Maike Schöfer’s „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“ – Eine Rezension

Gewitterwolken im Hintergrund, davor das Buchcover von Maike Schöfer „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“. Gelbe Schrift vor einem Engel mit verschränkten Armen.
Viele Menschen tun sich schwer, entschlossen Nein zu sagen, vor allem, wenn sie Diskriminierungserfahrungen haben. Cover: Piper. Foto: Die Neue Norm.
Lesezeit ca. 4 Minuten

In „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“ zeigt Maike Schöfer, wie aus einem einfachen Nein ein Akt der Selbstbehauptung und des Aufbruchs wird. Rezensentin Sibylle Schwarz hebt hervor, wie die Verbindung von Feminismus, Theologie und persönlichen Erfahrungen eine kraftvolle Stimme gegen Normen schafft, die marginalisierte Menschen ausschließen. Besonders spannend findet sie das intersektionale Denken, das auch die Perspektive von Menschen mit Behinderungen einbezieht – und zeigt, warum ihr Nein oft überhört wird, aber gehört werden muss.

Ein Cover, das widerspricht

Zuerst erwischte mich das Cover: Was auf den ersten Blick wie ein typisches Renaissance-Gemälde eines Engels wirkt, entpuppt sich als junge Frau mit Tattoo, Nasenpiercing und selbstbewusstem Blick. Sofort wird klar: „Lächel doch mal!” musst du bei mir gar nicht erst versuchen. Stattdessen: trotzig verschränkte Arme, darüber in leuchtendem Gelb das Wort „Nö.”

Maike Schöfer, evangelische Pfarrerin, queere Feministin, Podcasterin und Autorin des Buchs „Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen“ trägt das Tattoo mit dem Teddybären und dem Nö-Herz am eigenen Oberarm, wie ich bei der ausverkauften Auftaktveranstaltung zur Lesereise feststellen konnte. 

Religion und Feminismus – passt das zusammen?

Im Kern geht es in „Nö” um das Neinsagen als Akt der Selbstbehauptung und des Widerstands. In einer Mischung aus Essay, feministischer Theorie und persönlicher Erfahrung von Religion bis Aktivismus und von Politik bis Popkultur erzählt die Autorin nicht nur Geschichten, sondern verknüpft und kontextualisiert sie mit Quellen aus klassischer Philosophie, aktuellen Ereignissen, wissenschaftlichen Texten und thematischen Sachbüchern. Sie reichen von Wittgenstein über Audre Lorde bishin zu Carolin Emcke oder Kübra Gümüşay.

Das ist so unterhaltsam wie fundiert. Mit Themen wie Feminismus, Machtkritik oder Protestkultur beschäftige ich mich schon lange. Neu war mir deren Verknüpfung mit Bibel, Glauben und Kirche. Auch für Atheist*innen wie mich öffnen sich dadurch neue Denkweisen und Perspektiven. Etwa, dass auch die Geschichte des christlichen Glaubens von viel Nein und Widerstand geprägt war oder dass Feminismus und Religion gar nicht unvereinbar sind. 

Maike Schöfer schreibt persönlich und engagiert, mit Klarheit und Authentizität.

Sprache und Körper

Beim Lesen wurde mir schnell klar: Das Buch resoniert längst nicht nur wegen des starken Covers. Maike Schöfer schreibt persönlich und engagiert, mit Klarheit und Authentizität. Beispielsweise, wenn sie über Körper schreibt. „Mein Körper existiert. Mein Körper ist da. Mein wütender Körper. Mein weicher Körper. Mein verwundeter Körper. Mein queerer Körper. Mein sich verändernder Körper. Ob er dir gefällt oder nicht. Ob er mir gefällt oder nicht. Darum geht es nicht. Mein Körper hat einen Platz verdient. So wie alle anderen Körper auch. Einen Platz in dieser Welt, mit Respekt, Akzeptanz und Fürsorge.“ 

So vermittelt sie die Sprachmacht des Nein nicht nur damit, was sie sagt, sondern auch wie sie es sagt. Indem sie den Körper in seiner Vielschichtigkeit benennt und behauptet, vollzieht sie zugleich einen Akt des Widerstands: das Nein zu Normen, die ihn abwerten oder unsichtbar machen wollen. Neinsagen bedeutet hier, den eigenen Körper nicht länger zu verleugnen oder anzupassen, sondern ihn als existent, würdig und unverrückbar zu setzen.

