Franzi Lammers von der Initiative Barrierefrei Feiern spricht im Interview mit Die Neue Norm über sichtbare und unsichtbare Hürden auf Konzerten und Festivals, warum Inklusion vor, auf und hinter der Bühne stattfinden muss – und welcher Song für sie nach einem Sommer klingt, in dem wirklich alle dabei sein können.
1. Wo und wann warst du das letzte Mal tanzen?
Franzi Lammers: Das letzte Mal war ich Anfang Juni auf einem Konzert der Beatsteaks tanzen. Wobei man auch in Frage stellen könnte, ob mitwippen und mitklatschen schon als tanzen durchgeht, aber es war auf jeden Fall ein großartiger Abend.
2. Was bedeutet für dich barrierefreies Feiern – und was wird dabei oft übersehen?
Für mich bedeutet barrierefreies Feiern, das alle Menschen unabhängig von ihrer Behinderung feiern können. Wo, wann und wie sie möchten. Dazu gehört, dass Sie bei der Planung und Ticketbuchung keinen Mehraufwand im Gegensatz zu Menschen ohne Behinderung haben und vor Ort ohne Hilfe zurechtkommen. Auf dem Beatsteaks Konzert war ich zum Beispiel alleine, weil niemand meiner Freund*innen Zeit hatte. Das ist nur möglich, wenn die Gegebenheiten vor Ort wirklich stimmen, und das ist an vielen Orten immer noch nicht der Fall. Sollte aber selbstverständlich möglich sein. Auf Seiten der Veranstaltenden wird häufig übersehen, dass barrierefreies Feiern noch viel mehr als ausschließlich die Barrierefreiheit für Rollstuhlnutzende beinhaltet. Menschen mit anderen sichtbaren und auch unsichtbaren Behinderungen und/oder chronischen Erkrankungen werden viel zu oft noch nicht mitgedacht.
3. Welche positiven Beispiele für barrierefreie Clubs oder Veranstaltungen kennst du?
Das sind vor allem Clubs und Festivals, die nach dem Prinzip „Nichts über uns ohne uns“ arbeiten und die Expertise von Expert*innen mit Behinderung mit in ihre Planung involvieren. Spontan fällt mir da z.B. das SO36 in Berlin ein. Das Team nimmt Empfehlungen ernst, setzt sie um und handelt dabei nach dem Ansatz, was nicht passt, wird passend gemacht. Aber auch große Festivals, wie zum Beispiel das Lollapalooza, machen sich auf den Weg zugänglicher für alle Menschen zu werden. Dort sind wir in diesem Jahr zum zweiten Mal als Service-Team für Besucher*innen mit Behinderung im Einsatz und beraten das Festival auch im Vorfeld.
Barrierefreiheit bedeutet mehr als einen barrierefreien Zugang für das Publikum, sie muss alle Bereiche einschließen: vor, auf und hinter der Bühne.

Franzi Lammers
Franzi Lammers ist Teil der Initiative Barrierefrei Feiern, die sich seit 2019 als bundesweites Kollektiv aus Menschen mit Behinderung und ihren Verbündeten für barrierefreie Kulturangebote einsetzt.
Sie ist außerdem Beraterin für barrierefreie Veranstaltungsplanung bei der dazugehörigen Beratungsagentur WIR KÜMMERN UNS. Über die Agentur vermittelt das Kollektiv geschulte Expert*innen in eigener Sache, die Veranstaltende, Festivals, Kulturbetriebe, Kommunen, Kollektive, Vereine und Verbände bei der Entwicklung inklusive Kulturstrategien beraten und begleiten.
Foto: Käthe deKoe | www.kaethedekoe.com
Wie gehst du bei der Beratung von Clubs oder Festivals vor und was sind typische Aha-Momente?
Die Beratung ist sehr individuell und bedarfsorientiert. Sie richtet sich zum Beispiel danach, ob wir Veranstaltende einmalig beraten oder für einen längeren Zeitraum begleiten. Im Mittelpunkt einer Erstberatung steht in der Regel die Sensibilisierung der Veranstaltenden in Bezug auf die Themen Behinderung, Barrierefreiheit und Inklusion im Kulturbereich. Wir beraten dabei nicht nur über die Vielfalt der Barrierefreiheitsmaßnahmen, sondern informieren auch klar über Mindeststandards, die unbedingt eingehalten werden sollten. Dabei gehen wir nach dem Prinzip Hinkommen-Reinkommen-Klarkommen vor, um die gesamte Bandbreite eines Veranstaltungsbesuchs abzudecken. Unsere Beratungen finden immer im Tandem statt, das heißt zwei Berater*innen mit unterschiedlichen Behinderungen bringen ihre jeweilige Perspektive ein.
Zu den häufigsten Aha-Momenten gehört der Einblick in unsere Lebensrealität als Kulturakteur*innen mit Behinderung. Vielen Menschen ohne Behinderung ist nicht bewusst, wie viel Recherche- und Organisationsaufwand bereits im Vorfeld eines Veranstaltungsbesuchs nötig ist „nur“ weil grundlegende Informationen zur Barrierefreiheit fehlen.
Ein weiterer Aha-Moment entsteht häufig, wenn wir über die Ganzheitlichkeit von Barrierefreiheit sprechen. Denn diese bedeutet mehr als einen barrierefreien Zugang für das Publikum, sie muss alle Bereiche einschließen: vor, auf und hinter der Bühne. Denn erst wenn Menschen mit Behinderung im Publikum vor der Bühne, als Künstler*innen auf der Bühne und als Fachkräfte hinter der Bühne in eine Veranstaltung involviert sind, können wir tatsächlich von einer inklusiven Veranstaltung sprechen und dazu gehört, dass all diese Bereiche barrierefrei zugänglich sind.
Welcher Sommer-Song gefällt dir zum gemeinsamen Feiern?
Im Moment läuft bei mir das neue Album von der Band Blond „Ich träum doch nur von Liebe“ hoch und runter. Wenn ich mir daraus einen Song als meinen Sommer-Song aussuchen müsste wäre es „wie du“. Wer oder was mit dem „du“ gemeint ist, bleibt ja jeder Person selbst überlassen. Vielleicht ist es etwas abstrakt, aber für mich ist das „du“ die vollumfängliche Barrierefreiheit. Denn nichts gibt mir einen größeren Adrenalinkick als eine Party, an der ich und alle anderen behinderten Menschen teilhaben können, ohne Wenn und Aber. Dieses Gefühl, dass wir dann spüren, ist unbeschreiblich. Daher gibt mir der Song für den Sommer so einen guten Vibe. Aber alle anderen Songs des Albums lohnen sich mindestens genauso.