Die Neue Norm: „Drei Journalist*innen, zwei Rollstühle und eine Sehbehinderung: Die Journalist*innen Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raul Krauthausen sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.
Folge 33: Allyship
Judyta:
Jonas, wann hast du das letzte Mal Allyship erfahren?
Jonas:
Wir hatten neulich eine interne Veranstaltung. Bei uns und dort wurden Dokumente ausgeteilt in Papierform, und die Person, die das organisierte, ist vorher auf mich zugekommen und hat gesagt, okay, so ein Papier, wo ganz viele Sachen draufstehen ist vielleicht für dich nicht barrierefrei und hat diese Dokumente dann noch mal online bereitgestellt, so dass ich dann quasi auf der Veranstaltung mir das an meinem Smartphone noch mal angucken konnte. Das fand ich sehr zuvorkommend und sehr mitdenkend. Und das war die perfekte Unterstützung für mich.
Jonas:
Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast. Wenn man sich für eine Sache engagiert, sich dafür einsetzt, wenn man für etwas kämpft, dann ist es leichter, wenn man Unterstützer*innen hat. Personen, die vielleicht nicht selber betroffen sind, aber die für die gleichen Sachen einstehen. In dieser Folge wollen wir klären, ob und wie Menschen mit Behinderung Unterstützer*innen brauchen. Wir zeigen, wie auch nicht behinderte Menschen für Inklusion und Barrierefreiheit sich einsetzen können. Und wir fragen uns, was das Ganze mit „Nicht über uns – ohne uns“ zu tun hat. Bei mir sind Judyta Smykowski und Raúl Krauthausen.
Judyta & Raúl:
Hallo…
Jonas:
Mein Name ist Jonas Karpa, und für diese Folge haben wir uns im wahrsten Sinne des Wortes Unterstützung geholt, nämlich von unserer Kollegin Silke Georgi. Hallo.
Silke:
Hallo.
Jonas:
Du bist eine Person, die schon sehr lange bei uns im Team der Sozialheld*innen ist und bist im Projekt Jobinklusive – wir haben ja auch schon häufig hier über Arbeit und Behinderungen gesprochen – tätig und hast dich sehr mit dem Thema Unterstützung beziehungsweise Allyship auseinandergesetzt. Wie kam es dazu? Du bist ja selber nicht betroffen. Also Raúl, Judyta und ich haben alle eine Behinderung, du nicht. Wann war der Punkt, wo du gesagt hast, okay, für dich ist dieses Thema relevant und möchtest sich damit auseinandersetzen?
Silke:
Ich bin jetzt schon beinahe seit neun Jahren bei den Sozialheld*innen dabei. Aber ich habe mir die letzten paar Wochen so Gedanken darüber gemacht, wo das alles eigentlich angefangen hat mit dem Thema Allyship bei mir. Ich wusste ja, dass du mir heute die Frage stellst und ich …
Jonas:
Gut vorbereitet!
Silke:
…und es geht sehr weit zurück. Und zwar sind meine beiden Eltern unter dem Nationalsozialismus groß geworden. Sie waren 15 und 16 als der Krieg vorbei war und all die Gräueltaten der Nazis ja zu Lichte kamen. Und sie haben uns immer mitgegeben, dass wir nicht die Schuld an dem, was passiert ist, tragen, sondern die Verantwortung haben, dass so etwas nicht wieder passiert, dass wir dafür kämpfen, dass Menschen nicht diskriminiert werden. Und so hat sich das eigentlich durch mein ganzes Leben gezogen. Wir sind dann in die USA ausgewandert und da haben meine Eltern in der Bürgerrechtsbewegung von den Afroamerikaner*innen in Kalifornien sich sehr engagiert. Ich bin in einer sehr weißen Vorstadt groß geworden, sehr multikulturell, aber sehr weiß. Bei uns auf dem Tisch im Wohnzimmer lagen immer zwei Zeitschriften Jet und Ebony. Das sind Zeitschriften von und für Menschen, die Afroamerikaner*innen sind. Und es lag neben dem Spiegel und dem Boston Globe. Und damit bin ich groß geworden, dass wir immer diese Zeitschriften ganz normal bei uns hatten.
Später bin ich dann auf eine jüdische Universität gegangen, und ich ging dahin, mit der Einstellung, sicher werde ich da auch nicht immer nur positiv begrüßt, wenn unter meinen Kommilitonen sehr viele waren, deren ganze Großelterngeneration durch die Nazis vernichtet worden waren. Und ich bin da nur mit Respekt und Freundlichkeit begegnet worden. Und da ist mir klar geworden, was das für eine tolle Situation war, dass ich ein volles Stipendium an einer der teuersten Universitäten von Amerika kriege und nie als die Quotendeutsche da gesehen wurde, sondern auch mit Respekt über die ganze Nazizeit mit mir gesprochen und diskutiert haben.
Ja, und dann ging es weiter. Ich bin später mit meiner eigenen Familie in die Niederlande ausgewandert, als Ausländerin, da aber immer als privilegierte Expat. Ich hatte viele Freund*innen, die geflüchtet waren. Und dieser Unterschied, dieser krasse Unterschied zwischen mir als Ausländerin und ihnen als Ausländer*innen war mir immer bewusst, was ich einfach für eine super privilegierte Stellung hatte. Und noch eine Sache, die ich immer von klein auf mitbekommen habe. Mein Vater war Professor an der Harvard Universität, und das ist so ein bisschen der Olymp des Privilegs, und er hat immer dafür gesorgt, dass er auch Doktorand*innen sucht, die aus weniger privilegierten Hintergründen kommen und aus anderen kulturellen Hintergründen. Und das hat er mir vorgelebt und vor neun Jahren bin ich zu den Sozialheld*innen gekommen. Hatte mich davor mit dem Thema Behinderung noch nicht viel auseinandergesetzt, aber im Prinzip diese gleiche Einstellung hier versucht weiter reinzubringen. Das Wort Allyship kenne ich erst vielleicht seit einem Jahr. Ich hatte das vorher noch nie so definiert oder überlegt, was das eigentlich ist. Und jetzt hat das alles eigentlich einen Namen gekriegt erst in der letzten Zeit für mich.
Jonas:
Ich wollte gerade fragen, weil ist dieses Haltung haben eigentlich zu gewissen Themen…also du sprachst von sehr vielen Privilegien haben, dass einem das vielleicht manchmal so bewusst ist, oder in einem wohnt, ohne dass man jetzt großartig die Bedeutung oder die Definition von dem, wie man eigentlich lebt und was man eigentlich auch vorgelegt bekommt, eigentlich so in sich trägt.
Silke:
Also dass ich mit vielen Privilegien geboren wurde und lebe, ist mir, glaube ich, schon immer klar gewesen. Und das ist ja auch ein sehr wichtiger Teil von Ally-Sein. Dass einem bewusst wird, dass man einer Gruppe angehört oder Privilegien im Leben hat, die andere Menschen nicht haben. Das ist so die Basis dafür, dass man als Ally sich mit seinen Privilegien für andere Menschen einsetzt, die nicht dieselben Privilegien haben.
Judyta:
Was ich mich auch frage, ich als behinderte Personen weiß ja, was ich bei den Sozialheld*innen mache. Ich bin eigentlich auch egoistisch. Ich kämpfe dafür, dass mein Leben besser wird, dass es barrierefreier wird. Wie ist das für dich ist – denkst du darüber die ganze Zeit nach? Also was für einen Bezug hast du zum Thema Behinderung? Oder anders gefragt: was bringt es dir eigentlich, für uns zu kämpfen?
