Das Thema dieses Podcasts ist das Phänomen Inspiration Porn. Was das ist und ob es wirklich etwas mit Pornos zu tun hat, erklären wir hier.
Was ist Inspiration Porn?
Der Begriff stammt von der inzwischen verstorbenen Behindertenrechtsaktivistin Stella Young. Sie hatte es satt, von nichtbehinderten Menschen für alltägliche Dinge, die sie tat, bewundert zu werden. Inspiration Porn ist genau das: die Bewunderung für einen Menschen, dem es aufgrund einer Behinderung vermeintlich schlechter geht. Gepaart wird das ganze mit Sätzen wie “Wenn ich sehe, wie schlecht es der behinderten Person X geht, dann darf ich mich mit meinen kleinen Wehwechen nicht beschweren.” Fraglich dabei ist, ob es behinderten Personen wirklich schlecht(er) geht oder ob diese Bewertung einfach in das Weltbild von nichtbehinderten Personen passt. Es kommt zu einer Aufwertung der eigenen Person durch das vermeintliche Leid anderer.
"Inspiration ist etwas, was wir ganz automatisch fühlen. (...) Letzte Nacht wurde ich durch einen roten Vogel im Schnee inspiriert. (...) Was mich als nächstes inspiriert? Das weiß ich noch nicht, denn das hängt von Emotionen ab — und wer bin ich, dass ich anderen vorschreiben könnte, was sie zu fühlen hat?"
Nikoletta Erdelyi
Die extra Portion Motivation für nichtbehinderte Menschen spielt beim Inspiration Porn ebenso eine große Rolle. Menschen mit Behinderung werden als Motivationsredner*innen eingeladen und erzählen davon, ihre Behinderung “überwunden zu haben.” Die Redner*innen rufen durch ihre Erzählungen eine die Portion Motivation bei nichtbehinderten Menschen hervor. “Wenn die behinderte Person das oder jenes schafft, dann kann ich ja wohl auch erfolgreicher im Job werden/ meinen Schweinehund überwinden…” Es kommt zu einer bewussten oder unbewussten Abwertung der behinderten Person zugunsten der eigenen Motivation: “Was die schafft, kann ich schon lange.”
Darf ich eine behinderte Person also nicht mehr inspirierend finden?
Die Bloggerin Nikoletta Erdelyi schreibt, dass sich inspiriert zu fühlen, eine normale Sache sei: “Inspiration ist etwas, was wir ganz automatisch fühlen. (…) Letzte Nacht wurde ich durch einen roten Vogel im Schnee inspiriert. (…) Was mich als nächstes inspiriert? Das weiß ich noch nicht, denn das hängt von Emotionen ab — und wer bin ich, dass ich anderen vorschreiben könnte, was sie zu fühlen hat?”
Der Hessische Rundfunk stellt ebenfalls die Frage nach Inspiration Porn und lässt seine Reporterin Lisa Brockschmidt, die zwei Unterschenkelprothesen hat, über ihre und die Begegnungen anderer Menschen mit Behinderung berichten: “Sie sagen mir, wie toll sie das finden, dass ich mich nicht verstecke. Menschen im Rollstuhl bekommen gerne mal gesagt wie unglaublich toll es ist, dass sie sich trotzdem zum Beispiel in einen Club trauen.”
Wir wünschen viel Spaß beim Hören unseres Podcasts!
Im Podcast erwähnte Links:
1. “I’m not your inspiration, thank you very much” – Tedtalk von Stella Young über das Phänomen Inspiration Porn
2. Lehrer, der Schülern auf dem Rücken trägt – die ganze Geschichte
3 Antworten
Ich finde gut, dass das Thema ” Inspiration Porn” zur Sprache gebracht wird. Ich ich selbst bin schon “darauf reingefallen”. Inzwischen frage ich mrine Mit- Menschen mit für mich wahrnehmbaren Einshränkungen nach Hilfsbedarf. Da ist es egal, ob sie sich als “behindert” outen oder nicht. In der Pflege -mein Berufsfeld- hat jede betreute Person irgendwelche Nöte oder Bedürfnisse. Bekomme ich aber ein klares Signal der aktuellen “Nicht-Hilfsbedürftigkeit”, ist das absolut in Ordnung. Die Menschen bekommen dann den Hinweis, sich bei Bedarf melden zu können.
