Bei Anruf Kultur – Museumsführungen per Telefon

Foto der Hamburger Elbphilharmonie. Daneben ist ein Telefonhörer abgebildet und der Text "bei Anruf Kultur".
Kann nun per Telefonführung "Bei Anruf Kultur" besichtigt werden: die Elbphilharmonie in Hamburg. Foto: Jonas Tebbe | unsplash.com
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Blinde und sehbehinderte Menschen haben mit dem kostenlosen Angebot “Bei Anruf Kultur” die Möglichkeit, per Telefon an Museumsführungen teilzunehmen. Jonas Karpa sprach mit der Initiatorin Melanie Wölwer vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg über das Angebot der Führungen, die immer größer werdende Zielgruppe und warum das Angebot keine Entschuldigung sein darf, nicht auch vor Ort für Barrierefreiheit zu sorgen.

Informationen in Einfacher Sprache

Dieser Text ist ein Interview zwischen Jonas Karpa von der Neuen Norm und Melanie Wölwer vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg.

Der Blinden- und Sehbehindertenverein bietet kostenlose Führungen in Museen per Telefon an.

Bilder und Austellungsstücke werden am Telefon beschrieben und erklärt.

So kann man auch Museen besuchen, obwohl man nicht in der gleichen Stadt ist. 

Dieses Angebot richtet sich nicht nur an blinde und sehbehinderte Menschen, sondern auch an Menschen, die vielleicht nicht mehr so gut laufen können.

Trotzdem wird sich dafür eingesetzt, dass auch die Museen vor Ort barrierefrei werden. 

Die Führungen am Telefon sollen nur ein Zusatzangebot sein. 

Viele Leute, die die Führungen machen, lernen dadurch, die Ausstellungen besser zu beschreiben. 

Die Neue Norm: Bei Anruf Kultur – wie ist es zu dieser ungewöhnlichen Idee gekommen?

Melanie Wölwer: Die Grundidee stammt gar nicht von uns, sondern von unseren Kolleg*innen vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein in Berlin (ABSV). Sie haben während des Lockdowns, als alles zu war, Museumsführungen per Telefon für blinde und sehbehinderte Menschen angeboten.

Ich fand die Idee einfach genial und wollte das auch für Hamburg umsetzen. Wir konnten dann mit unserem Partner, dem Büro grauwert, innerhalb von zwei Wochen ein Programm mit fünf Museen, großen und bekannten Häusern, auf die Beine zu stellen.

Foto von Melanie. Sie ist eine weiße Frau, hat braune, lockige schulterlange Haare, trägt ein weißes t-Shirt und schaut in die Kamera.

Melanie Wölwer

Melanie Wölwer ist Pressesprecherin beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. und verantwortet als Redaktionsleiterin die Jahrespublikation „Weitersehen“ des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e.V. (DBSV). Sie studierte Germanistik und Medienwissenschaften an der Universität Marburg.

Wie wurde die Idee anfänglich von den Häusern und den Personen, die dann die Führungen machen sollten, aufgenommen?

Die Resonanz war sofort total positiv. Ich hatte im ersten Schritt die Häuser und Vermittler angesprochen, zu denen bereits gute Kontakte bestanden. Alle waren gleich von der Idee angesprochen und freuten sich über die Möglichkeit, die sich durch “Bei Anruf Kultur” bot. Und sind es noch immer. Kürzlich haben wir alle Guides zu einer Feedbackrunde eingeladen und bekamen durchgehend begeisterte Rückmeldungen. Das konnten wir natürlich zu Beginn nicht absehen und es freut uns ganz besonders. 

Welche Angebote habt ihr im Programm?

Wir sind da ziemlich breit aufgestellt: Es gibt Gemäldegalerien, aber auch die KZ-Gedenkstätten Neuengamme und Fuhlsbüttel, wo dann auch geschichtsträchtige Themen erläutert werden. Das Museum der Arbeit ist dabei, in dem wir eine Ausstellung zum Kolonialismus hatten. Und vieles mehr. Unser neustes Highlight ist jedoch die Führung durch die Elbphilharmonie, die wahrscheinlich auch insbesondere für Menschen außerhalb Hamburgs interessant ist. 

Wir wollen unser Themenspektrum aber noch weiter entwickeln: Wir hatten jetzt erstmals auch eine Führung in einem Theater und können uns noch viele Möglichkeiten vorstellen, über diesen Weg auch in Orte hineinzuschnuppern, die einem als Zuschauer gar nicht offen stehen. Zum Beispiel in die Restaurationswerkstätten oder dort, wo die Kostüme gemacht werden. 

Leben diese Führungen denn nur rein von der Beschreibung oder spielt auch die Akustik eine Rolle?

Es kommt immer ein bisschen auf das Thema an. Wir haben eine Führung auf der PEKING, ein uraltes Segelhandelsschiff, ein Kolonialhandelsschiff, das nach Hamburg zurückgeführt und restauriert wurde. Wenn die Person, die die Führung macht, durch das Schiff geht, dann hört sich das schon cool an. Für diesen Ort ist es auch unerlässlich, dass der Ort und die Geräusche beschrieben werden, damit man ein besseres Gefühl für den Raum bekommt. 

