Wertschätzend, empathisch, liebend. So lassen sich politische Gegner*innen am ehesten überzeugen, oder? In seinem Artikel zeigt Hans-Willi Weis, wie man den Kampfmodus verlassen und aufeinander zugehen kann.
Wenn seit geraumer Zeit in Gesellschaft und Politik der Ton rauer wird, dann muss dies uns Behinderten Sorge bereiten. Wenn das Hauen und Stechen bei öffentlichen und medialen Auseinandersetzungen einen Punkt erreicht, an dem die Schwächsten nicht länger mithalten können, dann stellt sich die Frage, wie Behindertenpolitik darauf reagieren sollte. Indem sie gleichfalls den Ton verschärft? Was manchmal nötig ist, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen.
Antworten möchte ich mit einer Überlegung, die manchen zunächst ein wenig schrill vorkommen mag. Dem toxisch maskulinen Diskurs-Stil – der Krieg mitten in Europa seit mehr als einem Jahr hat ihn noch einmal mächtig befeuert – begegnet die Autorin und POC-Aktivistin Mithu Sanyal mit einer feministischen Diskurs-Alternative, deren Stil an einem friedfertigen, freundlichen, ja liebevollen Miteinander orientiert ist. Gerade auch politische GegnerInnen könne man mit den eigenen, noch so guten Argumenten nicht im Angriffsmodus überzeugen, sondern am ehesten durch eine wertschätzende, empathische, liebende Art und Weise, sie anzusprechen. Die Andersdenkenden bzw. Anders-Argumentierenden im „Liebesmodus“ überzeugen – eine spinnerte Idee, Liebesschwurbelei?
Am besten wäre, wir könnten jetzt Mithu Sanyals Radio-Essay zusammen anhören, denn weil es inhaltlich um Stilfragen geht, wird der Sound mitentscheidend sein, wie wir darüber urteilen. Auch wenn das hier nicht möglich ist, gelingt es mir vielleicht trotzdem, vom „spin“ der Idee, vom Dreh bei der Sache also, etwas rüberzubringen.
Politics – What´s love got to do with it
„Das ganze politische System bei uns ist ja auf Kampf aufgebaut“, sagt eine von Sanyals Gewährsfrauen. „Und die Allgegenwart der Politik ist auch eine Allgegenwart des Kampfmodus.“ Schon die Begriffe seien verräterisch, „allein der Begriff der Opposition, also Parteien stehen in Opposition zueinander und von Opposition ist es nicht mehr weit zum Kampf. Und es ist auch ermüdend zu sehen, wann immer eine Idee kommt, eine Gesetzesvorlage der Regierenden, muss die Opposition ja reflexhaft dagegen sein. Das ist natürlich ein Modus, der sich in sich selbst erschöpft. Ich denke, vieles, was es an Unmut, ich finde an berechtigtem Unmut an der Politik gibt, liegt daran, dass sie sich eben nicht in Scheingefechten erschöpft, sondern im Gefechtsmodus tatsächlich erschöpft. Also wenn ich so viel Energie darauf verwende, politische Gegnerschaft zu inszenieren, dann habe ich natürlich deutlich weniger Zeit, die Sache, um die es geht, nach vorne zu bringen.“
Die feministische Stilkritik ist für mich nicht von der Hand zu weisen. Ob Parlamentsdebatte oder politische Talkshow, für den martialischen Politik- und Diskursstil ist das höchste der Gefühle der „Schlagabtausch“, dem alle entgegenfiebern, beschönigend mit dem sportlich konnotierten Qualitätsmerkmal „hart aber fair“ versehen. Und das Ganze zu Lasten der politischen Substanz, der Inhalte.
„Politics of love“ demgegenüber, so führt eine andere weibliche Stimme aus, ist darum bemüht, „eine Atmosphäre herzustellen, die eher auch geprägt ist von einer fürsorglichen Gemeinschaft und einem aufeinander Zugehen, einem Zuhören, einander Raumlassen geprägt ist“. Statt dass wie in den üblichen Talkshows Leute einander ihre unterschiedlichen Meinungen um die Ohren hauen und die Zuschauer danach ihre vorgefassten Meinungen nur noch fester vertreten, Lerneffekt auf allen Seiten gleich Null.
