„Allein, dass ich da bin, ist grundsätzlich ein Zeichen von Diversität.“ Ein Gespräch mit SPD-Politiker Bijan Kaffenberger

Bijan Kaffenberger steht in weißem Hemd und beiger Hose an einer Pfalzmaschine, im Hintergrund ist ein Regal mit Bastelmaterialien.
Will den Aufstieg für alle befördern - Bijan Kaffenberger. Foto: Privat
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Bijan Kaffenberger hat Volkswirtschaftslehre studiert und als Referent für Breitbandausbau im Thüringer Wirtschaftsministerium gearbeitet, bevor er 2019 als Abgeordneter in den hessischen Landtag einzog. Neben seiner politischen Karriere ist Kaffenberger Vater von zwei Kindern und Autor vonWas machen Politiker eigentlich beruflich?“. Unsere Autorin Karina Sturm unterhielt sich für die Neue Norm mit dem SPD-Politiker.

Karina Sturm: Guten Morgen Herr Kaffenberger, wie wichtig ist das Thema Diversität in Ihrer Arbeit?

Bijan Kaffenberger: Ich erfülle verschiedene Diversitätskategorien: Ich habe einen sichtbaren Migrationshintergrund, einen ausländischen Vornamen und andere sichtbare Diversitätsmerkmale – Tics durch das Tourette-Syndrom. Insofern steht es mir gar nicht frei, mich zu entscheiden, ob ich Diversität nach außen ausdrücken will. Allein, dass ich da bin, ist grundsätzlich ein Zeichen von Diversität.

Platzieren Sie die Themen Behinderung, Inklusion und Diversität auch aktiv in Ihrer politischen Arbeit?

Ich bin nicht in die Politik gegangen, um inklusionspolitischer Sprecher zu werden. Und ich finde es auch sehr wichtig, dass wir Menschen mit Behinderung in der Politik eine Wahlfreiheit lassen. Es gibt behinderte Menschen, die sich bewusst in die Politik entwickelt haben, über den Behindertenrechtsaktivismus beispielsweise. Und es gibt Menschen mit Behinderungen, die politisch mit anderen Themen sozialisiert sind. Echte Inklusion in der Politik bedeutet, dass Menschen mit Behinderung sich entscheiden können, welchen Politikbereich sie gerne bearbeiten wollen, ohne dass es zwangsläufig die Inklusion sein muss. Es darf aber auch gerne die Inklusion sein, denn der Grundsatz „Nichts über uns, ohne uns“ gilt natürlich auch in der Politik.

Welche Herausforderungen bzw. Barrieren mussten Sie in Bezug auf Ihre Behinderung und die politische Karriere bewältigen?

Es gibt zwei Ebenen: die parteiinterne und die der Wähler*innen. Parteiintern gibt es Kolleg*innen, die einen schützen wollen und sagen, man solle gut überlegen, ob man sich mit so einer Behinderung in die Politik und damit auch die Öffentlichkeit begeben will. Gleichzeitig stellen andere Kolleg*innen oft hinter vorgehaltener Hand die Frage: „Geht das denn überhaupt? Kriegt er das hin?“ Da wird Ableismus für den eigenen Vorteil, instrumentalisiert für den eigenen Vorteil z. B. von Personen, die das gleiche Mandat anstreben. Bei den Wähler*innen gibt es zwei Sorten: Die einen, die man nie überzeugen wird, die sagen: „Jemanden mit einer offensichtlichen Behinderung, das geht gar nicht.“ Das ist aber auch nicht die Zielgruppe der Sozialdemokrat*innen. Meine Zielgruppe sind Menschen, die das Leben für alle besser machen wollen; die anderen grundsätzlich was zutrauen und die Menschen empowern wollen. Und diese Menschen sehen in mir einen Sozialdemokraten, der die Werte der SPD vertritt, nämlich, dass wir Aufstieg für alle ermöglichen, unabhängig von Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung, oder ähnlichem. 

Portraitfoto von Bijan Kaffenberger. Er hat dunkle, kurze, leicht wellige Haare, einen Vollbart und trägt eine Brille. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd und lächelt in die Kamera.