Silke:
Ich kämpfe nicht für euch. Ich kämpfe für die… oder ich weiß gar nicht, ob ich kämpfe. Ich setze mich ein für eine sozialere Welt. Also das, was meine Eltern mir vorgelebt haben. Man ist hier, um irgendwie einen kleinen Unterschied zu machen, während man auf der Erde ist. Und ob es jetzt für Geflüchtete oder Afroamerikaner*innen oder jetzt mit Menschen mit Behinderungen zu arbeiten – es geht ja darum, dass wir zusammen eine gerechtere, sozial gerechtere Welt schaffen. Und ich sehe, dass das auch unheimlich viel mit mir zu tun hat. Und die Welt, in der ich leben will einfach.
Jonas:
Raúl. Wie fühlt es sich für dich an, wenn du weißt, dass es dort Menschen gibt, die nicht betroffen sind, die aber für dich kämpfen? Ich meine, du bist ja auch der Inklusionsaktivist vielleicht in dem Sinne schlechthin, der so, wie Judyta es gerade gesagt hat, ja auch für die eigenen Rechte kämpft. Wie fühlt es sich an, wenn du weißt, dass du dort Mitstreiter*innen hast, die selber nicht betroffen sind?
Raúl:
Also ich glaube, mir fällt es gerade gar nicht so leicht, das genau zu beschreiben. Weil Verbündete oder Alliierten gab’s ja wahrscheinlich schon immer seit ich lebe, die an meiner Seite standen, ohne dass es gleich einen Namen oder Label bekam. Ich bin ungefähr zeitgleich mit Silke wahrscheinlich mit diesem Begriff konfrontiert gewesen oder worden. Und dass es dann dahinter ganze Konzepte oder Modelle gibt, ist unfassbar spannend, aber auch ein bisschen akademisch. Aber was ich sehr schön finde, ist zum Beispiel bei der Art von Silke und dem Allyship, den sie ja macht – den ja auch viele andere machen, aber jetzt so konkret – ist, es fühlt sich nicht unangenehm aufdringlich an. Also: „Ich weiß, was gut für dich ist!“. Oder jetzt vorpreschen und vorauseilend irgendetwas machen, obwohl man vielleicht selber gar nicht die Intention hatte, dass mir da geholfen wird oder so. Sondern einfach auch danebenstehen und beobachten und im richtigen Moment fragen, ob das so okay ist, ob man Unterstützung braucht und gleichzeitig aber vielleicht auch – das finde ich, das gehört auch zum Allyship dazu – mich selber in Frage stellt und auch kritisiert in meiner Rolle.
Selbst als Betroffener kann ich ein Arschloch sein, auch in dem Bereich und da dann jemanden zu haben, der sagt: „So, ich verstehe, was du meinst. Aber vielleicht ist das jetzt übers Ziel hinausgeschossen.“ Das ist, finde ich, auch für mich eine Form von Allyship auf Augenhöhe miteinander durch die gleiche Welt gehen und rollen, ohne dass es so eine Art Abhängigkeitsverhältnis gibt in die eine oder andere Richtung. Und was ich ganz spannend fand, was Silke gesagt hat, dieses: es geht gar nicht um Schuld, es geht einfach um Bewusstsein über Privilegien, und für dein Privileg kannst du in der Regel nichts. Das einzige, was du machen kannst, ist verantwortungsvoll damit umgehen. Und das gilt dann in alle Richtungen. Also wenn wir über Intersektionalität sprechen, bin ich zwar behindert, aber bin trotzdem ein Mann. Und das heißt, ich habe auch Verantwortung gegenüber behinderten Frauen vielleicht, nicht ständig für sie zu sprechen.
Judyta:
Ja total und wir sind ja auch alle Weiß, und wir sind eben behindert, aber vielleicht sind wir nicht mehrfach diskriminiert. Also ich glaube, das ist ein ganz individueller Prozess auch für alle. Ich glaube, behinderte Menschen müssen auch erst einmal an die Oberfläche schwimmen wahrscheinlich und auch erst mal so ein bisschen klarkommen in der Welt und dann vielleicht auch erst sich um andere kümmern, obwohl das ja auch sehr egoistisch ist… wisst ihr, was ich meine? Also dass es so ein Prozess ist, dass nicht jeder und jede die Kraft hat und auch erst mal zu einer gewissen Position kommen muss, um dann zu denken, okay, es gibt noch andere.
Raúl:
Würdet ihr da eine Unterscheidung machen zwischen Allyship und Freundschaft?
Silke:
Auf jeden Fall.
Raúl:
In wie fern?
Silke:
Das ist Teil von Freundschaft, dass man Menschen unterstützt, das ist ja auch gegenseitig. Wenn man seine Freunde nicht unterstützt, dann ist das keine Freundschaft. Aber ob jemand sich jetzt einsetzt für Menschen aus einer Gruppe, der man nicht zugehört, mit denen man vielleicht überhaupt nichts zu tun hat, das erfordert ganz andere Denke oder Einsatz oder Motivation auch. Und auch Selbstreflektion.
Raúl:
Das heisst, Freundschaft ist eine Teilmenge von Allyship.
Jonas:
Ja.
Silke:
Kann, ja.
Jonas.
Da fällt mir gerade ein, würdet ihr einen Unterschied machen zwischen Allyship und… wenn man es jetzt noch mal übersetzt mit Verbündete oder Unterstützer*innen, hin zu Leuten, die das beruflich machen, also wäre eine 24/7-Assistenz… ist das auch ein Ally oder ist das jemand, der das in Anführungsstrichen notgedrungen des Geldes wegen macht? Oder muss eine Überzeugung dahinterstehen, die das unabhängig von beruflicher Sicht sowas machen würde?
Silke:
Also wenn man das pur nur als Beruf macht, dann ist das nicht unbedingt Allyship. Aber da geht ja, nehme ich an, auch eine Haltung hervor, warum man diesen Beruf macht. Aber man kann ja auch genauso gut Assistent sein und super übergriffig und gerade nicht Ally sein und nicht das Motto: „Nichts über uns – ohne uns“ beibehalten, sondern dauernd entscheiden und ja, paternalistisch handeln. Und das ist dann genau das Gegenteil von Allyship. Und ich glaube, das passiert ja auch ganz oft.
