Bedrohungen für behinderte Menschen unter Trump – was bedeutet das für uns?

USA Fahne an Mast vor blauem Himmel, mittig unterhalb der Fahne ist das obere Ende eine Palme zu sehen.
Was passiert gerade in den USA und welche Auswirkungen hat das auf den Rest der Welt? Foto: Jametlene Reskp | Unsplash
Lesezeit ca. 7 Minuten

Was in den USA politisch geschieht, bleibt nie ohne Auswirkungen auf den Rest der Welt – sei es durch wirtschaftliche Verflechtungen, kulturelle Vorbilder oder durch politische Narrative, die schnell exportiert werden – auch nach Deutschland. Präsident Trump ist nur wenige Monate im Amt, doch vom ersten Moment an verkündete das derzeitige US-Staatsoberhaupt, Sozialprogramme zu kürzen, Antidiskriminierungsgesetze zurückzurollen und Gleichstellungsinitiativen zu beenden. Die Rechte von Frauen, queeren Menschen, People of Color und von Menschen mit Behinderung geraten zunehmend unter Druck. Was genau passiert gerade in den USA? Wie betrifft das insbesondere behinderte Menschen? Und warum ist das nicht nur ein Rückschritt für die USA, sondern eine Bedrohung für grundlegende Menschenrechte weltweit? Autorin Karina Sturm hat mit drei behinderten Aktivist*innen über einige der großflächigen Bedrohungen für behinderte Menschen in den USA gesprochen. 

Gesundheit: Wenn der Faden reißt

Stell dir vor, du hast einen Unfall und kannst deinen Schienbeinknochen durch deine Haut pieksen sehen. Die freundliche Person neben dir ruft einen Krankenwagen. Doch anstatt auf den Krankenwagen zu warten, schimpfst du mit der Person, die dir helfen wollte, rappelst dich auf und quälst dich mit dem mehrfach gebrochenen Bein in das nächste Taxi, um selbst in die Notaufnahme zu fahren. Was klingt wie ein schlechter Anfang einer typischen amerikanischen Arztserie, ist für viele Amerikaner*innen die Realität. Denn dort gibt es kein wirkliches soziales Sicherheitsnetz, sondern wenn überhaupt wohl nur einen dünnen Faden. Besonders im Gesundheitsbereich wird die Diskrepanz in der Versorgungsqualität zwischen reichen und armen Menschen besonders deutlich. Und viele Amerikaner*innen werden auch erst arm durch einen medizinischen Notfall. Es gibt dort keine gesetzlichen Krankenversicherungen, sondern eher eine Litanei an extrem teuren privaten Versicherungsanbietern, die je nach Staat stark variieren. Da kann ein Krankenhaustransport schon mal mehrere tausend Euro kosten; von einem Rettungshubschrauber für 30.000 wollen wir gar nicht erst sprechen. Und so sind wir wieder zurück beim Taxi. Krank sein muss man sich in den USA leisten können. 

Wer das nicht kann, hat drei Optionen: Insolvenz, Tod oder das Leben ohne Versicherungsschutz. Tatsächlich ist eine der häufigsten Ursachen für Privatinsolvenzen in den USA: medizinische Schulden. Etwa zwei Drittel aller Insolvenzen sind darauf zurückzuführen. Besonders gefährlich ist das für behinderte Menschen, chronisch Kranke oder ältere Menschen, die dauerhaft auf medizinische Versorgung angewiesen sind.

Um diese Lücke zumindest ein Stücken zu schließen, wurden die staatlichen Programme „Medicare“ und „Medicaid“ eingeführt, die während der Obama-Regierung weitläufig zugänglich gemacht wurden. Medicare deckt Menschen ab, die über 65 Jahre alt sind oder bestimmte Behinderungen haben. Medicaid hingegen richtet sich hauptsächlich an Menschen, die in Armut leben, aber finanziert auch persönliche Assistenz, häusliche Pflege, Therapien, Pflegehilfsmittel und vieles mehr. Wie diese Programme genau aussehen und heißen, ist abhängig vom jeweiligen Bundesstaat in den USA. 

