Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.
Folge 47: „Ableismus“
Raul:
Es geht los, jetzt muss ich irgendwie den Kopfhörer aufsetzen. Wo finde ich hier, wie rum man den aufsetzt; wo ist links, wo ist rechts?
Jonas:
Das steht eigentlich auf der Seite drauf.
Raul:
Krass, ach, wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Alles klar. Danke.
Karina:
Ist das nicht auch ableistisch?
Jonas:
Herzlich willkommen zu „Die Neue Norm“, dem Podcast. Ihr habt es vielleicht schon im Podcasttitel gesehen, in dieser Folge geht es um das Thema Ableismus, und das ist etwas, was sich schon wie ein roter Faden durch die ganzen Podcast-Folgen bei uns durchzieht, die ihr übrigens alle auch in der ARD-Audiothek hören könnt. Wir wollen in dieser Folge klären: Was ist eigentlich Ableismus? Kann man das so ein bisschen mit Behindertenfeindlichkeit in Verbindung bringen? Was kann man dagegen tun? Und was kann jede einzelne Person dagegen tun? Darüber sprechen wir. Bei mir sind Karina Sturm und Raul Krauthausen. Mein Name ist Jonas Karpa. Wenn wir über das Thema Ableismus reden: Karina, du bist ja eine richtige Expertin darin, denn du hast gemeinsam mit unserer Sozialhelden-Kollegin Anne Gersdorff – denn wir sind ja quasi hier beim Berliner Verein Sozialhelden, der sich für Inklusion und Barrierefreiheit einsetzt – du hast mit ihr gemeinsam ein Buch geschrieben, und ja, bist eine Expertin, was das Thema angeht. Und wir haben uns gedacht, wenn wir schon über dieses Thema reden, ist es eigentlich besser, euch beide als Expertinnen hier zu haben. Deshalb begrüßen wir auch ganz herzlich Anne Gersdorff. Viele kennen dich vielleicht auch schon aus vergangenen Podcast-Folgen, wo wir über das Thema Arbeitsmarkt gesprochen haben oder Leben mit Assistenz. Deshalb ist es schön, dass du da bist und dass ihr gemeinsam dieses Buch „Stoppt Ableismus“ geschrieben habt. Ich finde dieses Wort Ableismus ziemlich kompliziert. Und das verstehen auch vielleicht nicht viele, sagt man jetzt Ableismus oder sagt man, spricht man es Deutsch aus Abel-ismus?
Anne Gersdorff:
Ich glaube, man kann beides sagen. Ursprünglich kommt es aus dem Englischen, weshalb viele eben „Ableismus“ sagen, weil es eben von dem Begriff „Able“ also „Fähigkeiten“ aus dem Englischen kommt. Deshalb tendenziell eher das englische Wort, aber das deutsche Wort ist auch okay.
Jonas:
Also quasi able und dann -ismus hintendran. Wenn man jetzt sagt: „Ich würde das aber gerne komplett Deutsch halten“ – könnte man es denn übersetzen mit „Behindertenfeindlichkeit“?
Anne:
Behindertenfeindlichkeit ist relativ groß, mit Feindlichkeit suggerieren wir eigentlich immer was Aktives, so wie Fremdenfeindlichkeit, Baseballschläger oder so, sondern es geht gar nicht immer um aktive Aggression, sondern auch ganz oft um unbewusste Vorurteile. Welche Bilder haben wir eigentlich von Menschen mit Behinderungen in unserer Vorstellung, welche Stereotype, und wie verhalten wir uns gegenüber Menschen mit Behinderung?
Karina:
Vielleicht kann ich noch anfügen, das ist auch ein Thema, das wir im Buch beschreiben. Wir haben da Rebecca Maskos, eine Wissenschaftlerin und Journalistin, zitiert und sie sagt, “Ableismus ist breiter als Behindertenfeindlichkeit. So wie Rassismus und Sexismus bildet der Begriff nicht nur die Praxis im Umgang mit einer Gruppe ab, sondern auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen, die diese Praxis hervorbringen.” Wir haben dann noch erklärt, dass Ableismus sehr viel mehr ist als Behindertenfeindlichkeit, weil man Ableismus nicht allein durch eine Veränderung der eigenen Haltung bekämpfen kann, sondern eben auch auf struktureller und institutioneller Ebene.
Raul:
Ich fand die Definition von Rebecca damals, als ich sie zum ersten Mal las, sofort einleuchtend zu sagen, das ist halt das Pendant zu Rassismus und Sexismus, nur eben in Bezug auf Behinderung. Und ich habe mich gefragt: Warum eigentlich erst jetzt? Warum gibt es diesen Kampfbegriff oder dieses Wort, mit dem man arbeitet, erst Jahrhunderte später als Wörter wie Sexismus und Rassismus?
