Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.
Folge 58: „Autismus“
Manuel:
Hallo, ich bin Manuel Stark. Ich freue mich sehr, heute zu Gast zu sein, hier bei der Neuen Norm und das Spektrum der Behinderung zu erweitern.
Jonas:
Herzlich willkommen zu die Neue Norm, dem Podcast. Heute sprechen wir über das Thema Autismus. Wie ist es, als autistischer Mensch mit dieser Behinderung oder Erkrankung zu leben? Auf welche Barrieren stößt man? Wie wird eigentlich das ganze Thema Autismus in den Medien gesehen? Welche Klischees gibt es? Darüber sprechen wir heute mit Karina Sturm und Raul Krauthausen.
Karina und Raul: Hallo
Jonas: Mein Name ist Jonas Karpa. Und wir haben heute zu dieser Podcast-Episode einen Gast, und es ist Manuel Stark. Hallo!
Manuel: Hallo.
Jonas: Er ist Journalist, also, in dem Sinne Kollege, ich habe ihn damals kennengelernt beziehungsweise erst mal aufgefallen ist er mir durch einen Video-Podcast, den es auch in der ARD Audiothek gibt, genauso wie es auch die Neue Norm in der ARD Audiothek gibt, mit dem Titel: “Nicht witzig”. Darin geht es darum, dass du mit Comedians sprichst, also du bist ja selber Autist und möchtest dich so ein bisschen aus der Komfortzone bewegen und dich dem Thema widmen: Okay, was bedeutet Humor? Welche Nuancen von Satire, Sarkasmus, Zwischentöne, Mimik und so weiter macht Humor aus, da es vielleicht für dich als Autist schwieriger ist, das wahrzunehmen. Darüber habe ich dich kennengelernt, beziehungsweise habe ich das gesehen, gedacht okay, das ist doch eigentlich mal ein interessantes Thema, sich jetzt nicht um das Thema Humor zu kümmern, aber mal ja sich dem Thema Autismus, indem Sinne zu widmen. Du bist sonst Journalist, habe ich ja schon gesagt, Wissenschaftsjournalist. Und bist ja dabei, Geschichten zu erzählen; du hast auch gesagt “Erzähljournalismus”. Dazu werden wir später noch kommen. Und du sagst am Anfang deines Podcasts immer auch den Satz: Kennst du einen Autisten, kennst du genau diesen einen Autisten. Wie wichtig ist es für dich, zwar heute hier bei uns zu Gast zu sein, um zum Thema Autismus zu sprechen, aber irgendwie doch nicht so für alle sprechen zu können?
Manuel: Ja, mir ist das extrem wichtig, darauf hinzuweisen, weil ich kann über meine persönliche Lebenswirklichkeit sprechen. Ich kann darüber reden, wie es mir mit verschiedenen Sachen geht, wie ich Dinge erlebe. Aber Autismus liegt auf dem Spektrum, das heißt, es gibt eine Vielzahl von verschiedenen Auswirkungen, wie sich Autistinnen und Autisten fühlen können, die Welt erleben. Und da möchte ich mir gar nicht anmaßend zu sagen, so ist es. Ich möchte sagen, hey, das habe ich schon oft von anderen gehört und so geht es mir damit, aber genauso wie jemand einen Linkshänder kennt, dann denkt man auch nicht ah, ich habe mal einen Linkshänder kennengelernt, jetzt weiß ich genau, wie Linkshänder insgesamt ticken. Wir bleiben ja irgendwie alle als Menschen individuell.
Raul: Aber war das für dich eine Reise der Erkenntnis, weil oft ist man wahrscheinlich auch verlockt, selbst als Betroffener einer Gruppe, dann schnell für diese dann auch zu sprechen.
Manuel: Das stimmt. Ich muss sagen bei mir, ich weiß gar nicht, ob ich es als Glück bezeichnen soll, in dem Splitter der Frage vielleicht schon. Ich habe die Diagnose gekriegt, da war ich 19, und das hatte für mich im ersten Moment eine totale Befreiung, so okay, das, wie ich mich anders fühle, diese Diskrepanz zur restlichen Welt, das hat irgendwie einen Namen. Und es hat total gut getan. Aber schon beim ersten Googeln, irgendwie gestört, fehlerhaft, falsch. Also gerade damals als ich 19 war, 2012 oder 11, hat man dann noch sehr viel, ich sage mal eher diskriminierende Sachen im Netz gefunden und wenig Positives. Und ich hatte dann diese Befreiungsmoment und habe es dann aber auch sehr zur Seite geschoben und habe mich überhaupt nicht mehr damit beschäftigt, nachdem es diesen Namen hatte. So richtig damit auseinandergesetzt, habe ich mich dann erst fast zehn Jahre später also 2021. Und dann gleich, ich weiß nicht, wie es euch geht, es würde mich auch interessieren. Bei mir ist Journalismus ja auch immer so ein bisschen eine Ausrede auch vor mir selbst sich mit Dingen zu konfrontieren, für die ich mich normalerweise gar nicht mutig genug fühle. Und da habe ich mich dann zum ersten Mal auch getraut, mein damalige Zeit-Ressortleiterin anzusprechen, zu sagen: Pass auf, wir haben in der Redaktion jetzt schon ein paarmal das Thema oder den Begriff Autist gehabt. Und irgendeine Autorin von uns bezeichnet sich als Autistin, nur weil sie irgendwie drei Stifte links neben den Laptop haben muss. Es macht was mit mir Folgendes ist die Situation. Aber ich habe gar nicht das Wissen, groß zu widersprechen, weil ich kenne mich gar nicht aus. Und ich würde jetzt gern so eine Selbsterkundung machen. So eine Recherchereise, auch was das eigentlich mit mir macht. Was bedeutet dieses Label eigentlich? Und deswegen war mir vom ersten Moment der Auseinandersetzung an eigentlich auch klar, weil das so der Tonus auch ist, von Forschung, aber auch von der Community her, hey, wir sind alle unterschiedlich. Und deswegen war diese Versuchung in dem Moment nie so dar.
Jonas: Aber Raul, Karina, wie ist es für euch? Ich mein, im Titel oder quasi im Jingle unseres Podcasts sind ja unsere Behinderungen mit benannt, eine Sehbehinderung, eine chronische Erkrankung, ein Rollstuhl. Damit wollen wir ja auch so ein bisschen zeigen, dass wir eben Menschen mit Behinderungen sind, JournalistInnen mit Behinderungen sind, und stehen ja auch für etwas. Und haben ja auch dieses vielfältige Team in dem Sinne, drei unterschiedliche Behinderungen zu haben, ja auch in dem Sinne etwas ausgewählt. Aber würdet ihr euch neben dem ExpertInnen in eigener Sache sein auch als ExpertInnen für eure Behinderung sehen? Beziehungsweise auch so als, ja ich mein Raul, du bist ja schon durch deine Bekanntheit ja irgendwie fast schon so testimonial. Du stehst ja nicht nur für Menschen, die Glasknochen haben, in dem Sinne, du stehst ja teilweise für “Die Behinderten”.
Raul: Ja deswegen habe ich die Frage auch so gestellt, weil ich schon auch gemerkt habe, dass je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, desto mehr merke ich, wie wenig ich eigentlich weiß und wie wenig ich für andere sprechen kann und auch sollte. Was mir früher viel leichter von den Lippen ging, zu sagen ja, ja, so ist es. Aber in Wirklichkeit ist es alles andere als genau so und hat eine Demut in mir wachsen lassen. Und dann immer wieder auch den Versuch dazuzulernen und auch andere Leute für sich sprechen zu lassen, ohne dann die absolute Deutungshoheit zu haben: Wie sagt man es denn jetzt richtig? Wenn er oder sie sagt, ich möchte einmal so oder so genannt werden, dann gilt das natürlich erstmal zuerst.
Jonas: Und wie es bei dir, Karina?
Karina: Ich finde das total schwierig. Ich bin da sehr zwiegespalten. Ich habe eine seltene Erkrankung, und als ich angefangen habe zu bloggen damals, gab es praktisch im Netz keine Informationen zu meiner Erkrankung. Es gab auch keine anderen Leute, die dazu gebloggt haben. Also ich hatte quasi diese Monopolstellung, dass ich irgendwie darüber gesprochen habe, wie Leben mit dieser Erkrankung ist. Und dadurch stand ich automatisch eigentlich repräsentativ für diese ganze Gruppe. Was ich auch nicht unbedingt, das habe ich gar nicht bewusst, irgendwie am Anfang überhaupt wahrgenommen, dass das von außen so gesehen wird. Aber es kam dann irgendwann immer öfter vor, dass mich Leute angeschrieben haben und gesagt haben, nee, aber das ist ja bei mir ganz anders. Wieso schreibst du denn solche Sachen? Und dann war ich irgendwann auch so wie: Na, das ist ja mein Blog und da geht’s um meine Erfahrung. Und es hat mich dann irgendwann auch ein bisschen genervt, dass ich das ständig und immer wieder dazusagen muss, dass natürlich, wenn ich einen Blogpost schreibe, dass das nur mein Leben widerspiegelt. Aber gleichzeitig dachte ich auch, wenn es doch sonst keine Infos online zu diesem Thema gibt, hab ich ja auch so ein bisschen die Verpflichtung, da irgendwie auch für andere Menschen mitzusprechen. Also auch wenn ich natürlich nicht alle abbilden kann, kann ich trotzdem ein bisschen allgemeiner über das Krankheitsbild sprechen, weil es mir ja auch darum ging, dass Menschen nicht wie ich vier Jahre nach einer Diagnose suchen müssen. Das fand ich ganz schwer. Heute ist das anders. Heute gibt es im Netz ja alle erdenklichen Blogs und viel, viel mehr Infos zu auch Autismus. Ich weiß gar nicht, wann das angefangen hat, Manuel, aber ich weiß, als du angefangen hast auf deiner Selbstfindungsreise, ob es da schon viel dazu gab?