Ein bisschen anders ist es dann bei der klassischen Gemälde-Ausstellung. Hier kann es schon mal von Vorteil sein, dass die Führungen aus dem Büro mit dem passenden Katalog vor sich gemacht werden, statt im Haus selbst. Da die Häuser wieder offen sind, könnte das störend sein. Wenn das Gebäude für das Thema nicht ganz so relevant ist, dann kann die Führung auch mal in ruhigerer Atmosphäre sein.

Habt ihr die Personen, die die Audioführungen machen, geschult? 

Eine der Vermittlerinnen der ersten Stunde, Anja Ellenberger, bietet seit vielen Jahren Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen in der Hamburger Kunsthalle an. Sie ist also Profi. Wir haben aber gemeinsam mit allen in einem Zoom-Meeting besprochen, was man machen kann, welche Inhalte sich eignen und worauf geachtet werden sollte. Aber letztlich sind mit dieser Art von Führung alle gemeinsam ins kalte Wasser gesprungen. 

Du hast eben schon erwähnt: man kommt durch diese Führungen auch an Orte, die einem sonst verborgen bleiben. Das ist ja nicht nur für blinde oder sehbehinderte Menschen interessant… 

Ja, das haben wir auch gemerkt und das ist was, wo wir gar nicht so richtig – im positiven Sinne – bis zum Ende gedacht haben. Wir erreichen ja Menschen, über die wir zu Beginn noch gar nicht nachgedacht haben und sind praktisch in eine Marktlücke gestoßen: Menschen, die nicht in der Stadt wohnen, aber hier eine Ausstellung von einem tollen Künstler erleben möchten. Menschen, die mobilitätseingeschränkt sind und denen der Museumsbesuch vor Ort nicht mehr möglich ist. Wir haben unglaublich tolle Rückmeldungen von Menschen, die in Senioreneinrichtungen leben und nach eigener Aussage „endlich mal wieder an Ausstellungen teilnehmen können.“ Barriereärmer geht überhaupt nicht, weil man wirklich nur ein Telefon braucht und dann dabei sein kann. 

Gibt es während der Führung die Chance auf einen Austausch unter den Teilnehmenden?

Während der Führungen sind die Teilnehmer*innen stumm geschaltet. Zum einen um die anderen nicht zu stören, zum anderen, damit man selbst auch entspannt sein kann und nicht komplett leise zuhören muss. Zwischendurch haben wir etwa zwei Pausen, in der die Teilnehmenden wieder laut geschaltet werden und ein Austausch möglich ist. Am Ende gibt es dann noch eine große Fragerunde, in der dann teilweise Gesprächsrunden entstehen. Wir hatten es auch schon mal, dass die Teilnehmer*innen im Anschluss noch so lange miteinander geredet haben, dass die Person, die die Führung gemacht hat, schon lange nicht mehr zugeschaltet war.

Aber besteht dadurch nicht die Gefahr, dass Museen dann nicht mehr für die Barrierefreiheit vor Ort sorgen, sondern auf das telefonische Angebot verweisen? 

Die Gefahr sehen wir erstmal nicht. Wir stellen vielmehr fest, dass sich die Kompetenz der Guides hinsichtlich einer visuellen Beschreibung ausprägt und weiterentwickelt. Es ist ein großartiges Übungsprogramm für die Guides in den Museen, die automatisch beginnen, die Dinge zu beschreiben und dadurch auch befähigt werden, vor Ort Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen anzubieten. Wir gehen alle durch eine Art Kompetenzschulung, wie man Dinge, Kunst und Kultur, beschreibt für Menschen, die sie nicht sehen können.

Es entwickelt sich als Zusatzprojekt und es ist uns natürlich auf jeden Fall super wichtig, dass es kein Ersatz ist, dass man sagt: “Bleibt mal schön alle zuhause ihr Menschen mit irgendwelchen besonderen Anforderungen.” Das ist definitiv nicht die Zielsetzung. Aber wir merken eben, wir erreichen hier Menschen, über die eigentlich noch gar nicht nachgedacht wurde, nämlich Menschen, die wirklich keine Möglichkeit haben, vor Ort zu sein. Für die seheingeschränkten Menschen, deren Interessen wir vertreten, können wir ein größeres Angebot schaffen. Die Häuser sensibilisieren wir gleichzeitig für die Art der visuell geprägten Vermittlung. 

Das Logo von "Bei Anruf Kultur" - ein orangenes Telefonsymbol un daneben der Text Bei Anruf Kultur.

Eine kostenlose Anmeldung ist bis einen Tag vor der Führung bei Melanie Wölwer vom BSVH per Mail an [email protected] oder Telefon (040) 209 404 29 nötig.

Link zur barriefreien Darstellung des Programms. Als Ansage unter der Telefonnummer: (040) 209 404 66.

Finanziert wird das Projekt derzeit durch die Behörde für Kultur und Medien Hamburg. Initiale Unterstützung erfolgte durch ein vom Kompetenznetzwerk EDAD (Design für Alle – Deutschland e.V.) initiiertes Projekt, mit dem Ausstellungen für blinde und sehbehinderte BesucherInnen zugänglicher werden. 

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