Anne:
Diesen Begriff gibt es ja schon relativ lange; seit den Achtzigern kam er vor allem von amerikanischen Feministinnen und wurde aber eigentlich schon in den 60er und 70er Jahren von behinderten Menschen, vor allem in den USA verwendet. Ich glaube, es ist superwichtig, dass wir einen Begriff haben und auch lernen, gegen strukturelle Diskriminierung vorzugehen. Ich finde zum Beispiel, umso mehr ich mich damit beschäftige, die sagen immer „Barrieren“ und „Barrieren“ klingt eigentlich nett und niedlich. Aber ganz viel ist einfach strukturell bedingt und ist in dem Sinne eine Diskriminierung. Es werden immer noch Treppen gebaut oder es gibt keine Dolmetschung. Es gibt ganz viele Barrierefreiheitsaspekte, die Menschen mit Behinderung ganz klar ausschließen. Wenn wir das auf andere Gruppen übertragen würden, würden wir ganz klar sagen: „Hey, das ist eine Diskriminierung!“
Jonas:
Und es ist deswegen auch von der Begrifflichkeit ganz klar mit den anderen -ismen zu vergleichen. Es geht um das Wort was gerade da vorsteht – also Sexismus, wo es um das Geschlecht geht, Rassismus, wenn es um „Rasse“, also Herkunft geht; und bei Ableismus steht ja nicht so das Allgemeine im Vordergrund, sondern es geht ja wirklich um Fähigkeit. Diese Sprache, die das Wort „Behinderung“ mit „Fähigkeit“ gleichsetzt, ist ein Blickwinkel, der Menschen nach ihren Fähigkeitsmerkmalen unterscheidet beziehungsweise ist es die Sprache, bei der die Fähigkeit so im Vordergrund steht. Also ich tue mich manchmal ein bisschen schwer mit dem Englischen und mit der englischen Übersetzung von abled und disabled, also fähig oder weniger fähig, und dass das in dieser Begrifflichkeit irgendwie drin steckt. Fühlt ihr euch wohl mit dem Begriff? Du hast gerade eben gesagt, dass es gut ist für dieses Phänomen oder für „Barrieren“ und für alles das, was so seicht klingt, eine feste, eindeutige Begrifflichkeit zu haben.
Anne:
Ich glaube, es ist superwichtig, dass es diesen Begriff gibt, und dass er auch immer mehr im deutschen Sprachgebrauch etabliert wird. Ich verstehe schon, dass es erst einmal sperrig klingt. Aber wenn wir uns angucken, wie Diskriminierung entsteht, nämlich immer auf einer individuellen Ebene – also welche Haltung haben wir auf einer kulturellen Ebene, wie sprechen wir miteinander, wie wird Behinderung in den Medien repräsentiert, aber auch auf einer strukturellen Ebene, also wie sind Gesetze, wie handelt Politik – dann gibt es ganz klar Vergleiche zu anderen „ismen“. Also Begriffe wie „Teilhabe“ oder „Selbstbestimmung“, die kennen wir eigentlich ziemlich gut und wenn uns aber andere Kämpfe angucken, dann sind es eigentlich dieselben Schlagworte und dieselben Forderungen und Bedingungen und es sind eben dieselben Mechanismen, die dahinterstecken.
Raul:
Wie ist es denn beim Schreiben des Buches gegangen, im Sinne von man taucht in so eine Thematik ein und recherchiert und recherchiert und stellt irgendwie ganz viel fest, entweder wie es ist, also was man schon weiß, aber auch, was man vielleicht noch nicht weiß. Und ich kenne das aus dem Schreiben eigener Bücher, das man immer mehr entdeckt und dann irgendwie auch kein Licht am Ende des Tunnels mehr sieht. Versteht ihr, was ich mein? Das Thema Ableismus wurde immer größer, je mehr man darüber nachdenkt und schreibt.
Karina:
Ja, dazu kann ich dir eine funny side story erzählen: Als wir das Buch eingereicht haben, kam von unserem Lektorat zurück, dass das leider so nicht angenommen werden kann, obwohl wir schon beide gefeiert haben, dass es endlich weg ist. Es war leider doppelt so lang, als es eigentlich hätte sein sollen – soviel zum Thema recherchieren. Wir haben einfach super viele Themen als wichtig empfunden und wollten die alle inkludieren. Aber wir konnten halt nicht alle inkludieren. Ich bin jemand, der sofort von einer Recherche in die nächste und immer tiefer reingeht – man lernt so viel Neues und hat so viele Aha-Momente. Aber am Ende war es dann halt einfach zu viel zusammen.
Jonas:
Liegt das vielleicht auch daran… Ich meine, ich habe es ganz am Anfang gesagt, dass uns das Thema Ableismus in dem Jahr auch schon fast durch 50 Podcast-Folgen die ganze Zeit begleitet, weil wir ja immer wieder darauf hinweisen oder auch immer wieder das Bewusstsein dafür schaffen möchten, dass Behinderungen in allen gesellschaftlichen Themenfeldern vorkommt und auch vorkommen sollte. Und dass eben auch Ableismus sich wie ein roter Faden leider durch alle möglichen Themen zieht. Wir haben über das Thema Arbeitsmarkt gesprochen, wo das Thema Ableismus vorkommt, wir haben über das Thema Heiraten und Urlaub gesprochen … Immer wieder gibt es Momente, wo Menschen mit Behinderungen Ableismus erfahren. Ist es das auch, was ihr beim Schreiben des Buches gemerkt habt? Eigentlich könnte man ja jeden erdenklichen Moment des Lebens nehmen und würde ein Beispiel finden.
Anne:
Auf jeden Fall! Ich glaube, ich bin auf jeden Fall noch einmal viel sensibilisierter, als ich es vor dem Buch gewesen bin. Meine Brille ist einfach geschärft, und wahrscheinlich ist das auch eine ableistische Aussage. Also allein, wie oft wir in unserem Sprachgebrauch etwas auf Körper beziehen und wie leicht uns das fällt, das als Norm zu betrachten …. darüber nachzudenken, wie reproduziert zum Beispiel Sprache Norm. Ich sage zum Beispiel auch immer „ich gehe jetzt einkaufen“, weil für mich „gehen“ eine Art der Fortbewegung ist. Aber dennoch macht es in unserem Sprachgebrauch das Gehen zur Norm und da einfach mal draufzugucken, wie oft benutzen wir so kleine Sachen, wie eben beim Kopfhörer aufsetzen, davon ausgehen zu können, dass alle Leute das lesen können. Wie wäre es für blinde Menschen, wie ist das für Menschen, die nicht lesen können? Sich selbst zu hinterfragen, aber auch gesellschaftlich zu gucken, wie können wir Dinge verändern?