Manuel: Leider nicht, wie gesagt, ich habe gegoogelt am Anfang, habe im Netz nachgeguckt und das meiste war extrem stereotyp, wenn ich mich so erinnern kann. Und so ein bisschen sehe ich da für Leute, die jetzt gerade frisch ihre Diagnose kriegen ja auch immer noch ein Problem, weil es gibt extrem viel Material im Netz. Und wenn du dich aber noch nicht eh schon auskennst, kannst du halt ganz viel wirklichen Quatsch nicht unterscheiden von seriösen Quellen. Also es sind ja auch Elternverbände unterwegs, bei allem Respekt für Elternverbände, aber meine Beobachtung beim Thema Autismus ist halt manchmal, dass es die Tendenz gibt, dass Eltern in der Anstrengung anerkannt werden wollen, die es bedeutet, ein behindertes Kind zu haben. Und dieser Wunsch ist halt nun mal was anderes, als das behinderte Kind oder Jugendlicher oder Erwachsener vielleicht für sich möchte. Das heißt auch, dass Framing nach außen, die Botschaften, die verkündet werden, und ich möchte hier gar keine Moralkeule auspacken. Es sind halt unterschiedliche Perspektiven, und es ist halt das, was aus bester Absicht sicher entsteht, nicht immer die beste Kommunikation.
Raul: Es gibt auch problematische Therapieformen…
Manuel: Das außerdem ja…
Raul: …wo auch relativ unreflektiert dann einfach irgendwelche Ärzt*innen sich dazu äußern und Betroffene dann teilweise auch übergehen.
Manuel: Also ich habe da auch kürzlich mit einem Professor Zimpel aus Hamburg gesprochen, der da meine Meinung teilt, es gibt ja diese ABA-Therapie also Applied Behaviorism, und was ja im Prinzip irre ist, weil im Kern ist es Konversionstherapie, die zu Recht inzwischen bei homosexuellen Menschen verboten ist, weil man sagt hey so ihr seid wie ihr seid. Wir können euch nicht umdressieren. So, das ist ja völlig irre bei Autistinnen Autisten. Ursprünglich ist diese Therapieform ja für Autistinnen und Autisten entwickelt worden. Und da sagt man immer noch ja ja, als bei euch sind es auch zwar Gene und DNA, aber doch, doch, euch können wir umdressieren. Und das ist immer noch in einem viel zu signifikanten Teil auch von Professorinnen und Professoren und deutschen Hochschulangehörige state of the art zu sagen, naja, Autismus-Therapie heißt, wir müssen die Menschen umerziehen, dass sie besser in die Gesellschaft passen. Es ist schon ein bisschen, ihr merkt es, meine Stimme geht hoch, ich werde ein bisschen wütend, da fehlt mir das Verständnis.
Raul: Wie bist du denn in Deutschland zu deiner Diagnose gekommen? Also, die fällt ja auch nicht vom Himmel.
Manuel: Das stimmt, also bei mir war es so, ich habe mich einfach schon immer irgendwie anders gefühlt, also die anderen auf dem Fußballplatz sich draufgestürzt, ich lieber am Rand gestanden. Mein Vater hat immer so an meinem Geburtstag zum Beispiel Schatzsuchen organisiert. Mir war das alles zu viel. Ich stand da eher am Rand, bin hinterhergelaufen, mochte das alles gar nicht so sehr.
Raul: Doofe Kindheit
Manuel: Und ich mein, bei mir war das dann so, durch dieses Gefühl von Anderssein, nicht dazugehören, dieses zwischen mir und der Welt so ein hauchdünner Schleier habe ich, glaube ich, im Zeit-Text geschrieben, so wirklich hauchdünn, aber nicht zu durchdringen, habe ich dann Depressionen entwickelt, war dann in Psychotherapie und hatte da immer einen sehr, sehr guten, basierten Psychologen der gemeinsam mit einem guten Freund von mir, der mich auch darauf hingewiesen hat und gesagt hat, hey, du, ich erkenne da gewisse Muster. Ich bin Autist. Willst du es vielleicht mal checken lassen, dann habe ich das mit meinem Psychotherapeuten damals geteilt, dann hat er gemeint: Ach gut, wenn Sie das anspreche, ich halte nichts davon, Leuten irgendwelche Diagnosen zu unterstellen, aber ich habe mir bei Ihnen auch schon mal was gedacht. Und dann hat er das für mich organisiert, dass ich quasi an der Kompetenzstelle damals Erlangen-Nürnberg, dreimal musste ich, glaube ich hin und erstmal so sehr viele Fragen beantworten, so Gespräche. Dann verschiedene Tests machen, am Computer auch so Screening-Tests. Ich glaube, das hat sich inzwischen verändert. Aber damals habe ich dann quasi erfahren, oder damals hieß es auch noch Asperger-Autismus. Mittlerweile spricht man nur von Autismus-Spektrum-Störung, und genau dann hatte das Kind einen Namen.
Raul: Was macht man dann mit dem Namen? Also Therapie ist dann ja nicht zwangsläufig das was folgt, oder?
Manuel: Genau, also bei mir wars wirklich ganz normale Psychotherapie, die ich weitergemacht habe, wegen Depressionen und Selbstzweifeln und dem ganzen Rattenschwanz, der dranhängt. Und was ich heute jedem und jeder empfehlen würde, wäre einfach, sich damit zu informieren, was bedeutet das eigentlich? Also ich habe es ja damals wirklich verdrängt. Ich habe es weggeschoben, und ich glaube, ich habe mich dann selbst für eine Verlängerung von Leid entschieden, weil ich nicht einordnen konnte, was jetzt Autismus eigentlich ist. Was das mit mir macht und mir bringt es heutzutage sehr, sehr, sehr viel zu wissen, okay, was ist eigentlich Autismus bei mir? Wie wirkt sich das aus, was es vielleicht auch normal so, und ich bin nicht total seltsam in verschiedenen Verhaltensmustern oder Erwartungshaltungen oder sowas ganz stupides, dass ich den immer gleichen Platz bei meinen Eltern am Esstisch brauche. Oder dann auch irgendwann, wenn ich neu eingewöhnt bin in meiner WG. Ich halte es kaum aus, da baut sich ein innerer Druck auf. Aber dann zu wissen, okay, das ist eines von vielen Symptomen. Und das heißt irgendwie Autismus. Und das ist legit. Es ist legitim? Ich kann es irgendwie begründen. Ich fühle mich nicht wie ein seltsamer Spinner, weil es hat einen Namen, also für mich wirkt es total entlastend, dass ich da halt einen Begriff dafür habe und sagt, damit bin ich nicht allein.
Jonas: Wie war das denn, wie du auch gesagt hast, dass das auch in deinem Arbeitskontext dann vielleicht auch viele Leute sagen oh, ich sortiere meine Stifte nach Farbe; ich fühle mich irgendwie als Autist. Du has ja gesagt, dass das auch so ein Anlass für dich war, zu sagen, okay, ich muss damit irgendwie auch mit diesem Thema raus. Wir haben in unserem Online-Magazinen dieneuenorm.de jetzt in unserer Reihe vielfältige PolitikerInnen ein Interview veröffentlicht mit der Grünen-Abgeordneten Sabine Grützmacher, die auch Autistin ist und die sich im Stern-Interview sozusagen geoutet hat, nachdem Frau Strack-Zimmermann Olaf Scholz als empathielosen Autisten bezeichnet hat und im Rahmen der politischen Debatte gesagt okay, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Da muss ich irgendwie mich mal zu positionieren und auch mit diesem Klischee irgendwie aufbrechen. Sie selbst hat in unserem Interview gesagt, dass sie sich gewünscht hätte, auch damals in ihrer Jugend, sie ist auch spät diagnostiziert, gewünscht hätte, dass es irgendwelche Role-Models gegeben hätte oder Personen, wo sie jetzt inzwischen irgendwie auch weiß okay, da ich bin eben auch nicht alleine. Also das, was du Karina eben auch gesagt hast, so, ich habe hier einen Blog zu meiner seltenen chronischen Erkrankung. Aber ich bin quasi die einzige Person, die damit irgendwie in die Öffentlichkeit geht. Aber es gibt auch noch viele andere Personen. Wie weit wäre es für dich wichtig gewesen, eben auch zu wissen, okay, ich bin dort nicht alleine? Und wie gut tut es dir vielleicht auch, jetzt gerade selber Role-Model zu werden und auch zeigen zu können, hey, man kann auch, Achtung, Klischee, man kann auch trotz Autismus Journalist werden? Was ja dann häufig immer so in Kombination gesehen wird.
Manuel: Ich glaube schon, ich kann es natürlich nicht 100 Prozent sicher sagen, so dieses Ganze, was wäre wenn, wäre mein Weg dann besser, leichter, schlechter verlaufen. Im Rückblick wirkt immer so alles eindeutig. Ich weiß ja gar nicht, wie es gewesen wäre, aber ich glaube natürlich, wenn man sieht, so ich bin nicht allein, es gibt Leute, die dazu stehen. Ich glaube, es ist immer so ein bisschen besser, als wenn man sich so allein auf weiter Flur sieht oder auch selbst in meinem Fall dann mit Klischees behaftet sieht. Und ich habe für mich auch ständig gedacht, also bin ich doch gar nicht. Bin ich dann kein richtiger Autist? Und erst durch meine Zeit- Recherche, 2021 war die, glaube ich, oder 2020 schon, da hab ich dann halt gemerkt, hey, es sind wirklich alles Klischees, so. Und das ist einfach Quatsch. Und was ich frustrierend bis teilweise immer auch wieder ermüdend finde in der deutschen Medienlandschaft ist ja, dass es diese wahnwitzige Arroganz intellektueller Menschen gibt, also von der Süddeutschen über Spiegel und leider auch die Zeit, wo ich mir, denke, Leute, ich bin Redakteur dort gewesen, ihr habt alle meine Nummer im Kurzwahlspeicher. Warum erscheint – Entschuldigung für die Wortwahl – aber so ein hanebüchener Bullshit in diesem Blatt. Also, wo Autismus, wie du schon sagst, empathielos, stur irgendwie gnadenlos, aber dann in der SZ regelmäßig schon fast mit Terrorismus gleichgesetzt, unterkühlt, esoterisch, fast schon autistisch. Also, niemand versteht dieses Wort und alle benutzen es und teilweise auch mit so einem Framing dann, was ich vorhin schon erwähnt habe, mit die armen Eltern, die mit so einem autistischen Kind jetzt zurechtkommen müssen. Und dann werden noch teilweise Protagonisten zitiert, also, Jugendliche meistens, die dann so ein Zitat abliefern wie: Ja, ich habe die ganze Zeit gedacht, die anderen Menschen sind irgendwie komisch, aber in der Therapie habe ich jetzt gelernt, ICH bin das Problem. Und ich denke so Leute, ne, wie könnt ihr denn so was abdrucken, das geht doch einfach nicht. Also ihr merkt schon, es ist ein emotionales Thema.