Jonas:
Ganz schön spannend, du hast ja gerade „Nichts über uns – ohne uns“ angesprochen und Judyta, du hast auch davon gesprochen, dass Menschen mit Behinderung vielleicht auch erstmal, um an die Oberfläche zu kommen, so ein bisschen egoistisch auch sein müssen. Ich fand es sehr spannend, als ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe, dass man auf der einen Seite diese Unterstützung bekommt durch Allyship und auf der anderen Seite den…eigentlich finde ich so den Leitsatz schlechthin in der behinderten Rechtsbewegung: Nichts über uns ohne uns“, der wirklich einem immer auf den Weg gegeben wird, dass es darum geht, Selbstvertreter*innen zu haben. Dass Menschen mit Behinderung selber über ihre Themen sprechen sollen und dass man eigentlich nicht irgendwelche anderen Personen haben sollte, die für Menschen mit Behinderung sprechen, sondern dass Menschen mit Behinderung eben selber an die Tische kommen, wo Entscheidungen getroffen werden. Also, dass man auch das hat. Und ich fand, das waren irgendwie so gefühlt auf den ersten Blick so zwei Gegenpole auf der einen Seite, wenn man es überspitzt sagt, dass eben nur Menschen mit Behinderung sich zu Behinderten-Themen äußern sollten und auf der anderen Seite Allyship, wo es eben doch Unterstützer*innen braucht. Und ich habe so für mich herausgefunden, dass gerade in den wichtigen Entscheidungspositionen selten Menschen mit Behinderungen sitzen. Und es, glaube ich, erstmal die Unterstützer*innen benötigt, die da einen Blick für haben oder auch ihre Plätze frei machen für Menschen mit Behinderung. Dass dort überhaupt die Chance besteht, dass Menschen mit Behinderungen zu Wort kommen. Also, dass es eben doch nicht Gegenpole sind, sondern dass es eben trotz dieses: Nicht über uns – ohne uns“ wir Unterstützer*innen benötigen, die helfen, in wichtige Entscheidungspositionen zu kommen. Weil ich meine, gut, es gibt verschiedene Räte, und es gibt den Bundesbehindertenbeauftragten, aber das sind ja alles teilweise Positionen, die zwar gewisse Sachen äußern können, aber die nicht in den wirklichen Entscheidungspositionen sind, großartig Sachen verändern zu können in den meisten Fällen.
Silke:
Ich würde sogar sagen, es ist nicht trotz dieses Spruches, sondern wegen diesem Spruch, das Allyship nötig ist. Es geht ja nicht darum, dass Menschen ohne Behinderung über Menschen mit Behinderung sprechen oder für sie, sondern gerade den Raum, den ich als Mensch ohne Behinderung habe, die Stimme von Menschen mit Behinderungen einen Raum zu geben. Und dass gerade das ganz wichtig bei Allyship ist, dass ich nicht jetzt einspringe und die Probleme für euch löse und irgendwelche Sachen mir ausdenke, was für euch richtig wäre, sondern was habe ich als Person ohne Behinderung, eine weiße Person, die in den Raum kommt, die nicht irgendwie gleich beurteilt wird wegen irgendwas. Was habe ich für Privilegien dadurch, die ich an Menschen mit Behinderungen weitergeben kann?
Jonas:
Heißt dieses Ally aber auch, ein Nein akzeptieren müssen? Also es kann ja sein, dass du vielleicht als Verbündete von Menschen mit Behinderungen Superideen hast, wie man gewisse Sachen irgendwie umsetzen kann oder wie Unterstützung stattfinden kann, das dann vorschlägst und die betroffenen Personen dann sagen: Silke, ist ja lieb und nett, aber das hilft mir persönlich nicht. Dass du mit diesem Nein eben auch umgehen kannst.
Silke:
Klar, auf jeden Fall. Es geht ja die ganze Zeit darum, anderen Menschen zuzuhören. Mir erst mal meiner Privilegien bewusst zu werden. Was habe ich denn für Rechte, die ihr nicht habt? Was habe ich für Vorteile, die ihr nicht habt und dann euch zu fragen, was sind die Lösungen? Wie kann ich euch unterstützen? Nicht: Hallo, ich habe eine tolle Idee für euch. Und immer wieder um Feedback fragen. Genau, das Feedback bekommen ist ganz, ganz wichtig. Und wenn ihr sagt: Hoppla, Silke, da gehst du gerade zu weit – dass ich dann vielleicht kurz erst mal hm, menschlich reagiere und vielleicht sogar ein bisschen beleidigt bin oder so. Aber dass ich diese Beleidigung auch erkenne und merke, ja, es geht ja wieder nicht um mich, ob ich beleidigt bin, sondern es geht darum, wie kann ich euch unterstützen? Und wenn das gerade Nichtunterstützen von euch ist, dann ist mein persönliches Gefühl gerade ups, ihr habt mich unterbrochen oder mich kritisiert, ist eigentlich völlig…nicht eigentlich, sondern ist einfach völlig egal.
Jonas:
Judyta, wann wurdest du zuletzt im Rollstuhl ungefragt geschoben?
Judyta:
Vor einer Woche, es war auf einer Wohnungsbesichtigung, und ich sage noch, ich möchte bitte die Haustür selber aufmachen, weil ich natürlich gucken muss, ob ich in dieses Haus reinkomme, wenn ich da wohne. Ich möchte das alleine machen und die so: Ja, ja, okay. Und dann probiere ich das und diese Tür ist sehr schwer. Und natürlich, man sieht mich da und ich leide, und ich bin eine behinderte Frau im Rollstuhl und kämpf mich gerade ab. Und dann muss man natürlich doch anschubsen, obwohl ich es halt vorher gesagt habe, ich muss es selber ausprobieren. Das hat mich schon sehr amüsiert. Also es ging da um eine Wohnung, in der ich wohnen will.
Jonas:
Ja vielleicht dieser Gedanken, dass du vielleicht nie alleine mal nach Hause kommst.
Judyta:
Ja auch dieses…ich glaube wirklich, wie es gerade aussieht. Es sah gerade wahrscheinlich richtig armselig aus. Ich kämpfe mir da einen ab, alle stehen drum herum, und dann muss man doch zupacken, dann muss man doch helfen. Das kann ich verstehen, aber es ist halt, ja, wenn ich es wirklich vorher auch gesagt habe, dann sollte man das auch akzeptieren.
Raúl:
Aber da muss man auch mal eine Lanze brechen für Verbündete, die dann sagen, ich halte das jetzt einfach mal aus.
Judyta:
Nein, das sollten sie aushalten.
Raúl:
Ja, genau. Aber das setzt ja ein Bewusstsein voraus, das daraus entsteht, dass man sich in dem Moment unwohl fühlt und dann eben den Impuls unterdrückt, gleich helfen zu müssen oder helfen zu wollen. Und dann – ich versetze mich jetzt mal in die Lage von Silke zum Beispiel – dann einfach auszuhalten, jetzt nicht zu helfen, auch wenn es so …keine Ahnung, wenn man die ganze Zeit sieht, Oh Gott, die Person hat es gerade nicht einfach mit der Tür.
Judyta:
Ja, das habe ich auch versucht. Ich habe auch versucht, mich in die anderen Leute reinzuversetzen. Aber wenn ich es wirklich ja vorher geäußert habe, dann ist der Punkt für mich, wo ich es dann nicht ganz akzeptieren kann.
Silke:
Ja, weil die Frau gerade das nicht machte, was Raúl meinte. Zum Ally gehört auch, dass man diese unangenehmen und schwierigen Momente aushält. Ob es jetzt Kritik ist, dass jemand mir sagt: So aber nicht Silke! Oder ich eigentlich zugreifen will, weil ich eigentlich eine hilfsbereite Person bin und ich eigentlich gerne jetzt dich schieben würde, weil…das ist schwierig für mich. Oder du erzählst mir von Diskriminierungserfahrungen und ich muss lernen, auszuhalten und nicht das runterzuspielen oder gleich eine Lösung für dich haben: Mach doch das oder das. Oder zu sagen „du warst gar nicht diskriminiert, stell dich nicht so an“, oder tausend Sachen, die ich sagen könnte. Einfach diesen Raum zu geben für die schwierige Situation, die da ist und nicht, dass ich meine eigenen Gefühle von irgendwas dann befriedige, indem ich irgendetwas tue, was gerade gegen Allyship geht.
Judyta:
Ja.
Raúl:
Und dann gibt es ja auch… sagen wir mal so eine Gefühlsebene dazwischen. Also angenommen, du hast dann die Tür alleine aufbekommen…
Judyta:
Hab ich ja nicht.