Raul:
Und es gäbe ja leichte Alternativen: man kann Kopfhörer haptisch gestalten, das klar ist, wo links wo rechts ist. Man könnte Farben verwenden. Rot-blau, glaube ich, ist so eine gängige Farbkombination, Codierung für links und oder rechts und …
Jonas:
…für heiß und kalt.
Raul:
Für heiß und kalt auch, genau, sodass das ja im Prinzip schon alles mal erfunden wurde, aber wir das ganz oft gar nicht mitdenken. Ich frage mich dann aber auch: Wann ist der Punkt, wo etwas, sagen wir mal, dann auch drüber ist, also nach dem Motto: mal Fünfe gerade sein lassen, weil ich sage auch, ich gehe einkaufen. Und natürlich kann man mich korrigieren…
Jonas:
Kannst ja gar nicht gehen….
Raul:
Genau. Aber ich bin nicht sicher, ob ich das für mein Leben lang auch annehmen werde, das nicht zu sagen, so wie auch blinde Menschen sagen: “Auf Wiedersehen” oder “Wir sehen uns!” Ist was sehr individuelles.
Karina:
Ich glaube, die Bottom-Line ist es, dass Sprache superwichtig ist, sowohl im Stereotypen über Behinderungen verfestigen, aber auch im Ableismus abbauen, und ich glaube, es gibt ein paar ganz klar ableistische Aussagen. Also so…nein, ich will die gar nicht reproduzieren jetzt und dann gibt es Sachen, die sind vielleicht im allgemeinen Sprachgebrauch gängiger, wie du gerade sagst mit Einkaufen gehen und solche Dinge, die manche als ableistisch werten und andere vielleicht nicht.
Anne:
Ich glaube, man kann ganz viel ja auch umbenennen oder anders nennen. Zum Beispiel als Leerstelle, weil die ableistische Formulierung eben sowas bedeutet wie, ja, Leute wollen es nicht sehen oder haben kein Gefühl dafür oder so. Sondern es geht einfach darum, wenn wir mit der Formulierung was Negatives meinen, so das sehe ich jetzt beim Gehen nicht. Aber ich sage es jetzt einfach doch: zum Beispiel die Formulierung „Blinder Fleck“ kann man super einfach durch Leerstelle ersetzen. Und ganz oft meint sie aber irgendwie, Leute wollen da was nicht bemerken oder können das irgendwie nicht. Und das macht einfach, genau, macht quasi Blindsein oder einen Blinden Fleck haben als etwas Negatives. Und beim Gehen sehe ich das zum Beispiel nicht so. Dennoch reproduziert es irgendwie eine Norm, und unser Buch geht einfach darum, dass wir das auch mal hinterfragen und jetzt ohne erhobenen Zeigefinger steht irgendwie auf der Buchseite, sondern es geht darum, wir denken nie darüber nach, wie wir eigentlich handeln und wie wir sprechen und das eben mal zu verändern und uns bewusst zu werden, dass wir alle irgendwie ableistisch sind. Und wir vier, die hier sitzen, sind wahrscheinlich ableistisch und die Gesellschaft ist eben ableistisch. Aber nur, wenn wir uns damit auseinandersetzen, können wir dagegen auch was tun.
Jonas:
Da können wir gerne auch noch mal unsere Podcast-Folge zum Thema internalisierter Ableismus empfehlen. Da haben wir nämlich auch schon mal darüber gesprochen, dass auch Menschen mit Behinderung diesen Ableismus und diesen Gedanken einfach in sich tragen. Aber um jetzt mal ein bisschen auch nochmal konkreter zu werden. Und wir sprachen eben auch darüber, wie wichtig es ist, dafür so eine Begrifflichkeit zu haben. Wann war so für euch der Moment, wo ihr zum einen über den Begriff Ableismus Bescheid wusstet und etwas erfahren habt und die Verknüpfung bei euch stattgefunden hat? Das, was ich gerade erlebt habe, war ableistisch, also was, was ist da so ein typisches Beispiel… beziehungsweise wann war das, dass ihr das auch so benennen konntet?
Karina:
Ich glaube, bei mir war das eigentlich in dem Moment, in dem ich diagnostiziert wurde, mit der chronischen Krankheit. Also eigentlich erlebt habe ich Ableismus schon davor, benennen konnte ich es aber dann erst danach, als das alles Sinn für mich gemacht hat. Aber nachdem ich ja hier eine unsichtbare Erkrankung habe und so, habe ich im Endeffekt die ganze Zeit gehört: Du siehst ja gar nicht krank aus, stell dich mal nicht so an. No pain – no gain. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Und solche Sprüche, die eigentlich alle diskriminierend sind. Damals habe ich das aber so bewusst noch nicht wahrgenommen, weil man doch irgendwie auch… man wächst in so einer Gesellschaft auf. Und ich bin natürlich auch damit aufgewachsen. Hier von wegen: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker und solche Sachen, ja, genau. Aber Sinn gemacht hat es dann im Endeffekt danach, als ich mich mehr mit dem Thema beschäftigt habe. Und da wird einem dann auch bewusst, was eigentlich alles diskriminierend war. Und noch ist.
Jonas:
Hast du es auch erlebt im Rahmen des, sage ich mal, Diagnoseprozesses, also dass…
Karina:
Ja, ja, die ganze Zeit. Ich meine… „Das ist alles nur deinem Kopf, das bildest du dir nur ein!“ Da kommen dann die ganzen Gender-Stereotypen gegenüber Frauen noch dazu. Da passiert auch ganz viel intersektionale Diskriminierung.