Jonas: Ich finde zurecht. Also, gerade auch diese ganze Thematik, was ist normal, was ist die Norm? Also, deswegen versuchen wir ja irgendwie auch mit dieser Vielfalt an Persönlichkeit auch die neue Norm zu sein. Aber Autismus ist ja in dem Sinne ja schon etwas, was die eigene Identität sehr prägt. Ich mein, wir geben sehr viele, auch im Rahmen unserer Arbeit machen natürlich viel Aufklärungsarbeit. Und dann geht es ja, du hast es gesagt, auch um die richtige Wortwahl. Gerade im Journalismus ist das ja irgendwie auch sehr, sehr wichtig. Und natürlich ist der Blick auf sich selbst und der Blick auf die eigene Behinderung immer sehr, sehr individuell. Und trotzdem versucht man ja, so ein bisschen zumindest eine so einen gemeinsamen Nenner zu finden. Dass man eben nicht sagt, der/die Behinderte oder der/die Blinde, sondern immer auch den Menschen mitzudenken, also, mitzunehmen. Also, behinderter Mensch oder Mensch mit Behinderung, so als Wort. Gleichzeitig ist es aber so, dass wenn es um Autismus geht, sollte man ja eher nicht sagen Mensch mit Autismus, sondern da ist ja, zumindest habe ich das so aus der Community mitgenommen, dieses Autist*in als Begriff. Also: Ich bin nicht Mensch mit Autismus. Sondern es ist: ich bin Autistin, dass das so die gewünschte Wortwahl ist, also die Identität so im Vordergrund.
Manuel: Habe ich auch so mitbekommen. Ich bin da gar nicht so wahnsinnig, also, ich jetzt ganz persönlich, streng damit, wenn jemand anderes das irgendwie anders macht. Aber mir geht schon die Argumentation auf, dass man sagt, hey, Autismus ist eine gleichwertig, aber von dem Durchschnitt abweichende Art von Weltwahrnehmung und Denkmuster und Reizverarbeitung. Und Gleiches, und deswegen kam ich vorhin mit dem Beispiel von einem Linkshänder, die Mehrzahl der Menschen ist halt Rechtshänder. Muss ich dann sagen, Mensch mit Linkshand- Eigenschaft, um das Menschliche nochmals betonen? Und das ist halt der Gedanke dahinter. Es ist halt ein signifikantes und in manchen Fällen extrem ausgeprägtes Persönlichkeitsmerkmal. Und es gehört dann aber auch zu mir, wie braune Augen oder Linkshänder zu sein. Ich persönlich bin Rechtshänder, aber wenn Leute Linkshänder sind, (gehört es) einfach dazu, und da braucht es das nicht extra auch noch… Also ich hab da kein „mit“, sondern es ist Teil meiner Persönlichkeit. Beim „mit“ da kann ich sagen, wenn’s ne Krankheit ist, bin ich eine Person mit Depressionen gerade. Aber ich bin kein Mensch mit Autismus, weil es zu tief in dem verankert ist, wie ich bin. So, das kriegt man nicht von mir raus. Es ist keine äußere Entität, die irgendwie auf mir drauf liegt, sondern es bin einfach ich, so. Und wie ich denke, und wie ich die Welt wahrnehme und meine Persönlichkeit forme. Und deswegen bevorzuge ich das persönlich auch. Bin aber halt jetzt nicht so streng, dass ich, wenn jemand kommt und sagt, hey, Mensch mit Autismus, gleich verärgert bin oder beleidigt. Da kenne ich schon auch Leute, die nehmen das, und das möchte ich wie gesagt auch gar nicht beurteilen, aber die nehmen das schon sehr, sehr streng. Eben genau aus dem Grund, dass sie sagen: Hey, ich möchte nicht, dass du auch noch betonst, dass ich trotz allem – in Anführungszeichen – ein Mensch bin, weil das muss ich doch selbstverständlich anfühlen und verstehen.
Karina: Ich finde es total spannend, weil ich da irgendwie auch total zwischen den Stühlen stehe. Also, nur zur Erklärung für die, die diese Trennung noch nicht kennen. Also, was du bevorzugst als Autist ist „Identity-First-Sprache“. Also, quasi das deine Behinderung als ein zentraler Teil deiner Identität zählt. Und deswegen bist du nicht eine Person mit Autismus, sondern ein Autist. Und dann gibt es im Unterschied noch die „Person-First-Sprache“. Also, wo man zum Beispiel sagt, eine Person mit Behinderungen, was Leute bevorzugen, wenn sie Personen zuerst und dann die Behinderung sehen. Also, um quasi zu zeigen, dass eine Person mehr ist als die Behinderung. Für mich ist es total schwierig, weil ich … Also, ich stehe da genau dazwischen. Und deswegen benutze ich für mich auch Beides eigentlich, weil ich durchaus sehe, dass meine chronische Erkrankung von morgens bis abends immer ein Teil von mir ist und beeinflusst eigentlich praktisch fast jeden Teil meines Alltags. Aber gleichzeitig bin ich auch noch sehr viel mehr darüber hinaus. Und deswegen ja, ich konnte mich da nie für eine Variante entscheiden. Und ich versuchte es auch in Artikeln, die ich schreibe, irgendwie einfach immer abwechselnd zu verwenden, außer, es sei denn, die Personen, die im Artikel vorkommen, bevorzugen eins oder das andere. Ich weiß nicht, Raul, ich würde denken, du bist eine „Identity-First Person“, aber das ist jetzt nur meine Einschätzung von dir, so.
Raul: Also, ich würde eher sagen, „Identity-First-Person“ heißt jetzt, ich bin der Behinderte. Ich würde sagen, ich bin der Mensch mit Behinderung.
Karina: Echt? Aber du bist ja auch nicht der Behinderte, sondern du wärst der behinderte Mensch. Also du darfst das „Mensch“ schon anhängen. (lacht)
Raul: Also, ich würde mich niemals als ausschließend behindert bezeichnen. Sondern eben auch noch als – keine Ahnung – als Raul, als jemand mit Namen, mit Hobbys und diversen Leidenschaften, die erstmal von meiner Behinderung losgelöst und unabhängig auch sind. Ich denke nicht permanent an meine Behinderung. Ich werde auch nicht daran erinnert behindert zu sein im Alltag, wenn ich das Haus nicht verlassen muss oder so. Das heißt, es fällt mir eigentlich immer nur dann auf, wenn ich tatsächlich auf Barrieren im Alltag stoße und oder Schmerzen habe, sodass es vielleicht nicht ganz so präsent ist. Wie ist es bei dir, Jonas?
Jonas: Ich finde es interessant, was du gesagt hast Raul, im Sinne von, dass du Raul bist und ich würde es nicht von mir sagen, dass ich irgendwie Raul bin, sondern ich wäre Jonas und natürlich irgendwie gerade auch angenehmer als Person, die eine ja unsichtbare Behinderung hat eben auch so ein bisschen in der Masse eben unterzugehen, also, auch gar nicht, die Behinderung so in den Vordergrund stellen zu müssen, indem sie gar nicht sichtbar ist, sondern ich finde das gerade auch beim Thema Autismus ist es ja auch etwas, wo vielleicht eben auch viele Menschen von außen so Fragezeichen haben im Sinne von: Was ist das? Wie äußert sich das? Was hat die Person? Weil es eben auch so wenig greifbar ist. Also wenn eine Person mit einem Langstock unterwegs ist oder mit einem Blindenführhund, dann kann man eins und eins zusammenzählen und sagen: Ok, ja gut, die Person kann nicht sehen, oder kann eine Sehbehinderung haben. Wenn man eine Person sieht, die im Rollstuhl sitzt, kann man sagen: Ja, die Personen kann nicht laufen und nutzt deswegen einen Rollstuhl. Aber es ist eben sofort geframt, was diese Behinderung angeht und gerade bei unsichtbarer Behinderung oder eben dann, wenn es irgendwie um Autismus geht, wo es so, tja, auch nicht nachvollziehbar ist für viele. Ich habe auch das Gefühl, also das, was du Manuel auch so erzählst, wie es dir geht oder was du empfindest, ist oder wie herausfordernd, vielleicht doch auch manche Situationen sind das dahingehend eben auch, weil Leute das nicht nachvollziehen können, so Gerüchte, auch Narrative eben entstehen. Und da finde ich, ist man halt sehr schnell eben auch in der Filmbranche. Also wenn ich an Autismus denke, als erstes, so filmmäßig fällt mir „Rain Man“ ein. Als Film.
Manuel: Ja, das ist schon ein Problem. Also ich glaube, das ist auch generationenmäßig unterschiedlich. Die etwas Älteren, sage ich jetzt mal so leicht über 30, vor allem über 40 denkt man an „Rain Man“, was mit Autismus genau gar nichts zu tun hat.
Raul: Dustin Hoffman.
Manuel: Ja genau, Dustin Hoffman. Also ich müsste mir jetzt noch einmal den Film anschauen, ob irgendein Symptom oder irgendeine Andeutung tatsächlich irgendetwas real mit Autismus zu tun hätte. Ich glaube nicht oder auch heutzutage so Sachen wie „The Good Doctor“ auf Netflix, die eine wunderbare, wunderschöne Netflix-Serie ist, die ich, muss gestehen, selbst auch gerne geschaut habe. Aber mit Autismus hat es einfach nichts zu tun. Und wer mal Filme gucken möchte, wo das eigentlich sehr gut vorgestellt wird, sollte sich mal irgendwelche Filme mit Benedict Cumberbatch anschauen. Es wird niemals ausgesprochen. Aber zum Beispiel gibt es diesen Hollywood-Blockbuster: „Imitation Game”, in dem er einen genialen Wissenschaftler spielt, der die Enigma-Maschine der Deutschen für Großbritannien entschlüsseln soll im zweiten Weltkrieg. Es ist so perfekt für mich, perfekte Darstellung von Autismus. Als ich den Film gesehen habe, ich saß da, und ich habe geheult, weil das so schön war und so toll. Das wird kein einziges Mal ausgesprochen, dass er Autist ist oder so. Sonst wird einfach nur dargestellt. Ja, ich finde es ganz toll.
