In dieser Folge unseres Bayern 2 Podcasts widmen wir uns einem von der Medizin lange ignorierten Thema: ME/CFS. Wir sprechen mit Gästin Alina Snowwhite darüber, was ME/CFS überhaupt bedeutet, wie der Alltag mit der Erkrankung aussieht und welche Wünsche Betroffene haben.
Alina ist von moderatem ME/CFS betroffen und auf Instagram als Alina Snowwhite unterwegs. Sie ist außerdem Model, Aktivistin, frühere Athletin und Host des Podcasts “Spoons Out Of Control” Podcast, bei dem Karina auch schon mal zu Gast war.
Wir sprechen mit Alina darüber, warum ME/CFS überhaupt nichts mit Müdigkeit zu tun hat, sondern eine schwere neuroimmunologische Erkrankung ist. ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom und betrifft den ganzen Körper. Neben der schweren und dauerhaften Erschöpfung (Fatigue), die auch durch Ausruhen nicht besser wird, leben die Betroffenen mit einer Vielzahl anderer Symptome, die ihre Lebensqualität zusätzlich beeinträchtigen, wie kognitive Dysfunktion und orthostatische Intoleranz. Als zentrales Leitsymptom gilt die post-exertionelle Malaise (PEM), eine Zustandsverschlechterung nach jeglicher Belastung – oft auch als “Belastungsintoleranz” bezeichnet – die Tage oder Wochen anhält und in einem Crash enden kann. Alina erzählt uns, welche Aktivitäten in ihrem Fall zu einem Crash führen kann und wie schwierig es war als Frau mit unsichtbaren Symptomen überhaupt eine Diagnose zu bekommen.
Alina teilt mit uns die Barrieren im Gesundheits- und Sozialsystem. Sie erzählt davon, wie sie von mehreren Mediziner*innen gaslighted wurde. Über Gaslighting und die Herausforderungen im Gesundheitssystem haben wir auch in Episode 61 gesprochen. Außerdem wurde Alina der Pflegegrad verweigert, als sie schwer betroffen war.

#61 Mediziner*innen mit Behinderung (Teil 2)
In Folge 61 unseres Bayern 2 Podcasts haben wir zum zweiten Mal Dr. Leopold Rupp und Hannah Hübecker zu Gast. In dieser Fortsetzung von Episode 60 sprechen darüber, wie gut bzw. schlecht die Gesundheitsversorgung für behinderte Menschen in Deutschland ist. Wir schauen unter anderem, welche Barrieren es im Gesundheitssystem gibt, wie sie sich je nach Behinderungsart oder Geschlecht verändern und was das alles mit dem Begriff Gaslighting zu tun hat.
Da es für nicht betroffene Menschen sehr schwierig ist, sich vorzustellen, was es bedeutet, schwer(st) betroffen zu sein und die Betroffenen keine Plattform haben, weil sie meist bettlägrig sind und daher oft keine Stimme haben, haben wir die O-Töne von 20 Betroffenen eingebunden. Wir haben in dieser Folge zwei 7-minütige Einspieler, in dem schwer(st) Betroffene von ihrem Alltag mit ME/CFS erzählen und von ihren Wünschen für die Zukunft. Wir verstehen, dass wir ein einer einstündigen Folge nicht sämtliche Schweregrade und Perspektiven darstellen können und auch nicht 20 O-Töne in ihrer Vollständigkeit zeigen konnten. Doch wir wollten auch nicht Teil des Problems sein und gerade die schwer Betroffenen weiter silencen. Daher haben wir uns entschieden alle Ausschnitte aus allen O-Tönen als Transkript komplett anonymisiert zum Lesen bereitzustellen.
Wir sprechen mit Alina weiter über ihre Lebensqualität als mittlerweile moderat Betroffene. Selbst bei einem milden Verlauf ist das Aktivitätsniveau der Betroffenen bereits um etwa 50 Prozent im Vergleich zu gesunden Menschen reduziert. Bei einem moderaten Verlauf sind die Betroffenen oft nicht mehr in der Lage, einer Arbeit nachzugehen und können das Haus nicht verlassen. Sie sind in allen Bereichen eingeschränkt. Beim schweren Verlauf sind einfache Tätigkeiten wie Duschen oder Zähneputzen kaum noch möglich. Bei sehr schwerem ME/CFS können die Betroffenen meist ihr Bett nicht mehr verlassen und benötigen umfassende Pflege. Ein schwerer Verlauf von ME/CFS ist mit der Lebensqualität von Krebserkrankungen im Endstadium vergleichbar.
Wir haben Alina gefragt, welche Ressourcen ihr geholfen hat, und sie hat uns folgende empfohlen:
Instagram:
Websites:
Eine Antwort
Eine wichtige Sendung, vielen Dank!