Wie und wodurch eine wechselseitig lernfreudigere Debattenkultur entstehen könnte, dazu werden auch Zitate von schwarzen und weißen Männern angeführt (toten und alten allerdings nur). James Baldwin etwa: „Die einigermaßen bewussten Weißen und die einigermaßen bewussten Schwarzen müssen wie Liebende das Bewusstsein des anderen einfordern, gar wecken.“ – Und natürlich Martin Luther King: „Liebe und Macht werden als komplett gegensätzliche Konzepte konstruiert. Liebe ist für uns gleichbedeutend damit, Macht aufzugeben und Macht, auf Liebe zu verzichten. Wir müssen endlich mit diesem Blödsinn aufhören und erkennen, dass Macht ohne Liebe zum Missbrauch neigt und Liebe ohne Macht sentimental und blutleer ist. Die beste Form von Macht ist Liebe, die die Erfordernisse von Gerechtigkeit durchsetzt.“ Was sich im englischen Originalton dieses begnadeten Redners natürlich noch viel „empowernder“ anhört!
Auch der alte weiße Mann Michael Hardt (mit Antonio Negri Verfasser der Bestseller Empire sowie Multitude) kommt im O-Ton zu Wort: „Wie können wir uns selbstständig in diesen neuen Menschen verwandeln? Welche Mittel haben wir, um die Fähigkeit zu entwickeln, uns selbst zu regieren? Und hier kommt die Liebe ins Spiel, Liebe als Prozess oder Trainingsfeld, um die demokratische Gesellschaft herzustellen.“ – Das aber hört sich noch sehr nach einem Postulat an. Wie es konkret gehen könnte, „dass nur Liebe in der Lage ist, uns und die Gesellschaft zu transformieren“, diesbezüglich bleibt Mithu Sanyal mitsamt ihrem Chor beeindruckender Stimmen ziemlich schwammig. Mit „habe Mut zur Utopie“ und öko-esoterischer Herzerwärmung („Mother Earth wie euren Lover betrachten“) ist es schließlich nicht getan.
Yoga Politics isn’t it just the missing link?
Ja, möchte ich behaupten, Yoga Politics scheint mir genau das fehlende Glied zwischen dem guten Vorsatz und dessen Verwirklichung zu sein. Der Vorsatz: Auf politische Gegner und Opponenten nicht aggressiv und feindselig, vielmehr friedfertig und freundlich zugehen, sie liebevoll umwerben, um sie koevolutiv für die gemeinsame Zukunftsgestaltung zu gewinnen. Das Mittelstück zwischen dieser edlen Absicht und der tatsächlichen Fähigkeit, denkend und fühlend wirklich imstande zu sein, eine so vollständige Verhaltensänderung hinzubekommen, umschalten zu können vom Kampfmodus in den Liebesmodus – warum ich dieses Mittelstück gerade in der selbsttransformativen Praxis des Yoga meine entdeckt zu haben, das kann ich hier nur stichwortartig andeuten.
Die Idee kam mir vor über drei Jahrzehnten, zu einer Zeit, da alle glaubten, man bewege sich in riesen Schritten auf eine friedliche und demokratische Weltgesellschaft zu. Weshalb die Idee Yogapolitics in dem therapeutischen und spirituellen Zentrum im Südschwarzwald, wo ich sie entwickelte, kaum auf Interesse stieß, damals dachte man, das läuft doch schon alles ganz von selbst. – Unter Yoga verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht die heute gängige sanfte Körpergymnastik, womöglich noch zum Zweck der Selbstoptimierung, um das tägliche Kampfgetümmel besser durchzustehen, sich erfolgreicher durchzuboxen. Vielmehr im ursprünglichen Sinne einer auf meditativer Selbstaufmerksamkeit und nichtegozentischer Weltverbundenheit beruhenden Geistespraktik. Gewaltfreiheit (ahimsa lautet der Sanskritbegriff) ist das Prinzip des Übens, nichts erzwingen wollen, nicht auf „machen“ liegt der Akzent, sondern auf „lassen“. Eine auf dem Yoga-Weg eingeübte und gelernte Gewaltfreiheit, die sich als mentale Einstellung und als Habitus auf die Beziehungen und die Kommunikation im Alltag überträgt. Und deren bewusste Übertragung auf unser politisches Diskursverhalten Yogapolitics genannt werden kann.