Raul:
Ein guter Freund von mir, der sitzt jetzt seit einer Weile im Rollstuhl, war vorher ohne Behinderung. Und der meinte irgendwann zu mir: „Jetzt zum ersten Mal fühle ich, was ihr sagt, wenn ihr sagt, ein Rollstuhl bedeutet Freiheit, davor habe ich es eigentlich nur verstanden. Es war logisch nachvollziehbar. Aber jetzt, zum ersten Mal versteh ich, was es heißt.“ Also diesen kleinen Unterschied, der scheint ein großer Schritt zu sein. War das bei dir auch so, Karina?
Karina:
Naja also, ich nutze jetzt relativ selten einen Rollstuhl, deswegen kann…
Raul:
Ne, aber in ähnlichen Beispielen vielleicht, dass man das vorher ja auch schon rational irgendwie begriffen hat. Aber jetzt das erste Mal zu erleben, noch mal eine andere Dimension ist.
Karina:
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob ich früher nicht vielleicht genauso ableistische Kommentare gegenüber anderen gemacht hätte, wie ich sie erlebt habe. Also vielleicht nicht so krass, dass ich Menschen ihre Erkrankung oder ihre Symptome nicht geglaubt hätte. Aber so etwas wie „stell dich mal nicht so an, durch den Schmerz musst du halt irgendwie einfach durch pushen und dann wird es schon. Und dann kommst du da stärker raus…“ Das war, glaube ich, auch ein bisschen meine Mentalität, bevor ich dann eben selber chronische Erkrankungen erlebt habe und mir gedacht habe: Wow, du warst ein ganz schöner Arsch manchmal.
Anne:
Und das macht es auch oftmals so schwer. Ich habe auch einfach durch Karina erst ganz viel gelernt, was vielleicht meine ableistischen Sachen waren, dadurch, dass wir irgendwie gemeinsam das Buch geschrieben haben. Zum Beispiel erinnere ich mich an eine große Debatte – wir arbeiten im Buch am Anfang immer mit so Beispielen – ob man die Diagnose reinschreibt oder nicht. Einerseits will der/die LeserIn das irgendwie hören, braucht sie das oder der, gleichzeitig tut es nichts zur Sache. Und für andere Menschen ist es aber überhaupt ein großer Prozess, erst mal zu einer Diagnose zu kommen und das zu erfahren. Ich glaube, mir begegnet Ableismus im Alltag voll oft halt, weil ich im Rollstuhl sitze, irgendwie mein Körper nicht der Norm entspricht, so, und wenn es dann noch einmal unsichtbare Behinderungen zum Beispiel sind und es ist einfach eine andere Erfahrung auch noch. Aber am Ende schließen wir einfach aus. Und das müssen wir glaube ich, gut drauf gucken.
Karina:
Ich glaube, das hat uns auch zu einem ziemlich guten Team gemacht, einfach, weil wir erfahren beide Ableismus, aber aus völlig verschiedenen Gründen und der drückt sich ganz anders aus für uns beide. Wir haben da… im Vorwort hatten wir das als Beispiel geschrieben, dass es, wenn wir zum Beispiel zusammen einkaufen gehen und Anne mit Assistenz ist, dann kann es oft so sein, dass zum Beispiel irgendwie Mitarbeiter über Anne hinweg mit der Assistenz sprechen. Und bei mir ist es zum Beispiel, also das ist die Art von Ableismus… Und bei mir wäre es zum Beispiel, wenn ich jemanden um Hilfe bitten würde, wird man mich eher für irgendwie faul halten, weil man meine Erkrankung oder Behinderung nicht sehen kann. Also im Endeffekt wird Anne diskriminiert, weil sie zu behindern aussieht und ich, weil ich nicht genug behindert aussehe. Aber am Ende vom Tag erfahren wir beide trotzdem Ableismus.
Jonas:
Die gleichen Erfahrungen habe ich ja auch. Das ist das Manko dieser unsichtbaren Behinderung, dass man auf der einen Seite in der Masse untergehen kann, was auch mal schön ist, aber dann sich halt immer und immer wieder erklären muss.
Raul:
Jetzt haben wir ja ein Dilemma eigentlich, weil auf der einen Seite heißt es ja, bildet euch fort, also an die Nicht-Betroffenen/Nichtbehinderten. Immer wieder müssen wir ja alles erklären, aber offensichtlich musste dieses Buch geschrieben werden und lieber von euch, als von Menschen ohne Behinderung. Habt ihr dieses Dilemma auch gespürt, verdammt, jetzt müssen wir das schon wieder erklären.
