„Who’s the Scatman?“ – Eine Graphic Novel über Mut, Musik und Sichtbarkeit

Buch-Cover „Who's the Scatman“ von Jeff Chi mit einem Mann im Anzug und mit Hut auf einer angedeuteten Weltkugel, einem Busch und pinken Himmel im Hintergrund. Grafischer Hintergrund: Noten-Elemente in der rechten Bildhälfte.
Alle Kids der 1990er Jahre haben dieses Lied im Ohr – „I'm the Scatman“. Aber wieviele kennen die Person hinter dem Musiker? Cover: Zwerchfell Verlag, Foto: Die Neue Norm
Lesezeit ca. 5 Minuten

„Who’s the Scatman“ – „Wer ist Scatman?“ rückt eine außergewöhnliche, aber oft übersehene Künstlerpersönlichkeit in den Fokus: John Larkin, besser bekannt als Scatman John. In seiner neuen Graphic Novel erzählt Jeff Chi von seinen Weg – vom stotternden Kind zum gefeierten Musiker, der seine Stimme nutzte, um anderen Mut zu machen. Unsere Autorin Andrea Schöne hat das Buch für uns gelesen.

Nun ist der Internationale Tag für Menschen mit Behinderung schon vorbei. Viele Sonntagsreden las und hörte ich insbesondere auf Social Media: Phrasen, wie wichtig Inklusion sei, während zahlreichen Programmen für die Inklusion behinderter Menschen die Finanzierung entzogen wird. Daher widmete ich diesem Tag kaum Aufmerksamkeit. Es ist schwer, derzeit als behinderte Person an eine positive Zukunft zu glauben. 

Viel mehr Aufmerksamkeit haben daher behinderte Persönlichkeiten verdient, welche mit ihrer Arbeit und Persönlichkeit die Community stärken. Vor kurzer Zeit bin ich auf John Larkin, bekannt als Scatman John, aufmerksam geworden. Sein Hit „I’m the Scatman“ erreichte in den 1990ern die Spitze der internationalen Charts. Umso mehr bedauere ich, erst so spät von Scatman John, seiner Musik und insbesondere seiner Aufklärungsarbeit für die Community von Stotterer*innen zu erfahren. Am 3. Dezember 1999 starb der Musiker im Alter von 57 Jahren. 

Worum geht es in der Graphic Novel?

„Who’s the Scatman“ erzählt die Biografie von US-Musiker John Larkin. Überraschenderweise fängt jedes Kapitel mit Szenen aus Konzerten und Preisverleihungen an. Was dahintersteckt, wird erst im Verlauf der Geschichte klarer. Zunächst erfahren wir Grundzüge von Larkins Kindheit, die geprägt war von Diskriminierung und Gewalt in der Schule und Zuhause. Nur beim gemeinsamen Musizieren mit seiner Mutter und seinem Bruder empfand er Freude und konnte sich beim Klavierspielen und Singen frei und unbeschwert ausdrücken. Musik sollte ein Leben lang seine Leidenschaft bleiben. Zunächst startete Larkin als Jazz-Musiker und spielte in verschiedenen Ensembles. Er komponierte selbst Musik und hatte den großen Traum, ein Jazz-Album zu veröffentlichen. Allerdings blieb der große Durchbruch blieb aus. Larkin litt an den Demütigungen aus seiner Kindheit aufgrund seiner Sprechbehinderung und rutschte immer mehr in eine Alkoholsucht ab. 

Doch er suchte sich Hilfe, machte eine Therapie und wurde trocken. Bei einem Selbsthifetreffen lernte er seine spätere Ehefrau, Judy McHugh, kennen. Sie kam aus einer Familie aus dem Entertainment Business, erkannte sein Talent und unterstützte ihn, seine Karriere voranzutreiben. Sie reisten zusammen quer durch Europa und blieben am Ende in Berlin. Im Restaurant Moskau wurde ein Musikagent auf ihn aufmerksam und nahm ihn unter Vertrag. Weiterhin war seine Jazzmusik eher nicht gefragt, aber dafür sein begleitender Scatgesang. Diese Mischung aus Scatgesang, Rap und Pop wird ein weltweiter Erfolg. 

Zeichenstil des Autors Jeff Chi

Ursprünglich war die Graphic Novel die Bachelorarbeit des Autors und Zeichners an der TH Nürnberg, daraus entwickelte sich schnell das Gesamtwerk. Scatman John beeindruckte Chi schon als Jugendlicher. Daran erinnert auch eine Szene am Ende der Graphic Novel, in welcher der Autor seine neueste Musikentdeckung, nämlich Scatman John, als Jugendlicher einem Freund mitteilt. Kräftige Linien und Figuren im Cartoonstil machen die Protagonist*innen, insbesondere John Larkin, nahbar und emotional zugänglich. Die ersten Skizzen bildeten Bleistiftzeichnungen – die sehr kräftigen und teilweise etwas schrillen Farben wurden erst später hinzugefügt und spiegeln Popmusikwelt gut wider. Die Dialoge sind kurz gehalten, die Sprache ist leicht verständlich. 

Comic-Strip mit 5 Zeichnungen. Ein Mann mit Brille und Wrack spielt Klavier und stößt Luft aus. Dann singt er „Skate-dap-be-dup-be-dibbi-ba“. Eine rauchende Person schaut zu. Ein anderer Mann sitzt auf dem Sofa und sagt „Was hab' ich gesagt?“.
John Larkin verformt den Scatgesang. In: Jeff Chi: Who's the Scatman? Zwerchfell Verlag 2022.