Um die versprochene Wirkung zu plausibilisieren, müssen für diejenigen, die skeptisch sind, wenige Stichworte genügen zum Übungsablauf und zum inneren Geschehen: Sitzen in Stille, aufmerksam dem Atem folgen, die Gedanken kommen zur Ruhe, „peace of mind“, Angst und Aggression schwinden, Liebe und Mitgefühl stellen sich ein. Die innere Voraussetzung für gewaltfreie Kommunikation mit anderen. Nicht durch einmaliges, sondern regelmäßigen Üben stellt sich der Effekt ein. Man muss nicht zwei Stunden täglich üben (wie Yuval Noah Harari, der israelische Historiker-Star), mal mit einer halben Stunde beginnen und sich für den Zeitraum dieser Stilleübung aus dem alltäglichen „Kampfgeschehen“ herausnehmen. – Die turnusmäßige Unterbrechung also ist entscheidend, dieser meditative Schnitt zum jeweils Vorausgegangenen, um hernach emotional und gedanklich wieder neu anfangen zu können, verwandelt gleichsam. Und damit genug der Worte, an dieser Stelle heißt es: Probieren geht über Diskutieren.
Make love not war realoded: Our challenge and response?
Zur Antwort, response, ist das Nötigste gesagt (love and yogapolitics). Fehlen noch ein paar Worte zur spezifischen Herausforderung für uns Behinderte. – Zunächst zur Ausgangslage. Wo im wirklichen Sinne die Waffen sprechen, wo Bomben fallen, kommt love statt war für diejenigen, auf deren Köpfe sie fallen, zu spät. So in der Ukraine, weshalb – nachvollziehbar – die Politik europaweit über Waffenlieferungen diskutiert und die Rüstungsausgaben hochfährt. Anders als damals im Kalten Krieg, als im Westen der Wohlfahrtsstaat florierte (Wellfare and Warfare), sieht heute auf lange Sicht alles nach Warfare minus Wellfare aus. Und da stehen wir kriegs- und wehrdienstuntauglichen und auf wohlfahrts- bzw. sozialstaatlichen Support angewiesenen Behinderten arg im Regen.
Sollte meine Situationsbeschreibung einigermaßen zutreffend sein, ließe sich dann ihre Herausforderung, challenge, speziell für die Behinderten nicht dahingehend verstehen, ihre Schwäche proaktiv auf dem Weg der Einübung von Lovepolitics und Yogapolitiks in soziale und politische Stärke umzumünzen? Und sei es vorerst auch nur, um in einer zeitengewendeten Zeit, in der sich, sinnbildlich gesprochen, alle Welt um uns her politisch die Köpfe einschlägt, wenigstens miteinander, unter uns Peers, friedfertig und friedlich zu verkehren. Für uns Behinderte, denke ich, kommt einzig das renovierte make love not war in Frage, als Kriegshelden auf dem Schlachtfeld oder wahlweise als kriegerische MaulheldInnen auf einer Talkshowbühne taugen wir eh nicht. Vielleicht aber als Blueprint für eine bessere Zukunft, in der man uns dann als eine Avantgarde feiern wird, die aus liebevollen und liebenswürdigen Sozialhelden und Sozialheldinnen gebildete Vorhut der endlich „pazifizierten“, der befriedeten, freien und gerechten Gesellschaft.