Im Unterschied zu den USA basiert das deutsche Gesundheitssystem auf einer Pflichtversicherung. Zwar gibt es auch hier Versorgungslücken – beispielsweise für Menschen mit seltenen oder komplexen Erkrankungen –, doch ist das System in Deutschland eher ein Netz. In den USA wirkt es im Vergleich häufig wie ein einzelner Faden. Programme wie Medicaid, die explizit an Armut gekoppelt sind, zeigen, wie sehr Gesundheit in den USA auch eine Klassenfrage ist.

Bereits zu Beginn der Wahlperiode kündigte Präsident Trump diverse Kürzungen an – größtenteils in Bereichen, die ohnehin schon marginalisierte Communities betreffen. Der „One Big Beautiful Bill Act“, was übersetzt soviel heißt wie „Wunderschönes Riesengesetz“, das gerade von allen Seiten bewilligt wurde, sieht massive Einschnitte in Billionenhöhe für Medicaid, Medicare und andere Sozialprogramme vor. Die Washington Post schreibt, dass derzeit rund 78 Millionen Amerikaner*innen über Medicaid versichert sind und 17 Millionen davon durch das neue Gesetz ihre Krankenversicherung verlieren werden. „Wenn das passiert, werden Menschen sterben“, sagt Jan Groh, Patient*innenvertreterin aus den USA. Andere, zum Beispiel alte Menschen in Pflegeheimen, wären nicht mehr in der Lage, die Kosten für die Einrichtung zu bezahlen. „Wenn sie keine Familie haben, werden sie einfach rausgeworfen. Und wenn sie Familie haben, aber die Familie die Pflegeheimkosten nicht übernimmt, wenn Medicare gekürzt wird, dann kann das Heim das Geld für die gesamte Pflege nach dem Tod der Person von der Familie zurückfordern“, erklärt Groh.

Doch behinderte Menschen – vor allem jene, die mehreren marginalisierten Communities angehören – müssen nicht nur um ihre medizinische Versorgung fürchten, sondern sehen sich zunehmend auch von einer menschenrechtlichen Seite her angegriffen.

Diskriminierung per Gesetz

Stell dir vor, du hast dir das Bein gebrochen und gehst in eine Arztpraxis. Du wirst am Empfang abgewiesen. Nicht weil du nicht versichert bist – du hast Glück und bist nicht eine der Personen, die durch das neue Gesetz ihre Versicherung verloren haben – sondern weil dein äußeres Erscheinungsbild nicht zum Namen auf deiner Versicherungskarte passt. Für viele trans Menschen in den USA ist das keine hypothetische Zukunft, sondern in vielen (konservativen) Bundesstaaten bereits Realität – und die Situation droht sich weiter zu verschärfen. 

Denn die derzeitige Regierung nutzt trans Menschen, um lange erkämpfte Antidiskriminierungsrechte wie den ADA (Americans with Disabilities Act) und Paragraph 504 im Rehabilitationsgesetz zurückzuschrauben. Der ADA ist wohl das weltweit bekannteste Vorbild für Behindertenrechte und wurde 1990 unter Präsident George H. W. Bush verabschiedet. Er verbietet Diskriminierung aufgrund von Behinderung in fast allen Lebensbereichen – im Arbeitsleben, im öffentlichen Raum, bei Dienstleistungen oder im Verkehr – und verpflichtet öffentliche und private Stellen zur Barrierefreiheit und Gleichbehandlung. Er ist die Grundlage für viele ähnliche Gesetze in anderen Ländern. Neben dem ADA gibt es außerdem noch einen besonders wichtigen Paragraph im Rehabilitationsgesetz: den 504, eine bundesweite Regelung, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in staatlich finanzierter Programmen verbietet. Der 504 war der Vorläufer der ADA und wurde bereits 1973 eingeführt. 

