„Gerade im Umgang mit dem Rechtsdruck ist die intersektionale Perspektive sehr wichtig.“ Ein Gespräch mit Linken-Politikerin Gökay Akbulut

Gökay Akbulut sitzt im schwarzen Blazer, schwarzer Hose und hellem Shirt auf einer Treppe. Ihre Hände liegen auf den Knien ineinander, sie lächelt und hat die Augen geschlossen. Links im Bildhintergrund ist ein kahler Baum zu sehen, rechts der Bundestag.
Kämpft für intersektionale Perspektiven - Gökay Akbulut (Die Linke). Foto: Stephan Lucka
Lesezeit ca. 5 Minuten

Wie hängen Bildung und Demokratiebildung zusammen? Gibt es feministisch-migrantische Vorbilder in der Politik und wie funktioniert die Gratwanderung zwischen Selbstrepräsentation und eigener Themensetzung? Darüber spricht unsere Redakteurin Carolin Schmidt mit Linken-Politikerin Gökay Akbulut, Sprecherin für Migration, Familie und bürgerschaftliches Engagement im Bundestag.

Carolin Schmidt: Schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wie geht es Ihnen hinsichtlich der Europawahlen am 9. Juni und den Ergebnissen?

Gökay Akbulut: Nicht so gut, wie vielen anderen auch. Der Rechtsdruck hat weiter zugenommen und das wird die Zukunft Deutschlands und Europas beeinflussen. Viele Parteien haben sich von den Rechten treiben lassen. Der Normalisierungsprozess, von dem ja alle am Anfang gesprochen haben, hat ein neues Niveau erreicht. Darüber hinaus beschäftigt mich der erschreckende Anschlag in Mannheim, der Messerangriff auf einen Polizisten sehr. Mannheim ist ja mein Wahlkreis. 

Sie haben viel Bildungsarbeit gemacht. Wie können wir Jugendliche noch besser einbinden und auch stärken gegen Rechts?

Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die entsprechenden Studien sind erschreckend. Ich glaube das hängt zum einen mit den verschiedenen Kriegen, Konflikten und Krisen zusammen, die wir durchlebt haben in den letzten Jahren. Etwa die Auswirkungen der Corona-Krise. Auf der anderen Seite ist es auch ein ziemlich großes Bildungsdefizit, gerade was politische Bildung anbelangt. Ich finde es nicht in Ordnung, dass die Ampel wieder im Bereich Kinder und Jugend kürzt. Wir haben ein 100-Milliarden-Paket für Bildung gefordert. Die Rolle der Medien ist sehr stark, gerade Social Media. Kürzlich habe ich mir einen Tiktok-Kanal zugelegt (lacht). Wir überlegen fortlaufend, wie wir noch neue Zugänge schaffen können.

Wenn Sie an Ihre eigene Jugend denken – gab es irgendein Ereignis oder einen Moment, der Ihren Wunsch, Politikerin zu werden, beeinflusst hat?

Ich habe einen kurdisch-alevitischen Hintergrund und bin schon sehr jung politisiert worden. Ich bin quasi auf Demos aufgewachsen. Auch die Schwierigkeit, als migrantische Person aufs Gymnasium zu gehen, hat mich geprägt – ich habe damals eine Realempfehlung bekommen wie viele andere migrantische Jugendliche auch.

Auf dem Porträt-Foto von Gökay Akbulut lächelt sie leicht in die Kamera. Ihre braunen, leicht gewellten Haare fallen ihr offen auf die Schulter, sie trägt ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt und einen schwarzen Blazer darüber.

Gökay Akbulut

ist Sprecherin für Migration, Familie und bürgerschaftliches Engagement im Bundestag. Sie ist 1982 in Pinarbaşi/ Türkei geboren und lebt seit 1990 in Deutschland. Sie studierte Politische Wissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht in Heidelberg. 2016 bis 2017 war sie Referentin für Migration und Bildung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Seit 2006 ist sie Mitglied der LINKEN, Mitglied im Kreis- und Landesvorstand Baden-Württemberg und in der LAG Migration und Antirassismus, Frauenpolitik und Bildung. Von 2014 bis 2018 war sie Stadträtin in Mannheim sowie Integrations- und Migrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Foto: Andi Weiland

Auf einem Clip auf Ihrer Website sagen Sie, dass Sie die Vielfalt der Gesellschaft auch im Parlament gespiegelt sehen wollen. Wie vielfältig ist unsere Politik?

Wir sehen, dass die Repräsentanz von Migrant*innen auf kommunaler Ebene wie in den Landesparlamenten und im Bundestag sehr schwach ist. Dort sind es gerade mal 11,3% Abgeordnete mit Migrationsbiografie – innerhalb der Gesellschaft sind es 26%. Es muss sich die gesamte Breite der Vielfalt im Parlament widerspiegeln – die Geschlechtliche, Menschen mit Migrationsbiografie, Menschen mit Behinderung aber auch die Vielfalt an Berufen. Es ist noch viel Luft nach oben und es ist eine Aufgabe für alle Parteien, das zu ändern.

Braucht es eine Vielfaltsquote?