Karina: Jetzt muss ich hier mal irgendwie ein bisschen provokativ fragen. Also, aber es gibt ja auch Autisten oder Autistinnen mit Inselbegabung, oder wie auch immer man das nennt…
Manuel: Nein, eigentlich nicht.
Karina: What?!
Manuel: Nein, es ist total legitim. Es gibt halt diese sogenannten speziellen Savants, zwölf Stück weltweit, die so über Rom fliegen und danach irgendwie aus dem Gedächtnis das Bild abzeichnen können. Es sind zwölf Leute, die weltweit bekannt sind, also diese zwölf Leute, von denen sind drei bis vier bekanntermaßen auch noch Autisten, das heißt, vier Menschen weltweit werben das Bild von allein in Deutschland gibt es mutmaßlich mehrere Millionen Autisten.
Karina: Krass! Wie kam das denn zustande, dass genau das irgendwie das Stereotyp-Bild für Autismus geworden ist?
Manuel: Ich bin jetzt kein Medienwissenschaftler. Ich würde vermuten, dass es halt etwas beeindruckendes ist. Und das ist natürlich auch ein Narrativ ist, das natürlich total schön ist, oh, das ist eine Superkraft, ich bin jemand ganz Besonderes. Ich kann, irgendwie – so wie als Ausgleich – dafür was total geniales und bin ein totales Genie, so. Klar da widersprechen irgendwie wenige Eltern. Autistinnen und Autisten selbst haben einfach keine große Community, in Deutschland zumindest und kein Sprachrohr. Und wenn man sich dann halt mal die Medien anschaut, ich glaube, wir wissen es alle, so das Besondere, das Krasse, das Begeisternde – das lockt uns ja an anderen Themengebieten vielleicht auch. Und dann, wenn Galileo kommt oder ProSieben kommt, ist klar, dass es dann halt immer dieselben Figuren kommen, oh da fliegt er über Rom und kann es danach aufzeichnen und er kennt das Wetter nach zwölf Jahren immer noch für jeden Tag auswendig. Es ist eine andere Diagnose, das überschneidet sich von zwölf Fällen in vier Fällen. Ich glaube, es sind vier mit Autismus, aber das ist nicht Autismus.
Jonas: Das kann ich als Medienwissenschaftler bestätigen, was du gerade gesagt hast. Es ist genauso, wie häufig irgendwie gesagt wird, dass die Menschen, die Blind seien, total gutes Gehör haben und dass also dies ist gerade auch diese Ausgleichsfähigkeit. Natürlich ist es so, dass ich als Person mit Sehbehinderung, die auch diese Sehbehinderung im Laufe des Lebens erworben hat… Früher bin ich total gerne mit Musik durch die Welt gelaufen, also auf dem Weg zur Uni, zur Schule, später zur Arbeit. So, Kopfhörer auf durch die Welt, eine Stunde lang Musik hören und du nimmst die Welt ganz anders in ihrer Bewegung wahr. Und da macht Bahnfahren in dem Sinne irgendwie auch Spaß. Jetzt merke ich dadurch, dass ich quasi nicht mehr so gut sehen kann und auf meinen Hörsinn angewiesen bin im Sinne von, wenn ich über die Straße gehe, gucke ich natürlich, ob ein Auto kommt. Aber ich höre natürlich auch kommt da ein Auto? Deswegen kann ich eben nicht mehr mit Kopfhörern durch die Welt gehen und mir quasi neben dem Sehsinn auch noch den Hörsinn in dem Sinne nehmen. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich meine Sehbehinderung erworben habe und zack, hab ich das absolute Gehör, natürlich nicht, ich habe Musikwissenschaften auch studiert, mich interessiert Musik. Und natürlich habe ich dann ein Faible für. Aber das ist auch das, wenn ich irgendwo auf Bühnen stehe oder Vorträge halte, wird das sofort immer mit verknüpft, so nach dem Motto: Ich erzähle, was ich gemacht habe und es kommt sofort: Ah, Sie haben eine Sehbehinderung und sie haben Musikwissenschaft studiert. Da muss es ja irgendeine Korrelation geben. Nein! Und auch nur, weil ich eine Sehbehinderung habe, ist auch mein Tastsinn nicht besser. Auch das wird ja immer gesagt. Menschen, die blind sind, können so gut mit ihren Fingern umgehen, weil sie Brailleschrift können. Die wenigsten Menschen, die blind sind, können Brailleschrift, weil es sehr schwer zu erlernen ist und man da sehr früh damit anfangen muss. Also, auch das ist einfach eine schön erzählte Geschichte, um ja vielleicht, die Menschen mit Behinderung nicht so klischeehaft arm darzustellen, sondern, doch irgendwie, sagt man, sie haben eine Ausgleichsfähigkeit. Raul, was ist eine Ausgleichsfähigkeit?
Raul: Faulheit! Ich bin ein relativ fauler Mensch. Mir wurde immer gesagt, ich müsse gut in Mathe sein, aber das war ich leider auch nicht.
Karina: Was ist das denn für ein Stereotyp: Menschen im Rollstuhl gut in Mathe?
Raul: Wenn ich nicht laufen kann, muss ich halt schlau sein. Das war so die Annahme, meiner Oma.
Aber Manuel hilf mir bitte nochmal auf die Sprünge. Diese Beschreibung: Neurodivers, Neurodivergent, AuDHS und ADHS und Autismus. Wo macht man da die Unterscheidung und die Abgrenzung?
Manuel: Also Neurodivergenz ist ja anders als Neurodiversität. Das habe ich jetzt auch erst mit der ARD in einer TV-Produktion lernen dürfen von Professor Zimpel. Neurodivers sind quasi alle Menschen, das ist einfach mal nur die Erkenntnis, dass jedes Hirn erstmal anders tickt und wir deshalb viel individueller denken sollten als in diesen wunderbaren Kategorien, in denen wir uns immer verlieren. Und Neurodivergent ist wenn quasi dann auch noch eine neurophysiologische Veränderung stattfindet, die so extrem von der Norm abweicht, dass es zu Effekten führt, beispielsweise das Autistinnen und und Autisten tendenziell doppelt soviel Reize wahrnehmen zur selben Zeit als neurotypische Menschen. Und die Abgrenzung ist total schwer. Man hat früher gedacht, dass ADHS, ADS, Autismus so Gegensatzkrankheiten sind, also Zappelphilipp versus der Typ, der irgendwie die ganze Zeit still schweigend in sich gekehrt ist. Das stimmt aber gar nicht. Also es gibt super viele Überschneidungen. Es gibt auch super viele Doppeldiagnosen. Gemeinsamkeiten sind zum Beispiel so etwas wie eine große Tendenz, sehr sensibel zu sein, keinen richtigen Reizfilter zu verspüren. Deswegen finden Reize gleichzeitig statt, davon überfordert zu sein, auch eine eigentlich entgegen des Klischees auch bei Autisten krasse Sensibilität, also auch emotionale Sensibilität. Und Unterschiede gibt es dann beispielsweise in Tendenzen. ADHSler sind tendenziell risikobereiter, tendenziell eher Gefühls- und Bauchmenschen, die sagen „I feel it und deswegen mach ich es so.“
Bei Autisten ist es tendenziell eher so, kann ich von mir auch bestätigen, dass sie eher sicherheitsliebende Menschen sind, erstmal Sachen fünfmal prüfen, bevor sie dann eine Entscheidung treffen und tendenziell alles durchrationalisieren, mit dem Kopf und Systematiken durchdringen müssen, bevor sie irgendetwas tun. Also da finden schon so Abgrenzungen und Unterscheidungen statt. Die Unterscheidungen sind aber meiner Wahrnehmung nach fast geringer als die Gemeinsamkeiten. Also fast alle meine wirklich engen Freunde sind ADHSler. Eine meiner Ex-Partnerinnen war auch ADHSlerin und ich komme mit den Menschen eigentlich so in meinem höchstpersönlichen Umfeld immer am allerbesten klar, weil es für mich die perfekte Mischung aus: wir sind unterschiedlich im ganzen Weg, zu irgendeinem Ergebnis, oder einer Meinung zu kommen. Und doch im Erfahrungshorizont, im täglichen Leben erfahren wir so viel Ähnliches, dass wir dann doch wieder zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen. Und das ist ein so ein schöner Mix aus Unterschiedlichkeit und dann doch Gemeinsamkeiten. Und ich kann gar keine klare Trennlinie jetzt formulieren. Deswegen habe ich mich da ein bisschen herumgedrückt und dann mit Symptomen angefangen, weil es, wie gesagt, ein Spektrum ist. Also die Übergänge sind total oft fließend. Auch habe ich mich neulich mit einem Synästhetiker unterhalten, der verschiedene Tonhöhen schmecken kann, also er schmeckt dann, dass ein Ton nach Zitrone und ein anderer nach Pfefferminze schmeckt. Und so. Der hat zum Beispiel auch diese Hochsensibilität. Wie es so schön heißt.
Raul: Hast du das auch?
Manuel: Also das habe ich nicht mit Pfefferminz schmecken oder Zitrone schmecken. Aber diese Sensibilität habe ich gegenüber Sinnesreizen.
Raul: Ich musste 12 Jahre alt werden, bis ich verstanden habe, dass es nicht normal ist, dass meine Zahlen, meine Tage und meine Monate Farben haben.
Jonas: Synästhesie
Raul: Und ich dachte, hä, ist das bei euch nicht? Also bei mir ist die 3 ganz klar rot. Ich verstehe die Frage nicht. Haben bei euch Zahlen Farben?