OK, diese für mich neue Sichtweise hat mich jetzt sehr zum Nachdenken gebracht gebracht.
Es macht mich betroffen, dass die Bewunderung eines Menschen mit Behinderung, der etwas erreicht hat, das wegen der Einschränkungen durch die Behinderung oder die Diskriminierung durch andere Menschen sehr erschwert wurde, hier als Abwertung dieses Menschen empfunden wird.
Wenn man in dieser Weise konsequent weiterdenken würde, dürfte man auch einen Menschen nicht bewundern, der es trotz bildungsfernem Familienhintergrund unter die ersten 10 seines Bundeslands beim Jura-Examen geschafft hat, weil man ihn dann für seine Bildungsferne diskriminieren würde. Oder einen schwarzen Präsidenten, weil er ein POC ist. Oder eine Ärztin, die im 19. Jahrhundert geboren wurde (meine Großtante), weil Frauen in der Zeit eigentlich nicht Ärzte werden durften.
All diese Menschen haben ein Hindernis überwunden. Darf man das nicht als inspirierend empfinden, ohne sie abzuwerten und auf ihre Hindernisse bzw. Behinderungen zu reduzieren, die ihnen im Weg standen? Oder ist es vielleicht nur bei Menschen mit Behinderungen so? Könnt ihr mir das erklären? Ich will es verstehen.
Natürlich besteht in jeder Lebenssituation immer die Gefahr, dass man sich besser fühlt, wenn man sieht, dass es jemandem schlechter geht. Das ist nicht gut, aber zutiefst menschlich und auch vielschichtig. Mich hat meine Zeit als Zivildienstleistender in einer Wohnanlage für Menschen mit körperlichen Behinderungen nachhaltig geprägt. Die Auseinandersetzung mit der Lebenssituation von Menschen, die ohne Hilfe vieles nicht machen können, hilft einem zu erkennen, wieviele Möglichkeiten man selbst hat und wie klein die eigenen Probleme sind – das sehe ich durchaus als positiven Erkenntnisgewinn.
Dass man sich dadurch besser fühlt, wenn man sieht, dass die Menschen dort weniger Möglichkeiten haben, als man selbst, und dass man zunächst Mitleid empfindet, lässt sich nicht vermeiden. Auch nicht, dass man am Anfang meint, man könne als Außenstehender die zum Teil depressive Lebenseinstellung mancher Menschen mit Behinderung irgendwie nachhaltig verbessern. Allerdings machen viele in solchen Tätigkeiten eine Entwicklung durch, bei der sie am Ende dann die Persönlichkeit der Menschen selbst sehen und nicht mehr nur ihre Behinderung, und diese positive Entwicklung wünsche ich möglichst vielen Menschen.
Bei mir persönlich spielt noch eine wesentliche Rolle, dass ich mit einem Bruder mit Down-Syndrom aufgewachsen bin, der heute, mit 53, ein auf seine Weise glückliches Leben führt. Bei ihm habe ich mich nie dadurch besser gefühlt, dass er vieles nicht kann. Und ich bewundere ihn dafür, was er alles kann, auch wenn es nicht dafür reicht, in einer Fernsehshow auftreten zu dürfen, um anderen dazu zu dienen, sich besser zu fühlen.
Klar ist wohl zunächst, dass n i e m a n d benutzt werden sollte – auf welche Art auch immer – damit andere sich besser fühlen. Und wenn sich schon beobachten lässt, dass behinderte Menschen zunehmend offiziell instrumentalisiert werden, muss man natürlich darüber reden, um den Trend möglichst schnell zu stoppen. Denn natürlich gibt es immer Medienvertreter*innen, die sich nicht gerade durch ein Übermaß an Empathie auszeichnen.