Raúl:
Okay oder eine andere Situation. Du hast jetzt die Tür nicht alleine aufbekommen. Aber angenommen, du hättest die Tür alleine aufbekommen, und du würdest dich dann um etwas ganz anderes kümmern, nämlich um die Wohnung und ob die Einrichtung passen würde und ob du zufrieden ist, ob es hell genug ist, oder was auch immer. Und dann kommt danach noch mal jemand und will noch mal mit dir über die Tür reden. Das kann ja auch unangenehm werden, wenn du eigentlich ganz woanders gedanklich schon bist. Und da finde ich es auch gar nicht so leicht, dann zu erkennen, greift man ein Thema noch mal auf, was man gemeinsam erlebt hat, was für beide doof war? Oder aber wartet man als Verbündeter oder Verbündete dann darauf, bis das Thema wieder zur Sprache kommt, aus der Perspektive des Betroffenen? Ich glaub, da gibt es auch keine Lehre, oder?
Judyta:
Na, das kommt auf die Menschen an. Es gibt ja viele Menschen, die immer wieder sagen: Ey, ich möchte das noch mal klären. Da gab es eine Situation, lasst uns bitte noch mal drüber reden. Und dann müssen wir in dem Fall vielleicht auch wieder etwas erklären, wie wir es gerne hätten. Und dann können die Menschen was daraus lernen. Glaube, das hängt aber auch von uns ab, uns behinderten Menschen, wie wir auch gerade drauf sind. Haben wir gerade Lust, immer wieder zu erklären, wie sich der Mensch verhalten hätte müssen…
Raúl:
Ja, genau, aber angenommen, du hast jetzt keine Lust, darüber zu reden, was emotional ja völlig legitim ist, aber faktisch im Sinne des Allyships vielleicht nicht konstruktiv.
Judyta:
Ja, das verstehe ich. Aber ich bin halt keine Fibel, die durch die Welt geht.
Jonas:
Hast du denn die Wohnung bekommen?
Judyta:
Nein.
Silke:
Ja, das kann auch nicht irgendwie die Arbeit von jeder Person mit Behinderung sein, jetzt alle anderen Menschen aufzuklären, über wie das ist, in der Positionen zu sein, wo man immer wieder diskriminiert und marginalisiert wird. Das ist ja die Aufgabe von Menschen ohne Behinderungen darüber zu lernen. Und es gibt genug Informationen, ob Bücher, Podcasts wie Die Neue Norm oder tausend andere Sachen – der Blog von Raúl Krauthausen – einfach mal lesen oder auf Social Media. Und da kann ich mich ja zu dem Thema weiterbilden und wie man in solchen Situationen am besten reagiert oder ob man dann dem Vermieter noch was sagt, keine Ahnung. Es kann nicht Judytas Jobs sein, jetzt irgendwie awareness raising für alle möglichen Leute zu machen. Das ist meine eigene Verantwortung, mich weiterzubilden, mich zu informieren, darüber zu lernen. Und damit fängt Allyship überhaupt an, zu lernen, ganz still sein und ganz viel erfahren. Und dann, wenn Leute mit Behinderungen mit mir auch darüber reden wollen zuzuhören. Und das ist eine Riesenherausforderung, weil wir lernen, nicht zuzuhören in unserer Kultur.
In der Schule kriegt man gute Noten, wenn man sich dauernd meldet und immer was zu sagen hat und zu allem ganz schnell eine Meinung hat. Aber keiner der Zuhörer kriegt eine gute Note. Oder die Person, die in der Schule das Kind mit Behinderung zum Geburtstag einlädt und da kein großes Thema draus macht, sondern das ganz normal macht. Das wird nicht hervorgehoben. Aber der tolle Sportler, der irgendwie was mega erreicht oder was weiß ich. Und Zuhören ist schwierig. Einfach mal unangenehme Sachen auch hören und fragen und noch mal fragen und nicht gleich Gegenargumente oder Runterspielen oder Ratschläge oder Lösungen. Das ist die einfache Reaktion für mich, wenn Judyta oder Jonas oder Du mir was erzählt, was euch schwergefallen ist oder dass du irgendwo nicht rein konntest und frustriert warst oder genervt oder traurig oder wütend. Und für mich ist es dann ganz einfach zu sagen: Hey, nimm es nicht so ernst – oder: Das nächste Mal klappt es – oder: Sonst klappt es doch immer – oder: Nimm es nicht so… Ist mir auch schon mal passiert. Ich weiß nicht alle tausend Antworten, die ich ausdenken könnte, um mein unwohles Gefühl schnell herunterzuspielen und einfach, dass du aufhörst, mir davon zu erzählen. Also ich plädiere dafür, eine Note Zuhören in der Schule einzuführen.
Raúl:
Wie kann man das messen?
Jonas:
Ja, das war auch meine Frage. Also ich war auch jemand… Ich habe das früher…
Judya:
…so geschnipst.
Jonas:
Das ist schon so lange her. Ich glaube Ja, aber ich war nicht so ein Kind… ich kann mich erinnern, da gab es Kinder, die dabei noch so gestöhnt haben…beim Schnipsen.
Raúl:
Es gab auch die Leute, die beide Hände heben zum melden.
Judyta:
Echt? Nee!
Silke:
Ich bin ja zum Glück in den USA groß geworden, wo es keine Note gab, für mündliche Teilnahme und deswegen konnte man immer still sein.
Jonas:
Um Raúls Frage da mal aufzugreifen. Leistung ist ja quasi durch Teilnahme eher messbar als durch Aufnahme von Informationen. Deshalb ist es, glaube ich, hier kann ich gar nicht diesen schulischen Ansatz irgendwie nachvollziehen, dass man sagt, okay, das ist schwierig zu bewerten. Aber ich finde den Ansatz, den du gesagt hast ja vollkommen nachvollziehbar.
Silke:
Man kann es ja erstmal überhaupt lernen in der Schule. Ob man das dann benotet… muss man ja nicht benoten. Das war jetzt überspitzt von mir gesagt, aber dass man überhaupt in der Schule über Empathie und Zuhören und zusammen Sachen erreichen und wie kann man einander unterstützen – wenn das ein Schulfach wäre, wäre ja schon mal was. Was ist aktives Zuhören? Wie stelle ich Fragen, ohne die Person in Verlegenheit zu bringen?
Judyta:
Aber ich versetze mich gerade in deine Lage und finde das aber auch so unbefriedigend ehrlich gesagt. Also sozusagen auch ständig uns als behinderte Menschen so als Barometer zu haben und immer dich rückversichern zu müssen, ist das gerade okay, was ich mache? Weißt du?
Silke:
Ach, muss ich aushalten. Außerdem ist das nicht so. Ich versuche, das gerade nachzuvollziehen, was du gerade denkst, und das fühle ich so überhaupt nicht.
Judyta:
Weil wir doch alle…wir wollen die Ideen irgendwie in die Welt posaunen. Wir wollen den Vortrag halten oder so, und du musst als nicht behinderte Person, dann auch gerade in unserer Arbeit, immer so ein bisschen zurücktreten. Das, was ja auch Jonas so ein bisschen sich gefragt hat. Also ist das nicht Raum für Frustration auch?
Jonas:
Vielleicht weil es um das große Ganze geht? Also weil es ja dann in unserer Arbeit, ja eher um die Idee…was heißt Idee, das ist zu wenig gesagt… aber um Inklusion und Barrierefreiheit geht und jetzt nicht um dich, Judyta, im Speziellen… auch…
Aber: es geht nicht immer nur um dich, so!