Jonas: Auch da ist die Frage, ob man sich da dazu zählt oder auch meint, dass man nur Züge davon hat. Also ich merke schon, dass da bei mir die Verknüpfung zwischen Zahlen und Farben da ist. Es aber glaube ich, bei mir nicht immer so ganz eindeutig ist. Also es ist eher so ein Gefühl in dem Moment, aber es kann sein, dass es später anders ist. Es kann sein, dass ich das für mich jetzt relativ klar sagen könnte, okay, die Zahl eins ist rot. Wenn ich aber ein paar Tage später nachdenke, dann ist es vielleicht umgekehrt. Also vielleicht eher dann so ein so ein Gefühl in dem Moment. Aber ich würde es jetzt nicht so klar und deutlich sagen, wie du jetzt gerade Raul. Bei mir ist es eher so, und das finde ich absurd, bei mir haben Straßenschilder Gesichter. Straßenschilder haben Emotionen bei mir. So das Stopschild, das Vorfahrtsachten-Schild. Das sind für mich ganz klar Personen, die dahinterstecken. Es klingt absurd,
Raul: Und bei dir, Karina? Welche Farbe hat dein Freitag?
Karina: also ich bin grad völlig mind blown. Also ich lern hier Sachen über euch. Ich habe mir in meinem ganzen Leben noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, ob Zahlen farbig sind. in meinem Kopf sind die alle schwarz.
Raul: Das kommt auf den Stift an.
Karina: Ja, klar. Aber wieso ist die drei rot?
Raul: Das kann ich dir nicht sagen, aber es ist dieselbe Farbe wie der Freitag.
Karina: Danke. Ich möchte auch farbige Zahlen haben.
Raul: Auf jeden Fall vorteilhaft, wenn man sich Telefonnummern merken möchte, das fiel mir früher leichter, weil ich wusste, das ist der Farbverlauf. Und nicht der Zahlenverlauf.
Jonas: Und wie ist denn bei all den Klischees, die es über Autismus gibt, wo man ja auch immer sagt, in in jedem Klischee stecke so ein bisschen Wahrheit? Wie ist es jetzt für dich als Journalist in deinem Berufsalltag? Wie gesagt, in dem einen Interview mit Sabine Grützmacher, die zum Beispiel als spät diagnostizierte für sich gesagt hat, dass sie sich immer schon mit sogenannten Nerd-Themen auseinandergesetzt hat, also für für sie war sie kümmert sich jetzt um Cyber Kriminalität und Finanzen und solche Sachen. Und sie sich jetzt quasi immer schon für diese Sachen interessiert. Dann kam die Diagnose, und dann hat für sie quasi alles Sinn gemacht. Also es ist dann auch nicht von der man bekommt eine Diagnose und fühlt sich dann aufgrund der Diagnose da irgendwie so hingetrieben, weil man das Klischee im Kopf hat, dass alle Autistinnen sind irgendwie so, sondern das ergab im Nachhinein Sinn. Wie ist es für dich in deinem Berufsalltag und die Diagnose, spielt das eine Rolle? Mit deinem Podcast „Nicht witzig“ beim SWR – den gibt es ja als Video-Podcast und in der ARD Audiothek – da begibst du dich ja auch in diese Situation hinein und outest dich ja als autistischer Journalist. Aber möchtest du das? Oder möchtest du auch einfach ganz, ganz normal in der Masse untergehen?
Manuel: Es sind jetzt, glaube ich, viele, viele Fragen gewesen, die ich für mich ein bisschen aufklappen muss. Vielleicht einmal so einen Rückbezug, weil Karina gemeint hat, so Inselbegabungen. Und ich glaube, wo das Missverständnis entsteht, ist, dass viele Autistinnen und Autisten halt Spezialinteressen haben. Der Unterschied zwischen Begabung und Interesse ist ja das eine ist, ich bin von Geburt an so, und das andere ist, ich suche es mir aus, weil ich irgendeine Art von Interesse habe. Und dann nerde ich mich dann so richtig ein. Und ja, wer einen Autisten, eine Autistin kennt, kennt genau diesen einen Menschen. Und dennoch gibt es, das hast du ja angesprochen, wie bei jedem Klischee manchmal so Kern-Tendenzen, die treffen dann doch auf erstaunlich viele, vielleicht auch fast alle Menschen zu. Und dass es dann bei Autismus beispielsweise so ein sehr großer Hang zu „Wenn, dann“ – Systematiken, also Systemdenken und Kommunikation auf Informationsebene, also klassisches, also formal logisches Denken hast, Forensik, aber auch IT. Klar also, da funktionieren die Dinge ja genauso.
Bei mir war es Philosophie, aber auch Rhetorik hat ganz viel… oder Philosophie im Sinne von Logik noch viel mehr als Rhetorik mit logischen Schlussfolgerungen zu tun. Deswegen hat mir Philosophie irrsinnig Spaß gemacht, weil ich das so in logische Schlussfolgerung, in Systeme übersetzen konnte. Bei Journalismus ist es jetzt wieder im Prinzip ähnlich. Also ich bin auch gerade total kurz zusammengezuckt, weil als Journalist, da hab ich mich ja entschieden… Gibt ja Nachrichtenjournalisten, gibt Fernsehjournalisten und so weiter. Ich bin so narrativer Journalist, also ich beschäftige mich mit Erzählformen, wie man Fakten, wie man Ereignisse als Geschichte erzählen kann. Und das hat dann sehr viel mit Sprache zu tun, mit Wortwahl, mit dramaturgischen Mustern und deswegen zusammengezuckt, weil du gemeint hast “es macht Sinn” und grammatikalisch korrekt heißt es, “es ergibt Sinn”. Und da bin ich dann immer so, jetzt auch dieser Deutsch-Nerd, dass ich dann immer zusammenzucke und mit denk: o Gott! All fine. Aber deswegen ich habe es mir halt ausgesucht, und ich kann mir dann aber nicht mehr aussuchen, wie stark oder wenig stark ich rein geh.
Bei mir ist es so, wenn ich mich entscheide, das ist jetzt das Ding, wo ich sage, ich nerde mich da jetzt rein, aber dann richtig! Und dann kenne ich auch kein Ende mehr. So wirklich also dieses Erzählen und nichtfiktionales Erzählen, beschäftige ich mich jetzt seit fünf, sechs Jahren mit und dann halt nicht nur mit der Kulturtechnik, sondern ich schaue mir da auch psychologische Forschung an, neurowissenschaftliche Forschung an. Ich gucke okay, welche Reize kann man durch Erzählungen ansprechen? Was ist eine Kulturtechnik, die international verbreitet ist, welche ist vor allem europäisch? Was gibt es für anthropologische Forschung dazu, dann will ich alles wissen und sehe da auch keine Grenzen mehr. Und das ist das Schöne am Erzählen: jeden Tag, wo ich etwas Neues lerne, ein bisschen wie Raul das vorhin gesagt hat, checke ich mehr, was ich alles nicht weiß. Und dieser ganze Berg von wegen: da ist noch so viel übrig, wo ich mich beschäftigen kann, wird mit jedem Tag, wo ich irgendwie mehr erfahren, nur noch größer. Andere Leute fänden es vielleicht total frustrierend, und ich denke, so schön es gibt, so viel Neues zu lernen! Und ich weiß gar nicht, ob das deine Frage beantwortet hat. Aber das war so ein bisschen die Route, die ich jetzt nehmen wollte.
Jonas: Also dieses Interesse eben auch zu entwickeln, also für alles Mögliche. Das finde ich das Schöne auch am Journalismus, dass man, du hast ganz am Anfang gesagt, so auch so ein bisschen unter dem Deckmantel des Journalismus sich in Sachen irgendwie reinfuchsen kann. Ich kann mich an ein Praktikum erinnern, wo ich als Redakteur eine Fernsehproduktion unterstützt habe, wo es so um so ein bisschen aufklärerische Sachen ging und ging irgendwie darum, dass Deutschland ganz viel Gülle verkauft an die Niederlande, damit man es quasi nicht auf die eigenen Felder hier tun muss. Man kriegt quasi den Müll, die Tierabfälle kann man quasi verkaufen und die Niederlande und bekommt dafür Geld und die müssen sich dann mit den Boden Nitratwerten und so weiter rumschlagen. Und wir haben da quasi in Deutschland kein Problem mit, und das wird irgendwie so unter der Hand gemacht und ist eigentlich, wenn man es aufdeckt, eine Sache, wo man sagt, das sollte man mal hingucken. Und es hat irgendwie zur Folge gehabt, dass ich mich irgendwie zwei Monate irgendwie nur mit dem Thema Gülle auseinandergesetzt habe, aber mich total reingefuchst habe. Und dann zumindest für diesen Zeitraum, da der totale irgendwie Experte irgendwie drin war. Und das wäre aber etwas gewesen, womit ich mich sonst nie auseinandergesetzt hätte. Und fand ich in dem Moment irgendwie ganz spannend und dieses, ja dann sich wirklich da rein zu fuchsen und über Sachen etwas zu lernen, was ja, was man sonst nicht auf dem Schirm gehabt hätte.
Karina, gibt es irgendetwas für dich als Journalistin wo du dich mal mit einem Thema beschäftigt hast, wo du sagst, es jetzt im Nachgang, das ist so komplett außerhalb deiner Bubble oder dem, womit du dich sonst irgendwie beschäftigst, aber du hast dich da komplett reingearbeitet?
Karina: Ich überlege, ich habe nur, als du gesagt hast, du hast dich mit Gülle beschäftigt. Da ist mir aufgefallen, ich kann mich für alle Themen begeistern, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass jedes Thema, je mehr du drüber weiss, immer irgendeinen spannenden Kern hat. Also, du kommst irgendwann an dem Punkt raus, wo du irgendwas erfährst, und dir denkst, What?; das hätte ich nie gedacht. Aber nein, ich glaube, ich weiß nicht, ob ich mich jemals in ein Thema ganz tief eingearbeitet habe, das überhaupt nicht in meinem Bereich war, was ich total spannend fand. Für eine Zeit lang war es ein bisschen Frauenrechte in afrikanischen Ländern. Ich war irgendwann mal für ein paar Monate ganz auf Ruanda fixiert und habe da viele irgendwie Biografien und so über den Genozid gelesen. Aber ansonsten habe ich, glaube ich, immer irgendwie im Bereich Behinderung recherchiert. Wobei es da ja auch ich meine, da gibt es tausende von Themen, mit denen ich vorher noch nichts zu tun hatte und ich immer wieder was Neues lerne. Das hört auch nie auf.