Doch wenn Menschen mit Behinderung als Motivationsredner*innen eingeladen werden und diese Einladung annehmen, so gehe ich davon aus, dass sie gute, vermutlich sehr persönliche Gründe für diese Entscheidung haben. Denn ebenso wie andere Gruppen von Menschen, die nur ein Merkmal verbindet, sind natürlich auch Behinderte absolute Individuen. Und während es die Eine nervt, für völlig Alltägliches gelobt oder bewundert zu werden, während es ihr gut geht und sie zurechtkommt, muss das für den Anderen deswegen ja nicht unbedingt gelten. Hier ist es wohl ein bisschen wie beim Bücherlesen oder in der Kunst, denn genaugenommen gibt es ja weder gute noch schlechte Bücher oder Kunst. Es besteht immer eine individuelle Beziehung zwischen Kunstobjekt und Betrachterin, zwischen literarischem Werk und Lesendem. Weshalb man weder verdammen noch in den Himmel heben sollte, sondern eigentlich nur sagen kann, ob man sich persönlich bereichert fühlt oder nicht. Somit kann es durchaus sein, dass etwas, das für manche niemals infrage käme, anderen hilft, mit sich und der Welt zurechtzukommen. Und so wichtig es auch ist, das große Ganze im Auge zu behalten: letztlich muss man ständig Entscheidungen treffen, und manchmal müssen Menschen einfach auch tun, was sich für sie selbst richtig anfühlt. Und das vielleicht sogar dann, wenn andere den Eindruck haben, dass man sie ausnutzt.
Da Behinderung immer auch ein rechtlicher Begriff, und somit eine Zuschreibung ist, die vielen Menschen, denen sie zustehen würde, aus bürokratischen Gründen auch vorenthalten wird, möchte ich hier lieber von eingeschränkten Menschen sprechen. Natürlich ist Ableismus, also quasi das generelle Absprechen von Fähigkeiten, ein Problem. Parallel existiert aber leider auch das genaue Gegenteil, nämlich das Voraussetzen oder Fordern von Fähigkeiten, welche betroffene Personen gar nicht, oder nicht aufbringen können, ohne sich damit selbst zu schaden. Dass es einem behinderten Menschen gehörig auf die Nerven gehen kann, gewisser Dinge für unfähig gehalten zu werden, glaube ich sofort; vor allem, wenn das immer wieder geschieht. Auch ich fand zum Beispiel die Rezension des Buches eines autistischen Autors ziemlich ärgerlich, in welcher jemand (sinngemäß) meinte, das Schreiben des Buches es sei doch eine rechte Leistung, immerhin sei der Autor ja (nur ein) Autist. So etwas ist schon sehr verletztend, beweist aber letztlich nur, dass manche Menschen weder wissen noch begreifen.
Für deutlich problematischer halte ich es jedoch, wenn man einem eingeschränkten Menschen seine Einschränkungen abspricht. Als an ME/CFS erkrankte Autistin erlebe ich das nun schon seit bald 45 Jahren. Ständig will man mir erklären, was ich kann und was nicht, weil “man” das doch nun einmal kann. Die tatsächlichen Verhältnisse haben da nie jemanden interessiert. So wurde ich als Kind zum Beispiel für meine völlige Unfähigkeit belächelt und verachtet – und mit schlechten Sportnoten natürlich auch bestraft – Volleyball zu spielen. Ich wusste niemals, warum und wann ich wohin zu laufen hatte, was mich wirklich extrem in Stress versetzte. Und es wurden pausenlos Dinge gefordert, die ich nicht konnte, weshalb ich schon als Kind unter unerträglichem Dauerstress litt. Schneller sein, nicht so empfindlich sein, nicht so schnell aufgeben. Ebensogut hätte man verlangen können, ich solle kein Mädchen sein oder ab morgen blaue Augen haben. Schwächen zu ignorieren funktioniert für Autisten nicht, was ich ausgiebig erfahren musste, und mit ME/CFS ist es eine noch viel schlechtere Idee. Weil es da unter Umständen nämlich anfangs sogar noch möglich ist – und zwar genau so lange, bis man sich gesundheitlich vollständig ruiniert hat.
Gut möglich, dass diese gegensätzlichen Erfahrungen schlicht dadurch zustandekommen, dass bei sichtbaren Einschränkungen gerne unter-, bei unsichtbaren dagegen ganz schnell einmal überschätzt wird. Und natürlich kann und sollte man das Verhalten der Umgebung nicht ständig entschuldigen, schließlich schmerzt jede Fehlbeurteilung mehr oder weniger. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir akzeptieren müssen, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Situation wie durch seine persönlichen Erfahrungen vorgegeben zu betrachten.