Judyta:
Ja, merke ich!
Raúl:
Interessant finde ich, dass nicht behinderte Menschen im Kollegium, als Allys da sind, ja auch mir dabei helfen, die Perspektive der Nichtbetroffenen nachzuvollziehen. Also es ist ja ganz oft auch so, dass ich zumindest in meinem Aktivismus vielleicht auch übers Ziel hinausschieße oder einfach die Dinge völlig falsch oft auch überinterpretiere und dann einfach es schon auch hilfreich ist zu sagen, die im Publikum haben es einfach nicht verstanden, auch, weil ich gedanklich schon drei Schritte weiter war, weil ich mich so tief in der Materie schon damit befasst habe, dass ich teilweise auch Leute vergesse mitzunehmen auf dieser Reise zum Beispiel. Und nur, weil ich in einer Kategorie betroffen bin als behinderter Mensch, dass man mich ja auch nicht davor schützt, in anderen Kategorien Fehler zu machen, zum Beispiel als Mann oder als Weißer und da dann auch Feedback zu bekommen von Verbündeten ist unfassbar wichtig.
Silke:
Und ich mache ja auch diese Arbeit, weil es mir einfach auch Spaß macht. Geht gar nicht darum, dass ich die ganze Zeit irgendwie vorsichtig bin und auf Zehenspitzen rumlaufe, sondern es macht mir Spaß, mit dem Team, mit euch an einem aktivistischen Thema zu arbeiten. Und man muss ja nicht immer gleich beruflich als Ally unterwegs sein. Also Allyship kann man ja im täglichen Leben, am Stammtisch, im Verein, bei der Arbeit, bei der nächsten Panel-Diskussion ausüben, ohne dass man das jetzt zum Beruf macht.
Judyta:
Ja. Ich möchte noch mal an den Anfang, an meinen Gedanken…
Jonas:
Mit der Wohnung?
Judyta:
Nee, mit dem oben schwimmen. Das sollte nicht so klingen, dass behinderte Menschen immer mit sich selbst beschäftigt sind und deswegen keine Allys sein können. Um Gottes willen. Das wollte ich eigentlich so nicht sagen. Es ist aber auch… ich merke einfach in meiner täglichen Arbeit, wenn ich auf einem Panel sitze, wenn ich Workshops gebe zum Thema Behinderung, da möchte ich auch in dieser einen Stunde so viel Wissen packen über Behinderung und sollte eigentlich in jedem zweiten Satz auch andere Gruppen ansprechen und mitdenken und dafür auch das Bewusstsein machen. Und es klappt nicht. Weil ich immer so ein bisschen noch vom Kuchen was haben möchte und sagen möchte: ich bin doch hier für behinderte Menschen. Aber ich sollte es eigentlich anders machen. Ich sollte den Raum nehmen und alle anderen auch erwähnen. Und das mache ich auch noch zu wenig.
Jonas:
Es ist generell in dem Prinzip Allyship aber auch so, dass es darum geht, wer darf über was reden? Also ist das auch ein zentraler Punkt? Weil wir haben es ja auch in allen anderen Gruppierungen so. Wenn wir über Rassismus sprechen, dürfen weiße Menschen über Rassismus sprechen? Dürfen Männer über Feminismus sprechen? Also dürfen nicht behinderte Menschen über Ableismus sprechen? Also da ist auch wieder dieser Punkt, mit dem „Nicht ohne uns über uns“ und gleichzeitig aber trotzdem Verbündete haben, die eben trotzdem die Fahne hochhalten und sich genauso für eine gute soziale Gesellschaft einsetzen.
Silke:
Es kommt ja völlig auf den Kontext an. Wenn ich jetzt über Ableismus, spreche auf einem Panel, und ich bin mit drei anderen nicht behinderten Personen auf einem Panel, und wir reden darüber – das geht gar nicht. Da muss ich dann diesen Raum, den ich bekommen habe, an jemand von euch abgeben. Oder ich muss sagen, ich rede nicht, wenn nicht mindestens die Mehrheit der Menschen selbst betroffen sind, die auf dem Panel sind. Auch wenn ich im Sportverein irgendwelche diskriminierenden Kommentare von Sportskolleg*innen höre und es behindertenfeindliche, diskriminierende Sprüche sind, klar, dann ist das ja gerade die Rolle von einem Ally, dass man in solchen Situationen eintritt. Oder wenn ich im Unternehmen die Beförderungsstruktur infrage stelle und schaue, was gibt es denn dafür ableistische Strukturen im Unternehmen. Das ist genau die Rolle von einem Ally, dass man da eintritt und Strukturen verändert und diskriminierende Prozesse findet und die ändert.
Jonas:
Also auch aus der privilegierten Position Platz zu machen. Also sozusagen…okay, ich wurde vielleicht irgendwie eingeladen, um über dieses und jenes Thema zu sprechen, aber dann zu reflektieren, zu sagen, da gibt es aber Personen, die besser geeignet sind, weil sie eben Experten in eigener Sache sind und dann eher den Staffelstab weiterzugeben.
Silke:
Genau. Aber im Privatleben und sonst wo, das ist gerade das, was ein Ally tut, das ist, die Stimme erheben für andere, die vielleicht auch gar nicht anwesend sind oder gerade nicht im Team die Rolle haben und außerdem, dass man sich einfach unterstützt. Dass, wenn was Diskriminierendes im Team gesagt wird, dass ich etwas dagegen sage, weil das einfach falsch ist, so was zu sagen. Oder: diskriminierende Kommentare haben keinen Platz in unserem Unternehmen, im unserem Verein, in unserem Sportverein. Und dass ich deswegen dagegen eintrete und nicht jetzt, um Judyta zu schützen oder so, sondern weil es einfach nicht okay ist und wir dagegen was tun müssen.
Jonas:
Also man redet ja, gerade wenn man irgendwie eingreift, in irgendwelchen Situationen, auch häufiger von Zivilcourage. Und manchmal hat man ja auch so eine gewisse Unsicherheit, wenn man selber nicht weiß, okay, wie soll man…? Man merkt, dass etwas schiefläuft und es eine doofe Situation ist oder man weiß nicht aus der eigenen Unsicherheit, wie kann man dort eingreifen? Was sind deine Tipps? Was kann man sagen, wenn man irgendwie feststellt, okay, hier ist ein ableistischer Spruch gefallen oder hier wird jemand diskriminiert? Man ist zwar nicht selber getroffen, aber man findet die Situation doof. Was kann man dort irgendwie der anderen Person – ja, jetzt nicht an den Kopf werfen, aber dem entgegenbringen?