Jonas: Manuel wie ist es denn, wie sehr bist du am Abwägen immer jetzt zu sagen: okay, ich nutze den Autismus um, also nicht nur für jetzt, deinen beruflichen Weg, sondern um das eben auch als Thema zu setzen. Wie gesagt wie mit dem „Nicht Witzig” Podcast, um damit auch so wie hier heute in die Öffentlichkeit zu gehen und darüber aufzuklären, auch wenn du gesagt hast, dass du jetzt kein Autismus-Experte bist, sondern einfach Experte in eigener Sache. Wie sehr bist du auch oder auf der anderen Seite darauf hinaus zu sagen ich will eigentlich nur meinen Job machen und das, wo ich Interessen für entwickle, und ob ich jetzt Autist bin oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Lasst mich da einfach damit in Ruhe.
Manuel: Es ist eine sehr gute Frage, weil ich glaube, ich wäge sehr, sehr viel ab. Ich würde auch sagen, mindestens neun von zehn Anfragen sage ich auch ab, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Also mal, weil einfach Anfragen auf eine Art und Weise gestellt sind, dass ich mir denke: Nee, wenn eine Anfrage schon so ausschaut, dann möchte ich nicht wissen, wie das Produkt am Ende entsteht. Dann gibt es irgendwie Sachen, wie jetzt euer Podcast, da ist für mich einfach klar, ich finde das eine coole Sache. Ich weiß, dass ich den Leuten, mit denen ich da rede, vertrauen kann, dass ehrliches Interesse da ist. Und da wiegt es für mich so deutlich und klar, dass es eine Chance ist, über Neurodivergenz, über Autismus ein bisschen abseits des Klischees was reinzutragen, im öffentlichen Raum, dass ich sage, hey, ich habe so viel gehört da zur Wahrheit, und auch ertragen und irgendwie an Scheiße durchgemacht, dass ich jetzt da bin, wo ich bin. Und ich bin jetzt in dieser Position als Journalist, dass ich aufklären kann, dass ich über Themen berichten kann, die ansonsten ungesehen bleiben oder falsch gesehen werden, oder oder oder. Ich spür da auch eine gewisse Verantwortung, wenn ich das von anderen Menschen erwarte. Wenn ich Sozialreportagen schreibe, was ich zehn Jahre lang gemacht habe, und sage, hey, wenn ihr zu eurem Schicksal steht, dann können so viele andere davon profitieren und was lernen. Wenn ich da hundert andere Leute dazu gebracht hab, wer bin ich dann das für mich selbst nicht tun zu wollen. Also, wenn jemand anderes das anders entscheidet, fair so. Aber für mich geht es irgendwie nicht, wie ich mich selbst sehe. Ich erwarte das von mir, aber es ist nichts, was mir Freude oder groß Spaß macht, damit zu spielen oder was sich jetzt irgendwie aus jetzt einer riesigen Leidenschaft machen würde. Also geht es mir ganz anders als Karina, dass es nicht so ist, dass ich jetzt ständig über Autismus berichten wollen würde, oder über Neurodivergenz oder so. Auch der “Nicht Witzig” Podcast, den habe ich in erster Linie angefangen, aus einem Verpflichtungsgefühl heraus. Also ich habe hier die Chance und die Möglichkeit, aufzuklären und irgendwie ein anderes Bild zu zeichnen. Und dann hat es mir Spaß gemacht und da sind extrem tiefe Gespräche entstanden. Und ich habe mit Bodo Wartke über den Tod seiner Schwester gesprochen oder Nikita Miller haut dann so einen Satz raus: Wenn ein Vater sich am Sterbebett für seine Erziehung entschuldigt, ist es zu spät, weil am Sterbebett ist es zu einfach, da kann jeder sorry sagen, und das ist krass. Und da spielt aber auch, bei dem, was mich berührt hat, Autismus gar nicht mehr so eine riesige Rolle, sondern, wie man Menschen sieht und was für Zuschreibungen wir ihnen geben, auch bei den Comedians, Kabarettisten und was dann aber ganz im Gegenteil für menschliche Schicksale auch dahinter stecken. Und ich glaube, mir geht es nicht so, dass ich jetzt sage: lass mich in Ruhe, oder es spielt da keine Rolle, weil, dass ich Autist bin, spielt auch in meinem wissenschaftsjournalistischen Dasein eine extreme Rolle, in Redaktionen extreme Rolle, wie ich Kolleginnen und Kollegen begegne, wie die mein Feedback auch zu nehmen haben. Ich suche immer nach einem möglichst treffenden Wort für Feedback. Das ist nicht immer das sozialverträgliche Wort, auch gleichzeitig. Aber ja, du hast total Recht, also in erster Linie möchte ich schon sein, wer ich aus Wahl heraus bin, also narrativer Wissenschaftsjournalist. Wenn ich Glück habe, vielleicht auch in zwei, drei Jahren mal literarischer Autor, aber etwas, wofür ich mich entschieden habe. Und nicht für was, wie ich halt auf die Welt gekommen bin, so gebencht werden, ein bisschen Harry Potter mäßig. Wenn Harry da irgendwie den Hut aufbekommen und gesagt wird, du bist so alles nur nicht Slytherin. Er entscheidet sich am Ende ja für Gryffindor. Es ist seine Wahl, und das ist was, was über ihn aussagt. Autist, so bin ich halt zur Welt gekommen. Es gehört total zu mir, aber dafür habe ich mich nicht entschieden. Entschieden habe ich mich dafür, mich mit Erzähltechnik zu beschäftigen, mich für Wissenschaftskommunikation zu interessieren, weil ich aus einem Arbeiterhaushalt komme und jahrelang dachte, ich bin zu dumm für Wissenschaft und deswegen jetzt nach Formen zu suchen, wie man Leute abholen kann und Wissenschaft zugänglich machen kann für Leute, die nicht irgendwie gefühlt fließend Latein sprechen. Genau darüber identifiziere ich mich viel mehr. Deswegen, falls ich darf, wenn ich mal auch an Karina oder auch an Raul die Rückfrage stelle, wie seid denn ihr dazu gekommen, dass ihr so nehme ich es wahr, eine ganz andere Ebene Fahrt? Also, dass ihr eben sehr wohl sagt: doch ich habe da hier die Kompetenz, ich habe eine eigene Erfahrung, und ich stelle das genau in den Mittelpunkt meiner Arbeit. Und ich mache da Berichterstattung und Aktivismus. Und ich hebe das auf die Bühne. Weil ich es kann. Was war denn da euer Gedankengang?
Karina: Also ich kann dir genau den einen Moment sagen, wo das für mich klar war, dass ich das machen muss. Auch wenn ich ehrlich, manchmal mittlerweile auch daran zweifele, ob ich nicht mal irgendetwas anderes ausprobieren sollte, weil ich gefühlt irgendwie… Ich habe das Gefühl, ich sage immer dasselbe so, ich schreibe dieselben Artikel. Ich habe jetzt gerade, glaube ich, den zwanzigsten Artikel über Ableismus geschrieben und ich kann es einfach nicht mehr hören, so.
Ich habe damals auch ganz viel so Medizinjournalismus und auch so ein bisschen Wissenschaftsjournalismus gemacht. Und darüber also, ich habe das ähnlich gemacht, wie du das machst, aber wahrscheinlich nicht so gut wie du das machst, immer so ein bisschen verbunden mit irgendwelchen persönlichen Geschichten, von Leuten mit chronischen Erkrankungen, um das ein bisschen persönlicher zu machen. So, und dann hat mein Chefredakteur damals, beziehungsweise seine Kollegen oder Angestellten, haben einen kompletten Artikel verändert, also hauptsächlich in der Sprache und haben so Sachen geschrieben wie: „sie leidet unter“ und also die diese ganzen gängigen Klischees halt; “an den Rollstuhl gefesselt”, leidet ganz furchtbar und so. Und ich habe dann leider vor dem Druck nicht mehr die Druckschleife gekriegt. Und es wurde einfach so gedruckt, mit meinem Namen darunter und da standen all diese ganzen Worte drin. Ich habe zum Glück keinen Shitstorm aus der Community gekriegt. Dafür war ich nicht bekannt genug, das ist ein Vorteil. Aber ja, das ging halt gar nicht. Und das hat mich furchtbar geärgert. Und das war der Punkt, wo ich dachte, ich möchte das anders machen. Ich möchte Artikel schreiben, die Menschen mit Behinderungen gut repräsentieren, sowie die repräsentiert werden wollen. Genau, seitdem mache ich, was ich mache.
Raul: Ja, bei mir war es so, dass ich mich nicht repräsentiert gefühlt habe und dann einfach dachte, dass muss doch irgendwie anders gehen und dann die ersten drei, vier Sachen selber gemacht habe, Texte geschrieben und so und dann gemerkt habe das funktioniert ja. Die Leute nehmen das dankbar an. Das ist eine andere Erzählung, auch andere Wortwahl teilweise. Und dann fingen wir schnell an, Workshops auch an Journalistinnen zu geben. Wie kann man denn noch über Behinderung klischeefrei berichten und so ist dann letztendlich eins zum anderen gekommen. Und dann bin ich in dem Feld geblieben, weil ich das Gefühl hatte, es ist auch noch nicht zu Ende erzählt. Es bleibt noch so viel mehr, was man in dem Bereich machen könnte. Und jetzt schließ ich an die Frage an, die ich an dich habe, Manuel: Dieser Podcast, „Nicht Witzig“, könnte man den nicht eigentlich auch erweitern um Wissenschaftle*rinnern, Politiker*innen, also mal mit, keine Ahnung, so stumpf mit Jens Spahn völlig emotionsfrei zu reden und einfach auch mal so zu wissen, das würde ich ihn fragen: Glaubst du, was du sagst?
