„Lasst uns über die behindernde Illusion hinwegkommen, es gäbe so etwas wie Behinderungen!“, „Lasst mich dieses Kleid, diesen Stempel von Behinderung abstreifen – es steht mir nicht!“. Und am beliebtesten in der Behindertencommunity ist wohl immer noch die Aussage „Behinderung existiert nur in den Köpfen der Leute!“.
Oft genug habe ich in meinen Texten und Vorträgen davon gesprochen, Behinderung sei eine Vorstellung, eine Konstruktion, die durch die Gesellschaft etabliert und ständig wiederkehrend auf den behinderten Körper projiziert wird. Wie komme ich aber dazu, immer wieder die provokante Aussage zu tätigen, dass ich Behinderung als Illusion oder Konstrukt verstehe?
Ich habe mich sehr lange daran gerieben und es hat mich beschäftigt, warum mein Gefühl so stark daran hängt, dass Behinderung für mich eine konstruierte Vorstellung der Gesellschaft ist. Ich bin in meinem Kunststudium mit immens vielen Fragen über mich, meinen Körper und gesellschaftliche Normen aufgelaufen unc habe einige Jahre gebraucht, um meine Antworten zu finden oder besser gesagt, auf den Pfad zu kommen, der sogar noch mehr Fragen offen hält.
Eine zentrale Erkenntnis auf diesem Weg war, dass Kunst und Aktivismus grundverschieden funktionieren und unterschiedliche Ziele verfolgen. Meine Betrachtungsweisen als Künstlerin haben eine andere Herkunft als behindertenpolitische Perspektiven.
Was ich sage und schreibe, wird oft missverstanden, denn niemand will mehr seine Behinderung verleugnen, geschweige denn sie als Illusion bezeichnen. Sie existiert physisch, beeinflusst den Menschen in seinem alltäglichen Leben und viele identifizieren sich natürlicherweise mit ihren Behinderungen. Sie sollen nicht verschoben, aufgehoben oder wegdiskutiert werden, sondern, so banal wie es klingt, mit Respekt, Würde und allen Rechten in der Gesellschaft anerkannt werden. Hierfür setzen sich viele Aktivistinnen mit aller Kraft im täglichen Kampf ein.
Ich habe schon viel mit dem Aktivismus geliebäugelt und meinen Platz in dessen Reihen vergeblich gesucht. Dabei habe ich sehr lange übersehen, dass meine künstlerische Herangehensweisen wohl eher eine Suche nach Fragen, ein Erforschen von Gegebenheiten und Symbolen in der Welt ist.
Der Aktivismus hingegen stampft mit einem großen „Wir sind hot crips“ laut auf. Er fordert dazu auf, sich zu bilden, sein Vokabular auf Vordermann zu bringen und seinen trägen, politischen Hintern endlich in die richtige Richtung zu befördern. Er verlangt nach Antworten und längst überfälliger Reaktion. Und zwar jetzt!
Kunst ist dagegen vielmehr ein Denken über die Welt, manchmal ein Träumen oder ein Herumirren. Jedenfalls die Beschäftigung mit Fragen in aller Offenheit. Provokation, Ironie und Sarkasmus sind ebenfalls wichtige Werkzeuge, die im Aktivismus oft missverstanden werden.
Meine Auseinandersetzung mit der Historie von Kunst, Behinderung und dem politischen Diskurs hätte nirgendwo mehr Platz gefunden, als in meinem ‚freien‘ Kunststudium, so viel ist sicher.