Silke:
Ja, gerade das Wort „gegen den Kopf werfen“ ist gut, weil das ist, glaube ich, wo wir tendenziell erst mal hingehen. Wir sind erst einmal empört oder wütend, und es ist auch gut, empört und wütend zu sein. Aber wie wir damit umgehen, vor allem als Allys, die nicht betroffen sind und nicht dauernd diskriminiert werden, wie kann ich aus dieser Situation was machen, wo nicht einfach alle nur stinksauer und beleidigt sind? Also klar, ab und zu ist es richtig, einfach mal zu fluchen oder jemanden zu beschimpfen, der was ganz Fürchterliches sagt. Aber ich gehe jetzt erst einmal von wohlwollenden Menschen in meinem Umfeld aus, die vielleicht auch mal irgendetwas fallen lassen, was nicht okay ist oder wo sie gar nicht wissen, dass das diskriminierend ist, was sie da gerade sagen. Und dann ist es wichtig, dass man konstruktiv bleibt und nicht die Person fertigmacht oder beschämt für das, was passiert ist. Sondern das ist schwierige Arbeit, die wir als Allys lernen müssen und daran arbeiten, wie finde ich konstruktive… ob es Gegenargumente sind oder vielleicht zum Beispiel einfach sagen: Das Wort benutzen wir hier nicht. Oder: Das, was du gerade gesagt hast, fördert ableistische Denkstrukturen. Das ist ein bisschen umschweifend, anstatt jemand zu sagen direkt ins Gesicht: Du ableistisches Schwein! Und die Chance, dass die Person daraus was lernt, ist tausendfach höher, wenn man es respektvoll und konstruktiv sagt, anstatt sie zu beschämen. Wir kennen das alle, wenn man kritisiert wird, ist man erst mal verletzt oder geht sofort in eine verteidigende Position. Und das muss man bei dem Gegenüber auch erwarten und umso ruhiger oder konstruktiver oder dass man auf Gemeinsamkeiten zurückgreift. Wir haben doch gemeinsame Werte und dann kann man das ansprechen. Es kommt natürlich immer wieder auf die Situation an, aber das ist das Allerschwierigste am Allysein, diese Kritik so zu äußern, dass sie auch hoffentlich beim Gegenüber was bringt.
Jonas:
Aber ich stelle mir gerade vor, angenommen, wir wären jetzt in einer größeren Runde hier, sagen wir, wir sind 20 Leute und ich würde Judyta beleidigen. Und du würdest Judyta aus dieser Allyship-Situation oder als Ally, als Verbündete, ihr zur Seite springen. Und würdest dann in dieser großen Runde ankommen und sagen: Jonas hör mal zu – zum Beispiel – dieses Wort benutzen wir nicht. Du würdest dann mit mir interagieren, weil ich etwas Böses zu Judyta gesagt habe. Aber Judyta hat das wahrgenommen, aber möchte jetzt vielleicht gar nicht so dann nochmal von dir durch deine Interaktion noch mal als Opfer hervorgehoben werden? Beziehungsweise ist es ja dann so, wenn du dann quasi noch einmal vor allen das nochmal wiederholst und diesen Fokus da drauflegst, ist es ja noch mal ein…du legst einfach nochmal den Fokus drauf und kannst du ja damit vielleicht auch so ein bisschen suggerieren, als können sich Judyta nicht selber wehren.
Silke:
Ja, aber das ist: wo lege ich den Fokus rauf? Lege ich den Fokus rauf: ich schütze jetzt Judyta und springe für sie ein oder sage ich, das, was du gerade gesagt hast geht auch gegen meine Werte oder unsere Werte? Das ist bei mir, das ist nicht okay, weil es objektiv nicht okay ist. Oder ist es nicht okay, weil Judyta dabei ist und ich sie beschützen muss? Und es kommt auch wieder auf die Situation an. Kennen die 20 Leute sich, ist das ein Team, das fehlerfreundlich ist, das kritikfreundlich, das gewöhnt ist, offen über sowas zu reden? Oder sind es Leute, die sich gar nicht kennen? Was ist die Hierarchie? Bin ich hier die Chefin? Bist du der Chef? Ist Judyta neu im Team? Es sind alles Situationen, die man mitberücksichtigen muss und es kann manchmal ganz daneben sein, dann was anzusprechen. Wenn du jetzt ein sehr autoritärer Chef bist und ich dich vor allen bloßstelle, weil du irgendetwas Blödes gesagt hast, dann wird das vielleicht negativ auf Judyta ausstrahlen. Dann muss ich vorsichtig sein und dann vielleicht nachher… Oder ich gehe nach dem Meeting zu Judyta und fragt sie, was/wie hätte ich dir am besten helfen können? Oder, wie helfe ich dir jetzt? Oder, wollen wir zusammen zu ihm geben? Keine Ahnung. Aber mit Judyta das besprechen. Aber die Situation muss ich einschätzen. Ist das jetzt hilfreich, wenn ich hier jetzt ein Thema daraus mache? Und manchmal oder oft wird es nicht hilfreich sein. Und dann muss man nachher sich überlegen…
Raúl:
Ich finde das super spannend, weil da habe ich mich an die eigene Nase gefasst. Wahrscheinlich weil ich jemand war, der wenig Partei ergriffen hat in solchen Runden. Woran kann so etwas liegen, dass wir das einfach nicht gelernt haben?
Silke:
Man will keine Konflikte schüren, man will, vor allem, wenn die Leute sich gut verstehen, ist man dann der Pöbler, der Problemmacher? Und was sind dann die Konsequenzen?
Judyta:
Aber dieses Beispiel finde ich eben super gewählt, Jonas, weil es ist eben ein Problem, das über das Ziel hinausschießen. Das ist etwas, was ich sehr häufig erlebt habe. Und das ist auch ein Konflikt bei mir, jemanden dann abzustrafen für eigentlich gute Intention. Oder eigentlich… es ist wirklich übereifrig. Manchmal ist es dann so die Medaillensammlerin, die irgendwie so für alle was tun möchte, die gute Samariterin vielleicht.
Silke:
Und dann immer wieder: dass ist kein Allyship.
Judyta:
Das ist dann ja auch auf meinem Rücken, obwohl ich das gar nicht möchte. Und in den Momenten sage ich häufig auch nichts, weil ich möchte diese Person eigentlich nicht abstrafen. Aber eigentlich müsste ich etwas sagen, weil ich möchte ja auch darüber reden, wie es bei mir ankommt. Und es ist genauso wie beim Helfen. Das Thema Helfen das ja wirklich ein sehr, sehr großes immer in unserem Leben ist. Ja, dieses einfach angefasst werden – einfach, dass jemand etwas macht. Und wenn man freundlich sagt: Nein, danke, es geht schon! Dann ist man beleidigt. Also es ist sehr, sehr schwierig. Es sind kleine Momente, wo eigentlich große Situationen entstehen könnten. Da, wo man sich dann erst mal hinsetzen könnte und darüber reden könnte, wie kommt es jetzt bei dir an? Wie kommt es bei mir an? Aber das macht man ja nicht im Alltag.
Silke:
Es gibt ja auch so viel unterschiedliche Arten, wie man Ally sein kann. Wenn man jetzt irgendwie neu angekommen ist in einem Unternehmen und noch keine große Rolle da hat, dann kann man einfach zuhören und lernen erst mal und sich informieren. Man muss nicht gleich überall, dann in der CEO-Level-Gesprächsrunde einschreiten. Aber ist man Personaler*in – passt man auf, dass die Quote von schwerbehinderten Menschen im Unternehmen erreicht wird, ist das etwas ganz anderes. Spricht man auf Panels? Ich weiß, hat mich schwer beeindruckt, als Raúl irgendwann sagte, er spricht nicht mehr auf Panels, wo keine Frauen sind. Und man akzeptiert die Ausrede nicht mehr: es gibt keine Frauen, die in diesem Thema Expert*innen sind. Genauso. Nein, es gibt überall auch Menschen mit Behinderungen, die auch zu den unterschiedlichsten Themen Expert*innen sind und nicht nur zum Thema Behinderung. Und wenn ich eine eingeladene Speakerin bin, dann habe ich ja schon mal eine Position von Privileg, und dann kann ich die auch ausnutzen und dem Veranstalter sagen, ich spreche nur, wenn auch jemand mit Behinderung zu dem Thema dabei spricht.