Ich kann nur vermuten, dass es Alina aus dem gleichen Grund nicht gelungen ist, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie ihr die Verbesserung ihres Zustandes gelungen ist, der mir so etwas auch oft unmöglich macht: Brainfog. Man ist häufig vollständig blockiert, manches fällt einem einfach nicht ein – oder auch auf – und das finde ich besonders ärgerlich, wenn es um Dinge geht, die einem eigentlich sehr nahe oder geläufig sind.
Die beschriebene generelle Verbesserung habe ich ebenfalls erlebt. Allerdings habe ich gleichzeitig NACH dieser Verbesserung den schlimmsten Crash erlitten, den ich jemals hatte (etwa sechs Monate, davon drei komplett bettlägerig, extreme Symtome, essen und trinken kaum noch möglich). Das klingt unlogisch, trotzdem hat sich nach dem Abklingen des Crashs die vorher angelaufene Entwicklung fortgesetzt.
Ich erlebe ME so, dass mein Körper quasi einmal irgendwo falsch abbiegt, und das dann immer wieder so macht. Es ist meiner Erfahrung nach ausgeschlossen, das unmittelbar wieder rückgängig zu machen. Mit sehr, sehr viel Geduld, Konsequenz und den richtigen Entscheidungen kann er aber anscheinend dazu gebracht werden, sich nicht mehr zwangsläufig – oder nicht mehr so schnell und so früh – zu verfahren. Das heißt, dass sich Grenzen etwas ausweiten lassen, allerdings kann es Jahre dauern, bis das gelingt. Und ich würde sagen, je schwerer der Zustand ist, und vielleicht auch, je länger jemand bereits in diesem ist, um so zäher verläuft die Entwicklung, und um so geringer sind wohl leider auch die Fortschritte. Außerdem lassen die Todesfälle (gerade junger Menschen) vermuten, dass es irgendwo einen “Point of no return” geben muss.
Anders gesagt reagiert mein Körper heute nicht mehr ganz so bissig auf Fehler. Die Krankheit ist trotzdem immer spürbar, aber einzelne Symptome lassen sich offenbar beeinflussen. Ich bin etwa durch (eigentlich) überdosiertes Magnesium meine Herz-Rhythmus-Störungen losgeworden und taumele nicht mehr so durch die Gegend. Ich kam lange kaum einmal durch einen Türrahmen, ohne dagegenzulaufen. Bei wenig Kraft laufe ich trotzdem wie eine Betrunkene, aber eben nicht mehr immer. Auch sollte man wirklich alles tun – oder unterlassen – was nötig ist, um besser schlafen zu können. Und ich persönlich würde niemals Medikamente zur Reduzierung von Symptomen nehmen, wenn sie deutliche Nebenwirkungen verursachen. Nicht nur, dass es nicht die Lösung ist, ein Problem durch ein anderes zu ersetzen. Ich glaube auch, dass man es respektieren sollte, wenn der Körper mit einer Substanz nicht zurechtkommt. Denn, ihm etwas aufzuzwingen, ist bei ME/CFS wohl immer besonders kontraproduktiv. Weshalb man auch den Rat von Ärzt*innen als genau das sehen sollte – als Rat. Entscheiden, ob es sinnvoll ist, sich danach zu richten, muss man ganz allein, das nimmt einem niemand ab.
Ich finde, Alinas Schilderungen zeigen doch recht deutlich, wieso sie sich stabilisieren konnte. Je länger sich der Körper bereits von einer (dauerhaften) Überlastung erholen konnte, umso eher gelingen Verbesserungen. Das ist bei mir nicht anders. Denn leider scheint es sehr häufig vorzukommen, dass Erkrankte lange ein viel zu hohes Belastungsniveau zu ertragen hatten. Der menschliche Körper hat nun einmal Grenzen, aber unsere Leistungsgesellschaft suggeriert ja recht intensiv, dass ein Leben, als gäbe es kein Morgen, das einzig Wahre ist. Doch wir mögen ja heute von jeder Menge Technik umgeben sein; der Mensch ist aber immer noch Natur.
Wenn es also einen “Geheimtipp” gibt, würde ich ihn vielleicht so formulieren:
* absolute Akzeptanz; alles opfern, was nicht gut tut
* absolute Ehrlichkeit zu sich selbst und anderen
* absolute Konsequenz; keine Versuche, irgendetwas zu erzwingen
* sehr viel Geduld und Bescheidenheit
* alles tun, um psychisch möglichst ausgeglichen zu sein; einen Weg zum Umgang mit Ängsten finden, um möglichst große Gelassenheit zu erreichen
Das ist wirklich unheimlich viel. Jede*r wird damit jahrelang beschäftigt sein, und auch häufig Rückschläge erleben. Aber jeder kleinste Zugewinn an Lebensqualität beweist, dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen. Und wenn man etwas, womöglich jahrelang, nicht mehr tun konnte, ist es eine ungeheuer große Freude, zu erleben, dass es wieder möglich ist – wenn auch nur hin und wieder. (Ich kann zum Beispiel manchmal wieder in die Sonne, ohne dass mein Puls sofort bis in den Himmel schießt – ein Traum!)