Psychische Gesundheit in der Corona-Krise

Ein Regenbogen aufgemalt auf einer Fensterscheibe
Foto: Andi Weiland
Lesezeit ca. 4 Minuten

Wie kann man sich in Zeiten von Kontaktverboten und Homeoffice um die psychische Gesundheit kümmern? Raul Krauthausen befragte dazu die Psychologin Nicole Lindenberg. Außerdem beschreibt eine von Depressionen betroffene Person ihre aktuelle Situation und Strategien gegen Einsamkeit. 

Hinweis:

Im folgenden Beitrag geht es um die psychische Gesundheit während der Corona-Krise und um Depressionen. Wenn dich diese Themen belasten, solltest du diesen Beitrag unter Umständen nicht lesen. Wenn du psychologische Hilfe benötigst, kannst du dich an die Kontaktstellen auf den Seiten der Deutschen Depressionshilfe oder der Telefon Seelsorge wenden. Weitere Angebote, Informationen und Anlaufstellen gibt es auf den Seiten der Fliedner Klinik Berlin.

Interview mit der Psychologin Nicole Lindenberg

Im Video-Interview befragt Raul Krauthausen die Psychologin Nicole Lindenberg. Sie gibt Tipps, wie ihr gerade zu Ostern zuhause gut auf eure seelische Gesundheit aufpassen könnt und was die Gesellschaft aus dieser Krise lernen kann. 
PS: Da das Interview per Video-Schalte stattfand, bitten wir die verminderte Qualität und die Bildaussetzer zu entschuldigen. 

 

Depressionen während der Corona-Pandemie 

Wir haben eine betroffene Person, die anonym bleiben möchte, zu ihrer aktuellen Situation befragt. 

Die Neue Norm: Wie geht es dir in Zeiten von Isolation und Corona? Was fällt dir jetzt besonders schwer? Hast du vielleicht mehr Existenzängste als andere?

Es ist bemerkenswert, wie sehr der Isolationszustand meinem Normalzustand gleicht. Nüchtern betrachtet, hat sich kaum etwas geändert. Es fallen nur wenige Dinge weg, wie der Gang ins Büro oder die seltenen Interaktionen mit anderen Menschen und der Familie. Zeitgleich ist etwas ganz Bemerkenswertes geschehen: Meine selbstgewählte Isolation war immer mit Schuldgefühlen mir gegenüber belastet, dieser Stachel wurde mir nun gezogen. Und trotzdem fühlt sich das nicht uneingeschränkt besser an, denn die „erzwungene“ Isolation trifft meine wunden Punkte. Zum Beispiel Einsamkeit: Ich kann sehr gut allein sein, fühle mich dabei aber manchmal einsam. Jetzt fühle ich mich häufiger einsam und seltener allein.

Die Corona-Pandemie befeuert meinen Pessimismus. Ich kann argumentativ gegensteuern, doch wie das so ist, es ändert oft nichts an der irrationalen Gefühlslage. Zu alledem verstärkt sich, ohne mein Zutun, meine Soziophobie. Ich bin vorher schon den meisten Menschen ausgewichen. Ich befürchte, dass ich eine lange Zeit brauchen werde, bis ich wieder normal mit meinen Mitmenschen leben kann.

Existenzängste habe ich allerdings nicht. Ich lebe mein kleines Leben. Andere Menschen, die viel besitzen oder viel Verantwortung tragen, werden deutlich tiefer fallen, beispielsweise wegen eigener Kinder und dem Abzahlen von Krediten.

Hat diese Zeit vielleicht auch Vorteile für dich?

Klarer Vorteil: die Erlaubnis „Ich darf mal“. Ich darf, beziehungsweise soll sogar zuhause sitzen. Wie schon gesagt, hat mir die neue Situation ein negatives Gefühl genommen. Ich fühle mich öfter gut dabei, mich nur mit mir zu beschäftigen. Eine Wahl habe ich allerdings auch nicht. Ich sortiere gerade meinen Werkzeugkasten an psychologischen Übungen und Tools, die ich immer mal für mich ausprobieren wollte oder noch nie konsequent über einen längeren Zeitraum ausprobiert habe. Hierzu gehören zum Beispiel künstlerische Aktivitäten, Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder auch nur eine ausgedehnte und fast übertriebene „Home-Spa“-Session.

Was würdest du dir an Rücksicht in der Gesellschaft wünschen für die Corona-Zeit und danach?

Allgemein erhoffe ich mir, dass Solidarität, Wertschätzung, Empathie, Rückbesinnung aufs Wesentliche, Entschleunigung, Respekt, kollektives Handeln zugunsten anderer, mehr psychische Resilienz und Dankbarkeit vermehrt ihren Weg in die gesellschaftlichen Dynamiken finden werden. Dadurch würden auch jene Menschen profitieren, die in der „Vor-Corona-Zeit“ keine oder nur wenig Beachtung fanden.

Viele Außenstehende sagen gerne “Ach, geh einfach mal raus, dann geht es dir besser.” Bekommst du diese gut gemeinten Tipps, die wahrscheinlich nicht hilfreich sind, jetzt seltener? Welche Tipps hast du für andere?

