man Kindern.. alle Leute können das Kindern vermitteln, alle Erwachsene. Ja, und ich meine, das ist jetzt total einfach, aber man kann es nicht oft genug sagen. Wir brauchen einfach eine Gesellschaft, in der Inklusion wirklich mal Realität wird, in der einfach mal die UN-Behindertenrechtskonvention ernst genommen wird. Alle Artikel, die da aufgeschrieben worden sind. Da gibt es übrigens auch einen Artikel, speziell zum Thema Frauen und Mädchen mit Behinderungen: Gender. Das steht eigentlich alles drin, so, es wird nur noch nicht umgesetzt und, ich glaube, wenn das mal ernst genommen würde, dann würden auch die Lebenswege auch von Frauen, Mädchen, intersexuellen Menschen mit Behinderungen, non-binary, einfach anders aussehen, als sie jetzt aussehen. 

 Karina:

Amy, was meinst du, können wir als quasi behinderte Menschen in einer auch privilegierten Situation, weil wir haben ja gerade hier eine Plattform eigentlich, über die wir sprechen können, können wir irgendwas machen, um andere behinderte Menschen zu supporten, zu empowern, also Frauen mit Behinderung explizit? 

 Amy: 

Also, ich glaube, ein wichtiges Stichwort ist Mentoring. Ich hatte das unfassbare Privileg, einen nicht behinderten, aber einen unfassbar guten Mentor gehabt zu haben, von dem ich ja gerade schon gesprochen habe. Peter McDonagh war ein Ausnahmejournalist für mich. Persönlich, er ist in Berlin geboren und aufgewachsen, englische Eltern, Vater war beim MI6, hat in Oxford studiert, total durchgeknallter Typ, der hat eine Biografie geschrieben „Me and thirteen Tanks“, falls die jemand mal lesen möchte. Und er war damals… für ihn, weil ich die erste blinde Person, mit der er eng irgendwie Kontakt hatte und er hat mich kennengelernt, da war ich noch ein kleines Mädchen, da war ich 14, und er hat mich unfassbar empowert und zum Beispiel auch dieses Thema: Wie gehe ich damit um, mit meiner Intersektionalität und so? Das war halt auch dadurch unter anderem, weil er mir diese Frage gestellt hat. So: „Warum ist es jetzt wichtig, was andere denken? Du musst doch wissen, wer du bist.“ Und wenn ich dann gesagt habe: „Na ja, aber irgendwie… muss man denn sagen woher man kommt oder ist es wichtig?“ „Es kommt vor allem an, wie wichtig es dir ist. Hauptsache, du verleugnest dich nicht, weil weißt du, damals, im vierzehnten Jahrhundert oder noch früher, vor 2000 Jahren oder vor 4000 Jahren, waren wir in Europa noch vollkommen unterbelichtet, und in Ägypten, da wo du herstammst, da  haben Pharaonen schon Skalpelle benutzt, also sei dir bewusst, dass beides cool ist.“ Und ich brauchte jemanden, der mir das sagt. Ich brauchte jemanden außerhalb meiner Familie, der mir dieses Gefühl gibt: „Du bist so gut, wie du bist, und du kannst Dinge erreichen, lass dir nicht sagen, was du nicht kannst, sondern finde das bitte selber raus, auch im Journalismus.“ Also, der mich auch unfassbar gefördert und gefordert hat. Also wenn man bei dem in die Schule gegangen ist, dann weiß man irgendwie… ich sage nur: Sprechtraining. Ich habe Englisch gelernt in der Schule. Also der Typ hat so lange an mir gedeichselt, bis ich ja, ich glaube, ich geh ab und zu auch schon als Engländerin durch. Also man braucht Mentoring. Und was ich persönlich im Moment versuche, um jetzt auf deine Frage zu antworten, ist genau das zu sein. Ich habe im Moment einen jungen angehenden Journalisten im Studium, der auch blind ist. Liebe Grüße, lieber Julian Franke, falls du zuhörst, den ich, den ich versuche, nach Herzenskräften zu unterstützen, weil ich einfach in ihm Talent sehe und hoffe, dass er das nutzt für sich, weil, ich kann halt nur anstoßen und den Rest macht er schon selber. Aber das ist mir wichtig, Menschen zu fördern und denen irgendwie, wenn ich das kann, egal ob Junge oder Mädchen oder cis oder non-binary, das ist eigentlich vollkommen wumpe. Aber natürlich in Frauen noch ein bisschen in einem stärkeren Sinne, weil die, glaube ich, es noch mal anders schwer haben. Also nicht schwerer, aber anders schwer. Aber dieses Mentoring ist so unfassbar wichtig. Und auch gerade, weil du das aus der Familie nicht immer bekommst oder auch, weil die Familie das vielleicht auch gar nicht geben kann. Also ich habe tolle Eltern gehabt, aber mein Papa zum Beispiel wollte, dass ich internationales Recht studiere und fand das mit dem Journalismus total bescheuert und er hätte mir einfach diesen Support gar nicht geben können. 

 Karina:
Ja, also ich fände es total cool, wenn wir vielleicht gemeinsam auch noch eine Liste zusammenstellen könnten mit irgendwie AktivistInnen oder nützliche Webseiten für und von Frauen mit Behinderung, die wir dann auch noch in die Shownotes und auf www.dieneuenorm.de stellen werden. Und an der Stelle danke euch Beiden für den Input und dass ihr euch die Zeit genommen habt. Es hat super viel Spaß gemacht. Und ich hoffe, wir wiederholen das mal. 

Amy:

Ja sehr gerne, immer gern dabei.

Rebecca:
Danke dir, danke dir, Karina.

Karina:

Ja, schön, dass ihr reingehört habt in diese Folge des Bayern 2 Podcasts, Die Neue Norm. Alle Folgen könnt ihr ja wie immer in der ARD Audiothek nachhören. Und wir würden uns natürlich freuen, wenn ihr auch beim nächsten Mal dabei seid. Bis dann…Tschüs. 

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