Anne:
Voll. Auf jeden Fall. Also das ist ja auch irgendwie meine Arbeit irgendwie, aber ich denk dann trotzdem so: “Boah, das müssen doch jetzt mal alle Menschen wissen.” Wir haben uns auch schon öfter darüber unterhalten. Diese Floskel: „Wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken.“ – so, ja. Genau und das war so ein bisschen so: So jetzt kriegt ihr ein Buch, jetzt lest doch endlich mal und dann fragt nie wieder. Und hier hast du jetzt auch noch Handlungsempfehlung, genau. Und darum geht’s einfach, sich damit auseinanderzusetzen, seine eigenen Privilegien oder seine eigene Realität, die wir ja immer glauben, das ist irgendwie das Normale, nochmal zu hinterfragen und nochmal zu gucken, was kann ich tun? Und ich glaube, jede/r Einzelne kann super viel dafür tun. Das kann anfangen, damit coolen Leuten auf Social Media zu folgen, aber auch beim Elternabend der Kinder mal zu fragen, hey, wie ist das hier eigentlich mit behinderten Kindern? Warum gehen hier keine behinderten Kinder auf die Schule? Oder eben Partei auch für die Eltern von behinderten Kindern zum Beispiel einzugehen. Nach Barrierefreiheit zu fragen, sich zu informieren, wie kann eine Homepage eigentlich barrierefrei sein? Ich glaube, wir haben eigentlich alle schon irgendwie viele Handlungsoptionen, dass es eine inklusivere Gesellschaft gibt – wir machen das halt noch nicht, weil wir es uns irgendwie gemütlich gemacht haben. Und ich glaube, mit dem Wort, um noch einmal darauf zurückzukommen, weil gern ist halt irgendwie gemütlich so, da ist halt so ein Schranke, dann klappen wir die halt irgendwie auf. Aber mit dem Begriff Ableismus haben wir halt was, wo wir und andere halt auch sagen können: Hey, das ist ganz klar diskriminierend.
Jonas:
Also auf der einen Seite, wo man immer merkt, okay, es gibt noch so viel zu tun, das sagt man ja auch immer, dass wir uns auf den Weg gemacht haben, aber es immer noch sehr, sehr viel zu tun gibt. Aber auf der gleichen Seite, wenn man es positiv sieht, dass es so viele Optionen gibt, wo man eben auch etwas ändern kann. Also auf der einen Seite – man muss gar nicht danach suchen, weil es eigentlich dort, wo man etwas verändern könnte in der Gesellschaft, eigentlich direkt vor einem liegt. Und da sind eben vielleicht die Treppenstufen vor der eigenen Wohnung, wo man sich mal hinterfragen sollte, wenn man die Möglichkeit hat, das umzubauen, dass eben auch Personen, die auf einen ebenerdigen Zugang angewiesen sind, vielleicht einen auch mal zu Hause besuchen können. Diese Idee, dieses Buch eben auch zu schreiben, Anne, die kam ja glaube ich von dir – war das eben auch dieser Hintergedanke, so eine Art ja Basiswissen herauszugeben, um dann zu sage, ich mache die Arbeit, wie du gesagt hast, einmal und gebe das den Leuten an die Hand und dann die Hoffnung zu haben, damit auch ja so eine Art Nachschlagewerk oder Handlungsempfehlung den Leuten im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand zu geben, dass die da die Welt verändern können?
Anne:
Eigentlich schon. Also so ein bisschen der Hintergrund von der Idee war “Exit Racism” von Tupoka Ogette. Genau, das hat ein Freund von mir gelesen, der selbst Schwarz ist und war, glaube ich, ziemlich geflasht auch davon. Und er hat mich dann irgendwie gefragt: Anne, gibt es eigentlich auch so ein Buch zu Ableismus? Und ich so: Naja, also, ja, im englischsprachigen Raum vielleicht, aber irgendwie nicht im deutschsprachigen Raum. Und er so: Warum eigentlich nicht? Wäre auch total wichtig! Ja, genau und so ist die Idee zu dem Buch entstanden. Und es geht vor allem darum oder mir am Anfang ging es darum, eben so eine Handreichung zu haben. So: Jetzt setz dich mal mit dir und den Inhalten und Strukturen unserer Gesellschaft auseinander. Und wir als behinderte Menschen geben dir mit an die Hand, was du halt tun kannst in alltäglichen Situationen, auf der Arbeit, bei der Führung von romantischen Beziehungen, im Familienleben. So einfach unseren Alltag auch ein Stück weit, ja, einfach zu hinterfragen. Was ist eigentlich Behinderung? Was ist Normalität und welchen Beitrag tue ich dazu, dass Menschen mit Behinderung weiter ausgeschlossen werden?
Jonas:
Ihr habt ja gesagt, dass ihr jede Menge recherchiert habt. Und auch im Endeffekt, bevor das Buch dann auch rausgekommen ist, ja noch mal jede Menge kürzen musstet, weil ihr einfach auch so viel zusammengetragen habt – gab es irgendwelche Punkte und, Anne, du hast es auch gerade ja gesagt, dass man auch viel über sich selber nachdenkt und das vielleicht auch hinterfragt, die eigenen Handlung. Gab es gewisse Sachen, die ihr herausgefunden habt, die euch noch mal in Anführungsstrichen mehr fasziniert haben oder die ihr so nicht auf dem Schirm hattet?
Karina:
Ich glaube, was mich jetzt vielleicht nicht wirklich überrascht hat, aber was ich trotzdem noch mal sehr powerful fand, war, wie viele Überschneidungen es eigentlich gibt mit anderen marginalisierten Communities, also LGBTQIA+ zum Beispiel oder People of Color, weil vor allem einfach auch behinderte Menschen nicht eben nur zu dieser einen Community gehören, sondern ganz oft auch zu anderen. Aber da trotzdem relativ wenig intersektional gedacht wird. Also sowohl in der einen als auch in den anderen Communities. Also zum Beispiel wenn, eine behinderte Person, die auch queer ist, auf ein LGBTQIA+ Event gehen will und dann ausgeschlossen wird, weil es nicht barrierefrei ist. Also das geht natürlich auch in die andere Richtung. Zum Beispiel, wenn behinderte Menschen Pronomen ignorieren oder sonst was. Das fand ich noch mal sehr beeindruckend. Auch, weil wir viel intersektional recherchiert haben und mit vielen Menschen aus verschiedenen Communities gesprochen haben. Und da kam das noch einmal sehr deutlich heraus.