Judyta:
Aber da muss ich sagen, ist es vielleicht auch ein Thema, dass du ein Mann bist, Raúl, dass du vielleicht auch dir noch mehr erlauben kannst, auch in deiner Stellung. Ich glaube, einige Frauen, die auf Panels eingeladen werden, werden vielleicht auch erst mal froh sein, dass sie eingeladen werden, und wollen dann erst mal nichts sagen, um nicht als unbequem zu gelten. Das kann auch passieren.
Raúl:
Also ich hätte jetzt nicht von einer Frau zu erwartet, das zu sagen, das wäre dann die Verantwortung derjenigen, die sowieso die Bühne haben.
Silke:
Ich wollte noch mal gerade kurz was zu dem Wort Privileg sagen. Das ist so ein Wort, dass viele Leute gleich triggert und abstößt. Im Zusammenhang mit Allyship heißt es nicht, dass man reich ist oder einem alles von Anfang an gegeben wurde oder ob man nicht auch schwierige Zeiten im Leben hatte, sondern Privileg heißt einfach, dass man bestimmte Nachteile nicht hat im Leben, weil man keine Behinderung hat oder eine helle Hautfarbe hat.
Und das Problem, sein eigenes Privileg zu erkennen ist, dass ganz viele von den Privilegien eine Abwesenheit von Nachteilen sind. Also wenn ich durch die Stadt laufe als Fußgängerin, dann merke ich nicht, dass ich zwischendrin mal drei Stufen nehme oder am Hauptbahnhof funktioniert halt die Rolltreppe nicht – ich denke da grad so mit Maske – und jetzt noch die Treppe hochlaufen, bin ich kurz genervt. Aber es passiert nix. Und ich denke nicht darüber groß nach. Das ist dann nach 2 Minuten wieder vorbei. Oder wenn ich in eine Zoom-Veranstaltung gehe, dann habe ich wie alle das Problem: funktioniert die Technik? Habe ich den richtigen Link? Und wie präsentiere ich meine Folien richtig? Aber ich habe nicht das Problem: gibt es Gebärdensprach-Dolmetschung? Sind die Untertitel gut gemacht? Ist der Screenreader… liest der jeden Pieps, der irgendwie passiert gerade? Da habe ich noch nie darüber nachgedacht, was mir alles erspart bleibt bei jedem Zoom-Treffen und diese Privilegien…ist auch schwierig. Da muss man wirklich sich dann auch wieder in die Situation der anderen Person einlassen. Da kommen wir wieder beim Informieren und Lernen, damit man überhaupt weiß, was ich eigentlich gar nicht den ganzen Tag an Nachteilen, Unannehmlichkeiten nicht habe.
Judyta:
Ich habe auch mal gelesen, es ist ein Privileg, über Rassismus lernen zu können, als ihn zu erfahren.
Silke:
Ja, genau.
Jonas:
Sehr gutes Beispiel. Wir haben am Anfang schon so ein bisschen darüber gesprochen, dass natürlich auch wir Menschen mit Behinderung auch Allys sein können, also sowohl untereinander, aber auch der mit unseren anderen Merkmalen, die wir haben, also quasi, in dem Sinne, Silke, du hast gerade gesagt, quasi Privilegien.
Also ich habe eine Behinderung, habe aber vielleicht das Privileg, ein Mann zu sein und Weiß zu sein. Und ich finde dieses Allyship untereinander, unter uns Betroffenen, jetzt auf den Bereich Behinderungen bezogen, eben auch sehr wichtig, weil wir uns zwar, weil wir uns für das Thema Inklusion engagieren. Aber es bedeutet ja jetzt nicht nur und auch in unserem Arbeitskontext so, dass jetzt ich als Mensch mit einer Sehbehinderung, ich jetzt nur darauf achte, okay, gibt es Audiodeskriptionen und sind Treppenstufen in einem Gebäude markiert, und der Rest ist mir relativ egal. Sondern es mir eben trotzdem auch eben wichtig ist, ob ein Fahrstuhl vorhanden ist, ob es eine rollstuhlgerechte Toilette, eine Rampe, ob es Gebärdensprach-Dolmetschung gibt und so weiter und so fort. Also das merken wir ja, wenn wir jetzt zum Beispiel Begehungen in Gebäuden machen. Das wir auch unabhängig zu unserem eigenen Blick auch andere Behinderungsarten mitdenken und das mit auf dem Schirm haben. Also, dass wir auch untereinander eben Allys sein können und eben auch müssen, glaube ich, um gemeinsam für unsere Rechte einzustehen.
Judyta:
Jonas, ich erinnere mich da an die vorletzte Folge unseres Podcasts, wo du original gesagt hast, Treppen seien dir nicht so wichtig, beziehungsweise egal.
Jonas:
Ja, das war aber situationsbedingt… da haben wir über Barrierefreiheit gesprochen, und da ging es um den kleinen Dönerladen. Ich kann mich noch erinnern. Ja, ja, aber es ist natürlich für meinen eigenen Blick, für meinen… so wie Silke es eben gesagt hat: wenn sie unterwegs ist und was sind Barrieren, die ihr begegnen im Alltag oder eben auch das Nichtvorhandensein von Barrieren ist natürlich so… für mich persönlich stellt eine Treppe, sobald sie gut markiert ist, keine Barriere dar. Aber natürlich ist es so, wenn ich sage, okay, ich setze mich ein für Barrierefreiheit, bedeutet natürlich, ist es sinnvoll, oder ist es nötig, vor irgendwelchen kleinen Läden, die eigentlich im Erdgeschoss sind, diese obligatorische eine oder zwei Stufen zu haben? Natürlich, diese Frage stelle ich mir schon. Und deshalb meine ich, ist es so wichtig, dass wir eben auch untereinander darauf achten und eben Allys sind. Aber wir können eben auch Allys sein in andere Richtungen. Also eben das jetzt wieder auf mich bezogen. Also quasi ich könnte Ally sein, wenn ich quasi mich ebenso für Frauenrechte engagiere oder eben quasi gegen Rassismus mich einsetze.
Silke:
Genau. Die Situation des Privilegs kann sich auch verändern. Also du als junger Mann hast in bestimmten Situationen Privilegien, die ich nicht habe als Frau, die in dem Lebensalter ist, die die meisten mittlerweile „alt“ bezeichnet würden, ist so! Und schon, dass wir darüber lachen, sagt schon was aus über, wie wir überhaupt mit Alter umgehen. Und was ist alt und jung? Und ja, und es könnte Situationen geben, wo du als Mann irgendwo gefragt wirst was zu tun oder du einen Kommentar über alte Menschen hörst, wo alle mal lachen über die alten Menschen, die alle kein Internet benutzen können oder so und du dann auch ein Ally für mich sein könntest oder für Menschen aus meiner Generation, wo Frauen auch wieder nachgesagt wird, sie haben keine Ahnung von Technik. Oder sie brauchen gar nicht auf dem Panel sein, wo es um den demografischen Wandel und digitale Tools…also, dass du dann eher gefragt wirst als ich.
Jonas:
Heißt das grundsätzlich… eigentlich jeder Mensch kann Ally sein in einem bestimmten Bereich und sollte einfach gucken, okay, also links und rechts im Blick haben und gucken, wo sind vielleicht Gruppierungen…ich finde, die Unterstützung benötigen klingt immer so… das klingt immer schon so ein bisschen paternalistisch…oder wie man, ja, wie soll man es am besten sagen?