Es gibt gefühlt so viele unterschiedliche Ausprägungen von Depression, wie es depressive Menschen gibt. Tipps sind grundsätzlich schwer. Ich persönlich gebe mir Mühe, wie ich es nenne, artgerecht weiter zu siechen und dabei nicht über die Kante zu fallen. Präventionen dafür sind zum Beispiel imaginäre „Stoppschilder“ zu setzen, also innerlich „Stopp!“ zu rufen, wenn ich bemerke, dass ich wieder zu negativ bin und zu viel grüble. „Mikropläne“ sind auch ganz okay. Hierbei nehme ich mir langfristig vor, beispielsweise 45 Minuten am Tag zu meditieren. Für den Anfang ist das natürlich zu lange, daher starte ich mit fünf Minuten. Das ist für den kognitiven Effekt des Meditierens wiederum zu kurz, aber ich gewöhne mich an die Abläufe und die Tätigkeit an sich. Das kann man dann steigern. Genauso verhält es sich mit Yoga oder Sporteinheiten.

Zusätzlich, was viele Betroffene aus Interaktionen mit psychologisch-geschultem Personal kennen, versuche ich unfassbar lieb zu mir selbst zu sein. Statt im Spiegel den Supernichts zu suchen, sage ich mir, wie toll ich bin – auch wenn ich mir das nicht glaube. Ich sage mir albern „Gute Nacht“ und noch alberner „Guten Morgen“, ich wünsche mir „Guten Appetit“ und sage mir auch mal „Gut gemacht“. Eine langsame und notwendige Umkonditionierung hin zu mehr Selbstachtung.

Ich habe das Glück, dass mir keine Menschen Ratschläge geben wie „Depressiv? Lach doch einfach mal!“. Mit solchen Menschen habe ich, in der Regel, nichts zu tun – und wenn ich an sie denke, dann werde ich traurig und bezweifle kurz die Fähigkeit der Gesellschaft, sich Herausforderungen zu stellen. Denn solche Ratschläge zeugen von mangelnder Reflexion.

Theoretisch haben die Menschen aber recht mit „Einfach mal glücklich sein.“ Die Erkenntnis dürfte ich mit den meisten Menschen teilen, dass wenn man beispielsweise unmotiviert ist, Motivation dagegen gut wäre. Wenn man traurig ist, dass man lachen sollte, um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn man keinen Marathon laufen kann, dann sollte man versuchen, einen Marathon laufen. Alles einfacher gesagt, als getan und es wird der betroffenen Person nicht gerecht, wenn man ihr vereinfacht und damit schon irgendwie zynisch das Offensichtliche sagt.

Was vermisst du?

Ich vermisse die wenigen sozialen Interaktionen, die ich hatte und die Erlaubnis dazu. Das geht wohl den meisten Menschen momentan so, unabhängig von Depressionen. Ansonsten, wie gesagt: Es hat sich kaum etwas an meiner Lebensdynamik und Realität verändert.

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Eine Antwort

  1. Ich finde es auch entlasten, nicht dauernd raus zu müssen, weil ich z.b. als nierentransplantierte häufig Schuldgefühle habe, wenn ich nicht jede Minute nutze und irgendwas unternehme, jetzt, wo ich es doch kann. Der Kampf, oder dauernd draußen rum zu rennen, ist manchmal auch anstrengend. Als atypische Autisten finde ich es manchmal merkwürdig, wie sehr die Leute jetzt schon nach Kontakt schreien, habe ich es doch gelernt, mich mit mir alleine zu beschäftigen. Nachdem wir viele immer sagten, mir geht es doch genauso wie dir, befriended es mich jetzt eben umso mehr, wenn ich dann höre, wie die Leute schon nach zwei Wochen schreien, dass sie keine Kontakte haben. Als ob man draußen, wenn man sich begegnet, sich ständig in die Arme fallen würde. Jetzt geht es den meisten auch mal so, wie es mir die meiste Zeit geht. Als nierentransplantierte habe ich natürlich Angst, denn ich bin Mitglied einer Risikogruppe. Und meine Leukozyten waren schon vor der Corona Krise viel zu niedrig, sodass ich schon ab 2. März nicht mehr raus durfte. Somit habe ich jetzt natürlich einen Vorsprung mit der Ausgangssperre und der Kontaktsperre und sehne mich schon manchmal nach einem menschlichen Gesicht, nach jemandem, mit dem man einfach mal Kaffee trinken kann. Ich bin fast blind, daher dürfen auch meine Helfer jetzt nicht mehr zu mir, somit bin ich herausgefordert, viele Dinge alleine zu machen. Manchmal ist das sehr anspornen, manches geht halt einfach nicht. Und ich versuche, meinen Tagesrhythmus beizubehalten, da ich eine zirkadiane schlaf-wach-rhythmusstörung habe, und es daher wichtig ist, Struktur zu behalten. Daher möchte ich den Tag nutzen und nicht verplempern. Meine medikamente muss ich sowieso eisern einnehmen, daher brauche ich eine gewisse Selbstdisziplin. Die Selbstpflege kommt natürlich auch nicht zu kurz, und ich würde so gerne mal ins Kino gehen, heute ist mein Nieren Geburtstag, , da ich die Niere am 12. April 2016 erhalten habe, aber ich kann diesen gar nicht besonders begehen. Nachkultur sehne ich mich, ich bin nicht ganz so fit im Internet, aber ich habe schon einen Konzert online verfolgt. Daher verstehe ich einiges, was hier erzählt wird.

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