In seinem ersten Album beschreibt Scatman John das ‚Scatland‘, ein Fantasieland, wo alle Menschen gleichberechtigt und würdevoll behandelt werden.

Warum ist Scatman John so wichtig?

Der Zeichner und Autor Jeff Chi zeigt in jedem Kapitel Episoden aus Larkins Leben. Leider gibt es kaum Informationen über John Larkins Leben – Chi konnte nach eigenen Angaben Larkins Ehefrau nicht mehr kontaktieren. Daher bleiben viele Leerstellen in seinem Privatleben. Umso mehr wird sehr Rolle als Musiker greifbar, da Chi mit zahlreichen Weggefährt*innen von Larkin sprechen konnte. Hier zeigt sich vor allem, wie aus dem unsicheren Larkin, der als Kind viel Leid, Spott und Gewalt erfahren musste, eine Persönlichkeit wird, die mit Selbstbewusstsein über Stottern als Behinderung aufklärt und aus seiner Sprechbehinderung sogar seine Inspiration für seinen eigenen Musikstil, dem Scatgesang, nimmt. In Interviews erklärt Larkin, dass er lernen musste, seine Silben besonders gut zu betonen, um im Sprachfluss zu bleiben. Er nannte es „Scatgesang“, ein Sprechgesang, der im Jazz bekannt ist, ähnelt. 

Aus dem schüchternen John Larkin wurde Anfang der 1990er Jahre der weltberühmte und selbstbewusste Musiker und Sänger Scatman John. In seinem Lied „Scatman“ singt er auch vom Stottern und ermutigt die Menschen, sich persönlichen Herausforderungen zu stellen. Durch den Scatgesang verwandelte er seine vermeintliche Schwäche in Kreativität und Stärke – noch niemand zuvor sang auf die gleiche Weise wie er. Scatman John war und ist ein Unikat. Gleichzeitig sah sich Scatman John weiterhin als Verbündeter aller Verstoßenen und Außenseiter*innen und vergaß nie, welche Erfahrungen er mit Ausschluss machte. Vielmehr nutzte er seine Popularität auch bei Fernsehinterviews, um über das Stottern aufzuklären.

Bis heute ist Scatman John weltweit für Menschen, die Stottern ein sehr großes Vorbild. Zurecht. Der berühmte Musiker vergaß den kleinen John Larkin, der selbst Unterstützung benötigt hätte, nicht. In seinem ersten Album beschreibt Scatman John das ‚Scatland‘, ein Fantasieland, wo alle Menschen gleichberechtigt und würdevoll behandelt werden.

Chi arbeitete mit Selbstvertretungen von Menschen, die stottern, zusammen und ließ verschiedene Menschen aus der Community zu Wort kommen.

Empowerment für Menschen, die stottern oder eine  Sprechbehinderung haben

Es könnte nun der Eindruck entstehen, Jeff Chi betrachte Scatman John als Inspirationsausbeutung für seine Graphic Novel, da er kein Selbstvertreter ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Chi arbeitete mit Selbstvertretungen von Menschen, die stottern, zusammen und ließ verschiedene Menschen selbst zu Wort kommen. Beispielsweise schildert Erhard Hessen, Gründungsmitglied der Stotterer-Selbsthilfe, in einem abschließenden Kapitel seine Perspektive auf das Thema.

Chi zeigt auch eindrücklich, welche Rolle John Larkin als empowerndes Vorbild spielt, da er nachzeichnet, wie Scatman John das Leben von vielen jungen Menschen, die stottern, veränderte. So beispielsweise von einer jungen Frau aus Großbritannien, die sich erst nicht traute, mit Menschen zu sprechen. Dann hörte sie in den 1990ern in einem Club „Scatman“ und verstand, dass es in dem Lied ums Stottern geht. Völlig fasziniert beschäftigte sie sich mehr mit dem Sänger und fand im Internet seine Telefonnummer heraus. Sie fand den Mut, den Musiker anzurufen, stotterte aber vor Aufregung so sehr, dass das Gespräch ins Leere ging. Sie gab aber nicht auf und schilderte Scatman John in einer Mail ihre Situation. Völlig überraschend erhielt sie einen Brief des Musikers aus den USA. Darin ermutigte Larkin sie zu einem Treffen von einer Selbsthilfegruppe zu gehen und andere Menschen kennenzulernen, die auch stottern. 

Chi stellt Larkin nie als mitleiderregend dar, sondern rückt seinen Willen, nicht aufzugeben, die Liebe zur Musik und seine Menschlichkeit in den Mittelpunkt.

Fazit

„Who’t the Scatman?“ zeigt einfühlsam John Larkins Schmerz und gleichzeitiges Bedürfnis, seine Öffentlichkeit zu nutzen, um über seine Behinderung aufzuklären. Chi stellt Larkin nie als mitleiderregend dar, sondern rückt seinen Willen, nicht aufzugeben, die Liebe zur Musik und seine Menschlichkeit in den Mittelpunkt. Gleichzeitig lernen die Leser*innen in der Graphic Novel ein Stück Musikgeschichte der 90er Jahre kennen und bekommen einen Einblick in die Musikbranche dieser Zeit. Ich würde das Buch auch Schüler*innen ab 12 Jahren empfehlen, um über Diskriminierungen, über Mut und über Stottern als Behinderung zu sprechen. Menschen mit Sprechbehinderungen sind in der Öffentlichkeit und auch in der Behindertenbewegung eher unterrepräsentiert. 

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