Anne:
Genau, was für mich so mit am Aha-effektischten war, war, glaube ich, das Geschichtskapitel, was einfach auch super krass ist, wenn wir noch einmal auf deutsche Geschichte gucken. Ich wusste das zwar, aber noch einmal tiefer einzutauchen, wie wird eigentlich das weitergetragen, dass wir glauben, behindertes Leben ist weniger wert? Oder: wenn ich im Rollstuhl sitze, ist das Leben vorbei – sind so Sachen, die habe ich schon öfter gehört in meiner Gegenwart und ich denke so: “Hm, warum denn eigentlich?” Und dass viel einfach auch den Ursprung in der Geschichte hat – die deutsche Geschichte mit Euthanasie ist einfach da auch noch einmal groß zu hinterfragen und ich glaube….nein, wir tragen einfach dieses Gedankengut auch immer noch ein Stück mit weiter. Ich weiß, für viele ist das so ein rotes Tuch: Jetzt kommt schon wieder irgendwie NS-Geschichte und so. Aber ich glaube, es ist superwichtig, dass wir da noch mal draufgucken und aber auch darauf gucken, hey, wie ist eigentlich die Geschichte von behinderten Menschen? Weil die wird eigentlich überhaupt nicht erzählt, was für KämpferInnen und VorreiterInnen es an Menschen mit Behinderungen gab, welche Kämpfe da geführt wurden und wie wir eigentlich zu der heutigen Situation gekommen sind, in der wir ja aktuell sind. Und ich glaube, wir können da ganz viel für die Zukunft auch lernen oder müssen da gerade in der aktuellen politischen Situation noch mal genauer draufgucken.
Jonas:
Absolut.
Raul:
Was ich immer wieder bei diesen Auseinandersetzungen auch interessant finde, ohne zu viel Mitleid zu haben, ist ja, dass die Menschen, die sich jetzt zum ersten Mal mit diesem Thema auseinandersetzen und beschäftigen, sich höchstwahrscheinlich in der einen oder anderen Situation auch ertappt fühlen. Und dann ja so ein Gefühl von Scham, Schuld und so weiter entsteht. Und das ist ja auch eine schmerzvolle Erfahrung, die diese Person machen und da die Menschen bei dieser Trauerbewältigung zu begleiten und ihnen zu helfen, nur weil du jetzt Verantwortung spürst, heißt das nicht, dass du schuld bist. Aber trotzdem hast du Verantwortung. Das ist, glaube ich, auch noch mal ein spannender Punkt, an dem es meiner Ansicht nach viel zu schnell auch auseinanderbricht. Also dann wird es sehr schnell so ein Schwarz-Weiß-Denken, richtig/falsch, anstatt dieses Anerkennen von: Ich verstehe, dass das für dich jetzt neu ist. Aber glaub mir, wir erleben das täglich.
Jonas:
Ich meine, dass eben auch so ein bisschen… du hast ja eben auch gesagt, es muss Ableismus so als Kampfbegriff in Anführungsstrichen… braucht es trotzdem und mit dem intensiven darauf hinweisen, dass es ableistische Strukturen gibt und dass es Diskriminierung gibt und dass in dem Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung es sehr, sehr viele Herausforderungen immer noch gibt und wenig Begegnung, dass aber trotzdem dieses Wort, dieser Begriff Ableismus, weil es eben populärer wird in der Reform des Kampfbegriffs auch häufig so, als, ja, nicht Totschlagargument… gerade auf Social Media, wird dann so die Ableismus-Keule geschwungen, man merkt irgendetwas, was auf jeden Fall diskriminierend ist und auch verurteilungswürdig ist. Und dann wird sehr schnell geschrieben Ableismus und dann ist damit aber auch die Diskussion oder das Konstruktive in dem Sinne auch irgendwie sehr, sehr schnell vorbei. Also es erinnert mich so ein bisschen, wie wenn man Medienkritik äußert und dann sofort Meinungsfreiheit gesagt wird. Und damit das so quasi so als Joker genommen wird oder keine Ahnung wie… finde ich immer in der Argumentation so, wie wenn Kinder früher sich gegenseitig beleidigt haben und einer sagt „Spiegel“ und dann ist die Diskussion so vorbei.
Anne:
Also einmal würde ich darauf eigentlich sagen: Immer, wenn Leute in einen Widerstand oder in Abwehr gehen, dann ist das rein psychologisch eigentlich so der erste Schritt, sich mit was auseinanderzusetzen. Und das ist ja eigentlich erst mal vielleicht auch etwas Gutes. Und in unserem Buch sagen wir auch, wenn Leute merken, das passiert, dann sollen sie dieses Buch erstmal weglegen und vielleicht zur Seite packen und später noch mal reingucken oder in andere Kapitel. Und wir probieren das, glaube ich, aber anhand von Beispielen und eben den Handlungsempfehlungen auch, die Leute mit an die Hand zu nehmen. Aber es ist vielleicht erst mal nicht unerwünscht, dass so ein gewisser Widerstand kommt. Und den muss man halt hinterfragen. Zu dem anderen, ich glaube, wir müssen aufpassen, dass es nicht so eine Umkehr wird. Weil jeder hat das Recht zu sagen, es ist rassistisch oder das diskriminiert mich gerade, das schließt mich aus. Und wir als Gesellschaft müssen, glaube ich, lernen, wie reagieren wir darauf? Also nicht zu sagen, das ist jetzt ein Totschlagargument, sondern dann zu sagen, okay, wie meinst du das denn, was hat dazu geführt? Sondern eher so eine lernende Haltung entwickeln zu wollen. Ich weiß, das ist superschwer. Und natürlich hab ich auch vor Jahren, als ich angefangen habe, mich mit anderen Diskriminierungen auseinanderzusetzen… Es war so, es geht doch gar nicht und ich doch nicht. Aber ich glaube, es ist super essenziell, dass wir da drauf gucken und das hinterfragen.