„Nein“ als Aufbruch, gerade für Menschen mit Behinderung

Schöfer beschreibt, wie die Gesellschaft vor allem Frauen Wut und Aufbegehren abtrainiert hat. Der Akt des Neinsagens wird so zum Widerstand. Er ermöglicht den notwendigen Ungehorsam gegen Normen und Strukturen, die bestimmen, wer sprechen darf und wer nicht und die marginalisierte Menschen ausschließen. Das Nein wird zum Beginn eines Aufbruchs, persönlich und gesellschaftlich. Es ist ein erster Schritt aus einer Welt, in der ein Nein nicht vorgesehen ist. Und der deshalb allzu oft ignoriert oder entwertet wird.

Schöfers Ansatz ist intersektional; sie nennt beim Thema Vielfalt immer wieder explizit auch Menschen mit Behinderung. Leider findet dieser Aspekt in Rezensionen und Artikeln zum Buch, etwa in der ZEIT oder im Spiegel, so gut wie keine Erwähnung


Auch Menschen mit Behinderung erfahren diese Ausgrenzung immer noch viel zu häufig. Maike Schöfers Ansatz ist intersektional; sie nennt beim Thema Vielfalt immer wieder explizit auch Menschen mit Behinderung. Leider findet dieser Aspekt in Rezensionen und Artikeln zum Buch, etwa in der ZEIT oder im Spiegel, so gut wie keine Erwähnung. Schade, denn gerade Menschen mit Behinderung wissen, dass ihr Nein häufig unerwünscht ist oder erst gar nicht gehört wird. Mediziner*innen, Institutionen, Kolleg*innen, selbst Familienangehörige deuten es um, nehmen es nicht ernst oder ignorieren es. 

Behinderung und das unerhörte „Nein“

Dabei gibt es so viele Gelegenheiten für ein Nein: wenn der Arzt verkündet, man sei eben austherapiert, oder gleich die eigene Erfahrung anzweifelt. Wenn wieder ein Hilfsmittel verweigert wird. Wenn ein Kind „zu seinem eigenen Schutz” statt inklusiv zu lernen in die Förderschule soll oder ein*e Jugendliche*r in eine Werkstatt. Wenn der Aufzug wieder einmal kaputt ist, ein Text unverständlich bleibt, eine Veranstaltung oder eine Arbeitsstelle „leider nicht barrierefrei” ist.

“If a tree falls in a forest and no one is around to hear it, does it make a sound?” („Wenn ein Baum im Wald umfällt und niemand da ist, um es zu hören, macht es dann ein Geräusch?“) fragt man im Englischen, und in der Tat könnten wir uns die Frage stellen: Was bedeutet es, wenn ein Nein zwar ausgesprochen, aber nicht als solches anerkannt wird? 

Hier würde ich mir bei Schöfer noch eine tiefere Auseinandersetzung wünschen. Wie wirkt sich ein Nein in Situationen aus, in denen Menschen systematisch zum Schweigen gebracht werden? Welche Barrieren verhindern es, und wie können wir diese sichtbar machen und abbauen? Wie kann ein persönliches Nein klingen, damit es nicht verhallt, sondern zum Instrument gegen paternalistische Strukturen und Diskriminierung wird? Damit gerechtere Strukturen Nein nicht nur moralisch möglich machen, sondern auch praktisch umsetzbar? 

Fazit: „Nein“ als intersektionale Kraft

Maike Schöfer setzt sich dafür ein, Nein als politische Sprache ernst zu nehmen. „Nö” ist ein starkes feministisches Plädoyer, das neben diesem Fokus verschiedene Vielfaltsaspekte mitdenkt. Zurecht, denn echte Inklusion setzt voraus, dass Nein in allen, vielfältigen Ausdrucksformen gehört und respektiert wird und denen, die nicht gehört werden, ihre Sprache zurückgibt. Denn „Neinsagen hat eine Kraft. Es bewegt erst mich. Und kann dann die ganze Welt bewegen.”

Anmerkung: Nein ist in diesem Text wie auch im Buch in bold (fett) gedruckt.

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