Bijan Kaffenberger

Bijan Kaffenberger wurde am 25. Mai 1989 in Darmstadt geboren. Nach dem Abitur 2008 arbeitete Kaffenberger als Selbständiger in der IT-Beratung und Netzwerkinstallation. 2009 bis 2012 studierte er Wirtschaftswissenschaften und absolvierte 2012 bis 2015 seinen Master in International Economics and Economic Policy an der Johann-Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Kaffenberger arbeitete von 2016 bis zu seinem Einzug in den Landtag im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft als Referent für Breitbandausbau und Digitalisierung.
Foto: Maximilian König

Behinderung wird oft als eine Barriere oder ein Hindernis geframed – gab es auch Momente, in denen Sie sie als Stärke wahrnahmen?

Ich habe ein Identifikationsmerkmal, wodurch ich in Erinnerung bleibe. Ich sage manchmal scherzhaft, dass ich ganz froh bin, dass ich Tourette habe und keinen anderen „unique selling point“ (Anm. d. Red.: „Alleinstellungsmerkmal“) aneignen muss. In dem Zusammenhang habe ich auch den Begriff des „Parlaments-Tourette” geprägt. Mittlerweile geht ja jede*r an ein Mikrofon, um irgendeine Scheiße zu erzählen, nur um auf Social Media oder in der Bild-Zeitung vorzukommen. Das bleibt mir dankenswerterweise erspart. 

Auf Ihren sozialen Netzwerken wirkt es so, als würden Sie auch explizit eine jüngere Generation ansprechen und in Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Politikverdrossenheit junger Menschen nichts mit Smartphones zu tun hat, sondern mit dem modernen Alternativ. Was genau meinen Sie damit?

Das ist natürlich ein bisschen provokant. Ich bin jetzt seit anderthalb Wochen kein Juso mehr – ich bin 35 – aber ich versuche nach wie vor junge Themen zu setzen. Man muss dabei immer aufpassen, dass man als Abgeordneter nicht zum Berufsjugendlichen wird. Ich muss nicht mit Basecap rumrennen, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man wahrnimmt, was die Jugend bewegt. Gerade durch die Corona-Pandemie haben junge Menschen sehr gelitten. Das macht auch was mit unserer Gesellschaft. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass sich Mehrheiten verschieben. Ich glaube, der beste Weg, jungen Menschen politisch eine Perspektive zu bieten und aus diesen vielen Sorgen und Krisen, die gerade in der Welt unterwegs sind, etwas Positives mitzunehmen, ist, sie einzubeziehen. Das ist notwendiger denn je. 

Kultur kann Vielfalt eine Bühne bieten.

Das stimmt wohl. Wofür möchten Sie sich generell politisch noch stärker einsetzen in der Zukunft? Gibt es bestimmte Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen? 

Ich war in der vergangenen Legislatur in der Landtagsfraktion in Hessen Digitalpolitischer Sprecher. Jetzt habe ich die Felder Wissenschaft und Kultur dazu bekommen. Wir haben noch so viel zu tun, was Bildungsgerechtigkeit an Hochschulen angeht. Viele Student*innen aus nicht so privilegierten Elternhäusern haben es nach wie vor schwerer. Ich unterstütze Projekte wie „Arbeiterkind“. Und es gibt es auch inklusive Kulturprojekte, wie z. B. die inklusive Kunstausstellung „Behind Art“ vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Im Theaterbereich gibt es inklusive Ensembles. Kultur bietet eine unglaubliche Möglichkeit, Diversität sichtbar zu machen auf eine Art und Weise, die nicht als reine Inklusionsmaßnahme daherkommt. Kultur kann Vielfalt eine Bühne bieten.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie in der Politik Ableismus erleben?

Ich bin in der privilegierten Situation, dass ich mich bisher darauf berufen konnte, dass die Wähler*innen ein sehr deutliches Signal dafür setzen, dass sie mich haben wollen. Ich habe meinen Wahlkreis bei der Landtagswahl mit 200 Stimmen verloren. Nichtsdestotrotz habe ich dort 11,3 Prozentpunkte mehr geholt, als meine Partei über die Zweitstimmen erreichen konnte – der größte Personeneffekt landesweit Als Parteien – haben wir gleichzeitig ein instrumentelles Verhältnis zu Inklusion – das finde ich immer wieder erschreckend und da nehme ich auch meine Partei nicht aus. Beispielsweise gibt es zum Thema Geschlechterquote ganz klare Regeln. Bei der Listenaufstellungen oder bei anderen Besetzungen von Gremien muss darauf geachtet werden, dass mindestens 40 % des unterrepräsentierten Geschlechts dabei sind, was ich auch völlig richtig finde. Doch bei anderen Diversitätskategorien gibt es solche Regeln nicht. Da wird es gedreht, wie man es gerade braucht. Ich sehe das sehr kritisch, wenn man Inklusion als ein Instrument nutzt, um eigene Interessen durchzusetzen, im Guten wie im Schlechten. Das ist nicht das Ziel von Inklusion.