Manuel: Ich persönlich fände das natürlich ganz großartig, es war auch mal zwischendurch meine Idee, genau das zu machen, weil ich meiner Perspektive nach, es sich mit Humor und Witz auch irgendwie, nach Staffel vier müsste es gewesen sein, für mich irgendwann auch so ein bisschen ausgelaufen hat. Ich habe gemerkt, als Till Reiners zu Gast war, dass ich so viele Humortheorien dann schon im Hinterkopf hatte, dass ich aufpassen musste, ihm nicht irgendwie Witze zu erklären, weil ich dann halt auch entsprechend eingenerdet war. Ich würde das total gerne erweitern um Künstler, um irgendwelche Politiker, auf jeden Fall und „Nicht Witzig“ heißt da einfach nur: wir lassen jetzt da keine Witz-Humor-bla-Ausflüchte gelten, für mich. Der SWR, ohne jetzt zu viele Interna ausplaudern zu wollen, hat das, so habe ich das zumindest wahrgenommen, in der Kommunikation, so ein bisschen anders gesehen und hat gemeint: nee wir haben da eine Marke aufgebaut, haben da ein Format aufgebaut, mit diesem Versprechen, dass da Comedian, also Leute, die mit Ironie und Sarkasmus ihr Geld verdienen, auf jemanden treffen, der damit gar nichts anfangen kann. Und dadurch entsteht was Tiefes. Und das ist die Marke, die wir aufgebaut haben. Das ist das Versprechen. Und es hat sich jetzt über vier Staffeln super gehalten. Und lass es uns doch dann jetzt irgendwie in diesem Ruhm und Ehre rechtzeitig sagen, solange es noch cool ist: Jetzt hören wir auch mal damit auf. Weil dieses Format gibt es jetzt in dem Sinne nicht mehr. Es wird jetzt nicht weitergeführt.
Raul: Und gibt es ein Nachfolgeprojekt?
Manuel: Noch nicht so, dass ich mit dem SWR da in Gesprächen wäre. Also ich bin prinzipiell offen dafür. Das hat mir total Spaß gemacht, habe aber auch frisch eine neue Stelle als Wissenschaftsredakteur bei der Neuen Züricher Zeitung angefangen, weil die erzählerischer werden wollen und mich dann gefragt haben, ob ich mir das vorstellen könnte. Und ich fand es einfach cool, was ich mit der Chefin besprochen habe. In Deutschland ist die Neue Züricher Zeitung ja politisch diskutabel. Aber was ich, was ich bisher…
Raul: Das hast du jetzt gesagt.
Manuel: Was ich bisher in Zürich von meinen Kollegen und Kolleginnen mitbekommen habe, ich mag die alle wahnsinnig gern, die sind toll. Ich mag diesen Job, indem ich jetzt in der zweiten Woche bin, und das ist jetzt erst mal auf hundert Prozent. Das geht voraussichtlich auch nach ein paar Monaten wieder runter. Aber jetzt liegt mein Augenmerk erstmal drauf: hey, neue Stadt in Zürich ankommen, bei diesem Job ankommen. Und wenn dann wieder Gedanken frei sind, dann werde ich mal gucken und werde auch mit dem SWR sprechen, ist da was denkbar? Ist da nichts denkbar? Welche Möglichkeiten gibt es denn? Aber das ist gerade komplett offen. Also ich habe keine Ahnung, ob es dann noch mal was gibt oder nicht. Ich bin total offen dafür, weiß aber nicht wie die andere Seite tickt, also der Sender.
Karina: Die eine Sache, die ich mir als irgendwie neurotypische Person null vorstellen kann, Masking, wie anstrengend das ist und auch, was das mit einem macht. Ich habe vor kurzem mit mehreren Autist*innen zusammengearbeitet. Und was mir aufgefallen ist: Während des Tages waren die super präsent, die ganze Zeit. Aber sobald quasi, die waren im Hotel, die Tür fiel zu und die waren verschwunden, bis am nächsten Morgen. Da war keine Textnachrichten, nichts so. Und die haben mir am nächsten Tag erzählt, sie sind von diesem Arbeitstag und der ganzen Kommunikation so gestresst, dass sie dann einfach wirklich die ganze Nacht brauchen, zum wieder runterkommen. Und das ist für mich irgendwie ja, das kann ich mir so gar nicht vorstellen.
Manuel: Und die reicht oft nicht, die Nacht. Also, ich kriege auch unter der Arbeitswoche immer größerer Augenringe und schlafe dann das Wochenende durch. Es ist heftig. Also wenn ich jetzt dazu ja auch emotional reingehe, sitze ich da und heul, weil es mir auch selbst jetzt erst bewusst geworden ist in dieser ARD TV-Doku, die ich mit drehe, wie heftig das eigentlich ist. Du wirst dir, und das passiert natürlich unbewusst, solange du aufwächst in einer Gesellschaft, die halt in erster Linie von neurotypischen Menschen ausgerichtet ist… Man kann es vielleicht vergleichen, Raul ich möchte dir jetzt nicht zu nahetreten, wenn ich was falsches sage, dann sag es bitte, aber wenn überall Treppen sind und du bist im Rollstuhl oder so, und dann jemand sagt, stelle dich nicht so an, geh doch einfach trotzdem die Treppe hoch. So, und so ist es halt nochmal mehr, wenn du noch gar keine Diagnose hast, weil du dann gar nicht weißt, woran es liegt, aber so wie unsere Gesellschaft eingerichtet ist, wie gesellschaftliche Regeln eingerichtet sind, wie man, dieses ganze man muss das, man tut doch das, es gehört sich doch, dass man Lalala: Also jeder einzelne Tag und oftmals jede Stunde und wenn nicht sogar jede Minute, wo du unter Menschen bist, wird dir indirekt vermittelt, so wie du intuitiv bist, das ist falsch und scheiße. Das heißt, du trainierst halt die ganze Zeit dich den Normen anderer Menschen anzupassen in einer Welt, die nicht für dich gemacht ist. Und das ist ja eine Selbstverleugnung, eine ununterbrochene. Und je besser du darin wirst, desto mehr spricht man ja deine Behinderung ab. Also du bist doch gar kein richtiger Autist. Du funktionierst doch total. Ich kann mich doch mit dir unterhalten. Du schaust mir doch in die Augen. Also, das ist halt schon heavy, weil es eine doppelte Gefangenschaft ist. Wenn du es nicht machst, bist du halt irgendwie ein Stimmungskiller, weil du nicht lachst, bist du irgendwie der Arsch, bist irgendwie der Komplizierte, der, der immer viel zu scharf sich ausdrückt, zu wenig Empathie hat angeblich. Dabei ist meine Kommunikation halt einfach nur eine andere und reißt du dir wirklich in jeder Minute den Arsch auf, ja dann bist du doch gar nicht so autistisch. Oder wenn, dann halt irgendwie total leicht, gerade noch so auf dem Spektrum. Nee, einfach nein, es ist unfassbar heftig, und ich checke jetzt erst, das meinte ich vorher mit dem Weinen, wie krass das ist im Bereich der Selbstverleugnung. Also, ich habe irgendwann gar nicht mehr gewusst, wie bin ich intuitiv, einfach nur aus mir heraus? Was mir denn für mich wichtig, weil ich ständig so schon fast wahnhaft und ängstlich dabei war, mich anzupassen und Erwartungen zu erfüllen, dass ich gar nicht mehr den Raum hatte zu fragen, was will ich für mich? Was tut mir gut? Ich habe wirklich jetzt in den vergangenen zwei, drei Monaten, erst durch diese Neurodiversitätsdoku, dadurch dass ich gezielt anderen Menschen auch diese Fragen gestellt habe und mein Team mich das immer gefragt hat, gecheckt: Holy shit, es geht so viel Kraft weg, es geht so viel Zermürbung weg, und was will ich denn eigentlich wirklich? Und ich verhalte mich ganz oft ganz anders, als ich das eigentlich für mich möchte und auch im sozialen Kontext auch im privaten. Und wie zehrt mich das aus und was für eine Verbindung zu mir selbst habe ich eigentlich jetzt seit Jahren verloren und spüre mich gar nicht mehr? Und wie stumpf das war, habe ich wirklich erst in den vergangenen Wochen und Monaten gecheckt, wie weit ich von mir selbst eigentlich weg war und von jeder Verbindung. Das ist, glaube ich, so die größte Gefahr, woher auch Depressionen daraus resultieren, Suizidversuche daraus resultieren, dass du dich selbst verlierst, um es der Gesellschaft recht zu machen. Und das geht leider vielen so.
Karina: Aber hast du, also du musst mir auch nicht antworten, wenn das too much ist, aber das hat mich jetzt eigentlich voll interessiert. Aber hast du dann einen Raum, in dem du nicht masken musst? Also irgendwie, weiss ich nicht, einen Freundeskreis, wo du dich einfach fallen lassen kannst, wo das nicht so anstrengend ist?
Manuel: Also ich hatte mal einen Autismus-Stammtisch. Das wurde mir persönlich irgendwann so ein bisschen zu anstrengend, weil die Leute eine Tendenz entwickelt haben, sich auf Autismus dann doch zu reduzieren. Und plötzlich war dann alles so ah, und das Autist und das Autist, wie so ein Orden, so glorienmäßig vor sich hergetragen, das fand ich dann auf eine ganz andere Art und Weise anstrengend, und ansonsten sind es Einzelpersonen. Also ich habe keinen Gruppenraum oder so bisher, nur einzelne Personen, die einfach durch ihre Art, also manche kenne ich wirklich erst seit einigen Monaten, andere seit einigen Jahren, wo ich einfach weiß, die, die nehmen mich wirklich so, wie ich bin. Das hat super viel Mut gebraucht, ich selbst zu sein, mich in diesem Raum zu stellen. Aber die mögen mich wirklich. Das hat echt lange gedauert, bis ich das so akzeptieren konnte. Und je mehr ich das aber mal gemerkt habe, desto besser gelingt es mir, mich im Raum zu stellen. Und klar, es sind trotzdem, das werdet ihr alle kennen, das ist total menschlich, dass man Menschen, wo man wirklich einfach nur man selbst sein kann, ohne groß nachzudenken, weil man ihnen so sehr vertraut, das sind nicht viele. Und wenn aus welchen Gründen auch immer dann ein Mensch aus dem eigenen Leben verschwindet, dann tut es halt extrem weh. Und ich glaube, das Gefühl kennt jeder. Und vielleicht, ich möchte gar nicht behaupten, dass es faktisch so ist, aber vielleicht ist es, wie einige Dinge, das bei Autismus noch mal ins Extreme verstärkt, weil man sich überlegt, drei Prozent Autisten gibt es mutmaßlich weltweit. Und dann, wenn du jeden Tag das Gefühl hast, so wie du bist, ist es falsch, wenn du jeden Tag in die Fresse bekommst und dann sind da Menschen und für die bist du einfach okay, und die schaffe es irgendwann dir zu zeigen, du bist es irgendwie wert, dass du geliebt wirst, dass du gemocht wird, dass sie mit der Zeit verbringen wollen so, und wollen, dass du einfach du bist, das ist selten und jeder einzelne Verlust hat mich über Monate mindestens so richtig zerfetzt. Oder geht mir auch immer noch nach.
