Zwischen Missgunst und Maskottchenrolle

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Triggerwarnung

In dieser Kolumne geht es um Mobbing und Depressionen.

In dieser Kolumne berichte ich davon, wie sich meine Depression entwickelte und welche Rolle meine damalige Arbeit dabei spielte. Über das Tabuthema “Depressionen und Behinderung” habe ich bereits eine Kolumne geschrieben, die man hier findet.

Meine vormals gut verarbeitete Behinderung wog durch beklemmende Umstände am Arbeitsplatz plötzlich tonnenschwer. Zu meiner Blindheit gesellte sich eine schwere Depression. Beides beeinflusste sich ungünstig. Heute kann ich nicht sagen, ob ich jemals von einer so einschneidenden Depression betroffen gewesen wäre, wenn ich mich selbstwirksamer und weniger hilflos am Arbeitsplatz gefühlt hätte.

Eine Depression ist eine eigenständige Erkrankung, die unterschiedliche Auslöser haben kann. Entscheidender Auslöser war bei mir damals meine dienstliche Zwickmühle. Mir war es in meinem langjährigen Beruf als Sozialpädagogin eine Herzenssache, Kraft und Mut an andere behinderte Menschen weiterzugeben und das gab mir dann auch viel Energie zurück. Da ich immer das Glas halb voll sah, wollte ich nicht wahrhaben, nach einem Vorgesetztenwechsel und veränderten Rahmenbedingungen Opfer von Mobbing, Missgunst und Neid am Arbeitsplatz geworden zu sein. Ich nahm auch Personen in Schutz, die meine Erfolge klein machten, bis ich selbst all meine Freudenstrahlen verlor.

Ich arbeitete in einer Einrichtung für behinderte Menschen, die in erster Linie von nichtbehinderten Vorgesetzten geleitet und gestaltet wurde. Für mich war das viele Jahre kein Problem, bis Akteure aus diesem System ihre Hörner gegen mich richteten. Heute denke ich, dass ich als gut qualifizierte Frau mit Behinderung, die auch Bücher schrieb und Fernsehen machte, wegen ihrer Betroffenensicht und erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit auch außerhalb unseres Hauses diesem Rehasystem ein Dorn im Auge war.

Auch wenn ich all die Jahre tolle Kolleg*innen hatte und jeden Tag mit gewohntem Optimismus im Herzen zur Arbeit fuhr, setzten entscheidende Personen effiziente Giftspritzen. Echte Anerkennung von außen versteckte ich zunehmend intern, aus Angst vor Neid. Das war eine ständige Schere im Kopf, denn viele Gäste kamen ja in unser Haus, weil sie mich durch meine Öffentlichkeitsarbeit kannten. Auch zerriss es mich andererseits, dass mein Name und meine Behinderung zum Abgreifen von Fördergeldern genutzt wurden, um darüber Personen als vermeintliche Sozialpädagog*innen einzustellen, die gar nicht qualifiziert waren. Für diese Maskottchenrolle war ich gut genug, während ich innerbetrieblich nach Zweckerfüllung hinten herunter fiel. Wo Inklusion drauf stand, war keine drin.

Ich fühlte mich zunehmend weggebissen. Nahestehende Menschen in meinem Umfeld hatten diese Dynamiken schon länger beobachtet. Ich freute mich dennoch immer wieder auf meine Arbeit, versuchte immer wieder von vorn, Harmonie herzustellen und hoffte, dass durch noch mehr eigene Bemühungen am Ende alles gut werden würde. Aus Angst vor meinem Chef und seiner Art mir gegenüber, bekam ich schließlich kein Wort mehr heraus. Unterstützende Kolleg*innen führten mich durch den Hintereingang in ihre Büros, weil sie nicht riskieren wollten, dass er uns zusammen sah. Mit Abstand betrachtet waren das pathologische Strukturen, die auf Dauer krank machen mussten, egal, wie sehr ich auch an mir arbeitete.  

Da sich die dauerhaft belastende Situation nicht kommunikativ auflösen ließ, geriet ich schleichend in eine gesundheitliche Abwärtsspirale, die in einen langen Krankenhausaufenthalt mündete. Ich hatte dienstlich vertrauensvollen Kontakt zur Schwerbehindertenbeauftragten, zum Betriebsrat und zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) aufgenommen und fühlte mich von vielen langjährigen Kolleg*innen verstanden, da ihnen das Vorgehen der betreffenden Personen auch aus anderen Arbeitsbereichen größtenteils bekannt war. Insgesamt war es für mich als behinderte Arbeitnehmerin jedoch schwer, Dinge anzusprechen, die sich andere und viel gestandenere Mitarbeiter*innen nicht zu sagen trauten. Versuchte ich es dennoch, wurde es oft schlimmer, man vertuschte die Situation oder stauchte mich zusammen.

Die vom BEM eingeleiteten Hilfestellungen wurden von der Leitung boykottiert, so wurde z.B. mein Heimarbeitstag zum Vor- und Nachbereiten meiner Kurse gestrichen, den ich seit Jahren transparent dokumentierte. Auch wurde das Modell zur stufenweisen Wiedereingliederung nicht nach der Empfehlung des Krankenhauses und in Abstimmung mit mir umgesetzt. Letztlich wurde sogar der Datenschutz gebrochen, indem die Geschäftsführung meinen vertraulichen Anruf auf Lautsprecher stellte, ohne dass ich es wusste.

Ich fühlte mich in dieser schweren Zeit endgültig von der Leitungsebene im Stich gelassen. Dabei konnte ich in all den Jahren für meinen Arbeitgeber zahlreiche Konzepte und Kursmodule entwickeln und wichtige Projekte mit ins Rollen bringen, tausende Gäste in eigenen Veranstaltungen betreuen und anderen Kolleg*innen Arbeitsplätze ermöglichen. Auch wenn ich für diese Berufsjahre sehr dankbar bin und mir heute überwiegend bewusst machen möchte, was ich Positives mitnehmen kann, war dieser Lebensbruch schlimmer für mich, als meine eigene Erblindung.

Die stufenweise Wiedereingliederung scheiterte an der Kooperationsbereitschaft des Betriebes und der Heimarbeitstag war gestrichen, sodass ich keine andere Chance sah, als aus gesundheitlichen Gründen meine Arbeitsstunden vertraglich zu reduzieren. Die Stimmung am Arbeitsplatz verbesserte sich nicht, sodass ich zum Schluss völlig geschwächt mein Arbeitsverhältnis kündigte.

Geschwächt hatte mich nicht nur die Situation am Arbeitsplatz, sondern auch der vorangegangene Kampf um einen Klinikplatz, von dem ich bald im dritten Teil meiner Kolumne erzählen möchte. Obwohl ich mich inzwischen mit meiner schweren Depression kaum noch über Wasser halten konnte, lehnten mich die angefragten Kliniken wegen meiner Blindheit ab. Das hätte ich nicht für möglich gehalten, da ich glücklicherweise nie zuvor in meinem Leben auf diese Art von Hilfe angewiesen war. Es erschütterte mich sehr, auf so wenig Inklusion und Barrierefreiheit im Gesundheitssystem zu stoßen.

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