Jonas:
Und einfach, ja, wie du gesagt hast, als Gesellschaft einfach auch lernen, wieder in den Diskurs zu kommen. Raul, was du gerade gesagt hast, dieses Schwarz-Weiß-Denken und einfach nur das richtig und falsch und einfach keine, nichts dazwischen gibt und keinen Austausch und einfach auch keine Begegnung, dass es das ist, was wir irgendwie als Gesellschaft gerade so ein bisschen lernen müssen. Und diese Herausforderung für uns ist. Wir haben schon von den Handlungsempfehlungen gesprochen. Anne, du hast eben auch schon so ein paar angedeutet. Aber gibt es denn so ja ganz allgemeine oder vereinfachte Sachen, die jede Person machen kann, weil ich meine, Ableismus als großes, in Anführungsstrichen gesellschaftliches Phänomen ist ja etwas, was ähnlich, was auch immer das Argument ist beim Klimawandel: Eine einzelne Person kann den Klimawandel nicht aufhalten, aber trotzdem muss man ja irgendwie die Personen dazu bewegen, trotzdem zu gucken, man kann im eigenen kleinen Kosmos im Umfeld trotzdem irgendwas bewegen. Aber was sind so die Low Hanging Fruits, die man pflücken kann, um wirklich den Buchtitel wortwörtlich zu nehmen: Stoppt Ableismus!
Karina:
Also in dem Kontext gerade ein Beispiel, dass ein Haufen Leute wütend werden, wenn sie sich ertappt fühlen zum Beispiel. Einer von unseren Tipps, wie man ein Ally wird, also was jeder Einzelne tun kann, ist zum Beispiel gerade zu Fehlern zu stehen, also halt nicht wütend werden und dann aufhören, sondern halt sagen: okay, sorry, ich habe da jetzt was Falsches gesagt oder was Falsches gemacht, das tut mir leid. Und dann halt auch einfach aus den Fehlern lernen und dann aber auch kein riesen Fass aufzumachen und es plötzlich alles hier zu „Gott, oh Gott, und es tut mir so leid. Ich habe das völlig verkackt!“ und so, sondern das dann auch darauf beruhen zu lassen. Genau, das war einer von den Tipps und Anne hat sicher noch mehr.
Anne:
Klar, da gibt es ein ganzes Buch. Nein…
Jonas:
Erster Tipp natürlich: Lest das Buch!
Anne:
Das Buch kaufen – genau – oder ausleihen in der Bibliothek.
Ich glaube, es gibt so viel, was wir tun können. Das fängt dabei an, irgendwie an Barrierefreiheit zu denken. Und ich meine, das muss vielleicht jetzt nicht die ganze Klaviatur der Barrierefreiheit sein, sondern vielleicht suche ich mir einen Punkt erstmal aus. Oder ich bekomme mit, hey, meiner behinderten Freundin oder meine Familienangehörigen werden gerade wie suggeriert, sie müssen ins Heim ziehen. Ich kann dabei unterstützen, Beratungsangebote wahrzunehmen oder mich zu informieren, mit Leuten in Kontakt zu treten. Ganz oft geht es, glaube ich, vor allem einfach auch um Fragen stellen: hey, wie hättest du das gerne, was würde dir helfen? Was würdest du dir von mir wünschen? Das kann, glaube ich, jeder in solchen Situationen tun, wenn das Bewusstsein herrscht: Hey, die Person stößt auf strukturelle Barrieren.
Raul:
Das finde ich einen super Rat, weil zu fragen: Was brauchst du? Was wünschst du dir? ist eine andere Frage als: Wen muss ich fragen? Also wenn man sagt, ja, ich wünsche mir Gebärdensprache, oder ich brauche Gebärdensprache. Dann nicht sagen: Ja, hast du eine Telefonnummer eines Dolmetschers? Weil dann übergibst du die Arbeit ja wieder komplett an die betroffene Person. Sondern dann zu sagen, okay, ich gehe mal in Recherche, ich schau mal und manchmal entstehen dann dadurch auch ganz kreative Lösungen. Also, ich war auf einer Demo mal, und dann gab es ein Podium, natürlich ohne Rampe, überhaupt nicht barrierefrei. Und natürlich hätte man mich fragen können, ich hätte wahrscheinlich einen Megaaufwand erzählt, wie man sechs Meter steile Rampe jetzt an eine Bühne baut, die eigentlich nur für 3 Minuten da stehen soll. Kann sich keiner leisten, wird nicht passieren. Und dann komme ich und die sagen Komm wir nehmen einen Umzugswagen, wo hinten so eine Hebebühne drauf ist. Und dann fahren wir dich halt hoch und das ist ein pragmatischer Ansatz, auf den ich selber als Betroffener gar nicht gekommen wäre. Also es bietet auch eine Lösungsvielfalt, wenn man selber noch einmal anders auf ein Thema blickt und recherchiert, ohne selber betroffen zu sein.