„Ich bin Rollstuhlfahrer, wurde mit Spina bifida geboren […] Und das war eben noch die Zeit vor abgesenkten Bordsteinen, vor barrierefreien Toiletten. […] Als Teenager oder junger Erwachsener musste man vorher überall anrufen. Immer dieselbe Fragerei. Sind Sie rollstuhlgerecht? […] Und wie sieht’s mit der Toilette aus?“


, erzählt Jim LeBrecht, Co-Regisseur des Films Crip Camp, über die Zeit vor Einführung des ADA.

Ein vergleichbares Gesetz existiert in Deutschland nicht. Hier gibt es zwar das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung aller Menschen garantiert. Die sind aber weniger umfassend. Seit Kurzem ist auch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft getreten, das Unternehmen verpflichtet, digitale Produkte & Dienstleistungen barrierefrei anzubieten – allerdings besteht keine Pflicht für Barrierefreiheit in privaten Bereichen wie Wohnen, Bildung, Gesundheit, es gibt keine individuellen Klagerechte – Betroffene bleiben machtlos, wenn Unternehmen nicht liefern und es gibt lange Übergangsfristen – viele Regelungen greifen erst 2030. Dann gibt es noch das Bundesteilhabegesetz, das die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen regelt, aber es fehlt an einer so einheitlichen Gesetzgebung wie der ADA.

Derzeitiger Angriffspunkt der Regierung ist die unter dem Schirm des 504 als Behinderung anerkannte Diagnose „Genderdysphorie“. Genderdysphorie beschreibt die Diskrepanz zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und der eigenen Geschlechtsidentität. Dadurch, dass die Diagnose rechtlich als Behinderung unter dem 504 eingeordnet wurde, erhielten trans Personen den gleichen Schutz vor Diskriminerung wie behinderte Menschen. 

Doch genau das ist nun Gegenstand der Klage Texas vs. Kennedy, in der 17 Bundesstaaten fordern, diesen Schutz rückgängig zu machen. Sie argumentierten, dass der Paragraph 504 insgesamt verfassungswidrig sei. Mittlerweile haben die Kläger den verfassungsrechtlichen Angriff auf § 504 zwar zurückgezogen – die Klage selbst besteht jedoch weiter. “Wenn das durchgeht, könnte es sein, dass Barrierefreiheit an einer Uni oder in einem Krankenhaus plötzlich nicht mehr garantiert ist. Dass man sie nicht mehr einklagen kann. Und das wäre ein riesiger Rückschritt”, sagt LeBrecht. 

Was als Angriff auf trans Rechte beginnt, entwickelt sich so zu einer der größten Bedrohungen grundlegender Behinderten- und Menschenrechte – die Menschen mit Behinderungen in den USA im schlimmsten Fall Jahrzehnte zurückwerfen könnte – bis hin zu einer erneuten Mobilisierung wie beim legendären “Capitol Hill Crawl”, der große Protest behinderte Aktivist*innen, der dazu führte, dass der ADA verabschiedet wurde. “Immer wieder muss unsere Community auf die Straße gehen, demonstrieren, um klarzumachen, dass unsere Leben zählen“, sagt LeBrecht.

Fünf Personen im Garten des weißen Hauses an einem Tisch. Eine Person unterschreibt etwas, zwei Personen sitzen im Rollstuhl und zwei stehen dahinter.

#64 USA

In Folge 64 unseres Bayern 2 Podcast schauen wir auf die aktuellen politischen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten. Wir sprechen mit mehreren Behindertenrechtsaktivist*innen darüber, was die Abschaffung des Americans with Disabilities Act (ADA), Medicare/Medicaid und der Diversity, Equity, Inclusion (DEI)-Initiativen für die behinderten Menschen vor Ort bedeuten würde und warum auch Deutschland jetzt genau hinsehen sollte.