Jonas: Du hast eben mal das Bild von Harry Potter rausgeholt. Wenn du jetzt zaubern könntest, was würdest du, oder wie würdest du es dir wünschen, wie die Gesellschaft mit dem Thema Autismus umgeht? Gibt es da überhaupt Sonderumgangsformen, in Anführungsstrichen, und wo kann man sich grundsätzlich informieren? Oder hast du Tipps, wo man sagt, okay, wenn jetzt Leute uns zuhören die sich jetzt vielleicht gut mit dem Thema Inklusion und so vielleicht irgendwie auch ein bisschen verbunden fühlen, aber jetzt beim Thema Autismus noch wenig wissen, beziehungsweise das heute auch zum ersten Mal ein bisschen näher damit beschäftigt haben und vielleicht Interesse haben, da noch tiefer in die einzutauchen, was gibt es da, was sollte man machen?
Manuel: Also um mit dem Wunsch anzufangen, ich bin, was das betrifft, ein total bescheidener Mensch. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass Menschen mehr Fragen stellen, anstatt eh schon mit Thesen reinzugehen. Ich glaube da wäre schon so viel geholfen, wenn Leute einfach wirklich ehrlich erkennen, ich habe von einem Thema keine Ahnung, deswegen stelle ich erst mal eine Frage und meine es ernst und habe wirklich Interesse und nicht solche in Fragen verkleidete Feststellungen: So, gib mir mal recht, dass ich ja eh schon alles weiss. Ich habe so oft den Eindruck, gegen irgendwelche Klischees und schon eh gefestigte Meinungen angehen zu müssen und zu sagen: nee, so ist es nicht und nee, so ist es auch nicht. Es kostet doch eh schon genug Kraft aufzuklären. Warum muss ich dann auch noch lauter Vorurteile erstmal abbauen, die man mir entgegen schmettert? Und wieder das anhören und das auch nicht, aber es doch dann schon so, nee so. Also einfach mehr ehrliche Fragen stellen, mehr mit Neugier ins Gespräch gehen und weniger mit einer, vielleicht auch aus Überforderung oder Angst, geborenen Haltung, hey, guck mal, was ich eh schon alles zum Thema weiß, weil meistens stimmt es halt nicht. Und wenn da einfach mehr Fragen kommen, dann wäre mir schon sehr damit geholfen. Und was die Information angeht, ich finde ein einstiegsfreundliches Buch, um einfach mal eine andere Perspektive zu kriegen, ist von Lorenz Wagner, „der Junge, der zu viel fühlte“. Das ist so eine Reportage ursprünglich gewesen, im Süddeutsche Zeitung Magazin, und er hat es dann weiter gedreht und ein ganzes Buch aufgeschrieben über den weltberühmten Hirnforscher Henry Markram, der auch diesen Satz, „wer einen Autisten kennt, kennt nur den einen“, sehr propagiert hat und er selbst, Henry Markram ist mutmaßlich Autist, sein Sohn ist es definitiv auch diagnostiziert. Und Lorenz Wagner hat ihn über ein Jahr lang, also mehrere Jahre, glaube ich sogar, begleitet und große und kleine Schwierigkeiten erklärt er auch, warum Erwartungsmanagement für Autisten so wichtig ist und lauter große und kleine Sachen. Das finde ich zum Einstieg einfach, um einfach mal eine gefühlt andere Perspektive einzunehmen, total schön. Was ich jetzt selbst gar nicht gelesen habe, aber sehr viel Gutes gehört habe, ist dieses Buch, „autistisch, kann ich fließend“. Eine Übersetzungshilfe ist so dass Unterframing, das finde ich also, wie gesagt, selbst nicht gelesen, aber da habe ich sehr viel Gutes gehört. Und ansonsten „Schattenspringer“ gibt es ja, was immer eine Empfehlung wert ist oder auch die “Wochenendrebellen” kam jetzt ins Kino. Die sind zum Beispiel auch Spitze, weil es einfach wirklich ein Vater und sein Sohn einfach ist und nicht fiktionale Geschichte.
Raul: Dann gibt es auch diese zwei Pixar-Filme.
Manuel: Genau, die ich aber leider nicht kenne. Und deswegen kann ich mich dazu eigentlich nicht äußern.
Raul: Also einer heißt Float und einer heißt Loop und einer soll besser sein, als der andere. Ich weiß jetzt nicht genau, in welcher Reihenfolge das war. Aber ich glaube, Loop war der Vorläufer, aus der Perspektive einer Neurotypischen Person erzählt unter anderem Float, andersrum?
Karina: Genau andersrum. Ich habe die vor kurzem tatsächlich erst geguckt, weil ich einen Workshop zu Medienrepräsentation gemacht habe. Und die werden immer wieder erwähnt als gute Autismusrepräsentation zumindest so, was man online liest. Float ist eigentlich aus der Sicht von einem Vater von einem autistischen Kind. Und deswegen ist es auch ein bisschen kritisiert weil es halt wieder diese Perspektive durch die Augen der Eltern ist und auch, weil Autismus nicht klar dargestellt wird. Es ist im Endeffekt ein Junge, der kann fliegen und dadurch ist er halt seltsam. Und der Vater hat Probleme, damit umzugehen, dass dieser Sohn eben anders ist, als die anderen Kinder. Also eigentlich dieses fliegen kann halt für ganz viele andere Dinge auch stehen. Das muss jetzt nicht per se für Autismus stehen. Das kann er einfach generell für Behinderung stehen. Das könnte theoretisch eigentlich auch für alle anderen Diversitätsmerkmale stehen. Genau, und Loop war der, wo ein nonverbales autistisches Mädchen kommuniziert mit einem neurtypischen Jungen. Und die rausfinden, wie Kommunikation für die beiden funktioniert. Und das fand ich ganz schön dargestellt. Aber genau, vielleicht muss das Manuel mal anschauen und uns in einem Nachtrag sagen, ob die wirklich zu empfehlen sind.
Manuel: Ich nehme die Hausaufgaben gerne mit.
Raul: Sehr gut soll auch sein, “Alles steht Kopf”, der erste Teil, wo auch zumindest Eltern von autistischen Kindern, zum ersten Mal das Gefühl hatten, sie verstehen ungefähr, wie es im Kopf eines Kindes vor sich gehen kann, ohne dass jetzt explizit Autismus auch gemeint ist.
Manuel: Ja, den Film habe ich gesehen. Und den fand ich einfach nur als Film super.
Raul: Der zweite Teil ist nicht so gut. Den ersten habe ich auch gesehen, der erste ist besser.
Manuel: Würde ich mich auch anschließen. Ich fand den zweiten auch immer noch gut. Aber ich fand schon deutlich besser, wie es oft ist, um die Empfehlung abzurunden. Und das sollte jetzt gar nicht arrogant sein. Ich würde einige Sachen davon auch nicht mehr schreiben. Aber ich habe mich in meinem eigenen Autismus outcome einfach sehr, sehr nackt gemacht. Und deswegen ist dieser Text halt auch sehr ehrlich. Was heißt hier autistisch? Findet man immer noch auf Zeit online. Ich hoffe, er ist immer noch frei. Ich würde nicht mehr von hochfunktionalem Autismus schreiben, weil ich halt mittlerweile weiß, dass es auf die Nazizeit zurückgegangen ist, von wegen arbeitsfähiges Lager, Vernichtungslager. Würde ich jetzt nicht mehr machen. Und ich würde halt nicht mehr von Asperger schreiben, weil es halt inzwischen Stand der Wissenschaft, einfach Autismus-Spektrums-Störung, ohne die verschiedenen Untergliederungen ist. Aber ansonsten ist es ja aus meiner Ich-Perspektive und gegen geschnittenen Erinnerungen, vielmehr als Kind, als Jugendlicher, aber auch im heute. Und ich habe da aus meiner Sicht wirklich alle Hüllen fallen lassen, und ich kann da nicht mit einem Buch mithalten. Aber ich glaube, der Text ist so 15.000 Zeichen vielleicht 18.000 Zeichen lang, mehr so zwei Seiten der Zeit. Und ich glaube, für so eine erste, grundlegende Einführung in ein autistisches Denken eignet er sich ganz gut. Das würde ich jetzt gar nicht aus meiner eigenen Urteilsfähigkeit heraus behaupten. Aber ich habe auf den Text bis zum heutigen Tag über 1800 Zuschriften gekriegt, die meisten davon von Leuten, die selbst auch ein Spektrum sind oder Verwandtschaft auf dem Spektrum haben und aus, also den Rücken gestärkt mit diesem Feedback, empfehle ich dann auch mal die eigene Arbeit.
Raul: Hinterlegen wir auf jeden Fall in den Shownotes.
Jonas: Schaut gerne mal vorbei auf www.dieneuenorm.de nicht nur diesen Text, sondern auch deinen Video-Podcast „Nicht Witzig“, und die anderen Buchempfehlungen und Filmempfehlungen haben wir dort für euch gesammelt. Also schaut gerne mal vorbei. Manuel vielen Dank, dass du heute hier warst und uns quasi deine Perspektive etwas näher gebracht hast und wir ein bisschen über deine Arbeit, über Journalismus und, ja, bunte Zahlen, Verkehrsschilder mit Gesicht und alles Mögliche, mal gemeinsam sprechen konnten. Das war die letzte Folge, die neue Norm für dieses Jahr. Vielen Dank, dass ihr mit dabei wart. Und wir hoffen, dass Sie auch im nächsten Jahr bei der nächsten Episode wieder mit dabei seid. Vielen Dank, dass du da warst und tschüss, Dankeschön