Menstruieren für Fortgeschrittene

Das Logo von die neue Norm auf rotem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Jennifer Sonntag.
Lesezeit ca. 5 Minuten

„Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse“, erfuhren wir in der Fernsehwerbung der 90-er Jahre und lernten die blaue Kontrollflüssigkeit kennen. Blaues Blut? Wenn ich als Blinde ausnahmsweise von der Farbe reden darf, war das schon mal das erste Missverständnis.

Natürlich war es selbstverständlich, dass niemand etwas von der echten Flüssigkeit mitbekommen sollte, das hatten auch blinde und sehbehinderte Mädchen eingesehen. Wenn man auch sonst wenig über Körperliches vermittelt bekam, wurde einem doch klar zu verstehen gegeben, was eher versteckt werden sollte, nämlich generell unbequeme Fragen zum Frausein. Wenn die Menstruation ohnehin schon als unsauber und unhygienisch galt, dann wird ja besonders bei behinderten Frauen darauf geachtet worden sein, dass „Mann“ davon hoffentlich nichts riechen kann. Eben wie der Slogan suggerierte: „Damit die Regel sauber und diskret abläuft“.

Wahrscheinlich werden einige Herren nun aus dem Text aussteigen oder um es mit der Chemnitzer Band „Blond“ zu sagen: „du gehst dich schlagen, redest über dein Glied, rede ich von meinen Tagen, vergeht dir der Appetit“. Dabei können blutige Laken auch Männer betreffen. Deshalb gehe ich das Thema zunächst aus umgekehrter Perspektive an, denn in ausgelieferten Situationen sitzen wir alle im selben Boot. Ich arbeitete in einer Einrichtung, in der mit der Intimsphäre eines blinden Rehabilitanden sehr leger umgegangen wurde. Eine Wohnheimmitarbeiterin fotografierte die vollgebluteten Laken eines schwer an Diabetes erkrankten Mannes, der die Verletzungen an seinen Füßen nicht gespürt und die Blutung blindheitsbedingt nicht gesehen hatte. Diese Fotos wurden dann samt seines Namens ins betriebliche Intranet gestellt. Zu welchem Zweck erfuhr ich auch von der zuständigen Abteilungsleiterin nicht. Durch meine Öffentlichkeitsarbeit hatte ich viel Publikumsverkehr in meinem Büro und war schockiert, als diese Dateien plötzlich zwischen meinen Terminkalendern auftauchten. Ich empfand das als Bloßstellung. Ein wirklich wunder Punkt. Ich stellte mir vor, wie ich mich als blinde Frau fühlen würde, wenn ich aus anderen Gründen versehentlich in ein Laken bluten und mein Menstruationsunfall dann auf diese Weise in einer Einrichtung für alle sichtbar würde. 

Das führt zwangsläufig zu der Frage: Wie macht das eine blinde Frau eigentlich mit dem Menstruationsmanagement? Als sehbehindertes Mädchen wusste ich: Wenn‘s ordentlich wehtut geht’s los. Ich erinnere mich an unsere Klassenfahrt nach London. Partystimmung und Höllentrip zugleich. „Blond“ wissen, wovon ich rede: „Vier Stunden Fahrt mit Schmerzen im Flixbus. Glaub mir, die Periode ist kein Luxus.“ Aber muss das so laufen? Über hilfreiche Medikamente oder Maßnahmen zur Schmerzregulation kam ich damals nicht mit „Erwachsenen“ ins Gespräch. Das war für beide Seiten viel zu peinlich. Atteste wegen Regelschmerzen im Sportunterricht waren als Ausrede verpönt. Mütter und Lehrerinnen hatten es oft selbst nicht anders gekannt oder kaum fempowernde Worte in der Handtasche. Zähne zusammenbeißen und durch! Kein Junge musste Klassenarbeiten oder Abiturprüfungen unter starken Organschmerzen bestehen. Aber das hat damals keiner hinterfragt. Weil ich heftige Menstruationsschmerzen für normal hielt, thematisierte ich sie erst sehr spät bei der Frauenärztin. Inzwischen werden diese Themen auch medial aus der Pfui-Ecke geholt. Stichwort Endometriose. Information und Aufklärung zielt heute nicht nur darauf ab, etwas möglichst „diskret“ für die anderen verschwinden zu lassen, sondern selbst den eigenen Körper besser zu verstehen und ernstzunehmen. Allerdings berichtete kürzlich eine junge Frau in einem feministischen Podcast, dass sie ihrer Gynäkologin die Menstruationstasse erklären musste, nicht umgekehrt. Gerade im Umgang mit behinderten Frauen und Mädchen ist zwischen Wegschweigen und Bloßstellen ein zeitgemäßer Dialog angemessen. 