Bei den Linken und den Grünen gibt es ein Bewusstsein dafür, dass die Gesellschaft nicht gerecht ist und es Veränderung braucht. Aber es gibt Machtstrukturen, die sich über Jahre verfestigt haben und wenig Bewusstsein von Konservativen, diese Macht zu teilen. Die Berliner Linke hat eine Migrationsquote gefordert für den öffentlichen Dienst. Da gab es eine riesige Debatte. Auch was queere Menschen, migrantische/ migrantisierte Menschen, Frauen, von Rassismus betroffene Menschen angeht, müssen wir gemeinsam Veränderungen herbeiführen und die intersektionale Perspektive in den Blick nehmen.

Es geht nicht nur um Politik und um Wahlergebnisse, sondern auch wie sich alles auswirkt auf die Gesellschaft und auf die von Diskriminierung betroffenen Gruppen.

Hatten Sie Vorbilder in Ihrer Laufbahn, die Sie inspiriert haben, Politikerin zu werden?

Mit Alexandria Ocasio-Cortez kann ich mich gut identifizieren, Arbeiterklasse, BIPoC etc. Aber ich bin auch sehr geprägt von kurdischen Abgeordneten in der Türkei, Leyla Zana etwa. Als ich noch klein war, habe ich sie sehr stark bewundert, weil es eine Frau war, die aufgrund ihrer politischen Arbeit und Identität im Gefängnis saß und trotzdem weitergemacht hat. Und während meines Politikstudiums fand ich Sahra Wagenknecht toll (lacht).

Wie stehen Sie jetzt zum Bündnis Sahra Wagenknecht? Wie gehen Sie damit um innerhalb der Linken?

Das BSW ist sicherlich auch ein Grund, warum wir auch so schlecht abgeschnitten haben bei den Europawahlen – der Spaltungsprozess hat viel zu lange gedauert. Und es bleibt spannend, ob es eine Linke Partei wird – ich bezweifle das.

Was war Ihr letzter Streitpunkt innerhalb der Partei?

Die Islamismusdebatte, gerade nach dem Anschlag in Mannheim, ist ein sehr schwieriges Thema, über das wir weiter reden müssen. Von den Rechten, aber auch von den Ampelparteien wurde er instrumentalisiert, um jetzt Abschiebungen durchzuführen, nach Afghanistan, Syrien und andere Krisengebiete. Ich finde diese Auseinandersetzung sehr, sehr schwierig und auch etwas belastend. Wir haben ja eine de facto Abschaffung des Asylsystems. Ich finde es nicht in Ordnung, alle unter Generalverdacht zu stellen.

Wie können wir neue Allianzen schließen, um Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen diskriminiert sind, zusammenzubringen und Vorurteile abzubauen?

Wir haben die Ergebnisse der Europawahlen gesehen, nächstes Jahr stehen Bundestagswahlen an. Es geht ja nicht nur um Politik und um Wahlergebnisse, sondern auch wie sich das alles auswirkt auf die Gesellschaft und auf die von Diskriminierung betroffenen Gruppen. Und da kommen leider schwierige Zeiten auf uns zu. Umso wichtiger ist es, dass die Linken Parteien, demokratische Parteien aber auch Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, näher zusammenrücken und einen Gegenblock bilden, sowohl zu den bürgerlichen als auch zu den rechten Parteien. Ein Block der Hoffnung, der Solidarität und des Miteinanders.

Wie können Sie das durch Ihre Arbeit vorantreiben?

Wir haben während der Debatte um Migration beispielsweise ein Netzwerk gegründet, Links*Kanax – da haben sich alle BIPoC-Mitglieder innerhalb der Linken zusammengeschlossen mit dem Ziel, die migrantisch-progressive Stimme innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE hörbarer und sichtbarer zu machen. Ich glaube, solche Netzwerke und Zusammenschlüsse brauchen wir auf allen Ebenen. Gerade im Umgang mit dem Rechtsdruck ist die intersektionale Perspektive sehr, sehr wichtig. Feministische Kämpfe, etwa um §218 oder Rechte für queere Menschen sind auch Teil meiner Gleichstellungspolitik.

Sie haben früher als Referentin für die Rosa Luxemburg Stiftung gearbeitet und waren auch dort mit Migrationsthemen beschäftigt. Wie sehen Sie den Balanceakt zwischen dem Wunsch, für sich selbst zu sprechen, aber andererseits nicht immer dieselben Themen bedienen zu müssen?

Das ist eine Gratwanderung, die Balance zu finden zwischen Themen, die einem zugeschrieben werden oder die man übernimmt und die es von der lokalen bis auf bundes- und europäischer Ebene zu bearbeiten gilt und sich auf der anderen Seite auch in anderen Themengebieten weiterzuentwickeln. Ich komme aus dem Bildungsbereich, deswegen finde ich Themen rund um Bildungsgerechtigkeit sehr wichtig, genauso wie die feministischen Kämpfe. Aber ich finde auch das Thema Ökologie sehr spannend, bin da unterwegs als parlamentarische Beobachterin und habe schon einiges gelernt von den Klimaaktivist*innen.

Gibt es irgendeinen Link, den Sie mit uns teilen möchten, zu einem Artikel, einem Lied oder einem Podcast, der Sie erfreut oder beschäftigt hat?

Der Song Für immer Frühling von Soffie. Die Sängerin ist wie ich aus Mannheim und das Lied wurde bei den vielen großen Antirechtsdemos gesungen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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