Silke:
Ja, für Gleichberechtigung sich einsetzen und für soziale Gerechtigkeit, für Gleichberechtigung auf allen Ebenen.
Judyta:
Und für Alternativen. Also, du hast Zugänge. Also wenn wir wirklich den physischen Zugang nennen, dann hast du als Fußgängerin einen Zugang und ich brauche einen alternativen Zugang, wenn es eine Treppe gibt.
Silke:
Ich wollte gerade noch was erzählen, so aus meiner Sicht als Ally. Was mir auch hilft, Ally zu sein. Zum Beispiel war letztens eine Situation im Team, wo ich eine Präsentation gegeben habe und wo ich dann all die Bilder, die ich in dieser schönen Präsentation habe, nicht beschrieben habe. Und das ist so was von Nicht-Ally sein. Und wie Jonas danach dann auf mich zugekommen ist und mir Feedback gegeben hat. Ich kann mir vorstellen, er hat sich wahnsinnig geärgert. Und was, die redet über Allyship und dann beschreibt sie die Bilder nicht, und er hätte mir auch einfach sagen können: Ja toll, Silke, du stehst da groß als Allyship-Person, und dann schaffst du es noch nicht mal, die Basis da mit rein zu beziehen. Und wie er respektvoll mich darauf hingewiesen hat, dass ich diese riesen Leerstelle in meinem Denken hatte. Und es hat mich kurz… ich habe geschluckt, und dann haben wir darüber geredet, und das hat mir dann wieder wahnsinnig geholfen. Das hätte ein Moment sein können, wo ich erst mal nur traurig und beleidigt bin, und ich tue doch mein Bestes, und da muss ich das auch noch machen, ich mache doch schon so viel für euch…und ich weiß nicht, was da alles bei mir hätte rauskommen können in meinem menschlichen Verletzt sein. Aber weil du das so freundlich liebevoll angesprochen hast, habe ich sofort was gelernt. Und das gehört auch zum Allyship dazu. Man muss dauernd Neues lernen und Altes entleeren… lernen… entlernen… sagt man, glaube ich. Und das war ganz toll, wie du das gemacht hast. Und dadurch sind wir jetzt schon wieder viele Schritte weiter. Und ich baue das langsam bei mir ein. Ich habe noch viel zu lernen. Ich suche mir wieder Unterstützung, wie ich das besser kann. War gerade, so einfach aus meiner Sicht als Ally, wie kann ich, wie könnt ihr mir auch helfen, eine bessere Ally zu werden.
Jonas:
Und das finde ich noch mal so wichtig und auch schön, dass du es sagst, weil es mir in der Situation einfach wichtig war. Ich hätte auch in der Situation aufspringen können, rumbrüllen können nach dem Motto, so wie du gerade gesagt hast: Ey, du redest über Allyship und vergisst die Bildbeschreibung. Und wutentbrannt aus dem Raum rausgehen können. Aber ich glaube, dann wäre niemandem geholfen. Und ich habe immer noch, weil ich so ein bisschen auch an das Gute in den Menschen denke, auch immer, dass ich davon ausgehe, dass wenn solche Fehler passieren oder Fettnäpfchen passieren, oder auch, wenn Diskriminierung vielleicht stattfindet, dass sie in den meisten Fällen eben nicht böswillig passiert, sondern vielleicht einfach aus Unwissenheit und das nicht mit auf dem Schirm haben. Und ich glaube, wenn dann die Gegenseite… klar, ich kann verstehen, dass viele Betroffene, egal aus welcher Diskriminierungserfahrung wir jetzt sprechen, sehr müde und abgegessen sind, da immer wieder darauf hinzuweisen. Aber ich glaube, wenn man da immer wieder, jetzt sagen wir mal, die Keule rausholen und uns gegenseitig dann beschimpfen, kommen wir, glaube ich, nicht weiter. Und das ist eben genau das, was du anfangs so gesagt hast, dieses konstruktiv sein und einander Zuhören und voneinander lernen in beide Richtungen.
Silke:
Du hättest natürlich das gute Recht gehabt, auch aufzustehen und brüllend aus dem Raum zu rennen. Das will ich auch nicht. Man hat Recht, wütend zu sein, wenn diskriminiert wird. Aber wenn wir zum Thema Allyship kommen, dann ist das halt nicht das konstruktivste. Und dann hätten wir uns zerstritten, und ich hätte vielleicht nie wieder bei Allyship geredet und gesagt: ich mache eh alles falsch.
Raúl:
Ich finde, einen guten Ally zeichnet auch aus, sich eigene Gedanken zu machen und erstmal selber loszugehen und zu versuchen, Informationen zu einem Thema zu sammeln, bevor er oder sie erstmal die Betroffenen ausfragt.
Judyta:
Ja, dieses Unterrichten, immer wieder diese Fibel sein, wie ich es gesagt habe, genau. Aber Jonas, ich würde nicht so weit gehen, dass ich sage, Diskriminierung passiert aus Unwissenheit. Es fällt mir sehr schwer, da die Leute in Schutz zu nehmen. Also es gibt gewisse Situationen, wo es Unwissenheit ist. Aber es gibt ganz klare Machtverhältnisse, die eben auch ausgenutzt werden. Und ich verstehe das irgendwo, dass, wenn man Macht hat und Privilegien, dass man da erst mal darauf hingewiesen werden muss, dass man erst mal draufkommen muss, dass man sie hat. Aber sie da alle in Schutz nehmen die Menschen…
Jonas:
Nein, ich würde auch, glaube ich, nicht alle, ich möchte nicht alle in Schutz nehmen. Aber ich möchte auch nicht im Umkehrschluss allen nachsagen, dass es immer die Böswilligkeit ist. Also ich würde die Tür offen lassen, dass es eben auch vielleicht in manchen Situationen aus Unwissenheit passiert.
Raúl:
Ich habe da mal gelernt zu sagen, das erste Mal ist es aus Unwissenheit und beim zweiten Mal ist es Wissenheit.
Silke:
Wir leben in rassistischen, sexistischen, ableistischen Strukturen und sind von klein auf konditioniert und deswegen: beide Seiten nicht in Schutz nehmen. Ganz viel passiert, auch wissentlich und es hätte besser gewusst werden können und gleichzeitig auch überlegen, ganz viel von dem, was wir sagen, tun, machen, leben ist, weil wir einfach in diesen Strukturen hundert Prozent sind und nur miteinander da auch rauskommen. Oder die reflektieren können. Und wie oft wir alle, jetzt sagen wir …weiße Haut, was machen und tun wir vielleicht täglich, wo wir gar nicht uns bewusst sind, was andere dann rassistisch finden an uns.
Jonas:
Das Wichtigste, um ein guter Ally zu sein, ist ja eben auch, sich dann vorab zu informieren, beziehungsweise sich generell mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Und du, Silke, hast uns im Vorfeld jede Menge Artikel und auch andere Podcasts mitgebracht, die wir euch natürlich gerne in unseren Shownotes verlinken auf www.dieneuenorm.de und wir freuen uns sehr, Silke, dass du da warst und uns in dieser Folge unterstützt hast und Ally warst zu diesem Thema. Und wir freuen uns, wenn ihr dann auch wieder beim nächsten Mal mit dabei seid.
Silke, Jonas, Judyta & Raúl:
Tschüs!