Wie wir mit Menschen mit verschiedenen Diversitätsmerkmalen umgehen, wie wir sie in unsere Politikansätze mit einbeziehen, das ist am Ende prägend für den Rest der Gesellschaft.

Sie sagten gerade es gäbe Regelungen für Geschlechterquoten, aber gibt es denn bei der SPD oder auch generell in der Politik irgendwelche Systeme, die explizit darauf abzielen, behinderte Politiker*innen besser zu unterstützen?

Behinderung ist ebenso vielfältig wie unsere Gesellschaft selbst. Der Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Jürgen Dusel, sagt nicht ohne Grund, Demokratie braucht Inklusion. Es ist deutlich schwieriger, aufgrund der vielfältigen Diskriminierungsstruktur, gute Lösungen zu finden, wie eine Geschlechterquote. Der Unterstützungsbedarf ist ganz individuell. Beispielsweise ist eine Gebärdensprachdolmetschung ein ganz anderer Bedarf als eine Persönliche Assistenz oder vielleicht ein Fahrer für das Auto, wie es bei mir der Fall ist. Ich musste z. B. durchsetzen, dass mein Büro, wenn es mich fährt, Kilometer abrechnen darf. Alle Abgeordneten kriegen Kilometergeld. Doch wenn ich nicht selbst fahre, bekomme ich kein Kilometergeld. Es kann keine pauschalen Antworten für das Thema Behinderung der Politik geben. Wichtig ist nur, dass wir den Grundsatz der freien Mandatsausübung ernst nehmen und ein Klima schaffen, in dem man offen darüber reden kann, wenn man besonderen Bedarf hat, ohne dass es als ein Zeichen von Schwäche gewertet wird. 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was Ihre politischen Ziele angeht. Was würden Sie gerne erreichen?

Politik muss auch im Umgang der Politiker*innen untereinander  menschlicher werden. Wir als Politik sind Spiegel der Gesellschaft und gleichzeitig Vorbild. Und wie wir mit Menschen mit Behinderungen, bzw. mit Menschen mit verschiedenen Diversitätsmerkmalen, umgehen, wie wir sie in unsere Politikansätze mit einbeziehen, das ist am Ende prägend für den Rest der Gesellschaft. Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir dem Populismus entgegentreten, insbesondere dem Rechtspopulismus, dass wir sachlich argumentieren und ein Stück weit von dieser impulsgetriebenen, auch affekthaften Affirmation wegkommen. Das geht im Übrigen aber auch genauso als Selbstkritik manchmal in die Inklusionsbubble beispielsweise. Auch dort ist wie in vielen Bereichen des Aktivismus manchmal zu beobachten, dass wir uns alle schon auch gern schnell empören. Das ist in manchen Situationen nützlich, aber man muss schon aufpassen, dass man nicht nur mitmacht, weil alle sich empören. Und Empörung ist auch nicht immer die einzige Möglichkeit, sich zu artikulieren. 

Möchten Sie für das Ende des Interviews noch einen Link zum letzten Video, das Sie erfreut hat, mit mir teilen?

Ich habe die Tage in der Zeit einen Artikel gelesen über den Ausschluss der AfD aus dem Europäischen Parteienbündnis. Marine Le Pen hat gesagt, die ausländischen Nazis finden die deutschen Nazis zu extrem, so dass sie nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Ich habe mich sehr über diese Absurdität amüsiert, dass ausländische Nazis zu deutschen Nazis sagen, dass sie zu sehr Nazis sind. In dem Zusammenhang wurde übrigens auch das „politische Tourette“ erwähnt, das mich an den Begriff des „Parlaments-Tourette“ erinnert, den ich im Theaterstück „Chinchilla Arschloch, was was“ für die sprachlichen Enthemmungen der AfD-Fraktion benutzt habe.

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