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Studiengänge wie Gender Studies oder Disability Studies werden womöglich bald gar nicht mehr existieren.

Wokeness als Vorwand

Doch nicht nur versuchen konservative Politiker*innen in den USA zunehmend den Geltungsbereich des ADA einzuschränken, gleichzeitig steigt der gesellschaftliche Druck, sogenannte DEI-Maßnahmen zurückzufahren – was gleichzeitig ebenso Auswirkungen auf behinderte Menschen hat, zum Beispiel im Arbeits- und Bildungsbereich. 

DEI steht für Diversity, Equity und Inclusion, was übersetzt so viel heißt wie Diversität, (Chancen)gerechtigkeit und Inklusion. Bis vor Kurzem waren das Programme in den USA, die strukturelle Benachteiligung abbauen und Vielfalt und Inklusion fördern sollten. „Im Grunde geht es um ein Prinzip, das den meisten aus der amerikanischen Geschichte bekannt ist: Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“, erklärt Day Al-Mohamed, ehemalige Direktorin für Disability Policy im Weißen Haus.

Auch in Deutschland gibt es DEI-Maßnahmen, die aber nicht so zentralisiert sind, wie das in den USA der Fall war. Und auch gezielte Maßnahmen zum „Chancenausgleich“ waren in Deutschland weniger stark etabliert. 

Doch all das könnte sich bald ändern, denn die momentane US-Regierung stellt DEI mittlerweile als „Wokeness“ dar – als ideologische Bedrohung, die es zu bekämpfen gelte. Diverse Universitäten mussten ihre DEI-Stellen abbauen, inklusive Curricula werden verboten. Studiengänge wie Gender Studies oder Disability Studies werden womöglich bald gar nicht mehr existieren.

„Barrierefreiheit und Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderung sind keine ‚Extras‘, die jemandem einen Vorteil verschaffen. Es geht nur darum, überhaupt Zugang zu bekommen – also überhaupt erstmal durch die Tür zu kommen, um sich dann auf gleichem Niveau mit anderen zu messen. Das ist alles“

, erklärt Al-Mohamed.

Und das sind nur drei von vielen Bereichen, in denen die aktuelle US-Regierung gezielt marginalisierte Gruppen angreift. Dabei ist Präsident Trump erst seit vier Monaten im Amt – und die Zahl der einschneidenden Maßnahmen für Menschen mit Behinderung, queere Menschen, People of Color und andere vulnerable Gruppen ist bereits alarmierend hoch.

Es betrifft auch uns

Was derzeit in den USA passiert, ist nicht nur ein Angriff auf grundlegende Menschenrechte. Es ist ein Angriff auf Demokratie. Wenn Vielfalt und Inklusion als „woke Gefahr“ diffamiert werden, dann ist das mehr als nur rückschrittlich – es ist gefährlich. Und wo solche Entwicklungen hinführen, die bestimmte Menschengruppen abwerten und systematisch ausschließen, das wissen wir aus der deutschen Geschichte. 

Die USA sind weit weg und es ist einfach, die Geschehnisse zu ignorieren, als „das betrifft uns doch alles nicht“; als dass es uns nichts anginge. Doch auch in Deutschland sehen wir ähnliche Debatten. Auch hier werden queere, behinderte oder migrantische Menschen zunehmend zum Feindbild gemacht. Auch hier werden soziale Sicherheiten, Antidiskriminierung und Inklusion in Frage gestellt. Und wie Jim LeBrecht in unserem Interview sagte: „Wir haben immer gesagt, sowas kann hier nie passieren. Doch es passiert hier. Jetzt passiert es wirklich hier.“ 

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Eine Antwort

  1. wenn Trump ein schlechter Präsident wäre dann wäre er nicht zum zweiten Mal gewählt worden. Überall hört man wie schlecht Trump doch ist dabei hat er doch soviel geschafft wie kein anderer Präsident. Ich glaube das die Presse nichts gutes über Trump schreiben darf.

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