Ein Beispiel für die ungünstige Kombination aus Wegschweigen und Bloßstellen ist das Malheur einer blinden Frau, mit deren Geschichte ich konfrontiert wurde, als ich selbst noch nicht ganz blind war. Sie hatte nach dem Toilettengang am Arbeitsplatz eine blutige Klobrille hinterlassen. Anstatt das mit ihr vertraulich zu besprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, wurde im Kollegenkreis gelästert und man mied den Umgang mit ihr. Sie ahnte lange nichts davon. Mich hat das im Zuge meiner eigenen Erblindung sehr beschäftigt. Kraft meines Sehrestes bekam ich das ja alles noch irgendwie hin. Ich fragte mich: beschmierte Klobrille, Tropfen auf den Fliesen, Flecken an der Kleidung, wie ist das alles zu kontrollieren ganz ohne Augenlicht? Und dann noch die blinde und möglichst spurenfreie Handhabung der Hygieneartikel, wie war das zu bewältigen? Es ist ja nicht damit getan zu merken, ab wann frau menstruiert, sondern auch, wie ernst es diesmal der Uterus mit seiner „bloody Release“ meint. Trotz gewissenhafter Kalenderführung wird Frau ja oft in den ungünstigsten Momenten von der Unregelmäßigkeit der Regel überrascht. Viele von uns kennen den Moment, den „Blond“ in ihrem Song besingen: „Das Leben ist grad ziemlich geil. Ich habe eine gute Zeit. Und genau dann kicken meine Tage rein“. Wenn Frau blind ist, braucht sie in diesen Augenblicken erst recht ein gutes Fingerspitzengefühl. 

Weil ich die Sauberkeit einer Toilette leider wirklich mit den Händen checken muss, ist es umgekehrt für mich oft schlimm, die Hinterlassenschaften „eigentlich“ sehender Menschen an Körper oder Kleidung zu haben. Das Übelste, was einer blinden Frau in dieser Hinsicht passieren kann, ist ein schmutziges Dixi-Klo auf einem Festivalgelände ohne Waschbecken. Ich muss jetzt mal ins Detail gehen. Gerade wenn man sich Produkte in den Körper einführen muss, dürfte klar werden, warum das nicht nur ekelhaft, sondern auch ernsthaft gesundheitsgefährdend ist. Ich würde mir wünschen, dass weibliche Bedürfnisse hier generell besser mitgedacht werden.

Für die Menstruationsbelange blinder Frauen gibt es nur rare Informationen. Vor vielen Jahren fragte mich das Jungsheft, ein Erotikmagazin, was von zwei Frauen gemacht wird: „Woran merkst Du, dass Du Deine Tage hast?“ Das fand ich mal einen erfrischenden Tabuzonenkiller. Im Interview ging es zwar um mein Buch „Liebe mit Laufmaschen“, in dem ich als Schriftstellerin erotischer Literatur ziemlich offen mit Sexualität umging, aber beim Thema Periode wurde ich rot. Meine Antwort: „Blinde haben doch sowas gar nicht… Nein, Spaß! So sehr man Schmerzen hasst, hier können sie ein guter Hinweis sein. Schmerzt es nicht zuverlässig, verbraucht man auch schon mal ‘ne Packung Tampons vergebens, weil die ganze Zeit gar nichts war. Sehr frustrierend! Notfalls müssen die anderen Sinne helfen. Frau darf da kreativ sein…“. Konkretere Alltagstricks finden sich auf einer Beratungsseite des Blinden- und Sehbehindertenverbandes:Für einige blinde Frauen ist es manchmal nicht leicht, das Einsetzen ihrer Menstruation zu erkennen: Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Ausfluss und dem Menstruationsblut ist der Geruch; zudem ist das Blut klebriger. Dies lässt sich besonders gut durch Zerreiben zwischen den Fingern feststellen.“ 

„Blond“ singen am Ende ihres Songs: „Ist aber alles halb so schlimm, weil ich immerhin nicht schwanger bin.“ Was aber tun, wenn die Menstruation ausbleibt? Einer sehenden Frau gibt es Sicherheit, dann einen Schwangerschaftstest durchzuführen, ganz für sich allein, bei dem erstmal nur sie das Ergebnis vor Augen hat. Blinde Frauen erfahren nie zuerst, was der Test anzeigt, weil es bislang keinen barrierefreien Schwangerschaftstest gibt. Die Selbstbestimmung liegt dann darin sich zu fragen, wem man den bepinkelten Streifen am liebsten unter die Nase halten will: der Mutter, der Nachbarin oder dem Typen, dem man eigentlich den Laufpass gegeben hat? Blinde Frauen werden leider noch viel zu oft als Kundinnen, als Patientinnen und auch als Feministinnen übersehen. Das gilt auch für Frauen mit anderen Behinderungen. 

Angestiftet zu dieser Kolumne hat mich dankenswerterweise mein Buch- und Lebenspartner Dirk Rotzsch, ohne dessen männliches Mutmachen ich meine Perspektive zu diesem delikaten Thema wohl nie aufgeschrieben hätte. Fempowert hat mich eine meiner Lieblingsbands „Blond“, aus deren Song „Es könnte grad nicht schöner sein“ ich im Text mehrfach zitierte. Wie großartig, dass wir heute zusammen zu unseren Themen lauter werden und sogar in vollen Konzertsälen dazu moshen können, auch mit Menschen ohne „Menstruationshintergrund“. Hört oder schaut gern mal in den Clip hinein:

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