Jonas:
Ja, total. Und eben auch, sage ich mal, dass ist, ich meine, wir leben auch im digitalen Zeitalter. Es gibt sehr, sehr viele Plattformen, sehr, sehr viele InfluencerInnen, die gerade auch Aufklärungsarbeit betreiben. Und einfach das Thema sehr, sehr voranbringen und einige davon haben wir euch noch einmal in unseren Shownotes auf www.dieneuenorm.de verlinkt, was auf jeden Fall immer ein guter Rat ist, sich dort zu informieren, weil es wirklich sehr vielfältige Themen sind und eben auch intersektionale Themen, weil Behinderung ist ja auch immer etwas, zwar ein Teil der Identität ist, aber es gibt ja auch noch viele andere Punkte, die einen so als Menschen ausmachen. Und neben diesen ganzen Social-Media-Accounts gibt es aber natürlich auch noch andere AutorInnen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Also wenn ihr sagt, okay, ich bin jetzt nicht so den ganzen Tag im Internet unterwegs und ich lese lieber gerne Bücher und habe was in der Hand, etwas, was nach einem frischen Druckerzeugnis riecht. Dann gibt es auch sehr, sehr gute und empfehlenswerte Bücher… ja, Raul, du hast auch einiges geschrieben, musst du mich gar nicht so jetzt…
Raul:
Ich hab gar nichts gemacht.
Jonas:
Lacht…Sieht ja keiner. Nein, aber es gibt sehr gute andere Literatur noch.
Karina:
Ja, gerade im letzten Jahr sind mehrere Bücher sogar zum Thema Ableismus rauskommen. Da gibt’s „Behindert und stolz“ von Luisa L’Audace, dann nochmal von Luisa und Alina Buschmann „Angry Cripples“. Und dann hat auch noch Andrea Schöne „Behinderung und Ableismus” geschrieben.
Anne:
Genau, Tanja Kollodzieyski, die hat ein ganz wunderbares kleines, aber feines Buch zu Ableismus geschrieben.
Jonas:
Wie so ein kleines Reclam-Heftchen.
Anne:
Genau.
Raul:
Hannah Wahl hat noch eins geschrieben „Radikale Inklusion“ – ist auch ziemlich gut.
Anne:
Genau. Und Rebecca Maskos und Mareice Kaiser haben gerade auch, ja, ein sehr illustriertes, vorrangig an Eltern sich orientiertes und Kinder orientiertes Buch zur Ableismus geschrieben. Ja, auf jeden Fall gibt es viel zu lesen. Wir sind nicht die Einzigen.
Jonas:
Ja also, es gibt eigentlich keine Ausreden, sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen zu können.
Raul:
Aber ist das nicht auch ein tolles Zeichen, dass das jetzt gerade dieser Moment ist, wo diese Bücher entstehen, die vielleicht vor fünf Jahren auch mal an Verlagen gepitched wurden, aber nicht ausgewählt wurden?
Anne:
Auf jede Fall!
Jonas:
Ja.
Raul:
Ich hatte versucht, einen positiven Ausblick…
Anne:
Ja! Das heißt ja auch irgendwie, unsere Stimme wird vielleicht lauter. Toll wäre es, wenn es irgendwie nicht nur in unserer Community oder der Bubble bleibt, sondern sich einfach alle damit auseinandersetzen.
Raul:
Aber ich finde zum Beispiel schon bemerkenswert, dass diese Bücher in bekannten Verlagen erschienen sind. Also bei Rowohlt jetzt euer Buch und eben nicht in irgendeinem Selbstverlag herauskam.
Karina:
Ich glaube, das hat auch einfach damit zu tun, dass Ableismus als Diskriminierung mehr Popularität bekommen hat die letzten Jahre und wenn der Begriff mehr in den Mainstream kommt, dann wird es auch noch mehr Bücher dazu geben…hoffentlich.
Jonas:
Anne, hast du denn das Buch, was du selber geschrieben hast, auch schon… also, du hast es selber geschrieben, und gelesen auch schon, aber hast du das Endprodukt auch schon in den Händen halten können?
Anne:
Nein!
Karina:
Ich habe es schon, aber ich kenne jemanden, der hat es noch nicht.
Jonas:
Es kam heute Post.
Anne / Karina:
Ahhh….geil!
Jonas:
Ja, wir machen live ein unboxing. Ich halte es mal in die Podcast Kameras…
Raul:
Jetzt hab ich Gänsehaut!
Jonas:
Jetzt ist es da und ob ich es dir gebe…
Raul:
…signierst du es noch…
Jonas:
….genau, signiere ich es noch… (lacht)
Werde ich es mir auch noch zu Gemüte führen.
Karina:
Ach, ich dachte, du hast es schon gelesen!
Jonas:
Natürlich, aber ich meine online. Aber jetzt noch mal hier, quasi wirklich noch mal so wirklich.
Karina:
Ich wollte jetzt schon schimpfen, dass du nicht vorbereitet auf diesen Podcast bist.
Jonas:
Also, das verbitte ich mir aber! Nein, auf jeden Fall, fühlt sich sehr schön an und überreiche ich dir gleich – ich signiere es auch nicht.
Anne:
Ja, danke!
Jonas:
Die Informationen zu dem Buch und zu allen anderen Themen von Ableismus findet Ihr in unseren Shownotes auf www.dieneuenorm.de und wir haben auch dort noch einmal Folgen verlinkt zu anderen Podcast-Folgen, die ihr allesamt in der ARD Audiothek hören könnt, wo wir schon mal über das Thema Ableismus gesprochen haben. Vielen Dank, Anne, dass du als Gästin heute mit dabei warst und vielen Dank, dass du auch dieses Buch geschrieben hast – sehr, sehr wichtig. Wir freuen uns, wenn ihr alle beim nächsten Mal auch wieder mit dabei sein könnt.
Anne:
Also, Karina hat es ja auch geschrieben.
Karina:
Alles gut! Ich glaube, das ist klar.
Jonas:
Bis dahin…
Alle:
Tschüss!